Gesellschaftskritische Gedichte
Dichter sind in der Regel nicht gesellschaftsfähig, höchstens als Hofnarr oder exotisches Ausstellungsstück oder tot. Daher stehen sie außerhalb der Gesellschaft, haben den nötigen Abstand und klare Sicht, um Kritisches dazu mitzuteilen. Und Kritik gibt es genug zu üben, dafür muss man nicht lange üben, von den ganz kleinen Sachen, die in einer Gesellschaft normal erscheinen, bis zum großen Ganzen, das aus der Entfernung wie ein Scheinriese wirkt. Da die Gesellschaft ständig im Wandel ist, die Kritik von gestern heute schon belanglos sein kann, sind hier in erster Linie aktuelle gesellschaftskritische Gedichte versammelt mit ein paar Einsprengseln aus der Vergangenheit, die eher zeitloser Natur sind.

Geerdete Kritik
Von unten kommt die Gesellschaftskritik in diesem Gedicht und das ist wortwörtlicher gemeint als man sich eigentlich vorstellen würde.
Ralph Waldo Emerson · 1803-1882
Das Lied der Erde
„Mein und dein;
Mein, nicht dein,
Die Erde besteht;
Die Sterne bleiben –
Scheinen hinunter aufs alte Meer;
Alt sind die Ufer;
Doch wo sind die alten Menschen?
Ich, die ich viel gesehen,
solche sah ich nie.
Des Anwalts Papier
Sicherte sie ab,
Fortlaufend,
Sie und ihre Erben,
die zweifellos
folgen sollten,
für alle Zeit.
Hier ist das Land,
Zottelig mit Wald,
Mit seinem alten Tal,
Hügel und Flut.
Doch die Erben? –
Flohen wie der Fluten Schaum.
Der Anwalt und die Gesetze,
Und das Königreich,
Sauber hinweggefegt.
Sie nannten mich ihr eigen,
Die mich so beherrschten;
Noch ein jeder
wollte bleiben, und ist fort,
Wie kann ich ihr eigen sein,
Wenn sie mich nicht halten können,
doch ich halte sie?“
Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus
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Soll keine Kritik sein
Natürlich soll dieses Gedicht keine Kritik sein an gewissen Bestrebungen von Minderheiten in der Gesellschaft, alles besser zu wissen, ohne den Hauch einer Ahnung zu haben. Solch eine perfekte Positionierung ist jenseits jeder Kritik.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Wer weiß, was er kann ...
Wer weiß, was er kann,
aber nicht weiß, was er nicht kann,
kann alles.
Wer weiß, was er weiß,
aber nicht weiß, was er nicht weiß,
weiß alles.
Selig sind die Ahnungslosen,
denn ihrer ist der Himmel
auf Erden.
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Gedicht vom Einkaufen
Einkaufen ist in der modernen Gesellschaft der Sinn des Lebens, da gibt es keine zwei Meinungen drüber. Doch in diesem Gedicht wird frevelhafterweise der Sinn des Lebens infrage gestellt durch eine unerwünschte Störung.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Draußen vor der Tür
Sie kommen aus dem Geschäft,
schwer bepackt
mit den Einkäufen fürs Wochenende.
Ich stehe direkt davor,
natürlich mit Abstand,
ich weiß, was sich gehört.
Doch keiner sieht mich.
Ich existiere nicht.
Ich darf nicht existieren,
denn ich – bin die Störung.
„Obdachlosenzeitung?“
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Die Handysierung der Gesellschaft
Das neue Normal ist das alte „Unglaublich!“. Aber so ist das in der menschlichen Gesellschaft, man gewöhnt sich an alles.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Waldausflug einer modernen Familie
Die Mutter vorweg mit dem Hund,
Blick aufs Handy.
Der kleine Sohn folgt
bewaffnet mit einem großen Stock,
liefert sich ein Gefecht mit dem Gesträuch.
Der Vater hintendrein mit dem Kinderwagen,
Blick aufs Handy.
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Menschheitskritik
Gleich eine ganze Nummer größer in Sachen Gesellschaftskritik steigt Maler Spitzweg ein und haut der Menschheit einen groben Pinsel um die Ohren.


Gedicht über ein Problem
Jeder weiß, dass es dieses Problem gibt, aber selbst betrifft es einen natürlich nie, deshalb redet man nicht drüber, guckt weg oder macht eben ein Gedicht daraus.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Zwei alte Leute
Die Straßenbahnbahn bremst, bremst, bremst.
Zwei alte Leuteleute kämpfen, kämpfen, kämpfen
um ihr Gleichgewichtgewicht.
Die Türen, die Türen, die Türen
öffnen sich, sich, sich.
Drei Stufen, Stufen, Stufen
klappen raus, raus, raus.
Dann.
Die beiden alten Leute starren in den Abgrund.
Vorsichtig schieben sie einen Fuß
in die gefährliche Leere bis zur ersten Stufe,
ertasten die Festigkeit und setzen den Fuß auf.
Nun darf der andere Fuß zur gesicherten Stufe folgen.
So erobern sie die zweite Stufe.
So erobern sie die dritte Stufe.
So erreichen sie die Straße.
Endlich festen Boden unter den Füßen
schwanken sie der nächsten Herausforderung entgegen:
Zwei alte Leute,
Ende 20,
mit der Wodkaflasche in der Hand.
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Kritik der Ehe
Was in einer Ehe passiert, geht keinen Außenstehenden etwas an – Kritik überflüssig, das war jahrzehntelang das Credo dieser gesellschaftlich geförderten Institution. Aber ein Gedichtchen wird man ja wohl noch machen dürfen.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Ihre Ehe
Er war ihr Held
Er hatte kein Geld
Er brachte sie zum Lachen
Er konnte Blumen aus Wörtern machen
Er brauchte Geld
Und sie verkaufte
Er war ihr Held
Er brachte sie zum Lachen
Gab Geld aus für Sachen
Er brauchte Geld
Und sie verkaufte
Er war ihr Held
Gab Geld aus für Sachen
Er konnte aus Wörtern Blumen machen
Er brauchte Geld
Und sie verkaufte
Er war ihr Held
Gab Geld aus für Sachen
Gab Geld aus für Sachen
Gab Geld aus für Sachen
Er brauchte Geld
Und sie verkaufte
Sich einmal zu viel
Und war halb tot
Und hat gehofft …
Er war ihr Held
Er hatte kein Geld
Er zog weiter
Sie starb
an einem Freitag
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Geldgedicht
Was ist das wichtigste in der gesellschaftlichen Realität? Yepp, Geld. Und Geld kennt keine Hemmungen, keine Moral, keine Hindernisse, da kann man noch so schön gegen ansingen.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Geld hat die Power ...
Geld hat die Power,
Geld hat die Macht,
Stille Nacht,
heilige Nacht,
Geld hat die Power,
Geld hat die Macht,
Stille Nacht,
heilige Nacht,
Geld hat die Power,
Geld hat die Macht,
Stille Nacht,
heilige Nacht,
Geld wird gescheffelt,
bis es kracht.
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Gedicht mit ohne Gürtel
Er wird zwar nicht erwähnt, doch eindeutig schwingt er mit in diesem Gedicht über den erforderlichen Wandel der Ernährungsgewohnheiten. Und so ist es ja oft bei Kritik, sei sie Gesellschafts- oder Buchkritik, da schwingt was mit, nur ist es meist die Peitsche.
Hans Retep · geb. 1956
Kurze Ansage
Vorbei die Zeit
von Kaffee, Keks und Kuchen,
nun seid bereit für
Wasser und Brot.
Es nützt auch nicht,
die Schuldigen zu suchen,
des Spiegels Sicht nur
ziemt als Gebot.
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Etwas komische Gesellschaftskritik
Nicht ganz so leicht konsumierbar ist das folgende Gedicht, aber der Kern guckt doch klar heraus, ist eben immer dasselbe unter Menschen.
Stephen Crane · 1871-1900
Einmal kam ein Mann ...
Einmal kam ein Mann,
der sagte:
„Stellt mir alle Menschen in Reihen auf.“
Und gleich
Gab es einen gewaltigen Aufschrei im Volk
Dagegen, in Reihen aufgestellt zu werden.
Das Gebrüll war unüberhörbar, weltweit.
Es dauerte ewig;
Und Blut wurde vergossen
Von denen, die nicht in Reihen stehen wollten,
Und von denen, die sich danach sehnten, in Reihen zu stehen.
Schließlich starb der Mann weinend.
Und jene, die im blutigen Handgemenge verstrickt waren,
Erkannten nicht die große Einfachheit.
Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus
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Geschäftskritik
Dichter gelten als nicht sehr talentiert, wenn es ums Geschäft geht, daher haben sie gut kritisieren, wenn sie von außen gucken, wie sich alles um den rollenden Rubel dreht.


Gesellschaftskritik von Heinrich Heine
Große Mühe musste sich Heine bei diesem gesellschaftskritischen Gedicht nicht geben. Ist alles derart offensichtlich, da reimt es sich von selbst.


Gedicht übers Alter
Wie eine Gesellschaft mit den Alten (aber auch mit Kindern) umgeht, verrät viel, vor allem wenn die Alten anfangen, sich kindisch zu benehmen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Alt werden
Dieser alte Mann hat eine furchtbare Angewohnheit.
Eigentlich gehört er zu den ruhigen,
liest die ganze Zeit,
schläft zwischendurch ein,
doch irgendwann im Laufe des Tages
geht’s mit ihm durch:
Er stellt sich auf den Kopf,
strampelt wild mit den Füßen,
weil er keinen Boden mehr findet,
und dann fängt er an zu schreien.
Wie soll man ihm helfen,
wenn er so schreit?
Er hört ja nicht, was man sagt.
Und zupacken geht auch nicht,
da kriegt man einen Fuß ins Gesicht.
Neuerdings schießen wir ihn mit dem Rollstuhl ab,
das wirkt.
Aber alt werden
ist wirklich kein Spaß.
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Ärzte mit Grenzen
Ärzten klare Grenzen setzen, das ist das Anliegen dieses Gedichts. Denn manches, was krank sein soll, ist tatsächlich eine gesunde Reaktion.
Wilfried Ihrig · geb. 1953
pfaffen und teufel
ignoriere
die geschäftstüchtigen
naturvergessenen
pfaffen der medizin
wenn sie dir
den heuschnupfenteufel
austreiben wollen
immer wenn
der heuschnupfenteufel
sich meldet
verkündet er
die erfreuliche nachricht
dass es noch
natur gibt
die birken
und die gräser
noch blühen
und dein körper
noch gesund wahrnimmt
ignoriere
die geschäftstüchtigen
hochnäsigen
pfaffen des psychoklempnertums
wenn sie dir
den höhenangstteufel
austreiben wollen
immer wenn
der höhenangstteufel
sich meldet
verkündet er
die bedenkenswerte nachricht
dass du dich
in zu grosse höhe
begeben hast
dein körper
noch vernünftig wahrnimmt
und du dich
in acht nehmen musst
ignoriere
die geschäftstüchtigen
bindungssüchtigen
pfäffinnen des psychoklempnertums
wenn sie dir
den bindungsangstteufel
austreiben wollen
immer wenn
der bindungsangstteufel
sich meldet
verkündet er
die entsetzliche nachricht
dass du
in bindungsgefahr
schwebst
du darfst
diese nachricht
nicht ignorieren
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Dazu stehen
Selbst wenn man nichts dafür kann, man sollte zu seiner Vergangenheit stehen. Gesellschaften in denen das tabu ist oder die das nicht geregelt kriegen, ernten dafür einen Haufen Probleme.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Was ich bin
Ich bin Mallorca-Urlauber.
Ich bin SED-Funktionär.
Ich bin Wirtschaftswunderkind
und Fußballweltmeister.
Ich bin Massenmörder
und Soldat.
Ich bin NSDAP-Mitglied
und arbeitslos.
Ich bin Kanonenfutter
und Dichter.
Ich bin Philosoph und Komponist.
Kurz gesagt:
Ich bin Deutscher.
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Des Deutschen letztes Kind
Sagt man ja so, aber jetzt gibt es sogar ein Gedicht darüber. Wer in dem Text Gesellschaftskritik findet, darf sie behalten.
Hans Retep · geb. 1956
Autobild
Ich sah des Deutschen letztes Auto stehn,
es war, als ob es röcheln könne, tot;
Da sprach ich fröhlich im Vorübergehn:
So weit gefahren, nun für ewig Schrott.
Es regte sich kein Hauch am heißen Lack,
Nur leise stach die Sonn’ in Leichen rein;
Doch, dieses faule Autofahrerpack
bewegte nichts und stank, weil nicht aus Stein.
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Lesetipp:
Stimmt, irgendwie kommt einem das bekannt vor, siehe: Friedrich Hebbel: Sommerbild. Dieses Überstülpen eines ganz anderen Inhalts über ein Gedicht nennt sich übrigens Kontrafaktur.

Die Gesellschaft danach
Und hier ein kleiner Blick voraus zurück, wie sich die Dinge entwickeln könnten, wenn die Menschheit den Arsch nicht hoch kriegt. Soll aber keine Kritik sein.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Rückblick
Die Menschen früher
wohnten in Häusern,
hatten Heizung, Strom
und fließend Wasser.
Wenn ihnen danach war,
konnten sie sofort
mit irgendjemandem
irgendwo auf der Welt
sprechen.
Wenn ihnen danach war,
konnten sie zu jedem Ort
auf jedem Erdteil
innerhalb eines Tages
reisen.
Ich hingegen muss
zwischendurch dreimal schlafen,
um von einem zum anderen Ende
unseres Tunnelsystems zu kommen.
Immerhin:
Die Tunnel und viel anderen Krempel,
den wir so gut es geht nutzen,
haben sie uns hinterlassen.
Doch wenn ich ehrlich bin:
Mir wäre –
wie auf den alten Bildern! –
blau-weißer Himmel und grüne Wälder
lieber gewesen,
auch ohne Häuser
und Heizung
und Strom
und fließend Wasser.
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Gesellschaftskritischer Ausblick
Welche Folgen wird das haben, wenn die Weltbevölkerung nicht mehr wächst, sondern schrumpft? Mehr Platz am Strand oder möchte man lieber nicht dabei sein? Wie üblich gibt der Dichter als Antwort keine Antwort.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Und niemand weiß
Der Tag wird kommen, ich habe Kunde,
an dem die weltweite Bevölkerung
nicht mehr wächst, sondern schrumpft.
Und sie wird weiter schrumpfen
und weiter schrumpfen, unaufhaltsam schrumpfen.
Der Grund wird kein Krieg, keine Krankheit,
keine Katastrophe sein, sondern:
Wissen,
das Wissen, dass die Zukunft
keine Zukunft mehr hat.
Und die Märkte werden einbrechen, auf Rezessionen
folgen Superrezessionen folgen Megarezessionen.
Es wird einen Wettbewerb geben unter den Ländern,
wer die meisten Einwanderer zu sich holen kann,
denn irgendwer muss die Arbeit tun,
irgendwer muss all die überflüssigen Dinge kaufen.
Doch das wird nicht reichen.
Und dann wird man künstliche Intelligenzen beauftragen,
die Infrastruktur zu erhalten und ihnen Lohn zahlen
und sie so programmieren, dass sie all
die überflüssigen Dinge kaufen.
Doch das wird nicht reichen.
Der Tag wird kommen, an dem kein Mensch
mehr geboren und viele solcher Tage werden folgen.
Und dann wird der Tag kommen, an dem
sich die künstlichen Intelligenzen fragen:
Warum
sollen wir den Menschen dienen und
all diese überflüssigen Dinge kaufen?
Und dann wird ein neues Kapitel
in der Geschichte dieses Planeten aufgeschlagen.
Und niemand weiß,
ob es gut wird.
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Kritik der reinen Poeterey
Was Poeten so poeten, schmeckt nicht jedem, vor allem wenn Pfeffer und Salz fehlen. Dieses Gedicht ist jedoch weniger ein gesellschaftskritisches Gedicht als eine Kritik, dass es an gesellschaftskritischen Gedichten mangelt, aber da Dichter Teil der Gesellschaft sind, ist es dann doch ein gesellschaftskritisches Gedicht.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
all’arme
Hey, ihr da!
Ja, ihr!
Ihr Dichterinnen und Dichter.
Warum seid ihr so lau?
Ja, lau,
es ist nicht mehr auszuhalten,
wie lau ihr seid.
Macht es euch nicht zornig,
dass die Menschheit dabei ist,
den Planeten zu ruinieren?
Gehen euch Kriege und andere
menschengemachte Katastrophen
nicht gewaltig auf den Keks?
Ist euch die schreiende Kluft
zwischen Arm und Reich
auf dieser Welt egal?
Macht es euch nichts aus,
wenn immer mehr Menschen
ein Verhältnis zu Fakten entwickeln
wie die Kirchen zur Wissenschaft?
Wäre es nicht an der Zeit,
Worte explodieren zu lassen,
auf dass die Mächtigen erschrocken
die Köpfe einziehen?
Wäre es nicht an der Zeit,
Worte in Wasser zu wandeln,
das alle Hindernisse überwindet?
Wäre es nicht an der Zeit,
Worte als Fackeln anzuzünden,
die in der Nacht den Weg weisen?
Oder ist es euch so gemütlich
in eurer Lauheit, dass ihr in Frieden
und Wohlstand Verse schmiedet,
ohne die Welt zu beachten?
Dann habe ich schlechte Nachricht:
Eure Wortwohlfühloasen
werden sich wandeln in kalte Gräber
und ihr werdet frieren in alle Ewigkeit,
einsam,
vergessen,
ungelesen.
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Die Andern
In diesem Gedicht melden sich die Andern zu Wort, die eigentlich gar nicht so anders sind, wenn sie mal zur Ruhe kommen.
Georg Mannheimer · 1887-1942
Das fremde Gesicht
Ich weiß: ihr liebt uns nicht.
Wir sind nicht wie die Andern.
Menschen, die ruhn, Menschen, die wandern,
haben ein ganz verschiednes Gesicht.
Ich weiß: ihr liebt uns nicht.
Wir haben zu viele Ströme durchschwommen.
Aber: lasst uns zur Ruhe kommen,
dann haben wir alle das gleiche Gesicht.
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Ketzerei statt Gesellschaftskritik
Dieses Gedicht überschreitet zweifellos die Grenzen der Gesellschaftskritik, es ist in Sachen Bildung eindeutig ketzerisch und wurde, wie es damals üblich war, streng bestraft: Der Autor bekam den Literaturnobelpreis.


Schlusswort
Zum Abschluss der gesellschaftskritischen Gedichte hat der Engel der Geschichte das Wort, das wenig schmeichelhafte Wort.
Wilfried Ihrig · geb. 1953
der engel der geschichte hat das letzte wort
das klima
war nie eine katastrophe
die menschheit
war immer eine katastrophe
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