Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Gedichte über Hoffnung

Sie ist der Menschheit einfach nicht auszutreiben: die Hoffnung. Da können Katastrophen anmarschieren, auch selbst fabrizierte, immer wieder wird aufgestanden und nach vorne geguckt mit dem Fünkchen Hoffnung. Und da die Hoffnung so kennzeichnend ist für die Menschheit, haben sich auch die Dichter Gedanken über dieses Phänomen gemacht und diese zu Papier gebracht.

 
 

Die Form der Hoffnung

Ein hoffnungsvolle Formspielerei ist dieses Gedicht, das - wenn der Browser mitspielt - eine grafische Darstellung des Titels bietet.

Emanuel Mireau · geb. 1974

Kelch der Hoffnung

Hoffnung sagt
Dein ist die
Ganze Welt
Hoffnung ist
Was dich am
Leben hält
Hoffnung
gibt
dir
im
mer
einen Grund

Urheberrechtshinweis

 
 

Glas und Hoffnung

In diesem Gedicht wird die alte Geschichte mit dem halbleeren oder halbvollen Glas um das Thema Hoffnung ergänzt.

Hans Retep · geb. 1956

Die Sache mit dem Glas

Dem Pessimisten, das ist bekannt,
erscheint das Glas in seiner Hand
halbleer.

Ein Optimist, der kann dies wenden,
ihm ist das Glas in seinen Händen
halbvoll.

Doch Hoffnung, was man bisher vergaß,
die wirkt auch, hat man gar kein Glas,
recht schnell.

Urheberrechtshinweis

 
 

Die Hoffnung hat Flügel

Dies ist eine Übertragung ins Deutsche des wahrscheinlich bekanntesten englischsprachigen Gedichts über die Hoffnung.

Emily Dickinson · 1830-1886

„Hoffnung“ ist das Ding mit Federn ...

„Hoffnung“ ist das Ding mit Federn –
Das lässt sich in der Seele nieder –
Und wortlos singt es Melodien –
Und nie verstummt es – jemals wieder –

Und Süßestes erklingt – in Stürmen –
Und wund sein müssen Sturmgewalten –
Um jenes Vöglein zu beschämen,
Das viele hat schon warm gehalten –

Ich hörte es in frost’gen Ländern –
Und auf dem seltsamsten der Meere –
Doch niemals, selbst in schlimmsten Zeiten,
Hört ich, dass es ein Korn – begehre.

Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus

Urheberrechtshinweis

Eine Übersetzung zwischen Hoffen und Bangen
Da wird einem schon bang, wenn man eines der bekanntesten Gedichte einer wahrlich nicht unbekannten amerikanischen Dichterin übersetzt. Natürlich haben das schon andere versucht, man muss den Vergleich mit alternativen Übersetzungen aushalten.

Und dann: Reime. Das ist beim Übersetzen immer eine spagatische Übung, denn man kommt meist nicht darum herum, Wörter zu nutzen, die es im Original nicht gibt, was für die inhaltliche Übertragung ein Risiko ist. Immerhin hat Emily Dickinson Gnade walten lassen und einen halben Kreuzreim (xaxa) verwendet, also brauchte es in jeder Strophe nur einen Reim.

Bei der ersten Zeile habe ich mich für eine wörtliche Übertragung (“Hope” is the thing with feathers) entschieden, obwohl die metrisch nicht aufgeht. Die Zeile schien mir einfach zu bekannt, als dass man damit herumspielen könnte. Ein „Ding mit Federn“ sollte nicht ein „Federding“ oder ein „gefiedert Ding“ werden. Der Vorteil bei Emily Dickinson ist: Sie hat sich selbst immer wieder Freiheiten in Metrum und Reim erlaubt, so dass man fünfe auch mal gerade sein lassen kann.

Die zweite Zeile war ebenfalls eine Herausforderung. Man könnte sicher „perches“ anders übertragen als wörtlich „lässt sich nieder“, aber die wörtliche Übertragung ergibt für den Reim zu Zeile vier auch die Lösung, die am nächsten am Original bleibt. Nur ist damit festgelegt, dass die geraden Versnummern vier statt wie im Original drei Hebungen haben.

Am Schluss zeigt sich dann deutlich das Problem des Reims. Im Original ist der Abschluss mit „of me“ wesentlich stärker, aber einen Reim wie auf „sea“ gibt das deutsche „mir“ oder „mich“ nicht her, also musste der Schluss etwas flauer ausfallen, nur Hörensagen statt persönlicher Betroffenheit. Das sind halt die Opfer, die man bringen muss bei einer Übersetzung eines Gedichts. Wohl denen, die das Original lesen und genießen können.

 
 

Die Hoffnung hat ein Rad

Eigentlich sogar zwei, und – ganz wichtig – Fahrradschläuche. Was wäre Hoffnung wert ohne Fahrradschlauch? Eben.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Hoffnung ist das Ding mit Fahrradschlauch

auf dem Radweg
grüne Scherben
Augen zu
und durch

Urheberrechtshinweis

 
 

Über die eine

Sagen wir lieber nicht, von wem in diesem Gedicht die Rede ist. So kann man noch hoffen, die richtige Antwort selbst zu finden.

Emanuel Mireau · geb. 1974

Sie ist das Küken ...

Sie ist das Küken, das sich aus dem Ei befreit.
Sie ist das Unkraut, das durch jede Fuge dringt.
Sie ist das Kind, das gar nicht weiß, warum es singt.
Sie ist der Vogel, der am Himmel schwebend kreist.
Sie ist der Traum, der sich vor keiner Logik beugt.
Sie ist das Licht, das niemals einen Schatten zeugt.
Sie ist wie eine Mutter, die noch schlafend wacht.
Selbst wenn die Hoffnung weint, klingt’s doch, als ob sie lacht.

Urheberrechtshinweis

 
 

Ein hoffnungsloser Fall

In diesem Gedicht schleppt sich die Hoffnung mit der Macht der Gewohnheit und der Kraft der Ignoranz durchs Leben.

Georg Stolzenberg · 1857-1941

Meine Hoffnung ...

Meine Hoffnung
ist ein altes Weib,
das täglich, die Gießkanne in der Hand,
an die Gräber ihrer Kinder humpelt.

Ihr zusammengeklapperter Leib
ist tief zur Erde gebeugt.

Aber sie hält sich die Ohren zu, wenn man vom Sterben spricht.

Vergebliche Hoffnung
Georg Stolzenberg gehörte zum Kreis um Arno Holz, der nicht weniger als die Revolution der Lyrik anstrebte. Das Gedicht wurde 1899 veröffentlicht (siehe: Antreten zum Dichten!) und der Dichter erntete von seinen Zeitgenossen Hohn und Spott. Da war nichts durchgereimt, kein Metrum, das konnten doch auch Kleinkinder schreiben. War das überhaupt ein Gedicht?

Die freien Verse, die sich äußerlich von der Prosa nur durch die Verseinteilung unterscheiden, haben sich in Deutschland erst fünfzig Jahre später durchgesetzt. Trotzdem würde man dieses Gedicht nicht als „modern“ einstufen, denn es nutzt eine alte rhetorische Form.

Die Hoffnung als altes Weib ist eine Personifikation, also eine Metapher. Diese wird im Verlauf des Gedichts immer weiter fortgesponnen, bis sich das alte Weib (die Hoffnung) die Ohren zuhält. Diese Aufrechterhaltung einer Metapher über einen ganzen Text nennt man Allegorie.

Doch nicht nur inhaltlich hat das Gedicht eine Konstruktionsidee. Die Endungen der Verse schließen alle bis auf den ersten entweder mit dem Laut p (geschrieben b: Weib – Leib, ups, ein Reim) oder t. Das sind sogenannte Plosivlaute. Nur das Wort „Hoffnung“ am Schluss der ersten Zeile weicht davon ab. Da hat man was zum Interpretieren.

Schließlich gibt es noch eine Auffälligkeit bei den Verslängen, wo der letzte Vers herausragt. Wenn Verse unterschiedlich lang sind, ist die Annahme, dass die kürzeren langsamer, die längeren schneller gelesen werden. Der letzte müsste also schwer in Eile sein und passt damit sehr schön zum Inhalt.

Obwohl Georg Stolzenberg seiner Zeit weit voraus war, ist er eine weitgehend unbekannte Größe in der deutschsprachigen Lyrik. Die Hoffnung, die jeder Lyriker hat, dass seine Werke ihn lange überleben, war also weitgehend vergebens, das alte Weib hat sich irgendwann in seiner Wohnung verkrochen und guckt Internet.

 
 

Hoffnungsvolle Geschichte

Eine hoffnungsvolle Geschichte wird in diesem Gedicht aufgemalt. Mit einem winzigen Schritt könnte das Leben in Deutschland drastisch verändert werden, von den Vorteilen für Leute, die Deutsch als Fremdsprache lernen, ganz zu schweigen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Was würde passieren?

Ich frage mich,
ich frage dich,
was würde passieren?
Was würde passieren,
wenn von einem Tag auf den andern
in ganz Deutschland,
mal es dir aus,
wenn in ganz Deutschland
das Sie
abgeschafft wäre?
Du gehst zur Arbeit, duzt den Chef.
Du gehst zum Arzt, duzt den Doktor.
Du gehst zum Amt, duzt den Beamten.
Du sagst zum ersten Mal
zu jedem Nachbarn:
Wie geht es – dir?
Jeder Fremde wäre nicht mehr fremd,
kein Sie wäre zwischen euch.
Ich glaube,
ich glaube ganz fest,
das würde etwas ändern,
das würde etwas ändern zum Besseren.

Ja, ich weiß.
Es gibt Länder, die das „Sie“ nicht kennen,
und denen geht es auch nicht besser,
aber:
Unser Du hätte noch das Du-Gefühl.
Das muss nicht Liebe sein,
das muss nicht Freundschaft sein,
es wäre ein Wir.
Ein Gefühl der Nähe,
Mitmenschlichkeit.

Ja, vielleicht,
vielleicht würde der Effekt schnell verpuffen,
aber nicht ganz,
nicht ganz!
Für eine kurze Zeit wäre Veränderung
und Veränderung ist Bewegung und Bewegung ist Leben.
Und Leben wirkt immer.
Es gibt kein Leben ohne Wirkung.

Meinst du nicht,
die Hoffnung auf neues Leben
wäre den Versuch wert,
das Sie
abzuschaffen in ganz Deutschland
von einem Tag auf den andern?

Urheberrechtshinweis

 
 

Der Baum der Hoffnung

Einen Baum zu pflanzen, wie in diesem Gedicht, ist ein Zeichen von Hoffnung oder sogar Vertrauen in die Zukunft und außerdem sehr praktisch: Regen- oder Sonnenschutz ist mit der Zeit inklusive.

Wolfgang Rinn · geb. 1936

Ich habe einen Baum gepflanzt ...

Ich habe einen Baum gepflanzt
und mit ihm still Gedenken
in Erde tiefem Grund versenkt,
wo neues Leben
unaufhaltsam keimt,
und schaffend, drängend,
hellem Sonnenlicht
entgegen strömt,
bis dann ein groß Erwachen
Maß der Ewigkeit
im Auferstandnen widerspiegelt,
geheimnisvoll Verborgenes
in strahlend Leuchtendes verwandelt.

Urheberrechtshinweis

 
 

Hoffnungsgestalt

Die Hoffnung wurde hier schon in vielerlei Gestalt präsentiert, doch das moderne Gedicht scheut auch nicht vor den gewöhnlichsten Bildern zurück. Also: Festhalten, Anschnallen – Hoffnung ist ein einzelner Socken.

Daniel Claus Schäfer · geb. 1985

Gefährten

Am Anfang wie Brüder,
aus gleicher Wolle,
in Hitze gewebt,
im Strom getauft.

Sie ruhten gemeinsam
in einer Schublade,
gefaltet, vereint,
bis die Reise begann.

Ein rechter, ein linker
umschlossen die Füße,
sie kannten die Wege,
die Flure, die Straßen.

Doch eines Tages –
in der Maschine
verschwand der Eine
im Kosmos der Wäsche.

Der Andere hofft nun,
dass irgendwo draußen
sein Bruder sich findet
im Falten der Welt.

Urheberrechtshinweis

 
 

Ein Gedicht über die Hoffnung von Schiller

Schiller findet ein paar grundsätzliche Worte zum Thema, schafft es dabei ein ganzes Leben voller Hoffnung in eine einzige Strophe zu packen.

Schiller: Hoffnung

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Die Hoffnung am Morgen

Fontane führt in seinem Hoffnungsgedicht die Wirkung des heilsamen Schlafes vor. Kaum ist die Nacht vorbei, ist die Hoffnung wie durch Zauberei wieder da.

Fontane: Zerstoben sind die Wolkenmassen ...

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Ein Gedicht über die Hoffnung als Sonett

Den größeren Teil des Sonetts beschreibt Keller die Vergeblichkeit menschlichen Daseins, um dann doch in den Dreizeilern die gute Hoffnung auszupacken.

Keller: So manchmal werd’ ich irre an der Stunde ...

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Eine etwas andere Hoffnung

Wenn man für sich selbst nichts mehr wünscht, dann kann man dennoch weiterhin Hoffnung haben, wie das folgende Gedicht zeigt.

Hoffmann von Fallersleben: Letzte Hoffnung

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Gedicht über Hoffnung als Selbstbetrug

Kräftig haut der Dichter anfangs auf das ewige Hoffen ein, doch der Schluss ist mindestens doppeldeutig.

Paul Ernst · 1866-1933

Du betrügst dein Leben mit Hoffen ...

Du betrügst dein Leben mit Hoffen,
Tage, Wochen und Jahre.

Und wie du sterbend Frühlings im Garten sitzt,
In Decken gehüllt,
Matt, mit lächelnden Augen,
Fällt ein Sonnenfleck durch die Baumzweige
Auf den weißen Kies.

 
 

Der Morgen, der Abend, die Hoffnung

Der eher unbekannte Dichter Karl August Förster verbindet in diesem Gedicht das Thema Hoffnung mit der Erinnerung und beides zusammen mit dem Abend- und Morgenrot, ein anspruchsvolles Programm also.

Förster: Erinnerung und Hoffnung

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Gedicht über die Hoffnung von früher

Früher konnte man noch wo hingehen und Hoffnung tanken. Heute ist das nicht mehr möglich, das Internet bietet auch nichts in dieser Richtung, im Gegenteil.

Emma Döltz · 1866-1950

Hoffnung

Geh’ ich abends durch die lauten Straßen,
Schleicht die graue Sorge mir zur Seit’:
Zeigt mir, mit den gichtgekrümmten Fingern,
Meiner Brüder, meiner Schwestern Leid, –
Haucht, mit ihrem giftgetränktem Atem
Den Vorübergeh’nden ins Gesicht, –
Zeigt mir Furchen in den Kinderstirnen
Und wie früh sie junge Körper bricht ...

Tret’ ich ein in die Versammlungshalle,
Bleibt die graue Sorge draußen stehn,
Denn sie wagt es nicht in so viel frohe,
Hoffnungsstarke Augen g’rad zu sehn.
Schreit’ ich nachts dann durch die stillen Straßen,
Geht die junge Hoffnung mir zur Seit’,
Und nur fern, in dunkler Häuser Schatten
Flattert scheu der Sorge graues Kleid.

Zu HaikuHaiku: Kurzgedichte aller Art