Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Gedichte über Träume 1

Traumhaft geht es bei den Gedichten dieser Seite zu. Mit dabei sind alle Traumfacetten: Albträume und Tagträume, schöne und ernüchternde Träume. Auffällig bei den Gedichten über Träume ist, dass diese zur Länge neigen. Manchmal wäre es eben schön, wenn ein Traum nie zu Ende ginge.

 
 

Gedicht über einen gefährlichen Traum

Wenn es im Traum gefährlich wird, kann man immer noch aufwachen, doch auch das scheint nur ein Traum.

Maike Suter · geb. 1966

Nacht mit Skorpion

mitten in der Nacht wache ich auf
ich öffne die Augen und
sehe ihn

er sitzt auf meiner Hand
schwarz glänzend im Mondlicht

ich starre auf die beiden Scheren
den hochgereckten Hinterleib
den Stachel

nur nicht bewegen
der Skorpion krabbelt meinen Arm hinauf
jetzt sitzt er auf dem Schlüsselbein
ich halte die Luft an
sobald ich atme, wird er stechen

die Zeit bleibt stehen
wie lange kann man überleben
ohne zu atmen, frage ich mich verzweifelt
und höre den Skorpion leise lachen

jetzt hat er sich verraten
ein Skorpion, der lacht, ist nicht real
du bist bloß ein Traum, denke ich
ich öffne die Augen und

sehe helles Morgenlicht
höre Vögel zwitschern
erleichtert hole ich Luft

ein leises Lachen erklingt
und im selben Augenblick
spüre ich
den Stich

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Kommentar:
Mehr zur Dichterin auf ihrer eigenen Website.

 
 

Wer träumt denn da?

Das Spiel von Traum und Wirklichkeit beherrschten schon die alten Chinesen, denn dieses Traumgedicht beruht auf einer über 2000 Jahre alten chinesischen Geschichte.

Georgi Kratochwil · geb. 1979

Schmetterlings-Ich

Ich träumte …
Wer träumte?
Ich träumte …
Wer träumte?
Träumte ich, dass ich ein
Schmetterling sei und flog
von Blume zu Blume und es war
ewiger Sommer?
Ich wachte auf …
Wer wachte auf?
Ich wachte auf …
Wer wachte auf?
Wachte ich auf oder träumt
ein Schmetterling ein Mensch
zu sein und wird aufwachen, um von
Blume zu Blume zu fliegen im
ewigen Sommer?

(Nach Dschuang Dse, Der Schmetterlingstraum, in: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland)

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Von einer Frau geträumt

Das kommt schon mal vor, dass ein Mann nicht nur von einer Frau träumt, sie also seine Traumfrau ist, sondern dass er tatsächlich von einer Frau träumt. Wie so oft im Traum gibt es auch hier einen kleinen Realitätsfehler.

Georgi Kratochwil · geb. 1979

Traumfrau

Ich habe heut Nacht von dir geträumt.

dein mann war gestorben du hieltest mir die rechte wange hin und ich küsste sie du hieltest mir die linke wange hin und ich küsste sie dann umarmten wir uns und küssten uns

Es fühlte sich so überaus wirklich an.
Meine Lippen auf deiner Haut,
der Kuss.
Seltsam,
ich habe so etwas nie geträumt,
als du noch lebtest.

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Ein visionäres Gedicht

Was immer eine Vision auch sein mag, dieses Gedicht enthält das typische Merkmal eines Traums: eine sprunghafte Handlung jenseits der Alltagslogik.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Vision

Eine Flasche rollt
über die Straße,
zersplittert getroffen
von einem Sonnenstrahl.
Das Kind jauchzt auf
und klatscht in die Hände.
„Guck mal, Opa!“
Der alte Mann steht auf der Falltür,
die Schlinge um den Hals,
lächelt aufmunternd.
Die Klappe kracht,
eine schwarze Taube fliegt
vom Balken auf,
explodiert in der Luft.
Das Kind lacht,
klatscht mit den Armstümpfen.
Der Nachbar senkt befriedigt
das Gewehr. Dann hört er
das Grollen.
Er schaut auf und sieht
die Welle kommen.
Er geht ins Haus und die Welle
räumt ab. –
Das Kind hopst in der Wüste
auf seinen Beinstümpfen und ruft:
„Komm, komm, Regen, komm!
Komm, komm, Regen, komm!“
Der Regen kommt nicht. –
Die Sonne dörrt
die Kindesleich’.

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Traum und Wirklichkeit

Wo fängt der Traum in diesem Gedicht an? Wo hört er auf? Ist es ein Tag- oder Nachttraum? Ein guter, ein schlechter? Mir fällt es nicht im Traum ein, irgend etwas vorher zu verraten.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Die Überwindung

Die Hände an die Wand gepresst
stehen wir.
Hinter uns
die Wächter;
Waffengeschepper,
Marschtritte,
höhnisches Gelächter,
Kommandos unverständlich.
Ich schwitze.
Warte auf die Einschläge in meinem Körper.
Deine Hand
ist von meiner
einen Mauerstein
entfernt.
Ohne den Kopf zu bewegen
starre ich hinauf
zu deiner Hand.
Schmale Finger,
zarte Haut;
nichts ist schöner auf dieser Welt
als diese Hand.
Ich möchte sie berühren
nur ein einziges Mal.
Doch ich rege mich nicht,
jede Regung ist der Tod.
Hinter uns
wird es still.
Ist es so weit?
Mit dem Rücken
suche ich die Welt hinter mir zu fühlen.
Mein Atem geht schneller.
Ich presse die Hände gegen die Wand,
als ob ich sie eindrücken wollte,
und dann –
ist mir alles egal.
Ich will nur noch deine Hand berühren.
Langsam
schiebe ich die meine
die Wand entlang
mit dem Gedanken,
die deine
blitzschnell zu ergreifen,
wenn die Schüsse fallen.
Meine Hand kommt näher,
keine Schüsse,
statt dessen das Wunder:
Deine Hand bewegt sich auf meine zu!
Ich schaue hinüber zu dir:
Du lächelst!
Verwirrt
steige ich an der falschen Station aus.

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Gedicht über Traumdeutung

Wo Träume sind, da sind die Traumdeuter nicht fern, und so wird in diesem Gedicht ein schöner Traum blitzgedeutet.

Hans Retep · geb. 1956

Traumdeutung

Du schaust, als leuchte deine Seele.
Ich hatte einen schönen Traum.
Ja dann: erzähle!

Die Sonne schien und Schäfchenwolken
schmückten den blauen Himmel.
Ein schmaler Pfad wand sich
durch eine Blumenwiese,
wo Bienen, Hummeln und Schmetterlinge
geschäftig von Blüte zu Blüte flogen.
Er führte zu einem gluckernden Bach,
in dem ein Fels stand, besonnt
vom Wasser umflossen.
Die Welt, sie war so schön,
als könne sie nie vergehn,
und so bin ich erwacht.

Ja, das war eine gute Nacht.
Den Traum, den deut ich dir im Nu:
Der Fels bin ich –
die Welt bist du.

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Traum-Warnung

Wenn man der Regenbogenpresse glauben darf, gibt es nichts Schöneres als Träume, die in Erfüllung gehen. Wenn man diesem Traum-Gedicht glauben darf, darf man der Regenbogenpresse eben nicht alles glauben.

Emanuel Mireau · geb. 1974

Träume, die in Erfüllung gehen

Hüte dich vor Träumen, die in Erfüllung gehen.
Realität mag Quelle der Träume sein
und die Träume Quelle der Realität,
doch im Traum fließt Wasser aufwärts,
in der Realität fließt es hinab
und versickert im Sand
oder mündet ins gestaltlose Meer,
um die Wolken zu nähren und du
wirst vergeblich nach der Sonne sehen.
Hüte dich vor Träumen, die in Erfüllung gehen.

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Traum-Warnung 2

Träume sind gefährlich! Da ist sich die Dichterin vollkommen sicher. Wahrscheinlich hat sie auch dieses Gedicht geträumt.

Edith Södergran · 1892-1923

Gefährliche Träume

Gehe nicht zu nah an deine Träume:
Sie sind ein Dunst und sie können trügen –
sie sind gefährlich und können dauern.
Hast du deinen Träumen in die Augen geschaut:
Sie sind krank und verstehen nichts –
sie haben nur ihre eigenen Gedanken.
Gehe nicht zu nah an deine Träume:
Sie sind eine Unwahrheit, sie sollten gehen –
sie sind ein Wahnsinn, sie wollen bleiben.

Übertragen aus dem Schwedischen von Hans-Peter Kraus

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Schwimmbadtraum

Manche Leute können noch nicht mal vernünftige Albträume haben. Statt Horror und Entsetzen bietet der Albtraum in diesem Traumgedicht eher Slapstick.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Nicht cool im Pool

Da ist diese Fußgängerampel.
Da ist diese Fußgängerampel an der Straße,
die ich jeden Tag entlang fahre,
und die immer rot ist,
und weit und breit kein Fußgänger,
und ich fahr über die rote Ampel,
weil ich cool bin.
Dachte ich.
Bis ich diesen Schwimmbadtraum hatte:

Ich steh allein im Nichtschwimmerbecken.
Plötzlich bin ich von drei Polizisten
in Polizeibadehosen und Polizeibadekappen
mit zuckendem Blaulichtchen auf dem Kopf
umzingelt.
Sie schlagen mit Gummiampeln, die Rot zeigen,
auf mich ein
und schreien im Chor:
ROT ist die Farbe der Liebe!
ROT ist die Farbe des Blutes!
UUUUUND
ROT ist die Farbe des
AN-HAL-TENS!

Seitdem weiß ich:
Ich bin nicht cool.

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Gedicht über ein Traumleben

Ein Leben, am liebsten zu zweit, so schön wie ein Traum; was kann da schief gehen? Nun, Träume hat man nur im Schlaf, und aus dem Schlaf ...

Monika Heintze · geb. 1939

Zerbrechlich

Das Fließen
von Abend und Sonne
in träger Zärtlichkeit.

Die Bank,
wo vages Glück
im alten Holz zu nisten scheint.

Der Kuss der Farben.
Wie zufällig beleuchtet
ein kleiner Teil der Strecke.

Doch
zwischen tausend
Ängsten eingeklemmt

die Furcht vor dem Erwachen,
dem Herbst der Liebe,
der mit trockenen Blättern raschelt.

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Traumatisches Gedicht

Auch in diesem Gedicht wird nicht klar: Ist der Albtraum ein Traum oder ein Erleben? Nur eins ist er in jedem Fall: traumatisch.

Käthe Wanner · geb. 1989

Ich komme dich holen

Es klingelt laut und penetrant, laut und penetrant.
Ich zieh’ die Decke über mein Gesicht, presse meine Hände,
mit Versagen verschmiert,
auf meine Ohren. Und ich höre ihn atmen,
den Schrecken.

Es gibt kein Entkommen, sie schießen durch die Tür, mit ihren harten
Worten. Es rattern die Listen, mit Schulden überhäuft.
Und der Schrecken spricht zu mir: Sie werden ihn dir rauben,
den braunen Teddybär.

Mein brauner Teddybär hat meine Hand gehalten, so fest und sanft bestimmt.
Er hütet mein Geheimnis, egal wie lang
sie ihm mit ihren Augensaugern das Fell vom Körper ziehen.

Es kracht. Sie kommen rein und
packen alles ein, sehen durch mich hindurch. Ich weiß, ich war verloren
im süßen Spiel. Doch den können sie mir
nicht nehmen,
den besten Teddybär.

Ich seh’ den stummen Dienern flehend ins Gesicht, doch
die Entscheidung steht. Ein letzter Schrei, dann ist es aus.
Der Schrecken hat mich ausgehaucht.

Ich geh zu dir, du liegst am Boden und
ich flüster’ in dein Ohr:
Hab keine Angst, ich komme dich holen,
mein geliebter Teddybär.

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Traum blau auf rot

Ein sehr spezieller Traum ist Thema dieses Gedichts, und wer nicht glaubt, dass da träumt, wer da träumt, hat nicht Eichendorff gelesen.

Danilo Pockrandt · geb. 1981

Ein Mohnfeld

Ein Mohnfeld, das träumte vom endlosen Meer,
es wollte sein Rot gerne tauschen,
es wogte und träumte und fand gar nicht schwer,
bei Wind wie die Wellen zu rauschen.

Das Mohnfeld blieb rot für geöffnete Augen,
geschlossene hörten das Blau,
weit offene Augen, die müssen nichts taugen,
sie schauen auch oft zu genau.

Der Blautraum des Schlafmohns ist niemals passé,
kein Morgen soll je daran klopfen,
im Gegenteil bringt ihm der Morgen statt Weh
zig tausende glitzernde Tropfen.

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Lesetipp:
Mehr von und über Danilo Pockrandt: www.pockrandt.gallery

 
 

Gedicht über einen wässrigen Traum

Möglicherweise ist hier jemand auf der Luftmatratze im Swimmingpool eingeschlafen, der in Nachbarschaft einer Schafweide steht, denn Wasser und Schaf ist das alles beherrschende Thema dieses Traumgedichts.

Sabrina Baierl · geb. 1991

Das Wasserschaf

Ich sah im Traum
bunt, wirr, seltsam
einen Fluss

Und dieser breite Fluss
blau, tief, strömend
floss rückwärts

Darin schwamm fröhlich blökend
links, rechts, zurück
ein Wasserschaf

Bei einem Wasserfall dann
stark, laut, gewaltig
inne hielt

Riss auf sein Maul
weit, groß, gierig
und trank

Soff ohne Unterlass dahin
schnell, grob, glucksend
und wuchs

Leer war der Fluss
fort, braun, lehmig
oh Schreck

Das Wasserschaf sieh an
satt, rund, gebläht
war fett

Schwebte gen Himmel zu
sanft, hoch, rastlos
als Luftballon

Der Sonne zu nah
hell, heiß, sengend
es platzte

Als Regen kam zurück
nass, kalt, tropfend
das Wasserschaf

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Wie ein Traum

Bis zuletzt lässt der Autor den Leser im Unklaren, ob in diesem Gedicht ein Traum geschildert wird. Am Schluss bleibt jedoch keine Frage offen.

Hans Leybold · 1892-1914

Traum der Sehnsucht

Wie oft hab ich meine Arme ausgebreitet
In der Nacht
Und hab gelegen
Und hab gewacht
Und hab gewartet auf dich ...

Du musstest einmal kommen,
Und du kamst!
Du musstest kommen
Und du nahmst
All dies einsamgraue, öde Elend fort ...

Du kamst wie ein Rosenhauch
In den Raum
Und knietest an meinem Bette –
Mir war’s wie ein Traum ...
Und meine Arme schlossen sich
Sanft um deine gebeugte Gestalt.
Ich küsste Stirn dir und Haar,
Wieder und wieder ... und mir war,
Als entzöge dich mir eine sanfte Gewalt ...

Wo bliebst du ... wo ...?
Hart und roh
Schlägt mein Kopf an den Boden –!

 
 

Gedicht über einen erfüllten Traum

Wenn ein Tagtraum in Erfüllung geht, kommt es doch anders als gedacht, so anders, dass dem Sonett vor der letzten Strophe die Puste ausgeht.

Karl Röttger · 1877-1942

Und plötzlich bin ich aufgewacht ...

Und plötzlich bin ich aufgewacht.
Und in der Kammer war ein Licht.
Und, mir zum Schrecken und Gericht,
Stand da, was ich am Tag gedacht;

Was ich am Tag erhofft, erträumt,
So tatenscheu wie müden Sinns.
Es nickte mir: „Sieh her, ich bin’s –
Wie viel hast du um mich versäumt –“

„Um mich verrietest du die Tat,
Um die dein Leben leise bat –,
Du kannst nur blühn, du trägst nie Saat –“

 
 

Gedicht über Traum und Leben

Geht es im folgenden Gedicht um einen Traum oder ums Leben oder ist das Leben ein Traum oder heißt träumen leben?

Leo Greiner · 1876-1928

Im Traumhaus

Wir sind des Traumes Gäste,
wir feiern stille Feste
in seinem goldnen Haus:
Die Tische stehn voll Früchte,
die Wände stehn im Lichte,
die Fenster im Gebraus.

Willst du die Früchte essen,
die du so nah besessen,
zerfallen sie zu Staub.
Die hellen Wände weichen,
und alle Lichter bleichen
und blättern ab wie Laub.

Der blaue Mond verwittert,
der Wein ist dir verbittert,
das Gold des Bechers blind.
Und du begehrst, wir fänden
den Schlaf, in dessen Händen
die ewigen Träumer sind.

 
 

Blumentraumgedicht

Wenn man Blumen singen hört, ist es wohl besser, man schläft und träumt, denn im wachen Zustand wäre eine ärztliche Untersuchung notwendig.

Emmy Hennings · 1885-1948

Im Traume

Ich habe mich im Traum verloren.
Ich hörte, wie die Blumen sangen.
Auf einer Wiese wurde ich empfangen
Und war als Glockenblume neu geboren.

Da gab ich hin mich dem Vertrauen
Und schmiegte dankbar mich in dunkle Erde.
Der weiche Himmel wollte meine Glocken blauen,
Und eine hohe Stimme sang: „Es werde ...“

„Ich bin der Gast in diesem Tale,
Bin Ewigkeit und Frühlingstag ...“
Da bin ich aufgewacht mit einem Male,
Ein Mensch, der träumend, singend lag ...

 
 

Gedicht über einen Weisheits-Traum

Soll Leute geben, die behaupten, Träume sind nicht nur Hirngespinnste, sondern offenbaren tiefe Weisheiten. Wenn dem so ist, dann gibt es hier das Gedicht dazu:

Hans Müller · 1882-1950

Segen

In einer Nacht hab’ ich alles gesehn:
Wie Bettler durch das Leben gehn,
Und Fürsten, die goldene Kronen tragen,
Und Mönche, die wirre Gebete sagen,
Und Frauen, die tief verzaubert sind,
Manch blasses und manch rotes Kind.
Ich weiß nicht, wie dies alles kam,
Dass mich die Welt in die Arme nahm,
Und dass, wie ich Höh’n und Schluchten fand,
Eine Flamme war an der dunklen Wand.
Doch still, ganz still bin ich gelegen
In meiner Weisheit, in meinem Segen:
Nur stille sein und gütig sein
Und wie die roten Rosen sein,
Die heut in lichter Liebe stehn
Und morgen tot durch die Laube wehn,
Die nicht verklagen und nicht verzagen
Und doch viel hundert Knospen tragen,
Und, nimmt sie einst der kühle Wind,
Noch purpurn und voll Düfte sind.

 
 

Tagträumer

Ein etwas esoterisch angehauchter Tagtraum wird in diesem Gedicht angeboten.

Karl Röttger · 1877-1942

Mich sehnt ...

Mich sehnt: auf leichten Füßen
Und schwebender zu gehn.
Mich sehnt, als wie ein Grüßen
Über das Land zu wehn –
Mich sehnt, ganz zu verfließen
Und leuchtend aufzustehn: –

Mich sollen Strahlen saugen
Wie Wasser aus dem Grund,
Ich will aus Blütenaugen
Hinscheinen ... mich soll hauchen
Ein blasser Blütenmund.

 
 

Ein großer Traum

Bis hinauf zu den Sternen wächst dieser Traum nach Mitternacht. Interessant ist, dass der Dichter allein sieben Verse mit „Ich“ beginnt, doch weil die Verse unbetont beginnen, wird das Ich tatsächlich etwas „gedrückt“, wie in einem Traum, in dem das Ich die Geschehnisse ja auch nicht mehr kontrolliert.

Walter Calé · 1881-1904

Die Nacht winkt vor dem Fenster ...

Die Nacht winkt vor dem Fenster,
der Mond schwimmt seine Bahn
auf meiner Seele Fluten
gemessen, wie ein Schwan.

Der Schnee schläft auf den Dächern,
darüber schläft ein Schein.
Zwölf Glockentöne kommen
wie Gäste mir herein.

In mir nun sind die Glocken
und diese Mondesglut;
ich werde weinen müssen,
doch das ist immer gut.

Ich bin nicht mehr hier drinnen,
ich hab’ mich aufgemacht,
ich trage dunkle Schwingen,
ich gleite durch die Nacht.

Ich werde wachsen, schwellen,
schon ist mir nichts mehr fern,
die Sterne sind mir Brüder,
ich selber bin ein Stern.

Auf Riesenflügeln brausend,
nun aller Welten Geist,
einschlürf’ ich Nacht und Räume,
von Stern und Stern umkreist.

 
 

Mal wieder Traum und Wirklichkeit

Träumen heißt leicht werden, heißt abheben, heißt schweben, heißt das Ganze zu sehen – in diesem Gedicht, das am Ende eine Portion Blei hinzufügt.

Guido Zernatto · 1903-1943

Der Traum

In einer Nacht, in der sich die Stille
Auftat wie eine Tür in den endlosen Raum,
Schlug mir die Stunde. Der schläfrige Wille
Lebendigen Lebens erreichte mich kaum.

Denn ich entfernte mich von allen Dingen.
Flog. Sah unter mir Raum und Zeit.
Flog. Meine gedachten Gedanken hingen
In Leere. Und in der Ewigkeit.

Und als die Feuchte des Frühtags auf Erden
Das Licht vormeldete, stürzte die Schwere in mich.
Wie Blei fiel ich nieder in alle Beschwerden
Des Tages, durch den noch der Morgenhauch strich.

 
 

Zwischen Träumen und Wachen

Dieses Traumgedicht schildert die Phase zwischen Traum und Erwachen, bei der man irgendwann nicht mehr weiß, was hat man gedacht und was geträumt.

Guido Zernatto · 1903-1943

Vor Tag

Bevor noch das Auge vom Tagwerden weiß,
Ist der Kopf wach und denkt auf geheimes Geheiß.
Ganz still liegt der Rumpf und die Hand und der Fuß.
Ich rühr mich nicht, weil ich nachdenken muss.

Ich denke den Traum, den ich träumte, zu End’,
Wie ich aus dem Wirrsal die Auswege fänd’,
Schlafe ein, träume weiter, bin gleich wieder wach
Und weiß, dass ich’s ganz gleich oft tagsüber mach.

Aber dann steigt ganz so wie ein Berg aus der Nacht
Mein Verstand auf und übernimmt übers Dämmern die Macht,
Die das Licht heißt. Jetzt sehe ich draußen den Tag.
Was er bringt, weiß ich nicht. Weiß nur, dass ich es trag.

 
 

Ein paar Takte über Träume

Dafür braucht es Dichter: Dass sie einem erzählen, was wirklich abgeht, wenn man träumt. Andrerseits: Was nützt es? Man träumt ja.

Hermann Broch · 1886-1951

Das Nimmergewesene

Das Nimmergewesene
allnächtlich rauschet es auf,
wenn das Menschentier
hingehaucht, hingeschmettert
mit blicklos wissenden Augen
an der Tränke des Traums ruht,
Lurch und Raubtier zugleich,
gestalt- und gewichtlos
vornübergeneigt über den Rand
des unermesslichen, des unergründlichen Tümpels
taucht es die Pranken
ins Nass, das trocken und kühl
wie Luft, dennoch nicht Luft,
durch die wehenden Finger entrieselt.
Wagst du auf ununterscheidbarem Grunde
den Ring der Finsternis,
den Schlangenleib zu erkennen?
Muschel der Nacht tönend vor Finsternis,
Gleichnis um Gleichnis versinkt
und es bleibt das nüchtern Unwirkliche
winterlich glühend
das Geheimnis.
So auch wirst du hingestreckt sein
am Rande des Todes,
ehe du hineinstürzt in den Schacht deiner Seele
und alles Wissen, das du fliehst,
du wirst es auf dich nehmen müssen,
da Baum und Getier
versammelt am Ufer deines Quells
wieder zu dir sprechen werden.

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