Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Neue politische Gedichte

Dichter sind nicht immer so clever gewesen, sich persönlich aus der Politik herauszuhalten. Doch „nur“ Gedichte darüber zu schreiben, bringt viel mehr Befriedigung, denn Gedichte sind ihrer Natur nach monologisch, also kann man ohne Widerrede politisieren.

 
 

Gedicht übers Guthaben

Es gut zu haben ist ein Guthaben, das zu teilen schwerfällt. Auf der anderen Seite gibt, nichts mehr zu verlieren zu haben, eine Freiheit, die gewaltig und gewalttätig werden kann. Daran sollte man denken beim Lesen des folgenden Gedichts.

Georgi Kratochwil · geb. 1979

Gut

Du lebst in einem Land,
in dem die Wälder grün,
die Wiesen bunt
und die Himmel blau-weiß sind.

Du lebst in einem Land,
in dem du die Luft atmen,
das Wasser trinken
und die Früchte essen kannst.

Du lebst in einem Land,
in dem du nicht wegen deiner Hautfarbe erschossen,
aus politischen Gründen gefoltert
oder aus religiösen ermordet wirst.

Ja, ich weiß,
wir können nicht die ganze Welt …
und teilen ist nicht so einfach,
aber
unvermeidlich.

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Revolution!

Es ist nicht unbekannt, dass Revolutionen dazu führen, eine alte Machtelite durch eine neue auszutauschen, trotzdem ist es immer wieder lustig, wenn man den Schrei nach einer Revolution hört.

William Butler Yeats · 1865-1939

Der große Tag

Hurra für Revolution und Kanonen-Salut;
der Bettler zu Pferde peitscht den Bettler zu Fuß.
Hurra für Revolution und Kanonen erneut,
getauscht die Plätze, knallt die Peitsche auch heut.

Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus

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Kommentar von Hans-Peter Kraus zur Übertragung:

Die Reime scheinen mir unrein zu sein, vielleicht gehen sie aber im irischen Englisch auf. Ich habe die Nachlässigkeit beim Reim einmal durch einen Halbreim nachgebaut. Der zweite Reim hat sich aufgedrängt, ich habe ihn daher nicht künstlich verunstaltet. Im zweiten und vierten Vers gibt es eine interessante Möglichkeit recht einfach einen Hebungsprall zu erzeugen:

...
der Bettler zu Pferd peitscht den Bettler zu Fuß.
...
die Plätze getauscht, knallt die Peitsche auch heut.

Das würde gut zur Peitsche passen, wäre aber im Englischen auch möglich gewesen, z.B. durch horse statt horseback. Der Dichter hat drauf verzichtet, also hab ich es ebenso gehalten.

 
 

Wie es früher war

In diesem Gedicht werden einige Aspekte der Politik im Jahr 1958 beschrieben. Die unten angegebene Quelle lässt auf amerikanische Verhältnisse schließen. Zum Glück hat die Politik seitdem wesentliche Fortschritte gemacht.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Aus dem politischen Leben im Jahre 1958

Wut und Hass schaden langfristig,
kurzfristig belohnen sie mit Adrenalin.
Ihre Propaganda braucht
Schlag-     Schlag-     Schlag-
worte,      worte,      worte,
viele falsche Fakten und
verwirrend unlogische Argumente.
Und Sündenböcke! Für die
Schlag-     Schlag-     Schlag-
worte,      worte,      worte.
Höchste Ideale
werden mit niedersten Instinkten verteidigt.

Eine Gesellschaft, deren Lebensinhalt
durch die Scheinwelten von Sport und
TV-Unterhaltung bestimmt wird,
kann sich nicht mehr wehren.

Der ideale politische Kandidat ist ein
Entertainer, der sein Publikum unterhält
und nicht
mit intellektuellen Anstrengungen überfordert.
Die Probleme dieser Welt werden durch
Schlag-     Schlag-     Schlag-
worte,      worte,      worte
in maximal 60 Sekunden Redezeit gelöst.
Den idealen Kandidaten bewirbt man
wie ein Deo.
Eine Kampagne wie Deo-Werbung
ist der beste Schutz dagegen, dass
der Wähler bei irgendeinem Thema
die Wahrheit erfahren kann.

(Komprimiert und versifiziert nach: Aldous Huxley, Brave New World Revisited, Harper & Row 1958)

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Demo-Gedicht

Satire hat es sauschwer heutzutage, da sie ständig links und rechts überholt wird. So bietet auch dieser Demo-Aufruf in all seiner Abartigkeit keine Gewähr dafür, nicht durch die Realität schnellstens abgehängt zu werden – wenn er es nicht schon längst wurde.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Aufruf zur Demo

Jetzt wollen die uns auch noch
das Rauchen im Auto verbieten.
Im eigenen Auto!!!
Diese Quacksalber und ihre
Politiker-Marionetten,
was wissen die schon?
Gefährdung der Kinder?
Nichts wissen die!
Die sollten mal sehen,
wie sich unsre Kinder im Auto
buchstäblich prügeln,
wer uns die Zigaretten anzünden darf.
Und lange Fahrten
sind auch kein Problem.
Dann spielen wir Rauchkringelfangen.
Das ist ein Anblick, wie die kleinen Mäuler
gierig nach Rauch schnappen.
Wir haben Spaß!
Ihre Statistiken können die sich
in den Allerwertesten schieben.
Ich hab noch kein Kind gesehen,
das Lungenkrebs gekriegt hat
wegen Rauchen im Auto.
Deshalb:
Wehret den Anfängen!!
Schluss mit der Anti-Raucher-Diktatur!!!
Deutschland erwache!!
Kommt alle zur Pro-Rauchen-Demo
“Deutschland einig Raucherland“.
Raucher aller Länder vereinigt euch!!

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Ein unpolitisches, politisches Gedicht

Ein bisschen Vergangenheit, ein bisschen Märchen und die Anleihe bei Heine machen aus diesem unpolitischen Gedicht ein politisches – oder andersherum.

Hans Retep · geb. 1956

Denk ich an Deutschland in der Nacht …

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
dann bin ich reichlich angepisst
von all dem ganzen großen Mist,
den Deutsche haben mitgemacht.

Denk ich an Deutschland in der Nacht,
dann spring ich in einen Brunnenschacht
und komme als Frosch zurück am Tag

und suche den Sarg, wo Schneewittchen lag,
denn nur ein Deutscher glaubt den Stuss,
dass er gerettet wird mit ’nem Kuss.

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Zur Lage der Nation

Wenn die Lage ernst, aber nicht hoffnungslos, findet die Politik noch immer einen Kompromiss, der das Vertrauen der Bürger in die Zukunft stärkt, so könnte man das folgende Gedicht kurz zusammenlabern.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Kompromiss

Während halbe Elefanten kalben,
zuckersüße Trompeten tröten,
tagt die Regierung im großen Saal
und berät, ob ob der Qual
der hiesigen Verhältnisse
Kaffee noch zu süßen sei.

In der Regierungserklärung am späten Abend
erklären die Regierenden den erlangten Kompromiss,
dass Elefanten in Zukunft das Tröten verboten.
Dies sei keine Hetze gegen Tiere, sondern
unabdingbare Notwendigkeit für ein menschliches
Miteinander und die Prosperität unseres Landes.

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Zukunftsvernichtung

Die Kinder der Zukunft werden es mal nicht besser haben, im Gegenteil: Es sieht ganz so aus, als ob ihre Zukunft vernichtet wird. Also schlagen sie zurück – im Gedicht.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Die toten Kinder

Ihr tötet die ungeborenen Kinder der Zukunft?
Weil ihr euren Spaß wollt?
Weil ihr auf nichts verzichten wollt?
Weil die Welt an eurer Nasenspitze endet?
Schlechte Nachricht:
Die toten Kinder greifen an!
Sie bohren Albträume in eure Hirne.
Sie wühlen Schmerzen in eure Gedärme.
Sie spielen Messerklavier auf euren Nerven.
Aber ihr könnt euch nicht beschweren:
Sie tun euch nicht mal zur Hälfte das,
was ihr ihnen antut.
Vielleicht wäre es doch eine gute Idee,
die Welt jenseits eurer Nasenspitze zu entdecken.
Dann würdet ihr euch erinnern,
wie jener genannt wird,
dessen Gegenwart
alle Zukunft vernichtet.

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Gedicht über Waffen in Amerika

Waffen in Amerika, das ist ein schauerliches Buch von Mord und Leid. In diesem politischen Gedicht wird eine kleine Randnotiz dazu verarbeitet.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Ein amerikanisches Märchen

Es war einmal
in Amerika,
da waren Spielzeuggewehre der Renner.
Spielzeuggewehre
mit einem Wassertank
und einem Wasserstrahl,
der auf fünfzehn Metern einen Spatz vom Ast fegte.
Eines Tages
trug es sich zu,
dass ein belästigter Bürger zurückschoss.
Seine Kugeln
waren echt.
Ein Junge
wurde schwer verletzt, hieß es.
Nach diesem schrecklichen
Unfall
traten einige
der vom Volk gewählten Weisen
mit der Idee an die Öffentlichkeit,
die Waffen
endlich
zu verbieten –
die Spielzeugwaffen.
Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann wird auch heute noch
auf sie geschossen.

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AfD-Gedicht

Jetzt haben sie es wirklich geschafft: Sie sind sogar in einem Gedicht. Ich schätze, vor lauter Stolz werden sich AfD-Anhänger den Text aus dem Bildschirm ausschneiden und als Sticker aufs Auto kleben.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Symbolbild (der AfD zugeeignet)

Der Geier auf der kahlen Eiche
sieht aus wie eine Ringeltaube.
Perfekte Tarnung,
könnte man denken,
wenn der hässliche Hals nicht wäre
und der große, dreckige Schnabel
und dieser Schnauzbart,
den keiner mehr trägt
aus Gründen,
denn man sieht gleich,
wes Geistes Kind so einer ist.
Aber sonst: gute Tarnung.

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Plakative Politik

Die Plakate der Parteien zu den Wahlen sind berühmt-berüchtigt. Sie unterbieten derart krass jede Art von dümmlicher Produktwerbung, dass es schon nicht mehr witzig ist. In dem folgenden Gedicht wurde trotzdem noch ein Witz gefunden. Es ergibt sich ein doppeltes Missverständnis, je nachdem wie stark man das „so“ betont.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Kandidatenplakate

Da haben die Parteien

Dem Volke!

aber mal wieder ganz genau
aufs Maul geschaut.

Jemand hätte ihnen erklären sollen,
dass es nicht so gemeint ist,
wenn die Leute sagen:
Am besten
man hängt alle Politiker
an den Straßenlaternen auf.

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Aufgehängte Politiker

Als Aufhänger nutzt dieses Gedicht eine Szene, wie sie alle paar Jahre vorkommt. Die abschließende Frage ist des Nachdenkens wert, denn irgendwas läuft hier schief.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Aufhänger

Die ganze Straße hinunter
hängen Politiker an Laternen
und lächeln
zu dümmlichen Parolen.
Was
haben wir nur falsch gemacht?

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Komplizierte Politik

Politik ist nicht einfach, das kann jeder Politiker bestätigen. Deshalb sind die Botschaften auf Wahlplakaten oft sehr kryptisch. Da müssen die Wähler viel nachdenken, um die richtige Wahl zu treffen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Ein Wahlkreiskandidat in Essen-Süd ...

Ein Wahlkreiskandidat in Essen-Süd
lässt bei der Bundestagswahl plakatieren,
er sei von Herzen Essener.
So viel Offenheit finde ich erfrischend.
Klar und deutlich kommuniziert der Kandidat,
dass die Wählerinnen und Wähler ihn nicht
in die Fremde nach Berlin schicken mögen.
Dafür hätte er eigentlich meine Stimme verdient.
Doch gebe ich ihm meine Stimme, wäre die Wahl
keine Belohnung, sondern eine Strafe.
Gebe ich im nicht meine Stimme, wäre die Nichtwahl
keine Strafe, sondern eine Belohnung.
Wenn aber die Wahl eine Strafe
und die Nichtwahl eine Belohnung ist,
verwirrt sich völlig der Wert der Wahl.
Warum muss Politik immer so kompliziert sein?

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Gereimte Wahlwerbung

Ziemlich aus der Mode gekommen ist die gereimte Wahlwerbung. Und genau das ist die große Chance für eine Partei: Was so gut wie vergessen ist, ist wieder neu und weckt Aufmerksamkeit. Das folgende Gedicht dürfte für eine Partei linksunten im politischen Spektrum passen, falls es so eine Partei noch gibt.

Hans Retep · geb. 1956

Wahlwerbegedicht auf Partei wartend

Für jene, die keine Stimme haben.
Für jene, die ganz unten sind.
Für jene, die ihr Leid nicht sagen.
Für jene eine neue Zeit beginnt.

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Grundsätzliches Gedicht

Das Wichtigste in der Politik ist das Regieren, Opposition kann jeder Meckeropa, aber Regieren – das ist hohe Kunst, denn wie zu einer Ehe gehören auch zum Regieren zwei.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Regieren

Zum Regieren gehören zwei Seiten:
Jene, die regieren wollen
und jene, die sich regieren lassen.
Wenn jene, die sich regieren lassen sollen,
sich nicht regieren lassen wollen,
können jene, die regieren wollen
einpacken.

Allerdings:
Wenn jene, die sich nicht regieren lassen,
selbst regieren wollen, dann
siehe oben.

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Ein Gedicht über Macht

Genauer gesagt ist das Folgende ein Gedicht über Tod und Macht und was die Macht mit dem Tod macht.

Georgi Kratochwil · geb. 1979

macht

tod macht gleich
gültig
tod gleich macht
gültig
macht macht tot
gleichgültig

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Politik machen

Es gibt viele verschiedenen Arten Politik zu machen. In diesem Gedicht werden zwei vorgeschlagen, deren Ergebnisse, wie so oft in der Politik, nicht völlig zufriedenstellend sind.

Georgi Kratochwil · geb. 1979

Machn

Come on! Come on!
Lass es uns machn,
die Welt braucht mehr Kinder,
die in Wohlstand leben,
in ferne Länder reisen
und Trinkgelder geben.

Come on! Come on!
Lass es uns machn,
die Welt braucht mehr Kinder,
die in Wohlstand leben,
Mauern errichten
und nach Gutem streben.

Come on! Come on!
Lass es uns machn
und die Erde zerstören
und Musik dabei hören.
Come on, baby,
come ON!

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Ein politisches Gedicht über ...

Wenn ich vorab sagen würde, worum es hier geht, wäre das ja so langweilig wie die Politik. Die drittletzte Zeile bietet zudem noch eine Überraschung, über die man vielleicht etwas nachdenken könnte.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Wie man es nennt

Wir wählen Leute, die wir nicht kennen,
damit sie über Dinge entscheiden,
von denen sie nichts verstehen.
Das nennt man
– völlig zurecht –
Demokratie,
Volksherrschaft.

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Politik und Geld

Politiker können nicht mit Geld umgehen. So weit, so banal. Deshalb ist auch nie Geld da für die Dinge, die wirklich notwendig wären. Andrerseits haben sie überhaupt kein Problem, Geld für hochtrabenden Unsinn auszugeben, siehe:

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Hundert Milliarden

Die Bundesregierung hat sich entschlossen,
100 Mrd. Euro*
in die bemannte Mars-Raumfahrt zu investieren.
Und damit in Sachen Diplomatie
nichts schief geht,
wollen die Regierenden die Reise selbst antreten.
Sollte es dennoch zu Konflikten
mit den Eingeborenen auf dem Mars kommen,
wird jedes Regierungsmitglied mit der neuesten
Waffentechnologie ausgestattet (Laserpistolen
wie bei Raumschiff Enterprise).
Dafür spart man sich die Raumanzüge,
denn wie jedes Schulkind in Deutschland weiß,
ist eine solche Anpassung an das Marsklima
überflüssiger Schnickschnack.

*Lt. O. Scholz am 27.02.2022

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Eine nachhaltige Klimaschutzaktion

Dieses Gedicht enthält eine einfache Idee, um Politikern den Klimaschutz schmackhaft zu machen. Die Rechte für eine Hollywood-Verfilmung sind vorbehalten.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Die dritte Front

Liebe Natur,
wir brauchen deine Hilfe.
Mit Wahlen ist nichts mehr zu machen.
Politiker kapieren keine Wahlergebnisse.
Sie meinen, Verluste sind
ein Kommunikationsproblem,
denn ihre Politik ist immer
alternativlos.
Diese Idioten quaken wie Frösche, die nicht merken,
dass das Wasser zu kochen anfängt.
Also muss was her,
bei dem Politiker darauf gedrillt sind,
in Aktion zu treten.
Liebe Natur,
wir brauchen Katastrophen – Mehrzahl,
gegen Einfalt hilft nur Mehrzahl.
Mein Vorschlag:
Ein langer, heißer Sommer,
wochenlang kein Tröpfchen Regen,
nachts 30 Grad.
Und dann machst du eine Schlechtwetterfront auf.
Nicht irgendeine,
der Himmel muss zu Mittag
schwarz werden.
Wichtig ist:
Katastrophen bringen nichts, wenn irgendwo
irgendwelche Hungerleider zu Tausenden verrecken.
Katastrophen brauchen Nähe.
Nimm die wichtigsten Städte der Welt:
Washington, Tokio, Peking, Moskau, Berlin, Paris
und wenn noch Luft ist: London. Die Briten
nehmen sich noch immer sehr wichtig.
Komm ihnen langsam näher,
lass es stürmen, lass es hageln
und dann schick Orkane über die Städte.
Die Infrastruktur muss so viel abbekommen,
dass es chaotisch wird und Politiker
ihren Urlaub unterbrechen,
um Hilfsbereitschaft zu simulieren.
Das müssen die, weil das gute Bilder gibt.
Hast du sie, wo du sie haben willst,
schick die zweite Front:
Hagel in Tischtennisballgröße,
eine Viertelstunde lang Trommelfeuer.
Und dann: Orkan, Hurrikan, Taifun, Tornado,
was gerade da ist, mit so viel Schmackes,
dass Leichen gegen die Regierungsgebäude klatschen.
Das sollte Wirkung zeigen.
Danach dürfte die Politik geneigt sein,
Klimaschutzziele ernsthaft zu verfolgen.
Gib ihnen einen Monat Zeit.
Und wenn sie sich wieder
von Lobbyisten reicher Leute schwachquatschen lassen,
dann schick alles, was du hast, Herbstversion:
Die dritte Front.
Die großen Zentren dieser Welt müssen danach
an die zerbombten Städte des Zweiten Weltkriegs erinnern.
Unter dem geht’s nicht.
Ja, ich weiß, liebe Natur,
auch Bäume und Tiere wird es dabei erwischen,
und glaube mir, das macht mich
zum Heulen traurig und verflucht wütend.
Die können schließlich nichts dafür.
Aber es muss sein,
damit aus dieser Welt keine Dauerkatastrophe wird.
Die dritte Front sollte die Politiker überzeugen.
Dann wird endlich ernsthaft was getan,
um das Klima in den Griff zu kriegen,
und außerdem ist so ein Wiederaufbau
immer gut fürs Wirtschaftswachstum.
Das ist das Bömsken für die bittere Medizin,
die verteilt werden muss, um uns
und die Welt zu retten.
Also liebe Natur,
hilf uns
und wir helfen dir.

Nachtrag im März 2020:
Stimmt,
ein Virus ist eine wesentlich
elegantere Methode, die Menschheit zu zwingen,
den Kohlendioxidausstoß herunterzufahren.
Sie tut es ganz nebenbei
freiwillig,
um ihren Hals zu retten.
Jeder kann sehen,
dass Verhaltensänderungen, die vor ein paar Wochen
undenkbar waren,
problemlos möglich sind.
Doch der Effekt wird nicht lange anhalten.
Ich bin gespannt,
was du dir als Langfristlösung ausgedacht hast
und hoffe, liebe Natur,
es ist nicht das,
was ich denke.

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Kommentar Hans-Peter Kraus:
Anlass für dieses Gedicht war ein Merkel-Zitat aus einem Interview nach der Europawahl 2019. Ich bin sozusagen sauer geworden, und wenn ich sauer werde, komme ich auf komische Ideen. Merkel sagte: „... und vor allen Dingen zu sagen, dass wir uns den Zielen, die wir uns selbst gesetzt haben, auch verpflichtet fühlen.“ Sie sagte nicht, dass sich ab sofort den Klimaschutzzielen verpflichtet fühlt; sie sagte nicht, dass sie ab sofort den Klimaschutzzielen verpflichtet ist; sie sagte, dass sie nur sagen möchte, dass sie sich verpflichtet fühle. Sie wählte also die geringstmögliche Verpflichtung, denn zwischen „sich verpflichtet fühlen“ und „verpflichtet sein“ ist ein großer Unterschied, und zwischen Sagen und Tun sowieso. Wie groß ist der Unterschied? Bei der Europawahl betrug er minus 18 Prozentpunkte für CDU/CSU und SPD. Das scheint, wenn man sich den Merkel-Satz anschaut, steigerungsfähig sein, denn Sprechen und Fühlen reichen nicht mehr, um die Welt wieder heile zu machen.

 
 

Die Wahrheit über Flüchtlinge

Aus der Serie „Endlich sagt mal einer, wie es wirklich ist“ gibt’s nun ein Gedicht zum Thema Flüchtlinge in Deutschland.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Die Welle

In Anbetracht der Flüchtlings-
welle, die über Deutschland
hereingebrochen ist,
haben sich viele Bürger gefragt:
Was wollen diese Leute hier?
Sind unsere Frauen und Kinder noch sicher?
Wird sich das öffentliche Leben demnächst
nach den Geboten des Islam richten müssen?
Holen wir uns den Terror ins Land?
Geht es mit Deutschland zu Ende?

Vierzehn Tage
nach Eröffnung des Flüchtlingslagers
im gegenüberliegenden Gewerbegebiet,
nach täglichen,
aufmerksamen,
intensiven,
zum Teil gar nächtlichen
Beobachtungen
komme ich nicht umhin festzustellen,
dass diese jungen Männer,
diese
Flücht-
linge
keinerlei Hehl aus ihren Absichten machen,
sie sogar in aller Öffentlichkeit
offenbaren.
Ihr ganzes Streben,
ihr ganzer Ehrgeiz,
ihre ganze Kraft
ist vor allem auf ein Ziel ausgerichtet:
Sie wollen
Fußball spielen.

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Gedicht über Überschwemmungen

Flüchtlingsströme, Flüchtlingswellen – kein Wunder, dass einige Angst vor dem metaphorischen Ertrinken haben. Doch ist das zu kurz gedacht, die wirkliche Gefahr lauert woanders:

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Deichbau

Ihr habt Angst?
Vor Flüchtlingen, Migranten, Ausländern?
Weil sie anders aussehen, anders sprechen, anders sind?
Ihre Religionen sind euch verdächtig?
Ihr wollt nicht überschwemmt werden?
Wartet nur ab!
70 % des Planeten sind mit Wasser bedeckt.
Wenn erst mal
die Haie, die Wale, die Oktopusse*
über euer Land schwimmen,
können Jahwe, Gott und Allah einpacken,
auch das Grundgesetz wird euch nicht retten.
Dann dürft ihr neunmal täglich
in eurer Badewanne gen Atlantis zu Aquarius beten.
Und Aquaristen verstehen keinen Spaß,
wenn es um ihre Religion geht.
„Du sollst nicht töten“ ist
in den sieben Weltmeeren völlig unbekannt.
Also reißt euch zusammen auf eurem
winzigen Eckchen trockener Erde.
Keiner hat Schwimmhäute!
Weder ihr, noch die andern.
Wenn sich alle ein bisschen Mühe geben
und gemeinsam anpacken,
dann klappt es vielleicht doch noch
mit dem Deichbau.
(*Anm. d. Verf.: Niemand fürchtet Oktopoden.)

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Wahlkampf im Gedicht

In diesem Gedicht tobt eindeutig der Wahlkampf zwischen den Phrasen dreschenden Parteien mit unterschiedlichen Buchstabenkürzeln. Quiz: Welche Parolen basieren auf tatsächlichen Wahlplakaten?

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Euer Opa im Wahlkampf

Euer Opa braucht neue Ideen.
Neue Ideen brauchen neue Köpfe.

Euer Opa ist die Lösung,
nicht das Problem.
Frieden. Wohlstand. Euer Opa.

Wie soll euer Opa vorankommen,
wenn Deutschland stehen bleibt?

Euer Opa.
Die beste Idee, die euer Opa je hatte.

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Kommentar Hans-Peter Kraus:
Zwei Slogans habe ich mir ausgedacht und nirgendwo verwendet gefunden. Die letzten beiden Slogans sind jedoch Fundstücke (man ersetze „euer Opa“ durch einen ähnlich klingenden Staatenbund). Ein Dümmlichkeitsunterschied zwischen Dichter und Werbeprofi ist jedoch schwer auszumachen.

 
 

Die Politik des Präsidenten

Es gab mal eine Zeit, da war „die Bombe“ allgegenwärtig. Jetzt muss man ab und an wieder daran denken, seitdem es einen Präsidenten mit merkwürdiger Fönfrisur gibt.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Andes

Wir hatten noch so viel vor,
doch dann verliebte sich
der Präsident in die Bom-
b
un wi hatt plötz andes
trink ess
schlaf vgess

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Kämpfen für den Frieden

Selbst die Friedenstauben sorgen in diesem Gedicht für ausreichende Bewaffnung, um für den Frieden zu kämpfen. Das klingt ein wenig grotesk, doch auch diese Note ist im Gedicht ausreichend berücksichtigt.

Dyrk Schreiber · geb. 1954

die Taube

nein
ich war nicht mehr betrunken
aus dem Schnabel
ragte eine Glattrohrkanone

nach nur kurzem Pressen
auf einem von gewöhnlichen
Stadttauben zugewiesenen Platz
erbrach die Botschafterin
einen kampftauglichen Panzer

(wir dürfen heute
ganz locker
wieder einen deutschen erwähnen)

dann flog sie auf die Spitze des Rohrs
klein wie sie unbewaffnet war
machte eine gründliche Toilette
strahlendweiß davonzufliegen

ja
Tauben haben es eilig an Neujahr
denn weiteres Gerät wartet
verteilt zu werden
entsichert und in Lauerstellung
für nichts anderes
als den Frieden

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Das Führerprinzip

In diesem Gedicht wird das Führerprinzip aufs Korn genommen, obwohl es das Leben doch so wunderbar erleichtert.

Martina Sens · geb. 1964

der schrei nach führung

obwohl sich der mensch -
rein instinktiv -
gegen beengende zwänge wehrt
kann man doch immer wieder
das brüllen nach einem
verantwortungstragenden
und somit entlastenden
führer vernehmen

und führt er auch
durch grauenhafte schluchten
und verschlingende moore
so geht es sich doch leicht
mit freien schultern
und leerem kopf

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Lesetipp:
Mehr Texte von Martina Sens finden Sie auf ihrer eigenen Website: www.martina-sens.net

 
 

Gericht-Gedicht

Nach dem Motto „Leistung muss sich wieder lohnen“ wird in diesem politischen Gedicht gefordert, Beraubungsleistungen angemessen zu honorieren.

Wolfgang Rödig · geb. 1965

Justizvollzugsanstalten

Justizvollzugsanstalten hätten Platz
für die hohen Herr'n, die's Nieder'n rauben,
und könnten geben aus der Hand den Spatz,
sich herunterhol'n vom Dach die Tauben.

Man könnt' so schön und gut und mit Bedacht
's elitäre Pack gefangenhalten.
Doch die Gerichtsbarkeit hier schweigt und macht
keinerlei Justizvollzugsanstalten.

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Ein Gedicht über Angst

Schlechte Nachrichten sind gut fürs Geschäft der Medien. Katastrophale Nachrichten sind noch besser. Die sich überschlagende Meldungen haben zwar wenig mit der tatsächliche Gefährdung zu tun, aber sie schüren Angst. Und ängstliche Leute sind leichte Beute für Politiker mit einfachen Lösungen.

Samira Schogofa · geb. 1958

Das war’s dann

Vorbei das Spiel, ihr Heimgesuchten.
Die Ungeliebten, fromm Verfluchten
ergreifen nun die dunkle Macht.
Die Bilder werden euch zersetzen.
Sie werden eure Seelen hetzen.
Müsst stets um euer Leben bangen.
Seid ganz in eurer Angst gefangen.
Der Terror wird zur Übermacht.
Er hat euch immer im Visier.
Wo ist die Hölle, wenn nicht hier?

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Bei uns zu Haus

Bei uns zu Haus sitzen Leute am Tisch, die man, wenn sie von woanders wären, Terroristen nennen würde. Ein politisches Gedicht, das anscheinend nie mehr an Aktualität verliert.

Peter Hönig · geb. 1946

Einer von uns

Ein Haus brennt
und sein ganzer Himmel darüber
als wären's wir selbst
denn einer von uns
von uns einer
muss es gewesen sein
der unsere Hände beschmutzte
unsere Worte
als er seine
in diese furchtbaren Flammen warf
mit seinem Lachen
seinem Hohn
und den Himmel entzündete
mit seinem Hass
als wären es unsere Worte
und unser Denken
einer von uns
noch immer
mit an unserem Tisch.

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