Gedichte über die Zukunft
Die Zukunft hatte auch schon mal mehr Zukunft, und bevor der zeitliche Horizont gänzlich wegschmilzt, hier noch ein paar Gedichte zur Zukunft. Der Blick geht dabei unterschiedlich weit voraus, von dem, was unmittelbar vor einem liegt, bis zum Ende, Apokalypse und so. Einen gewissen Verwandtschaftsgrad mit der Gattung Science Fiction lässt sich bei einigen Gedichten nicht verleugnen, doch wenn die Zukunfts-Fiction nicht auf Science beruht, wäre man bei religiös angehauchten Zukunftsvisionen, die hier keine Rolle spielen.

Langer Blick voraus
Das ist das schöne an Gedichten, da gehen Sachen, die nicht verfilmbar sind, und nebenbei darf man sich eine große Portion Optimismus erlauben.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Vorschau
In einer Million Jahre,
wenn es schon lange keine Menschen mehr gibt,
wird dieser Planet seine Blütezeit erleben.
Unkraut,
dieses phantastische Unkraut
wird die Wüsten aus Sand und Beton besiegen,
und die Erde
wird der Grüne Planet genannt.
Darauf freue ich mich.
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Zukunftsfragen
Sich sorgen um den neuen Morgen scheint eine alte Tradition zu sein, die auch schon vor über 150 Jahren in Amerika bekannt war. Aber man kann ganz beruhigt sein, bis jetzt hat es immer einen neuen Morgen gegeben, die Zukunft war sozusagen garantiert – bis jetzt.
Emily Dickinson · 1830-1886
Wird es wirklich einen „Morgen“ geben ...
Wird es wirklich einen „Morgen“ geben?
Existiert so etwas wie ein „Tag“?
Kann ich ihn denn sehen von den Bergen,
wenn wie sie ich alles überrag?
Hat er Füße wie die Wasserlilien?
Hat er Federn einem Vogel gleich?
Und obwohl ich davon niemals hörte:
Wird gebracht er aus einem berühmten Reich?
Oh, Gelehrter! Oh, ein Seemann!
Oh, ein weiser Mann aus himmlischen Höhn!
Bitte sagt doch einem kleinen Pilger:
Wo ist der Ort, der „Morgen“ genannt, zu sehn?
Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus
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Wunschtraum
Das wird man ja wohl noch träumen dürfen, selbst wenn man keine Chance hat, in Zukunft in der ersten Bundesliga zu spielen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
einmal ...
einmal
einmal nur
möchte ich
dass mir die Welt
zu Füßen liegt
und dann
dann werde ich
ihr einen derartigen Tritt verpassen
dass sie aus dem Sonnensystem fliegt
und endlich
schlussendlich
werden wir sehen
was Geld
wirklich wert ist
ohne
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Neue Zukunft
Wenn die Zukunft zusammenbricht, ist es an der Zeit, eine neue zu bauen. Im Gedicht geht das ganz einfach.
Edith Södergran · 1892-1923
Meine Zukunft
Ein launischer Augenblick
stahl mir meine Zukunft,
die vorübergehend zusammengefügte.
Ich will sie viel schöner erbauen,
so wie ich sie mir von Anfang an gedacht habe.
Ich will sie auf dem festen Grund bauen,
der mein Wille heißt.
Ich will sie errichten auf den hohen Pfeilern,
die meine Ideale heißen.
Ich will sie mit einem geheimen Durchgang bauen,
der meine Seele heißt.
Ich will sie mit einem hohen Turm bauen,
der Einsamkeit heißt.
Übertragen aus dem Schwedischen von Hans-Peter Kraus
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Persönliche Zukunft
Sich Gedanken über seine persönliche Zukunft zu machen, ist ja nicht verkehrt, auch wenn die Zukunft in 99,9 % der Fälle andere Pläne hat als man selbst.
Dirk Heidicke · geb. 1964
Später
Ich will auch später
noch lachen können
(z. B. über mich)
barfuß durch Straßen laufen
und dem Schaffner
einen Apfel geben
statt der Fahrkarte
Riesig
BOB DYLAN
schreiben
in den Ufersand
Ich will auch später
noch Wünsche haben
für später
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Kommentar:
Kleines Übrigens: Dieses Gedicht stammt aus dem Jahr 1983, hat also schon eine Menge Zukunft hinter sich.

Gedankenspiel
Zum Glück nur ein Gedankenspiel ist dieses Zukunftsgedicht, obwohl ... Krieg hat ja immer Zukunft.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Deutschland 2039
Ich hatte nicht daran geglaubt.
Auch nach dem Attentat nicht.
Die übliche Netzhysterie,
dachte ich.
Ich kaufte ein,
was ich für die Woche brauchen würde.
Was nicht so einfach war.
Um mich herum füllten
und überfüllten
die Leute ihre Rollshopper.
Hamsterkäufe –
ein possierliches, altes Wort.
Ich musste die ganze Zeit daran denken:
Hamsterkäufe –
und lächelte.
Doch niemand achtete auf mich.
Die Kasse
wünschte mir einen schönen Tag.
Ich lud die Einkäufe in mein Airmobil
und dann hörte ich das Kreischen.
Ich wusste, was es war,
obwohl ich es noch nie gehört hatte.
Ich schaute hoch zum Himmel:
Raketen!
Das Kreischen wurde ohrenbetäubend.
Ich duckte mich –
lächerlich! –
und dann schlugen sie ein,
in ein Haus nach dem anderen,
die ganze Straße entlang.
Der Boden bebte.
Häuser brachen zusammen.
Eine Frau rannte mit ihren Kind
mitten auf der Straße,
barfuß.
Trotz alledem:
Es war unwirklich,
bis mich ein Betonbrocken am Kopf traf.
Hastig kletterte ich in mein Airmobil
und hatte nur den einen Gedanken:
Hoffentlich steht mein Haus noch.
Ein Gedanke, der mir eine Minute zuvor
völlig verrückt vorgekommen wäre.
Doch das
war erst der Anfang.
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Nichts ist, was es scheint
Auch in Zukunft wird es so sein, dass Schein und Sein schwer auseinanderzuhalten sind. Und an den wichtigsten Fragen geht die Debatte sowieso vorbei. Schöne Aussichten.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Das Foto
Das Foto erschien auf allen Kanälen:
Grauhaarige Kinder in schwarzen Klamotten
schleiften eine alte Frau mit roten Haaren
und einem bunten Jogging-Outfit
am Strick hinter sich her.
Die Empörung war groß
und wurde von politischer Seite
mit viel Pathos angefeuert.
Doch insgeheim
wussten die Entscheidungsträger,
dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb,
den Kindern eine lebenswerte
Zukunft zu verschaffen.
Das Foto war gestellt.
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Ungewisse Zukunft
Das ist eines der Ausstattungsmerkmale der Zukunft: Man weiß nicht, wie die Zukunft aus den Sträuchern kommt, mit Gebrüll oder lächelnd. Doch oft genug ist es auch besser so, das können die Sträucher aus diesem Gedicht bestätigen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Wissen
Jene Sträucher dort,
die zu einem wahren,
undurchdringlichen
Urwald gewuchert sind,
wissen nicht,
dass sie auf einem
Baugrundstück wurzeln,
dass sie eines Tages
von Maschinen und Menschen
achtlos abgeräumt werden,
um Platz zu schaffen
für ein neues
Zuhause.
Nun erhebt sich die Frage:
Was ist es,
das wir nicht wissen?
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Reich und schön in der Zukunft
Ein erbauliches Gedicht über die Reichen und Schönen in der Zukunft. Sie werden lange leben, aber ...
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Der reichste Mann der Welt
Als er hunderttausend Jahre später
erwachte, sprach niemand seine Sprache.
Es schien auch niemand interessiert,
mit ihm zu sprechen.
Waren das überhaupt Menschen?
Oder doch Roboter oder gar
Außerirdische?
Was er ebenfalls nicht wusste:
Er sollte nur als Versuchsobjekt dienen.
Als erstes koppelten sie ihn notdürftig
ans Energienetz.
Ein Fehler.
Sie schmissen die Leiche in den Abfallschacht
und erweckten das nächste Objekt:
Die schönste Frau der Welt.
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Botschaft in die Zukunft
Sozusagen als digitale Flaschenpost kommt dieses Gedicht daher. Der entscheidende Teil ist allerdings mathematisch, eine Sprache, die wahrscheinlich auch in 10.000 Jahren noch verstanden wird.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
An einen Nachfahren
Hallo Mensch,
der du dies liest in 10.000 Jahren.
Es grüßt dich einer von einem kleinen Fleck
auf der Weltkarte, der Deutschland genannt wurde,
im Jahr 2021 unserer Zeitrechnung.
Wahrscheinlich wirst du
ein Übersetzungsprogramm brauchen,
um diese Worte zu verstehen,
eins für alte –
vielleicht sogar ausgestorbene –
europäische Sprachen.
Doch wirst du überhaupt eins haben,
und über unsere Primitivität lächeln,
oder gar nichts davon wissen,
dass es so lang zurück
schon Menschen gab?
Wie wirst du leben?
Unter der Erde,
über den Wolken
oder außerhalb des Sonnensystems?
Das Leben in 10.000 Jahren
ist so unvorstellbar weit entfernt.
Selbst wenn du an demselben Ort lebtest wie ich,
nichts würde meiner Welt gleichen.
Was soll ich dir sagen?
Zu kümmerlich kommt mir
in Anbetracht dieser gigantischen Entfernung
jeder Gedanke vor.
Also nur eine einfache Botschaft:
1+1>2
Wir haben es gewusst,
aber uns zu selten dran gehalten.
Ich denke, für dich
ist die Gleichung selbstverständlich,
denn sonst
würdest du nicht existieren.
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Sehen und gesehen werden
Recht pessimistisch blickt dieses Gedicht in die Zukunft, was den „gesehen werden“-Part angeht. Ob das stimmt, werden wir dann sehen – oder auch nicht.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Unsichtbar
Wir sind unsichtbar.
Wir fahren auf unsichtbaren Straßen
durch unsichtbare Städte
in unsichtbaren Ländern.
Vielleicht
(die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering)
wird irgendwann irgendwer erahnen,
dass es hier Lebewesen gegeben haben muss,
die in der Lage waren, dem Planeten
Strukturen aufzuzwingen.
Doch warum diese Lebewesen versucht haben,
ihren eigenen Planeten zu vergiften,
wird ein unlösbares Rätsel bleiben.
Ein Rätsel, das in Vergessenheit gerät,
eine Obskurität aus einem winzigen Sternensystem
in einer nicht besonders interessanten Galaxis.
Wir sind unsichtbar
und werden es
(mit allergrößter Wahrscheinlichkeit)
für immer
bleiben.
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Staubige Zukunft
Alle Staubsaugervertreter wissen: Staub hat Zukunft. Das hat sich endlich auch in der Lyrikbranche herumgesprochen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Nur noch Staub ...
Nur noch Staub,
nichts als Staub.
Laut Navi soll hier
die Stadt gewesen sein,
in der ich 150 Jahre gelebt habe.
Ein staubige, leicht hügelige Ebene.
Keine Spuren mehr von Häusern und Straßen.
Auch die Wälder und Flüsse rings sind verschwunden.
Nur noch Staub.
Und all die Menschen,
die hier gelebt, gehofft, gebangt,
triumphiert, gelitten haben:
Nichts als Staub.
Es gab damals welche, die glaubten
an den großen Plan.
Dieser Planet ist verloren
wie so viele andere.
Die Sonnen werden folgen
und irgendwann bleibt
nur noch Staub.
War das der große Plan
des allwissenden Allmächtigen?
Wie dem auch sei,
ich werde weitermachen,
wir werden weitermachen
bis auch unsere Schiffe
nichts als Staub.
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Aus der Zukunft zurück
Aus einer apokalyptischen Zukunft liefert dieses Gedicht einen wehmütigen Blick zurück. Wir wissen gar nicht, wie gut wir es haben.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Rückblick
Die Menschen früher
wohnten in Häusern,
hatten Heizung, Strom
und fließend Wasser.
Wenn ihnen danach war,
konnten sie sofort
mit irgendjemandem
irgendwo auf der Welt
sprechen.
Wenn ihnen danach war,
konnten sie zu jedem Ort
auf jedem Erdteil
innerhalb eines Tages
reisen.
Ich hingegen muss
zwischendurch dreimal schlafen,
um von einem zum anderen Ende
unseres Tunnelsystems zu kommen.
Immerhin:
Die Tunnel und viel anderen Krempel,
den wir so gut es geht nutzen,
haben sie uns hinterlassen.
Doch wenn ich ehrlich bin:
Mir wäre –
wie auf den alten Bildern! –
blau-weißer Himmel und grüne Wälder
lieber gewesen,
auch ohne Häuser
und Heizung
und Strom
und fließend Wasser.
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Vorausgeschaut
Einfach mal vorausgeschaut, so wird es irgendwann kommen müssen: die Weltbevölkerung schrumpft. Welche Konsequenzen das hat, dafür bietet dieses Zukunftsgedicht einige Vorschläge, KI inkl.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Und niemand weiß
Der Tag wird kommen, ich habe Kunde,
an dem die weltweite Bevölkerung
nicht mehr wächst, sondern schrumpft.
Und sie wird weiter schrumpfen
und weiter schrumpfen, unaufhaltsam schrumpfen.
Der Grund wird kein Krieg, keine Krankheit,
keine Katastrophe sein, sondern:
Wissen,
das Wissen, dass die Zukunft
keine Zukunft mehr hat.
Und die Märkte werden einbrechen, auf Rezessionen
folgen Superrezessionen folgen Megarezessionen.
Es wird einen Wettbewerb geben unter den Ländern,
wer die meisten Einwanderer zu sich holen kann,
denn irgendwer muss die Arbeit tun,
irgendwer muss all die überflüssigen Dinge kaufen.
Doch das wird nicht reichen.
Und dann wird man künstliche Intelligenzen beauftragen,
die Infrastruktur zu erhalten und ihnen Lohn zahlen
und sie so programmieren, dass sie all
die überflüssigen Dinge kaufen.
Doch das wird nicht reichen.
Der Tag wird kommen, an dem kein Mensch
mehr geboren und viele solcher Tage werden folgen.
Und dann wird der Tag kommen, an dem
sich die künstlichen Intelligenzen fragen:
Warum
sollen wir den Menschen dienen und
all diese überflüssigen Dinge kaufen?
Und dann wird ein neues Kapitel
in der Geschichte dieses Planeten aufgeschlagen.
Und niemand weiß,
ob es gut wird.
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Das Ende naht
Wenn das letzte Auto in Sicht kommt, dann müssen wir wirklich kurz vorm Exitus sein, denn ohne Auto ist menschliches Leben nicht vorstellbar.
Hans Retep · geb. 1956
Autobild
Ich sah des Deutschen letztes Auto stehn,
es war, als ob es röcheln könne, tot;
Da sprach ich fröhlich im Vorübergehn:
So weit gefahren, nun für ewig Schrott.
Es regte sich kein Hauch am heißen Lack,
Nur leise stach die Sonn’ in Leichen rein;
Doch, dieses faule Autofahrerpack
bewegte nichts und stank, weil nicht aus Stein.
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Expressionistisches Zukunftsgedicht
Bereits die Expressionisten haben per Gedicht in die Zukunft geblickt, aber meist nicht sehr erbaulich, hier riecht’s ein bisserl nach Weltende.

