Gedichte zum Nachdenken 1
Es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Gedichte zum Nachdenken sprachliche Gebilde lyrischer Form sind, die zur Betätigung des höchstliegenden Muskels anregen sollen. Doch bevor ich mich hier festlege, denke ich lieber noch mal nach.
Die Welt verbessern
Wenn man die Welt verbessern will, fange man mit dem Schwierigsten an, empfiehlt das folgende Gedicht zum Nachdenken.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Kurze Bedienungsanleitung für Weltverbesserer
Willst du die Welt verbessern,
fange bei den Menschen in deinem Land an
Willst du die Menschen in deinem Land verbessern,
fange bei den Menschen in deiner Stadt an
Willst du die Menschen in deiner Stadt verbessern,
fange bei den Menschen in deinem Haus an
Willst du die Menschen in deinem Haus verbessern,
fange bei dir an
Worauf wartest du?
Fang an
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Ein Loch zum Nachdenken
Nee, nicht Ness, sondern ein Loch oben. Hatten wir mal, nannte sich Ozonloch, aber in diesem Gedicht taucht plötzlich eins auf und Dinge ändern sich oder vielleicht auch nicht.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Loch im Himmel
Da ist ein Loch im Himmel
und keiner weiß warum.
Da ist ein Loch im Himmel.
Das Fernsehen sendet nonstop.
Da ist ein Loch im Himmel.
Die Experten sind ganz aufgeregt.
Da ist ein Loch im Himmel
Die Gläubigen beginnen zu beten.
Da ist ein Loch im Himmel.
Die Regierungen mahnen zur Besonnenheit.
Das Loch saugt böse Gedanken auf.
Verbrecher werden lamm.
Reiche geben her.
Depressive steigen Höhen.
Liebe allüberall.
Das Loch verschwindet.
Was nun?
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Wer sind wir?
Die Definition eines Ichs ist relativ leicht, aber beim Wir kommt man schnell ins Schleudern, was Ursache für sehr viel Kummer auf der Welt ist. Doch mit ein bisschen Nachdenken ist die Lösung des Wir-Problems gar nicht so schwer, wie das folgende Gedicht zeigt.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
wir
ich bin ich
bin nicht du
bist nicht ich
aber
wir sind wir
sind nicht ihr
seid nicht wir
aber
alle
ohne ich
ohne du
ohne ihr
sind wir
zusammen
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Lyrik und Logik
Ich will gar nicht erst versuchen, die verwirrenden logischen Folgerungen, die sich im Gedicht ergeben, aufzurollen. Diese Seite heißt schließlich „Gedichte zum Nachdenken“ und nicht „zum Vordenken“.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Wahrheit & Lüge
Je öfter man eine Lüge wiederholt,
desto mehr wird sie geglaubt.
Je öfter man eine Wahrheit wiederholt,
desto weniger wird sie geglaubt.
Beide Aussagen sind wahr.
Beide Aussagen sind wahr.
Beide Aussagen sind wahr.
Beide Aussagen sind wahr.
Das ist eine Lüge.
Das ist eine Lüge.
Das ist eine Lüge.
Das ist eine Lüge.
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Die Wahrheit über die Lüge
Im Prinzip alles ganz einfach: Die Lüge ist immer und überall, nach der Wahrheit streckt man sich vergebens, weil: im Bauplan nicht vorgesehen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Kleine Abhandlung über die Lüge
Die einen lügen,
um zu lügen.
Die anderen lügen,
um die Wahrheit zu sagen.
Jene, die lügen
um der Lüge willen,
schert die Wahrheit nicht.
Jene, die lügen
um der Wahrheit willen,
kennen die Wahrheit nicht.
Denn der größte Lügner von allen
ist das menschliche Gehirn.
Es filtert.
Es entstellt.
Es spinnt.
Niemals
wirst du hinter die Fassade schauen,
die dein Gehirn für dich aufbaut.
Niemals
wirst du die wahre Welt erfahren,
die sich hinter den Lügen verbirgt.
Denn nur eins
ist immer wahr:
Alles lügt.
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Spieglein, Spieglein
In diesem Gedicht werden Spiegel gespiegelt, was Konsequenzen hat, über die man nachdenken könnte.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Im Spiegelland
Du bist ein Spiegel, der sich
in anderen Spiegeln verzerrt
spiegelt, wie sich die anderen
Spiegel verzerrt in dir spiegeln.
Willst du weder spiegeln noch
gespiegelt werden, brauchst du
vollständige, undurchdringliche Dunkelheit.
Nachteil:
Spiegel, die sich in vollständiger,
undurchdringlicher Dunkelheit
bewegen, gehen zu Bruch.
Doch Unbeweglichkeit, ohne zu
spiegeln oder gespiegelt zu werden,
bedeutet den Tod.
Besser wäre es, die ganze Spiegelei
nicht so ernst zu nehmen.
Wenn alle verzerren und verzerrt werden,
dann spiegelt niemand die Wahrheit.
Erinnere dich:
Noch als Kind hast du mit verzerrten
Spiegelbildern gespielt und gelacht.
Du spürtest, wer spielt, hat die Macht.
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Nachdenken über Verdrängtes
Folter gibt’s nicht nur im Kino, sondern auch in der Realität. In diesem Gedicht wird die Methode Schlafentzug thematisiert.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Und du willst schlafen
Du liegst nackt
auf dem eis-
kalten Beton
und du willst schlafen,
endlich schlafen.
Schwere Stiefel,
Eisentür.
Sie treten dich,
sie schlagen dich,
sie reißen dich
hoch.
Sie schreien dich
an.
Du stehst.
Zitternd.
Gekrümmt.
Die Eisentür
schlägt zu.
Die Stiefel
gehen fort.
Du bist
allein.
Und du willst schlafen,
endlich schlafen,
ewig schlafen.
Denn da draußen
ist keine Welt
mehr.
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Gedicht über einen kleinen Geist
Genau genommen geht es in diesem Gedicht um ... weiß ich auch nicht, gerade wusst ich’s noch, jetzt hab ich’s vergessen. Egal, Sie kriegen das schon raus.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Mein kleiner Geist
Mein kleiner Geist
erinnert sich nicht
an meine Heldentaten
und meine Schandtaten.
Selig sei mein kleiner Geist.
Mein kleiner Geist
ist hier und jetzt,
morgen wird er
ganz woanders sein.
Selig sei mein kleiner Geist.
Mein kleiner Geist
wird sich schon bald
nicht mehr an diese
Worte erinnern.
Selig sei mein kleiner Geist.
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Wer ist hier verrückt?
Darüber sollte man intensiv nachdenken: Wer oder was ist verrückt und warum? Das Gefährliche an dieser Frage ist, dass man zu Ergebnissen kommen kann, die gerade nicht „in“ sind.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Die Scheidung der Geister
Woran erkennt man jene, die verrückt sind?
Wenn welche nach ein paar heißen Tagen
das Unkraut zwischen den Gehsteigplatten
gießen, daran erkennt man jene, die verrückt sind.
Woran erkennt man jene, die das Leben lieben?
Wenn welche nach ein paar heißen Tagen
das Unkraut zwischen den Gehsteigplatten
gießen, daran erkennt man jene, die das Leben lieben.
Worin besteht
der Unterschied?
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Gedicht aus einem Innenleben
Dieses Gedicht ist sicher etwas rätselhaft, daher zum Nachdenken geeignet. Kleiner Tipp: Stellen Sie sich vor, sie wären etwas, von dem Sie sich nicht vorstellen können, wie es sein muss, so etwas zu sein – also im Prinzip ganz einfach.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
von innen
etwas ist außerhalb
kann nichts sehen
etwas ist außerhalb
kann nichts hören
etwas ist außerhalb
kann nicht sprechen
es nährt
muss wachsen
wachsen
muss entfalten
vieles ist außerhalb
es berührt
vieles berührt
muss verschließen
muss sammeln
konzentrieren
schwer werden
schwerer werden
und fallen lassen
muss zersetzen
muss
außerhalb werden
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Der unsichtbare Mensch
Unsichtbarkeit ist auch nur eine Frage der Perspektive. Wenn man den Gedankengängen in dem folgenden Gedicht glauben darf, steht es um die Sichtbarkeit der Menschheit insgesamt nicht besonders gut, was vielleicht gar nicht so schlecht ist.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Unsichtbar
Wir sind unsichtbar.
Wir fahren auf unsichtbaren Straßen
durch unsichtbare Städte
in unsichtbaren Ländern.
Vielleicht
(die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering)
wird irgendwann irgendwer erahnen,
dass es hier Lebewesen gegeben haben muss,
die in der Lage waren, dem Planeten
Strukturen aufzuzwingen.
Doch warum diese Lebewesen versucht haben,
ihren eigenen Planeten zu vergiften,
wird ein unlösbares Rätsel bleiben.
Ein Rätsel, das in Vergessenheit gerät,
eine Obskurität aus einem winzigen Sternensystem
in einer nicht besonders interessanten Galaxis.
Wir sind unsichtbar
und werden es
(mit allergrößter Wahrscheinlichkeit)
für immer
bleiben.
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Das Weltall und wir
Darüber könnte man auch mal nachdenken: Über unsere Rolle im Weltall. Sind wir die Guten oder die Bösen?
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Analogie
Das Weltall ist ein junger Körper, der
wächst und wächst und wächst, doch
Sonnen darin sind Entzündungsherde,
Planeten unerwünschte Ablagerungen.
Dunkle Energie und dunkle Materie
bilden die gesunden Teile des Weltalls,
Schwarze Löcher arbeiten als Antikörper.
Wenn wir unseren Planeten zerstören
und solche im All suchen, die es uns
ermöglichen, weiterhin zu existieren,
verhalten wir uns wie jene Viren, die
von Wirt zu Wirt springen.
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Nachdenken über Ästhetik
Man darf sich nichts vormachen: Das Elend dieser Welt wird uns in professionell aufgemachten Bildern gezeigt, sonst würden wir gar nicht hingucken.
Dyrk Schreiber · geb. 1954
Preisfoto
Wir wollen ein lebendiges Sterben,
ein Sterben in Farbe
für’s Journal auf dem Nachttisch,
zum müde machenden Hin- und Herblättern.
Wir erschrecken nicht,
so etwas ist uns nicht mehr innerlich!
Sie fliegen steuerbegünstigt in staubige Länder
und suchen, für uns,
das Schreckliche und finden -
geplatzte Lippen mit Fliegen!
Nun muss alles schnell gehen,
das fingerfertige Ausrichten des Objektivs,
das Bücken
das Anlegen
das Zielen
das Abdrücken!
Sie nennen es Im Kasten haben,
in ihm schreit jetzt, was wir alle wollen,
ein lebendiges und farbiges Sterben!
O wie sie es mit Kunstverstand verarbeiten,
mit ihrem Gefühl für die Ästhetik des Schrecklichen,
denn, ach, nur das Ästhetische berührt uns noch!
So klicken sie ein paar mal auf’s Motiv
und der Mund ist trefflich
geschwollen und erstarrt -
für gemütliche Ewigkeiten,
wenn es nichts Besseres gibt
zwischen den Nachttischen!
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Nachdenken über Dinge
Dieses Gedicht regt dazu an, sich gedanklich mit den Dingen, die einem (angeblich) gehören, zu beschäftigen. Dabei sollte man nicht vergessen zu versuchen, Titel und Text zusammenzubringen.
Ralf Hilbert · geb. 1963
Illusionismus
Sag zu den Dingen:
ihr seid mein; auch wenn
sie sich entziehen,
auch wenn sie diese Aura
annehmen – sie sind gesetzt
und in einer Ordnung,
gefärbt vom Gewohnten.
Bewahre Haltung
vor ihrer Macht
nach dem Aufwachen,
noch vor dem Blick
aus dem Fenster
in den grauen Morgen
ohne Not.
Vergiss die Dinge nicht,
ihr Vorrecht auf Existenz, möglich,
dass sie lebendig scheinen
im Moment der Trauer.
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Gedicht über Ich und Welt
Das ist eine alte Frage: Sieht man die Welt so, wie sie tatsächlich ist oder ist sie doch ganz anders? Könnte man drüber nachdenken.
Philipp Lauer · geb. 1994
Oder bin ich es?
Das Leben ist traurig,
vom Glücke verquollen,
- oder bin ich es -
durch allzu viel Wollen?
Die Welt ist hässlich,
grotesk ist der Mensch,
- oder bin ich es -
der sein Dasein verkennt?
Das Leben ist böse,
ein hungerndes Biest,
- oder bin ich es -
zahnend und fies?
Die Liebe ist wertlos,
zum Scheitern verdammt,
- oder bin ich es -
von Zweifeln geplagt?
Oder bin ich nur zu müde,
eine Entscheidung zu fällen,
und werde rüde zur Welt,
die mir in Wahrheit
gefällt?
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Gedicht über eine Ich-Findung
Das mit dem Ich ist gar nicht so einfach. Die Wissenschaft tut sich schwer, das Ich überhaupt zu lokalisieren, aber im folgenden Gedicht ist das lyrische Ich schon einen Schritt weiter.
Valea Pötschke · geb. 2001
zwischen jetzt und mir
vor einer weile -
so zwischen gehen und bleiben
so zwischen wollen und meiden
da irgendwo -
zwischen zufall und schicksal
zwischen ihm und ihr
so zwischen gestern und morgen -
da bin ich mir plötzlich selbst passiert.
in genau dem augenblick
zwischen jetzt und hier
hab’ ich mich als antwort
in mir selbst entdeckt
hab’ ich alles noch mal echt erlebt
weil das leben so ganz anders schmeckt
hab’ ich mich
an die hand genommen
und mir meine welt gezeigt
bin ich gegangen
um zu werden
und geblieben
um zu sein -
so hab’ ich
zwischen jetzt und mir
alles auf anfang gedreht
um mich nicht zu verpassen
um mich selbst nicht zu verliern.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-11-34.php#2280
Zu viel des Nachdenkens?
Zu viel zu grübeln, ist nicht gut, trotzdem lohnt es sich sicher, über das folgende Gedicht etwas nachzudenken.
Julia Faß · geb. 1998
Mitten überwinden
Es gibt Möglichkeiten
und es gibt Taten.
Das eine steht vor dem anderen.
Dazwischen sitzt der Zweifel.
Warst du nicht immer schon schlecht
im Bockspringen?
Es gibt Taten
und es gibt Resultate.
Das eine steht vor dem anderen.
Dazwischen thront der Richter.
Warst du nicht immer schon schlecht
im Argumentieren?
Es gibt Resultate
und es gibt Emotionen.
Das eine steht vor dem anderen.
Dazwischen schweben die Gedanken.
Warst du nicht immer schon schlecht
im Glücklichsein?
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Drachen-Gedicht
Wenn die Drachen erwachen, hat der Mensch nichts zu lachen. Das scheint so selbstverständlich, dass man darüber gar nicht nachdenken muss, außer man fragt sich: Wer sind die Drachen? Sind Drachen wirklich Drachen?
Erik Winter · geb. 1968
Drachen
Wenn die Drachen
erwachen
weht Ruß über das Land
sie fressen und verbrennen
Menschen werden zu Asche
und Kotsträngen
Wenn die Drachen
erwachen
seufzen die Mutlosen und sagen
es wird vorübergehen und
es wird schon nicht
so schlimm werden
Wenn die Drachen
erwachen
spucken sie Bosheit über das Land
speien sie Galle und Häme
Nachbarn werden zu Fremden
Fremde werden verfemt
Wenn die Drachen
erwachen
kommen sie über das Land
wie Naturgewalten
die Gebrochenen stöhnen und sagen
man muss sich fügen
Wenn die Drachen
erwachen
zittern die Feigen und sagen
besser diese als ich
jauchzen die Toren und sagen
es ist an der Zeit
Wenn die Drachen
erwachen
bauen sie Lager
treiben Menschen zusammen
Menschen werden zu Asche
und Kotsträngen
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Nachdenken über Geschlechter
Ich weiß nicht, ob wir schon beim „Alles geht“ angekommen sind, aber in jedem Fall sind Geschlechter und Geschlechterrollen nicht mehr so eindeutig festgelegt wie im vergangenen Jahrhundert. Doch neue Lösungen produzieren auch neue Probleme:
Isabelle von der Trave · geb. 1962
Gutgemeinte Ratschläge
Frau sein
Du musst blöd sein
verrückt und schwul
bescheuert
Dich so zu erniedrigen
Frauenkleider
öffentlich tragen
da mußt Du schön sein
graziös sein
sexy einherschreiten können
den Männern was bieten
Aber Du?
Als Frau gehen
ich bitt‘ Dich
da mußt Du singen können
oder mit klarer Stimme
und überweiblich
zweideutig zum Lachen treiben
Aber Du?
Mit weiblichem Namen schreiben
Naja
Über Männer, Frauen und Sex
und Weiberkram
Aber doch nicht
über Politik und den Kampf
ums Überleben
Als Mann
weiblich kleiden
Da mußt Du
Dich präsentieren
verkaufen
im Varieté
oder zumindest
im Puff
Aber doch nicht einfach so
auf der Straße
ohne verwertbaren Grund.
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Gedicht über ein Zuviel
Was heute an Informationen auf jeden einprasselt, ist ein Vielfaches von dem, was vergangene Generationen zu verarbeiten hatten. Kein Wunder, dass alle Information grau wird:
Sabrina Kluth · geb. 1987
Informationsflut
es fällt ein bunter Regen
auf meine heiße Haut
er trommelt, trommelt
er trommelt laut
ich möchte mich bewegen
doch Spannung hält mich fest
ich fühle, fühle
ich fühle es
das Ausmaß aller Farben
aus rot und blau wird braun
sie mischen, mischen
sie mischen grau
die Welt hat viel zu sagen
bewegt mich jedes Wort
wer redet, redet
wer hört es noch?
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-11-34.php#2147

