Gedichte zum Nachdenken 2
Dichter standen mal im Ruf, recht weise zu sein. Die Gedichte dieser Seite, die oft 150 Jahre und mehr auf dem Buckel haben, zeigen, dass da durchaus was dran sein kann, weil sie trotz der zeitlichen Ferne immer noch Stoff zum Nachdenken bieten.

Nachdenken über das Sehen
Psychologisch weit gedacht ist Fontanes nachdenkliches Gedicht darüber, wie wir die Welt sehen.


Selbst nachdenken
Gottfried August Bürger plädiert dafür, sich selbst als Maßstab zu nehmen, was natürlich nicht ungefährlich ist. Wo da die goldene Mitte zu erreichen wäre, darüber lässt sich sicher nachdenken.


Der Mensch als Kind
Spitzweg ist mehr als Maler bekannt, aber hier trifft er den Nerv der Menschheit in einem sehr einfachen Gedicht.


Was ist wichtig?
Hier bringt ein alter Spruch den Dichter zum Nachdenken, woraus er ein Gedicht – was auch sonst? – zum Nachdenken macht.

Kommentar:
Der erwähnte Spruch lautet:
Mensch werde wesentlich: Denn wann die Welt vergeht,
So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.
(Angelus Silesius)

Nachdenken über das Christentum
Das folgende Gedicht im 19. Jahrhundert zu veröffentlichen, dazu gehörte sicher etwas Mut. Doch ist es auch eine Überlegung wert, ob eine Hinrichtung das Bild ist, das die Essenz der christlichen Religion am besten wiedergibt.


Nachdenken am Bau
Ernst Toller war „im Bau“, als er über den Unterschied zwischen Kirchen- und Nestbau nachdachte und ein erbauliches Gedicht darüber schrieb.

Lesetipp:
Dieses Gedicht stammt aus Ernst Tollers Schwalbenbuch, ein Gedichtzyklus über eine wahre Geschichte während seiner Festungshaft.

Arm und reich im Gedicht
Wieder eins dieser Gedichte, bei denen man ins Grübeln kommt, wieso es immer noch wie die Faust aufs Auge passt. Haben wir denn gar keine Fortschritte gemacht?


Gedicht aus der Tiefe
Ergriffen von einer Vorahnung ist das lyrische Wir in diesem Gedicht, denn irgendwo in der Tiefe tut sich etwas, welche Tiefe auch immer gemeint ist.
Roland Müller · geb. 1952
Vorahnung
Wir hören schon die Stimmen aus der Tiefe
ganz leis. Und wir verstehen sie noch nicht.
Es klingt, als ob die Welt um Hilfe riefe.
Noch strömt das dunkle Wasser viel zu dicht.
Wir kennen aus Erfahrung manche Zeichen,
erschaudern vorm Befehl zur blöden Pflicht.
Wir wissen, es ist schwer zurückzuweichen,
und doch gelingt uns unsre eigne Sicht.
Wir lesen lang schon zwischen blassen Zeilen:
Kein Ausweg steckt in Schweigen und Verzicht.
Wir irren nicht: Wir können nicht verweilen.
Denn Neues blättert auf sich – Schicht um Schicht.
Von unten dröhnt die Warnung durch die Mauern,
sie kündet von dem kommenden Gericht.
Denn das erwacht und wird recht lange dauern.
Wir spüren schon, dass die Epoche bricht.
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Wer war’s?
Wer hat schuld? Wer hat was gesehen oder gehört? Irgendwer muss es doch gewesen sein. Vielleicht weiß der Dichter was.
Gisbert Zalich · geb. 1952
Die breite Blutspur der Geschichte
Ich bin der Anlass jeglicher Intrige,
der Grundstein und die Leitung aller Kriege,
der falsche Zungenschlag, die kryptische Verschwörung,
die Ohnmacht und der Anstoß der Zerstörung,
Missgunst, Egoismus und Verrat,
der Hinterhalt, das Attentat,
das Krebsgeschwür, das Metastasen streut,
ich bin die Krankheit, Siechtum und das Leid,
der Lockruf auf die falsche Fährte,
und der Entwerter aller Werte,
das Fake, das Wesen der Gerüchte -
ich bin die breite Blutspur der Geschichte!
Ich bin das heilige Versprechen,
die Feuerlunte, das Verbrechen,
der Wahrheitskünder, der das Paradies verheißt
und jeden Dialog und Kompromiss zerbeißt!
Ich breche deinen Freiheitswillen,
und sollst du auch vor Wut und Schmerzen brüllen!
Ich bin das Dunkel in der Nacht,
der Quell der Angst, die Gier nach Macht,
der trübe Geist, die Herzverengung,
das Trauma pathologischer Verdrängung,
die Lüge und die giftgetränkten Früchte -
ich bin die breite Blutspur der Geschichte!
Ich bin die Konfliktverschärfung,
die Macht und deine Unterwerfung!
Ich bin die Raffgier und der pure Neid,
der Hass, die Angst, die Selbstgerechtigkeit,
die Führung einer göttlichen Mission,
die systematische Desinformation!
Ich ringe jeden Frieden nieder,
ich bin das Ende aller Lieder,
die Sachzwangshörigkeit auf weiter Flur,
das Ende der zivilen Streitkultur,
das letzte Wort, das Ende der Gedichte -
ich bin die breite Blutspur der Geschichte!
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