Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Der Tod im 21. Jahrhundert

Die Gedichte dieser Seite stammen aus dem 7. Lyrikmond-Wettbewerb. Die Themenvorgabe lautete: „Als der Tod sprach: Folge mir ...“ Und nun? Weglaufen, verhandeln oder gucken, was es auf der anderen Seite Interessantes gibt? Und wer ist das überhaupt, dieser Tod? Der Typ mit der Fackel, wie bei den alten Griechen, ist wegen der Brandschutzvorschriften nicht mehr aktuell. Auch Matthias Claudius' Freund Hain oder der Gevatter Tod der Gebrüder Grimm scheinen nicht mehr zeitgemäß. Also was ist das für ein Typ, der Tod im 21. Jahrhundert? Ist er auf der Höhe der Zeit oder ist er irgendwo in der Vergangenheit stecken geblieben? Und ist es überhaupt „der“ Tod? Fragen über Fragen.

Es wurden 619 Gedichte eingeschickt, 475 nahmen teil und davon blieben letztendlich 21 für eine Veröffentlichung übrig. Die ersten drei Gedichte dieser Seite sind die Geldpreisgewinner (je 250 €), die weiteren Gedichte, für die es jeweils einen Buchpreis gab, sind assoziativ angeordnet.

 
 

Glanz und Elend des Todes

Der Tod hat auch schon mal bessere Zeiten gesehen, da hatte man noch Respekt vor ihm. Doch im Jahr 2020 ist es dem Tod gelungen, sich wieder in Szene zu setzen – als Raumpfleger.

Annika Rings · geb. 1981

2020

Dort unten
da spuken
die Geister der Zeit
im Wohnsitz
der Götter
herrscht Einsamkeit.

Einst war ich
gefürchtet
verehrt und verneint
mal Tröster
und mal
ein erbitterter Feind.

Doch heute
begegnen mir
Spott nur und Hohn
ein König
vergessen
auf bröckelndem Thron.

Sie setzen –
des Fortschritts
der Wissenschaft wegen –
der Allmacht
den Stolz
der Jugend entgegen.

Und dennoch
mit unsichtbar
lautlosen Waffen
vermag ich
mir noch
Respekt zu verschaffen

und jene
die glauben
die Welt zu bewegen
wie Mäuse
in ihre
Löcher zu fegen.

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Tod technisch

Eine technische Angelegenheit ist der Tod in diesem Gedicht. Wer technisch nicht so versiert ist, möge sich einen Computer-Nerd ohne Sense hinzuholen.

Marita Bagdahn · geb. 1957

www.tod-dot.com

Du fragst
nach der Schnittstelle
zwischen Leben
und Tod

Du fragst
nach dem Quellcode
er ist
nicht lesbar für dich

Der Tod
vergibt keine Zugriffsrechte
er wählt seine User aus
die Follower und Likes
sind ihm egal

Frag nicht
nach seinem Passwort
für den Login
auf der Dating-App
er hält es geheim

Der Tod
gewährt keine Vorschau
doch du kennst seine Icons
seine Malware seine Tools

Der Tod
braucht kein Backup
die Korrekturtaste
gesperrt

Er drückt
delete
die Festplatte
gelöscht

Der Bildschirm wird
schwarz

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Lesetipp:
Mehr von und über die Dichterin auf ihrer Seite www.wort-und-stift.de

 
 

Die junge Wilde

Die junge Generation will auch mal toden, was nicht unbedingt ein jugendlich-frisches Erlebnis ist beim Abnibbeln.

Julius Boxberger · geb. 1996

Nachwuchs

Am Boden liegend, schmerzerfüllt,
mein eigen Blut in Dielen quillt.

Mein Fall auf diesen harten Grund,
war knochentechnisch ungesund.

Der Mangel körperlicher Kraft,
fixiert mich in dem roten Saft.

Zu meinen Füßen trottet stumm,
ein dickes Mädel träg‘ herum.

„So hilf mir doch“, ruf ich in Pein,
„tipp 112 ins Handy ein!“

Sie nimmt das Handy, doch sie lacht,
als sie mit mir ein Selfie macht.

„Wie nerven diese ständig‘ Klagen,
du solltest letzte Worte sagen!

Das Loch in deinem Schädel zeigt,
wie zeitnah deine Stimme schweigt.“

Das Foto wird ins Netz geschickt,
wo niemand auf „Gefällt mir“ klickt,

nur Gottes Sohn, der kommentiert:
„perverse Hure, ungeniert!“

Doch lacht sie schamlos weiter nur,
und zeigt genervt auf ihre Uhr.

„Verrecke nun, die Zeit, sie rennt,
hab’ gleich noch einen Krebspatient.“

„Wer bist du?“, stöhn ich und werd’ blass,
die Hand am Kopf, sie fühlt das Nass.

Ihr gutturales Gackern hallt
in weiter Ferne, mir wird kalt.

„Es ist der Tod, dem ich stets diene,
ich bin des Todes Azubine.“

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Amazon bringt den Tod

Das haben Verbraucherschützer schon immer gewusst: Amazon bringt den Tod. Aber rein datentechnisch gesehen ist das nur ein Klacks.

Konrad Feldschmid · geb. 1987

Unwiderruflich

Die Sense bei Amazon bestellt
Das Prime-Komfort-Modell
Mit einer Klinge aus Titan
Elektrisierbar, versteht sich
Der Stromstoß als Extrakick
Aufladbar per USB Typ-C
In weniger als vierzig Minuten
So klinisch rein war der Tod noch nie
Die Seele fein säuberlich herausgetrennt
Aber was heißt schon Seele
Ein paar Daten in der Cloud vielleicht

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Der Tod gibt’s euch

Er reißt ganz schön weit das Maul auf, der Tod, aber nicht um jemandem den Kopf abzubeißen, sondern nur um ein bisschen Dampf abzulassen, sozusagen Vulkan light.

Thomas Schubardt · geb. 1970

Noch immer der alte

Denkt ihr, ich wäre eine eurer Puppen,
bemäntelt mit albernen Phantasien,
entsprungen euren armseligen Gehirnen?

Ein Stutzer soll ich sein, der eurer Mode folgt?
Eure Gehirne verarbeite ich zu Brei,
denn Zeit habe ich mehr als ihr,
ja mehr als ihr euch vorstellen könnt.

Was interessiert mich euer 21. Jahrhundert?
Eure Maschinen und Computer sind so tot,
wie ihr es bald sein werdet.

Ich bin der Bringer der großen Leere.
Versteckt euch hinter Religionen und Substitutionen:
ich werde euch dort hervorzerren,
unerbittlich, plötzlich,
oder nach zähem Ringen erst.

Schließlich werdet ihr mit mir gehen.

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Gruß von der Ex

Ein frohes „Verpiss dich“ wird hier dem Tod an den knöchernen Schädel geworfen. Tja, die Zeiten, wo man am Hofe französisch parliert hat, sind vorbei. Im 21. Jahrhundert wird Klartext geredet.

Anna-Birke Lindewind · geb. 1998

Ex-Freund Hain

Ich will dich nicht mehr sehn!
Verschwinde!
Ich habe dich viel zu lange ertragen!
Jeden Tag, wenn ich in den Spiegel schaue.
Glaubst du, ich bin noch zu jung,
um zu verstehen, wie du mich belügst?
Ich weiß, welches Spiel du spielst!
Du schenkst mir das Leben,
um es mir wieder wegzunehmen
und dann soll ich dankbar sein,
wenn ich alt und krank zu dir zurückkehren darf?
Um mich bei dir auszuheulen?
Pah!
Du ewiger Frieden!
Du bist so armselig!
Wenn du mich erlösen willst,
dann erlöse mich einfach von dir!

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Frau Tod

Und hier mal die weibliche Variante, die ganz geschäftsmäßig, aber nicht unfreundlich die Sachlage erklärt.

Eva Henseler · geb. 1984

Sie kommt

Sie ist nicht nett
Nicht mal sympathisch
Doch sie will meine Freundin sein
Sie ist direkt
Unproblematisch
Geht sachlich auf mein Ende ein
Redet klar
Geradeheraus
Zeigt auf ein nahes, dunkles Tor
Es scheint mir wahr
Es scheint das Aus
Doch kommt es mir nicht wirklich vor
Sie sagt, sie bringe
Ein Geschenk
Die Zeit, den Abschied einzuleiten
Sie weiß, es klinge
Nicht geschenkt
Sie helfe mir beim Vorbereiten
Sie reicht die Hand
Die ist eiskalt
Doch gibt ihr Druck mir Zuversicht
Klar mein Verstand
Es endet bald
Hinter dem Tor scheint hell das Licht

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Beruf oder Berufung

Wer bei der Berufswahl nicht aufpasst, landet in einem ungeliebten Beruf und nicht bei seiner Berufung. Was hat das mit dem Thema Tod zu tun? Der Mörder ist immer der Gärtner, oder?

Liv Louisa Kauffmann · geb. 2004

Auch der Tod ist manchmal traurig

Als ich am Ende meiner Tage
im Schaukelstuhl saß und entschlief,
vernahm ich plötzlich dabei vage,
dass jemand durch die Flure lief.

Lautlos trat ein Fremder ein,
er trug ein maigrünes Gewand,
Galoschen schmückten sein Gebein.
Mit einer Vase in der Hand
ging er auf meinen Esstisch zu
und griff sich meinen Blumenstrauß,
doch den Rosen fiel’n im Nu,
als er sie fasste, Blätter aus.

Dramatisch sank der Tod aufs Bett
und schluchzte kläglich in mein Kissen.
Es kam mir vor wie Kabarett,
fast hätt’ ich ihn hinausgeschmissen.
„Hör auf, in Wehmut zu ersaufen,
denn ich bin schließlich gerad’ gestorben!“
„Ja, deine Zeit ist abgelaufen,
du hast es gut, du hast kein Morgen.“

„Ich weiß“, sprach ich, „du hast’s genommen,
das Morgen und den Rest von Heute!“
Der Tod erwiderte beklommen:
„Ja, so denken viele Leute.
Deshalb hass’ ich diesen Job!
Ihr Menschen, ihr seid so geblendet.
Niemand würd’ sich fragen, ob
das Leben sich nicht selbst beendet.

Ich wollte immer Gärtner werden,
Blumen pflanzen, Klee ausreißen.
Doch Gärtner gärtnern nur auf Erden,
ich bitt’ sie bloß, ins Gras zu beißen.
Was gäb’ ich alles nur dafür
ein Blümlein in der Hand zu halten.
Doch kaum ist Leben dicht bei mir,
beginnt es auch schon zu erkalten.“

Ich gab ihm eine rosa Nelke,
er steckte sie sich hinters Ohr
erstaunt, dass sie nicht gleich verwelkte,
sah er beglückt zu mir empor.
Die Plastiknelke kess im Haar-
so ging er souverän voraus,
ich folgte ihm mit leichtem Schritt
zufrieden aus dem Leben raus.

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Medien und Realität

Das ist ja nichts Neues, dass so mancher Film- oder Fernsehstar aus der Nähe viel von seinem Glanz verliert. Und der Tod ist nun mal ein ganz großer Star – und in der Realität?

Rolf Polander · geb. 1947

Der Tod und seine Rollen

Ich sah den Tod erst gestern Abend um halb acht,
er kam in einem Kinodrama vor
in Cinemascope und Technicolor,
und er sah blendend aus, das hätt’ ich nicht gedacht.

In Krimis kann man heute nicht auf ihn verzichten.
In jeder Zeitung ist sein Konterfei.
In jeder Tagesschau ist er dabei,
sobald er auftritt, lohnt sich’s drüber zu berichten

Doch wenn der Tod zu dir in deine Kreise tritt,
dort eine Hand ergreift und sagt „Komm mit!“,
schiebst du ihn ins Hospiz, dann zum Bestatter,
denn aus der Nähe ist er nicht mehr fotogen.
Wer ihn zuvor gekannt hat, fragt: „Was hat er
denn bloß? Was ist nur mit dem armen Tod gescheh’n?“

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Der Mann, der gar nicht da ist

Wie beruhigend: Er ist gar nicht da oder ganz weit weg, sozusagen televisionär. Also kein Grund zur Beunruhigung, einfach weitermachen – bis zum Ende.

Lydia Langenbach · geb. 1973

Ich bin gar nicht da

Ich bin an die Stelle von Sex und Geld getreten.
Sprich nur halblaut von mir oder gar nicht.
Tauche ich auf, wende dich ab, verharmlose, scherze.
Auf dem Mattscheibenschirm verfolgst du mich fasziniert.
Doch wehe, selbst geht’s dir ans Leder.
Dann ist es wie jeher, Heulen und Zähneklappern.
Technik und viele weiße Kittel sollen dich abschirmen.
Glaub’ das gerne, denn ich bin ja nicht da – so ganz offiziell.

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Die Männer, die gar nicht da sind

Ein erstaunlicher Fall von Verschwindibus tritt in diesem Gedicht auf, in dem der Tod auftritt.

Vera Henkel · geb. 1961

Die Kneipe

Der Tod
kommt rein und
setzt sich an einen
freien Platz.

Alle
alten Männer
springen auf
und rennen auf
die Herrentoilette.

Da sucht sich
der Tod
jemand anderes
aus.

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Lesetipp:
Weitere Kostproben von Vera Henkel bietet ihre eigene Website: www.verahenkel.com

 
 

Gefällt mir

Ein zünftiges „Gefällt mir“ bietet der Tod in diesem Gedicht an, denn ihm gefällt, was er tut, und was andere denken, tangiert ihn rein peripher.

Lars Schieweck · geb. 1981

Beim Tanz

Mich fasziniert das Bleichen und Erkalten,
das Jeden, der mich je berührt, vergällt.
Was brauchte ich für diesen Dienst erhalten,
der mir aus sich heraus so gut gefällt?
Was schert ein Gott mich? Göttlich darf ich walten
und wie Du Dich auch stellst, verlierst Du bloß.
Ich nehme Deine Hand. – Du folgst verhalten,
wie Du gelernt: Ich bin der finstre Schoß.
Das alles weißt Du nur aus Religionen:
Darüber kann ich nicht einmal mehr lachen.
Du suchst in mir nach höheren Regionen,
um Heiligtümer und Dämonen Dir zu machen.
Und doch nehm’ i c h das Heiligste. Du bist entsetzt. -
Drum glaube nur, dass mich das Böse hetzt.

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Wie’s geht

Wie’s geht mit dem Tod, ist einfach zu sagen, es geht nicht, gerade darum geht’s. Und das geht uns alle an.

Johann Peter · geb. 1947

Registriert

An seinem Schreibtisch,
vier Schenkelknochen,
die ein poliertes Schulterblatt halten,
sitzt der Tod, stellt Passierscheine aus.
„Mummenschanz“, ruf ich. „Makabres Theater.
Keinen Schritt tu ich mehr,
geh nirgendwo hin!“
„Brav“, sagt der Tod.
„So geht´s zu mir.“

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Tod und Clown

So ein Spässekenmacher hat natürlich keinen Respekt vor dem Tod, dummerweise hat auch der Tod keinen Respekt vor einem Spässekenmacher.

Johann Peter · geb. 1947

Timing

„Busserl“, sagt der alte Clown,
bückt sich, zeigt
dem Tod seinen Hintern.
Der Tod aber wartet,
bis der Alte sich wieder aufgestellt hat
und zum Gelächter der Menge
um die Absperrung tanzt.
Dann küsst er ihn fest auf den Mund.

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Respektlos

Selbst alte Damen haben keinen Respekt mehr vor dem Tod, denn sie haben Handy und beim Schnick-Schnack-Schnuck gewinnt Handy gegen Sense, wie allgemein bekannt sein dürfte.

Jana E. Hentzschel · geb. 1973

Unerwartet

Im Dämmerlicht, man sieht ihn kaum,
betritt der Sensenmann den Raum.

Frau Hasenfuß solls heute sein.
Doch diese sieht das gar nicht ein.
„Was machst du hier, ich bin verwirrt;
hast dich wohl in der Tür geirrt?“

Der Sensenmann kommt näher ran
und hebt die Sense ein Stück an.

„Ich fühl mich heut zwar etwas schlapp,
der Kopf tut weh, die Luft ist knapp,
das Herz schlägt in erhöhter Zahl,
doch all das hab ich öfter mal.“

Der Sensenmann streckt seinen Arm.
Er schwitzt etwas, hier ist es warm.

„Ich bin erst neunzig Jahre alt.
Und dass mir im Moment so kalt,
liegt nur an deinem kühlen Hauch.
Mein Blut ist warm, die Seele auch.“

Der Sensenmann im Basston spricht:
„Du gibst mir deine Seele nicht?“

Sie greift zum Handy stolz und kühn.
„Die Lebensapp zeigt nicht mehr grün,
doch schau nur, sie ist gelb – nicht rot!
Ich bin also noch lang nicht tot.“

Das Handydisplay leuchtet grell.
Der Sensenmann verschwindet schnell.

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Lesetipp:
Mehr Gedichte von Jana Hentzschel finden Sie auf ihrer Website: www.janahentzschel.de

 
 

Dem Tod entkommen

Das haben schon viele versucht, dem Tod zu entkommen, und hätten es auch fast geschafft, wenn da nicht die Sache mit dem Nacken wäre.

Irene Kress-Schmidt · geb. 1957

tod im nacken

im labyrinth von korridoren –
ihr ende kann ich kaum erwarten –
lauf ich verwirrt, schwer atmend weiter,
das innerste nach außen kehrend
ein stetes summen in den ohren
ist qualvoll auf so viele arten:
der tinnitus – mein wegbegleiter –
läuft mit, den schritte- klang verzehrend

bin ich dem kommenden entkommen?
es macht mich schon inzwischen fertig,
das ungewisse zu ertragen:
verfolgt mich doch noch irgendeiner?
der höchste berg war längst erklommen
mein ziel ist diesmal minderwertig:
ihn überlisten, es zu wagen ...
vielleicht, vielleicht verfolgt mich keiner

dann spür ich kälte, sie umhüllt mich
er scheint mich doch noch einzuholen,
den schatten weit nach vorne werfend
wie surreal: das licht ist vor mir ...
unförmig erst, dann plötzlich schält sich
ein umriss, wie hierher befohlen,
wird irgendwie, sich nicht verschärfend ...
zum ersten mal verspür ich neugier

die zeit scheint neu sich zu entfalten -
ein origami ohnegleichen
mit ungeahnten möglichkeiten
von vielerlei erscheinungsformen –
ich schaff es nicht, sie festzuhalten
was ich erblicke, scheint zu weichen,
mir schwierigkeiten zu bereiten:
ich kenne hierfür keine normen

mit trenchcoat hab ich ihn erwartet,
im lederoutfit, fast ergötzlich
in jeans mit straffen hinterbacken,
mit festem schritt, nicht leise schlürfend ...
so war mein bild vom tod geartet
nicht so: von hinten packend plötzlich,
mit einem hauch vom kuss im nacken,
letztendlich endlich alles dürfend ...

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Lesetipp:
Auf ihrer Website präsentiert sich Irene Kress-Schmidt vor allem als Malerin und Objektgestalterin: www.kress-schmidt.de

 
 

Wer ist der Tod?

Einen Blick in den Spiegel leistet sich das Ich in diesem Gedicht beim Gedanken an den Tod.

Rolf Polander · geb. 1947

Dann

Und eines Tages werden alle fort sein,
die meine Tage je begleitet.

Und du, der ungeseh’n
mir immer folgte,
wirst dann aus meinem Schatten treten.

Dann seh’ ich endlich dein Gesicht,
erkenne, dass es meinem gleicht
und gehe mit dir und bin du,

mein Tod.

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Wer ist noch mal der Tod?

So ganz grundsätzlich wird im folgenden Gedicht der Frage nachgegangen, wer eigentlich der Tod ist. Ganz überraschend kommt die Antwort nur für Leute ohne Spiegel.

Andreas Kleingrothe · geb. 1985

Weit hinten

Als ich ein Kind war, war der Tod
Von allem, was es gab, der Schluss,
Das Aus, ein düsterer Despot,
Durch den einst alles enden muss.

Als ich ein Kind war, starb man noch
Weit hinten, dort am letzten Halt,
Der Endstation, im tiefen Loch.
Der Tod war reglos, leblos, kalt.

Als ich ein Kind war, lebten wir
Dem Tod zum Trotz, als Gegenpol
Im Überfluss – wir fühlten hier
Im Leben sicher uns und wohl.

Als ich ein Kind war, ahnte ich
Noch nichts vom Tod, von seiner Art,
Doch die Erkenntnis bahnte sich
Den Weg in meine Gegenwart:

Seit ich ein Kind war, töte ich
Durch meine Art zu leben schon.
Ich weiß es, doch erröte ich?
Ich bin der Mensch, die Endstation.

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Der Tod hat zu tun

Zum Schluss ein Ausflug in die Konkrete Poesie, die beim Spiel mit dem Wortmaterial auch vor Sprachgrenzen nicht halt macht, so wie die Sprache selbst davor nicht zurückschreckt und der Tod schon gar nicht, obwohl er so viel zu tun hat.

Dorothée Gommen-Hingst · geb. 1975

Aktiver Tod

to do to do to do to do to do
to do to do to do to do to do
to do to do to do to do to do
to do to do to do to do to do
to do to do to do to do to do
TOD
o

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Link: Der Tod persönlich: Gedichte beim Poetischen Stacheltier