Gedichte übers Sterben 1
Viele Dichter haben sich Gedanken darüber gemacht, wie es sein wird, wenn sie sterben. Weitere fassten das Miterleben des Sterbens in ein Gedicht. Der Grundtenor der meisten Gedichte über das Sterben ist, dass es zum Leben dazugehört, es folglich nichts zu fürchten gibt.
Erwachen, leben, sterben, träumen
Die Überschrift ist alphabetisch geordnet. Die poetisch richtige Reihenfolge zeigt dieses Gedicht übers Sterben:
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Als ihr Leben endete ...
Als ihr Leben endete,
dachte sie noch: Schade,
es war ein schöner Traum.
Und sie erwachte.
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Sterben in der Natur
In diesem Gedicht geht es um eine Hummel, doch die Formulierung „kreist um sich selbst“ statt anderer möglicher Formulierungen deutet an, dass es um mehr geht als um das Sterben einer Hummel.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Im Kreis
Unter der Linde
auf dem Gehweg
kreist eine Hummel
um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst ...
Ich lege ihr
einen kleinen Stein
in den Weg.
Sie kreist
über den Stein hinweg
um sich selbst,
kreist
sich vom Stein entfernend
um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst …
Verstreut
um sie herum
liegen tote Hummeln.
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Ein Dichter stirbt
Einer der berühmtesten französischen Dichter erhält in diesem Gedicht eine Sterbebegleitung von einem Niederländer, dessen Gedicht ins Deutsche übersetzt wurde. Er ist trotzdem allein gestorben.
Jan Campert · 1902-1943
Verlaine stirbt
Ein Zimmer, ein Tisch, ein Bett,
bizarre Blumen aus Eis
fächern sich weiß am Fenster –
die Nacht ragt über Paris.
Ein alter Mann allein,
keine Hand seine findt;
nicht mal der gute Trost
von einem Glas Absinth.
Die Mauern sind öde
in diesem Elendsversteck,
wo ich, denkt Paul Verlaine,
allein wie ein Hund verreck.
Ein Zimmer, ein Tisch, ein Bett,
Blumenfächer aus Eis –
so krepierte Paul Verlaine,
rue Descartes, Paris.
Übertragen aus dem Niederländischen von Hans-Peter Kraus
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Kommentar von Hans-Peter Kraus zur Übertragung:
Im Original reimt Eis und Paris als „ijs“ und „Parijs“. Das fällt in der ersten Strophe nicht auf, weil noch gar nicht klar ist, ob das Gedicht Reime verwendet. In der Schlussstrophe ist es jedoch ein Missklang, den das Original nicht hat. Da ich fand, dass dieser Missklang eigentlich sehr gut zum Inhalt des Gedichts passt, habe ich ihn so stehen lassen und nicht versucht, mit Gewalt einen Schlussreim zu erzwingen.
Gedicht über eine tödliche Verabredung
Pünktlich zur Verabredung zu erscheinen, das ziemt sich auch im Sterbefall und ist auch gar nicht so schwer, wenn man in kriegerischen Metzeleien verwickelt ist.
Alan Seeger · 1888-1916
Ich habe ein Rendezvous mit dem Tod
Ich habe ein Rendezvous mit dem Tod
An einem schwer umkämpften Wall,
Wenn Frühling raschelt überall
Und Apfelblüten schwelgen im Duft.
Ich habe ein Rendezvous mit dem Tod,
wenn Frühling bringt das Blau in die Luft.
Mag sein, er nimmt mich bei der Hand
Und führt mich in sein dunkles Land
Und schließt meine Augen und Atmen wird Not.
Mag sein, dass ich ihn verpasse, nur
Ich habe ein Rendezvous mit dem Tod
Am vernarbten Hang einer Hügelflur,
Wenn Frühling kommt erneut dies Jahr
Und auf Wiesen erscheint der Blumen Schar.
Weiß Gott, es wär’ besser, ich läge tief
Gebettet in Seide, vor Düften matt,
Vom Lieben erschlagen und selig ich schlief
Mit Puls an Puls, ohne Sorg’, ohne Not,
Wo stilles Erwachen so wunderbar …
Nur hab’ ich ein Rendezvous mit dem Tod
Um Mitternacht in brennender Stadt,
Wenn Frühling nordwärts zieht dies Jahr,
Und ich, wie versprochen, stehe dazu,
werd’ nicht versäumen das Rendezvous.
Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus
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Wenn man?s weiß
Die moderne Medizin verlängert die Lebenserwartung, kann aber auch die Feststellung treffen, dass nichts mehr zu machen ist. Wie geht man damit um, wenn man’s weiß?
Jacqueline van der Waals · 1868-1922
Seit ich es weiß ...
Seit ich es weiß - ich weiß es schon, obgleich
Noch unter uns es ängstlich wird gemieden,
Das böse Wort zu nennen, das beim Sprechen
Leicht rau, auch etwas unrein klingt im Ton, -
Seit ich es weiß, wird mir der Überfluss,
Die Schönheit und die Süße aller Dinge,
Die allseits mich umduften und umringen,
Noch mal so lieblich und noch mal so süß,
Seit ich es weiß, scheint mir die ganze Luft
Durchzogen von den Schleiern linder Düfte,
Es ist als ob die Sinne und Vermögen
noch feiner, schärfer wurden als zuvor,
Seit ich es weiß, tret’ ich, wen ich treff’,
Den Fremden und den Freunden auf den Wegen,
Vertraulicher, gerührter gegenüber,
Und ich begrüße sie viel herzlicher,
Seit ich es weiß, ist mir der Herr so nah,
Und oft, im Ernst des irdisch Spiels verloren,
So ernst und tief wie nie in früh’ren Zeiten
spür ich sein Lächeln plötzlich über mir.
Übertragen aus dem Niederländischen von Hans-Peter Kraus
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Kommentar von Hans-Peter Kraus zur Übertragung:
Im Original hat das Gedicht einen umarmenden Reim in jeder Strophe. Hier habe ich jedoch nur das Metrum und die Kadenzen als strukturelle Merkmale übertragen, um näher am Originalinhalt bleiben zu können. Dies schien mir wichtiger als Reime zu verdeutschen, was in diesem Fall erhebliche inhaltliche Änderungen erfordert hätte.
Bewegungslos
Bewegungslosigkeit ist beim Sterben nicht unüblich, in diesem Gedicht jedoch hat sie einen Hintergedanken.
J. Philip van Goethem · 1885-1913
Meine Hände liegen
Meine Hände liegen so blass,
und sie haben Todesfarbe schon,
und mein Herz, mein Herz ist schwach,
und ich lausche: Vergeht sein Ton?
Meine Augen, sie sind weit
und bewegen darf ich mich nicht:
Scheine ich zum Sterben bereit,
glaub ich, schaut mir der Tod ins Gesicht.
Übertragen aus dem Niederländischen von Hans-Peter Kraus
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Romantisches Ende
Das ist der Vorteil am Dichterdasein: Man kann sich auch das Ende romantisieren, Regenbogen inklusive.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
dieser regenbogen ...
dieser regenbogen
dieser regenbogen an der wand
warum leuchtet ein regenbogen an der wand
wie kommt der regenbogen ins zimmer
und was ist das für eine treppe in der wand
sie führt nach oben
was ist da
ich gehe
ich gehe durch den regenbogen
ich gehe auf der treppe
nach oben
das haus hat kein dach
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Sterben und weiterleben
Dieses Gedicht übers Sterben ist unübersehbar zweiseitig, einerseits geht ein Leben zu Ende, andrerseits geht dieses Leben im Leben anderer weiter.
Michael Hokamp · geb. 1965
Gehirntumor
klopf klopf klopf ich bring den tod
tod im kopf verbreite not
klopf an stirn ich bin der tod
krebs frisst hirn blut blutet rot
hoffnung tot ein Teil von mir
angst lebt auf stirbt hier mit dir
krampf und schmerz ein Teil von dir
dein gutes herz lebt dann in mir
nicht verkrampft ist bald vorbei
ruhe sanft bist dreierlei
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Spekulationen übers Sterben
Hier malt sich der Dichter aus, wie es sein wird beim Sterben, das er sich – in entsprechende Bilder verpackt – als sanftes Hinübergleiten vorstellt.

Letzte Erinnerung
Dieses Gedicht übers Sterben enthält ein Liebesgedicht als letzte schöne Erinnerung ans Leben. Der Rest ist Ergebung ins Schicksal.
John Henry Mackay · 1864-1933
Der letzte Tag
Geh’ stiller, meines Herzens Schlag,
Und schließt euch, alle meine Wunden –
Denn heute ist mein letzter Tag,
Und dies sind seine letzten Stunden!
*
Verstumme, klägerischer Mund!
Beschwichtige dich, Rebell: Gedanke!
Ich schließe heute einen Bund,
Der setzt euch beiden eine Schranke.
Jawohl, Empörer, es ist aus!
Die Kraft, die euch erhielt, verdorrte –
Wie bald, und leer steht euer Haus!
Schon schloss sich seine morsche Pforte ...
*
Was willst du, Leben, noch von mir?
Nein, deine Macht hat sich verloren.
Ich sage lächelnd Abschied dir:
Mich hat dein Sieger auserkoren.
Schon steht er wartend. Und er reißt
Von meiner Lippe deinen Becher.
Dort klirrt er hin – in Trümmer gleißt
Sein Glanz nur dem bestohlenen Zecher.
Der lehnt die kalte Stirn zurück ...
Und in die ungeheuren Welten
Schaut er mit einem letztem Blick,
Dem alle Nächte sich erhellten! –
*
Mir wird kein letzter Wunsch gewährt;
Nichts lindert diese letzten Leiden ...
Roh ward der Becher ausgeleert –
Noch sterbend muss ich mich bescheiden.
Doch dürfte ich den letzten Tag
Mit einem letzten Wunsche füllen,
So möge mir sein hastiger Schlag
Noch einmal dieses Bild enthüllen:
*
Es war ein durstiger Sonnentag
Und Herbst schon ... Hoch im Rebgelände,
Von wo das Augen schauen mag
Weit in die Welt, weit – ohne Ende – –
Dort lagen wir, dicht, Brust an Brust ...
In Sehnsucht jahrelang geschieden
Und ihrer Kraft noch unbewusst
Fand unsere Liebe hier den Frieden.
Du schwiegst – ich schwieg ... dann sprach ich leis,
Und sprach von allem, was ich dachte ...
Herz wurde mir und Wange heiß ...
Es küsste mich dein Mund und lachte ...
Und langsam losch des Tages Schein –
Wir sahn des Stromes stilles Fließen ...
Ich starb in Glück – und du wardst mein,
Mein in berauschendem Genießen! – –
*
Geh’ stiller, meines Herzens Schlag!
Und schließt euch, alle meine Wunden –
Denn heute ist mein letzter Tag,
Und dies sind seine letzten Stunden!
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Jeder stirbt für sich allein
Da gab es mal, nein, gibt es immer noch einen Roman mit dem Titel „Jeder stirbt für sich allein“ über ein älteres Paar, das Widerstand in der Nazizeit leistet und erwischt wird. Dieses Gedicht scheint ebenfalls wie gemacht für den Romantitel. Den Roman schrieb Hans Fallada, dieses Gedicht der unbekannt gebliebene Dichter Rudolf Dietzen. Hans Fallada ist jedoch nur ein Pseudonym. Sein bürgerlicher Name war:
Rudolf Ditzen · 1893-1947
Letzte Stufe
Dies ist wohl schwer, doch nicht so ungemein:
Einsamkeit drückt,doch lässt sie sich ertragen.
Oft ist es tief – dies letzte Einsamsein,
Und voll von Rausch und bittersüßen Klagen.
Doch dies ist schwer und niemals voll zu sagen:
Du hältst in einem Netz dein ganzes Sein,
Da fängt es an mit Flossenbunt zu schlagen
Und gleitet glatt aus deiner Hände Schrein.
Nun bist du einsam, ach! bis zum Verzagen,
Ach! nicht nur einsam, nun bist du – allein,
Du stürmst dein Hirn mit vielen wilden Klagen,
Jedoch dein Hirn, dein Herz, ist nicht mehr dein! –
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Gedanken über den Tod
In diesem Gedicht ist der Tod als Endpunkt des Sterbens gemeint, obwohl auch der personifizierte Tod in den ersten Strophen anklingt.
Adam Kuckhoff · 1887-1943
Der Tod ist nicht schwer
Schwimme hinaus, Schwimmer,
hafte nicht an der Küste.
Das Wasser ist schon die andre.
Wer an der hängt, die er verließ,
ist kein Schwimmer, er hat nie geschwommen.
Dass ihn der Tod erwarte,
schreckt ihn nicht:
Auch der ist Küste.
Der Aufbruch gilt,
der ohne Rückkehr ist.
Ich fürchtete den Tod,
bevor ich ihn sah.
Aber dann sah ich den Sterbenden
und den Toten.
Es ist schwer zu sterben,
aber der Tod ist nicht schwer.
Möchte ich denken,
dass er nicht schwer ist,
wenn ich ihn sterben soll,
ob er mich von innen befällt,
ob er eine Kugel ist
in den Hinterkopf.
Der Vater starb,
er war alt, aber noch rüstig.
Ich fand ihn vollendet.
Ein Freund starb
in der Mitte des Lebens.
Er hatte geschaffen, was er vermochte.
Ich fand ihn vollendet.
Ein Flieger fiel herunter,
er hatte alles Glück erfahren,
aber das Unglück wartete sichtbar auf ihn.
Ich fand ihn vollendet.
So brich denn auf
und denke nicht, was dich erwartet.
Einmal ist es immer der Tod,
darum fürchte ihn nicht.
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Letzte Augenblicke
Im doppelten Sinn beschäftigt sich dieses Gedicht über das Sterben mit den letzten Augenblicken.
Otto Pick · 1887-1940
Sterben
Vier Wände und das Meiden eines Blickes,
Der wissend aus entrücktem Winkel fährt.
Beklommenheit verwirkten Augenblickes,
Der ewig währt, grausam und unverklärt.
Und hinter Vorhangfalten Wolkenjagen,
Sternschnuppenfall, Laternen, Straßenkot.
Zersplitternd Bild, im Stöhnen fortgetragen. –
Und wieder nichts als blinder Sturz von Tod.
Oh, dass jetzt alle Augenblicke auferstünden,
Wo Licht und tiefe Lust die Welt besaß!
Gott, gib ein leichtes Münden
In Seligkeiten ohne Maß ...
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Ans Sterben denken
Man mag eigentlich nicht dran denken: ans Sterben. Doch in diesem Gedicht wird der Gedanke daran bejaht, denn das Sterben schweißt uns zu einer hohen Gemeinschaft zusammen.

Einmal Leben und zurück
In diesem Gedicht löst ein alter Mann das Retourticket und fühlt sich gut dabei. Was kann man mehr verlangen vom Sterben?
Alfred Grünewald · 1884-1942
Vom Alten, der ins Gestern ging
Ein Greis ward einst von seltnem Wahn erfasst:
„Nie wieder soll es morgen sein. Ich trage
schon lang genug des Daseins Last.
Ich will ins gute Gestern meiner Tage.“
„Ins Gestern wollt ihr Freund? Wie stellt ihr’s an?“
So fragten sie. Da lächelte er leise:
„So manchen Gipfel mühvoll ich gewann.
Nun geht’s talab, und sanfter wird die Reise.“
„Wohl geht’s talab und in die Grube auch
zu schwerem Schlaf.“ Sie sagten es mit Flüstern.
„Schon längst berührte ihn des Todes Hauch,
und Schatten seine Sinne schon umdüstern.“
Die Tage kamen und verwichen. Stets
blieb ein verklärter Glanz im Blick des Toren.
Er sprach: „Ein Wind ist wach. Von gestern weht’s
mir Duft ins Herz. Es singt in meinen Ohren.
Besonnte Weiten seh ich und ein Haus,
umhegt von Pappeln, die Willkommen nicken.“ –
Sie flüsterten: „Bald löscht sein Kerzlein aus,
und lauter Dunkel ist vor seinen Blicken.
Und im verstopften Ohr wird Schweigen sein.
Zu Moder wird er selbst und seine Lieder.“
Er aber lächelte tagaus, tagein.
Und einmal sprach er froh: „Ich sah sie wieder.
Sie fragte mich, wo ich so lange blieb
und zeigte mir, wie schön die Sterne scheinen.
Gar süße Rede uns die Zeit vertrieb.
Wir lachten viel. Doch mussten wir auch weinen. –
Verheißend weht von gestern her der Wind.
Ich spür den kühlen Duft an Stirn und Wange.“ –
Ein andermal erzählte er: „Das Kind,
wir sahn es beide nicht, schon lange, lange.
Nun ist es wieder da. – Es stand im Gras
und pflückte gelbe Blumen. Falter kamen,
und einer still auf seinen Haaren saß
und flog nicht fort. Wir riefen seinen Namen.
Und unsre Stimmen klangen hell und weit,
als hätten Wald und Wiesen mitgeklungen.
Die Sonne selber sang vor Seligkeit.
Da lief’s herzu. Wie hielten wir’s umschlungen!
Ich geh talab und geh mit leichtem Schritt.
Von gestern weht ein Wind. Gesänge tönen.
Und freundliche Gestalten ziehen mit.
Gelind sind Tag und Nacht, die sich verschönen.“ –
So sprach der Alte, schritt ins sanfte Tal,
und viele, viele stiegen aus dem Grabe.
Bald hatte er Gefährten ohne Zahl
und ward beglückt mit langverlorner Habe.
Und mancher kam, den er dereinst gekränkt,
und war versöhnt. Es kamen Brüder, Schwestern.
Und was mit ihnen tief hinabgesenkt,
stieg wieder auf aus dem erlösten Gestern.
Und alle Liebe der erloschnen Zeit
war wieder heimgekehrt aus dunklen Landen.
Die Mutter im geblümten Feierkleid
und auch der Vater waren auferstanden.
Sie bleiben ihm zur Seite Tag und Nacht
und halfen freudig ihm den Weg vollbringen.
Er schritt hinab und dennoch stieg er sacht.
Und heimlich wuchsen seiner Seele Schwingen.
Und als der Lächelnde zu sterben kam,
da hatten alle ihn ans Ziel geleitet.
Und eine Abendröte wundersam
war feurig übern Himmel ausgebreitet.
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Expressionistisches Sterbegedicht
In der phantasievollen Bildersprache des Expressionismus’ wird hier über das Ende geschrieben. Der Dichter selbst starb wie so viele andere seiner Generation einen gewaltsamen Tod.
Hans Leybold · 1892-1914
Ende
Die Wellen meiner bunten Räusche sind verdampft.
Breit schlagen, schwer und müd
die Ströme meines Lebens über Bänke
von Sand.
Mir schmerzen die Gelenke.
In mein Gehirn
hat eine maßlos große Faust sich eingekrampft.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-5-48.php#936
Christliches Sterbegedicht
Ganz in der christlichen Tradition verhaftet ist dieses Gedicht übers Sterben, was man einerseits als Nachahmung andererseits als Zeitlosigkeit bezeichnen könnte.
Alfons Paquet · 1881-1944
Wohin ich jetzt gehe ...
Wohin ich jetzt gehe,
ist hell lichter Tag.
Den Weg, den ich gehe,
geht keiner mir nach.
Ihr Weinenden glaubet
ich steige ins Grab.
Ich leg mein bestaubet
Gewande nur ab.
Mein Gott, der ist stille
und lädt mich zur Ruh,
doch misst mir sein Wille
viel Freuden noch zu.
Ja, wenn mich im Dunkel
eu’r Auge verlor,
ich bin zum Gefunkel
der Himmel empor.
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Letzter Weg
Gedanken übers Sterben macht sich das Ich in diesem Gedicht, während es seines Weges geht, und verteilt Abschiedsgrüße im voraus.
Isolde Kurz · 1853-1944
Bald
Bald, bald
spurlos werd’ ich hingehn wie das Laub im Wald.
Nicht den schimmernden Morgen, nicht der Nächte Graun,
Blüten nicht noch Ernte werde ich fürder schaun.
Meine Tritte werden im Gras verwehn,
nicht zum zweiten werd’ ich dieses Weges gehn.
Und weil wir des Weges nicht wieder kommen,
sei ihre letzte goldene Frucht
der eilenden Stunde noch abgenommen
und das Leben geliebt um des Lebens Flucht.
Vögel des Himmels und Blumen am Rain,
ich grüß’ euch, Geschwister im Heutesein.
Und du Sonne, die morgen für andere lacht,
heut ist sie mein, deine goldene Pracht.
gib, du reiches Leben, deinen Überfluss,
holde Liebe, gib mir deinen letzten Kuss.
All eurer Freuden leuchtendes Erbe,
ich geb’ es weiter, bevor ich sterbe.
Bald, bald
werd’ ich hingehn wie das Laub im Wald.
Auf den Weg verstreuen will ich der Schätze Gold,
dass zu des Wandrers Füßen der Segen rollt.
Wo ich vorüberging, lasse ich Stück um Stück
denen, die nach mir kommen, blinkende Spur zurück,
dass, wenn sich meinem Tritte kein Halm mehr biegt,
noch von mir ein Leuchten am Wege liegt.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-5-48.php#2549
Letzte Gedanken
Noch einmal kurz nachdenken, bevor man in Frieden geht, das ist der Wunsch dieses Gedichts übers Sterben.
Richard von Schaukal · 1874-1942
An der Schwelle
An der Schwelle vor dem Dunkel denk:
War nicht alles, was dir ward, Geschenk?
Sonnenschein und Amselruf und Blau,
Kinder und die Liebe deiner Frau?
Hast du etwas dir verdient? Sag nein,
und geh arm und wahr zur Wahrheit ein.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-5-48.php#1563
Ein Gedicht auf Leben und Tod
Eine etwas engelhafte Vorstellung von Leben und Tod im Krankenzimmer verbreitet dieses Gedicht übers Sterben.



