Abschiedsgedichte 1
So ist das halt im Leben, irgendwann muss man sich verabschieden. Die Art, wie Dichter den Abschied in Gedichten verarbeitet haben, ist sehr unterschiedlich, so wie Trennungen im Guten oder Bösen erfolgen können. Mancher resigniert und mancher sammelt neue Kräfte, denn jedes Ende ist auch wieder ein Anfang. Diese Seite bietet Abschiedsgedichte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, die Klassiker, und darunter besonders die Romantiker, kommen auf Seite 2 zum Abschiedswort.
Kein Urlaubsabschied
Auch wenn der Titel den Eindruck erzeugt, hier ginge es um Urlaub, geht es doch um das Übliche: Einer hat’s verpatzt und verloren ist das gemeinsame Paradies.
Hans Retep · geb. 1956
Abschied von der Südsee
Du bist so schön wie eine Südsee-Insel,
mit dir zusammen lebt’ ich Urlaub pur.
Und doch war ich ein rechter Einfaltspinsel,
hielt fest an schaumig-süßen Träumen stur.
Du wolltest mehr: das große, harte Leben,
um Kinder sorgen, tapfer bleiben in der Not.
Du warst bereit, dich ganz und gar zu geben,
doch schreckte ich vor meiner Träume Tod.
Ich wollte nur die Sonne, keine Qualen,
ein schattenloses Sein beherrschte wohl mein Haupt.
Den kleinsten Preis, den mochte ich nicht zahlen
und habe selbst der Südsee mich beraubt.
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Vom Bleiben und Gehen
Wenn eine oder einer bleibt und einer oder eine geht, dann heißt es Abschiednehmen. Per Gedicht lässt sich dieser sprachlich etwas aufhübschen, weil „Tüss, nä?!“ ist irgendwie nicht so das Wahre.
Emanuel Mireau · geb. 1974
Ich gehe, du bleibst ...
Ich gehe, du bleibst; du bleibst, ich gehe.
Wir sollten etwas sagen.
Uns fällt bloß Totwort ein.
Wohin auch immer ich sehe,
nur finstre Fenster, kein Lichterschein.
War nicht der große Gedanke,
gemeinsam alles zu tragen?
Verstorben ist jene Idee;
um die gesenkte Schranke
liegt unbetretener Schnee.
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Bitteres Abschiedsgedicht
Oh, oh, mit einem „Todeskuss“ verabschiedet sich ein ehemals Liebender. Das muss so etwas wie Hass auf den letzten Blick sein.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Schluss mit Kuss
Ich denk zurück
an all die Jahre,
die unser Glück,
das vormals wahre,
lag auf der Bahre.
Nun wünsch ich dir –
gar keine Frage –
schon jetzt und hier
bequeme Lage
in deinem Sarge.
Die Welt, sie wär
ganz zweifelsohne,
wenn dich träf wer
mit ’ner Kanone,
der Schöpfung Krone.
Als Philosoph
kann ich gut warten
und halt nicht doof
bereit den Spaten
zu Grabestaten.
Ganz großer Sport
zum guten Schlusse:
Ich gehe fort
befreit vom Stusse
mit einem Kusse.
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Großer Abschied
Am großen Rad dreht das Ich in diesem Abschiedsgedicht, nur um dann die Luft aus dem Reifen zu lassen.
Hans Retep · geb. 1956
Abschiedsnotiz
Ich hab mich wieder fortgestohlen,
das ist halt meine Art;
was nützt es auch,
die Traurigkeit hervorzuholen,
sie bleibt uns nun erspart
und ich bin auf zu großer Fahrt,
beim Bäcker Brötchen holen,
doch gleich zurück
zu unserm Glück,
ich denk an dich
ganz zart.
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Die Stummheit der Worte zum Abschied
Man kann noch so viel sagen beim Abschied und bleibt doch stumm. Diese Erkenntnis trifft das lyrische Ich im folgenden Abschiedsgedicht sozusagen mitten ins Herz.

Nicht stumm
Das Gedicht Der Mensch ist stumm macht keinen besonders stummen Eindruck. Tatsächlich sind die stummen Anteile, die Form und Gestaltung des Gedichts, ziemlich redselig.
Das beginnt gleich in Strophe eins: Es scheint ein längerer Abschied bevorzustehen (angedeutet im dritten Vers), aber unklar bleibt, wer sich wo von wem verabschiedet. Die Form ist so nervös wie das lyrische Ich. Die Zahl der Hebungen schwankt mit dem Extrem des letzten Verses (nur zwei), wo auch der Kreuzreim scheitert. Der einzige Reim ist nur ein identischer (geben). Dazu kommt eine klangliche Wiederholung. In drei Versen haben die ersten beiden Hebungen jeweils den Vokal a und i.
In Strophe zwei wird klar, dass es um einen Abschied am Zug geht, aber sonst keine Besserung: Wieder uneinheitliche Hebungszahlen, die etwas stotternde Wiederholung in Vers eins, und von den sechs Hebungen in Vers zwei haben fünf den Vokal i/ü. Das ist nicht nur inhaltlich Verzweiflung. Immerhin wird nun ein Gestaltungselement klar. Der letzter Vers dient als Refrain (Kehrreim).
Strophe drei ist ein tragikomischer Höhepunkt. Die Verslängen schwanken deutlich. Die Wiederholung in Vers zwei wirkt überkandidelt und dann wird Gott um eine Zigarette angepumpt. Zum ersten Mal erscheint der Vokal o ausgerechnet im Wort Tod am Versende, doch ganz unscheinbar wird die Reimvokalstruktur der ersten Strophe aufgenommen, jeweils ein e in gehobener und gesenkter Silbe (das ä von hätte dient lautlich als e).
In der letzten Strophe ist der Abschied vollbracht, doch die Verslängen wirken immer noch zerrissen. Hier werden Reimvokale aus der zweiten Strophe aufgenommen (ei – e). Auch dass sich jetzt der letzte Vers reimt (um – stumm), es in Vers drei sogar einen Binnenreim gibt (Weinen – meinen), kann nicht darüber hinwegtäuschen: Der Mensch ist stumm.
Ein Abschiedsgedicht von Tucholsky
Hier ein Gedicht über eine einvernehmliche Trennung, soll’s auch geben. Tucholsky sieht in seinem Abschiedsgedicht weiter hinaus.

Ein Abschiedsgedicht von Ringelnatz
Ringelnatz zelebriert in seinem Gedicht einen einvernehmlichen Abschied, denn er weiß, es ist besser so.

Gedicht über einen inneren Abschied
Wenn der eine innerlich sich schon abgelöst hat, während die andere davon nichts weiß, und die Akteure gefangen sind in der verfahrenen Situation, das ist das Thema dieses Abschiedsgedichts.

Ein Abschiedsgedicht von Rilke
Rilke versucht wie immer mit seiner ganz eigenen bildlichen Sprache dem Ding, das Abschied heißt, in einem Gedicht auf den Grund zu gehen.

Abschied eines Dichters
Wenn einem Dichter die Worte fehlen, dann muss es wahre Liebe gewesen sein. Darauf plädiert der Dichter in diesem Abschiedsgedicht.
Adam Kuckhoff · 1887-1943
Gedicht für Greta
Andern hab ich manchen Vers geschrieben,
dir nur hier und da ein kleines Wort.
Zeugt das nicht von kleinrer Kraft im Lieben?
Geh ich nicht als Schuldner von dir fort?
O Geliebte, ungemessen
war die Liebe, die uns zwei verband.
Über ihr hab ich das Wort vergessen,
weil jeder Tag uns in ihr fand.
Denkst du an das Blut in deinen Lungen?
Sprichst du von der Luft, die dich umgibt?
Nein, ich hab dich nicht besungen,
nur geliebt.
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Kommentar:
Das Gedicht Adam Kuckhoffs an seine Frau ist auf den 04.02.1943 datiert. Es entstand im Gefängnis. Noch im gleichen Monat wurde er wegen seiner Mitarbeit in der von den Nazis so genannten Roten Kapelle zum Tode verurteilt und ein halbes Jahr später hingerichtet.
Gedicht vom Weggehen
Arno Holz verabschiedet hier jemanden in Dreizeilern, bei denen sich die letzte Zeile nicht reimt – es gibt kein Zurück.



