Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Gedichte von Liebe und Tod 1

Die Liebe und der Tod sind zweifellos die gewaltigsten Themen der Lyrik. Doch was passiert, wenn sie in einem Gedicht zusammenprallen? Es zeigt sich, dass der Tod eine dämpfende Wirkung hat. Es kommt zwar zu ausschweifenden Phantasien, aber letztlich werden diese immer von der Realität des Todes eingeholt.

 
 

Liebe, Hass und Tod

Eine unerfreuliche Melange wird in diesem Gedicht offeriert. Erst kann sich das Ich nicht zwischen Liebe und Hass entscheiden, doch dann klammert es sich an den Gedanken, dass alles gut wird – unterm Grabstein.

Willem Kloos · 1859-1938

Oh, dass ich hassen muss und nicht vergessen ...

Oh, dass ich hassen muss und nicht vergessen!
Oh, dass ich lieben muss und nicht vergehn!
Ach, Hass und Liebe, die sich beide messen,
Ringend in meinem Herzen stur bestehn.

Betrübt begehrend habe ich gesessen,
um wieder drohend, schreiend aufzustehn.
Nie konnte ich den bittren Bissen essen,
Mal still zu sein und dann weit weg zu gehn.

Bloß eine Hoffnung, ein einzig süßes Meinen,
Ein Wissen, doch kann ich es nicht glauben …

Ach, dass dies Ruhen unter grünen Steinen
ein ewig Ruhen ist, nur ein Verstauben,

Und dass die Toten nicht im Dunkeln weinen,
weil jene oben die Liebste ihnen rauben.

Übertragen aus dem Niederländischen von Hans-Peter Kraus

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Letzter Wunsch

Eines will das lyrische Ich in diesem Gedicht von Liebe und Tod noch mitnehmen, wenn es seine letzte Reise antritt.

Albert Sergel · 1876-1946

Wunsch

Wenn des Todes dunkle Schatten nahn,
eh mein Herz den letzten Schlag getan,

tritt heran, dass mir dein holdes Bild
noch einmal der Seele Tiefen füllt,

dass ich auf den unbekannten Wegen
nicht so einsam geh dem Licht entgegen.

 
 

Gedicht über eine stille Trauer

Liebe weiß, wann sie schweigen muss. Gerade bei so durchchoreographierten Akten wie einer Beerdigung wären wahre Gefühle fehl am Platz.

Maximilian Bern · 1849-1923

Dein Begräbnis

Nicht durft’ ich weinen, als man dich begraben,
du warst ja glücklos eines Andern Weib,
und viele Fremde deinen Sarg umgaben,
worin so fahl in Blumen lag dein Leib!

Sie zählten kühl die Fackeln und die Kerzen,
die Tränen, die um dich geflossen sind,
und beugten vornehm sich herab, zu scherzen
mit deinem blassen, frühverwaisten Kind.

Die arme Kleine drückte trennungsbange
ans schwarze Bahrtuch ihr gelocktes Haupt;
sie lauschte neugierig dem Leichensange
und ahnte kaum, was ihr der Tod geraubt.

Ich musste ferne stehn und ruhig scheinen,
als letzter hinter deinem Sarge gehn;
kein Heuchler durfte beim verlog’nen Weinen
in meinen Augen echte Tränen sehn.

Dein Angedenken hätten sie gesteinigt,
verlästert dich bei deinem eignen Kind,
wär’ meine Seele – ob auch schmerzgepeinigt –
nicht hart erschienen, wie es Fremde sind.

Und doch war unser Lieben und Entsagen
so keusch und rein wie jene Sternennacht,
die auf dem Kirchhof ich in stummem Klagen
an deinem frischen, nackten Grab durchwacht.

 
 

Hell und dunkel

Das ist verrückt: Man weiß, dass jemand tot ist, aber dennoch ... könnte es nicht sein? ... Vielleicht war alles nur ... Und dann wird es wieder hell und in aller Klarheit weiß man wieder: Die Liebe stirbt nicht, aber die Liebste ist tot.

Dörmann: Toni

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Das Alleinsein danach 1

Auf dem Land, wo man nicht Haus an Haus wohnt, macht sich das Alleinsein nach dem Tod der Gefährtin noch stärker bemerkbar. Bitter vor allem, wenn die Natur, als wäre nichts gewesen, eine reiche Ernte beschert.

Guido Zernatto · 1903-1943

Totenklage (1)

Wie ich auch durch alle Stuben geh,
Wie ich auch durch alle Fenster seh,
Alle Dinge sind mir wohlbekannt,
Alles ward geordnet noch von deiner Hand;
Aber du bist nicht mehr da.

In den Ställen ist in diesem Jahr das Vieh
Gut bestellt, und Segen ruht darauf wie nie,
Vom Getreid sind Tenn und Speicher schwer,
Niemals gaben unsre Felder mehr;
Aber du bist nicht mehr da.

Liebes Kind, das ist ein gutes Jahr,
Gut, wie lange schon kein andres war;
Unsre Wirtschaft ist von Sorgen frei,
Wieviel leichter hätten es wir zwei;
Aber du bist nicht mehr da.

 
 

Das Alleinsein danach 2

Dieses Gedicht ist unverkennbar eine Steigerung des vorigen, was vor allem am Schlussvers liegt.

Guido Zernatto · 1903-1943

Totenklage (2)

Jetzt lieg ich viele Nächte munter
Und lass die Augen durch das Dunkel gehn.
Durchs Fenster sehen sie den Mond wie früher,
In seinem Licht den Wald wie früher.
Alles: Nur dich, dich können sie jetzt nicht mehr sehn.

Ein jeder Laut ist deutlich meinen Ohren:
Die Dielen knarren, und die Uhr tickt zu mir her,
Der Hund bellt manchmal, und die Brunnen rauschen.
Ich heb mich auf. Doch ich mag lauschen,
Wie ich auch will: Dein Wort vernehme ich nicht mehr.

Und meine Stimme ist nicht mehr wie eh’mals,
So müde ist sie, Und sie reicht auch nicht mehr weit.
Das ist, weil alle Nächte, die ich so verbringe,
Weil alle Stunden, die ich um dich ringe,
Meine Stimme sinnlos deinen Namen schreit.

 
 

Begrabene Liebe

Ein weiteres Gedicht über eine heimliche Liebe, die der Tod spurlos beendet hat.

Christian Schmitt · 1865-1928

Vor langen Jahren

Wir hatten uns lieb und trugen
im Herzen selige Pein,
träumend, dass einst in Ehren
wir unser würden sein.

So haben das Geheimnis
verschwiegen wir gehegt,
bis schmerzgebeugt die Deinen
dich in den Sarg gelegt.

Noch heut weiß keiner, keiner
von deiner Sehnsucht Ziel
und was an Glück und Hoffen
mit dir in Staub zerfiel.

 
 

Rückblick im Garten

Ein Garten als Ort der Liebe und nun des Erinnerns steht im Mittelpunkt dieses Gedichts über Liebe und Tod.

Emanuel von Bodman · 1874-1946

Der Garten

Das rote Weinlaub hängt von Sonne voll,
Ich trete ohne Schmerz in deinen Garten,
Nach langer Zeit. Auf dieser Holzbank schwoll
Einst unser junges Sehnen, und wir starrten
In manche blaue Nacht. Nun bist du tot
Drei bunte Jahre. Die Kastanien fallen.
Nun ist mir, fühle ich ihr braunes Rot,
Es müssten deine leichten Tritte hallen.
Noch fließt der alte Tropfsteinquell so klar,
Und mächtig drückt mich eine süße Schwere,
Als ob der irre Duft von deinem Haar
Noch irgendwo in diesen Büschen wäre.

 
 

Liebe, Tod und Brücke

Bei den alten Griechen gab es die Vorstellung, dass man in einem Boot einen Fluss überqueren muss, um ins Reich der Toten zu gelangen. In diesem Gedicht baut die Liebe jedoch eine Brücke.

Wolfgang Rinn · geb. 1936

Doch Liebe ist ein Brückenglied

Wenn Schmerz und Trauer
sich in stille Wehmut wandeln,
versteh´ ich mehr und mehr,
was Abschiednehmen heißt,
nicht so wie einer sagt
Aufwiedersehn, vielmehr
das Weggehn in ein andres Land.

Ich schaue nach,
streck´ meine Hände aus
mit hilflos irdischer Gebärde,
indem was weggenommen
den Weg geht ohne mich.

Die Trennung ist vollzogen,
doch Liebe bleibt ein Brückenglied,
gewachsen in der Zeit,
die vordem ist gewesen,
und so die Möglichkeit
sich freudig zu begegnen,
wenn auch ganz anders als
mit Wunschgedanken,
die insgeheim wir in uns tragen.

Es ist dann
wie Stehn an einer Grenze,
die nachzufolgen lockt.

Doch bleib´ ich noch zurück,
und Sehnsucht ist mein Teil:
ein stilles Warten bis zum Übergang.

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Fast ein Wiedersehen

Einer schaut hoch, eine schaut runter, aber was die eine glaubt, ist nicht was der andere sieht. Zu kompliziert? Das Gedicht hilft:

Maximilian Bern · 1849-1923

In memoriam

Enttäuscht zurückgekehrt nach vielen Jahren
zur Stadt, aus der nach deinem frühen Tod
ich ziellos in die weite Welt gefahren,
als mir die Heimat ohne dich nichts bot,
stand ich verträumt vor deinem Sterbehause. –

Aus offenem Fenster blickte ins Gebrause
der lauten Straße eine junge Frau.
An Wuchs und Liebreiz glich sie dir genau!

Da ich das Auge nicht vom Erker wandte,
aus alten Tagen innig mir vertraut,
errötete die holde Unbekannte,
als hätte ich zu ihr emporgeschaut –
zu ihr, die sich im Lebensglücke sonnte
und voller Selbstgefühl nicht ahnen konnte,
dass nicht der daseinsfrohen Huldgestalt,
nein, totem Schattenbild mein Aufblick galt.

 
 

Wilhelm Busch über Liebe und Tod

Wer bei diesem Busch-Gedicht auf eine Pointe wartet, wird enttäuscht. Nein, Wilhelm Busch hat hier ein Gedicht über Liebe und Tod geschrieben, das möglicherweise einen persönlichen Hintergrund hatte.

Busch: O du, die mir die Liebste war ...

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Tod vs. Liebe

In diesem Gedicht treten der Tod und die Liebe persönlich auf und gegeneinander an. Der Kampf ist kurz, wortlos und hat einen klaren Sieger.

Börries Freiherr von Münchhausen · 1874-1945

Der Tod und die Liebe

Der Tod ging hin durchs blühende Land
Und schlich und suchte, suchte und fand, –
Die Nacht lag über den Gärten,
Dornen den Weg ihm sperrten.

Vom Tau war seine Sense nass,
Wohin er trat, fiel Tau vom Gras.
Es träumte der Himmel noch immer
Von der Sonne in mattem Schimmer.

Und als der Tod am Tore stand
Und dreimal klopfte mit dürrer Hand,
Da trat ihm die Liebe entgegen
Mit ihrem unendlichen Segen.

Und er wich fort von Haus und Tor,
Schlich weiter den Weg wie eben zuvor,
Es glitt sein Gewand durch die Straßen,
Die Brunnen das Rauschen vergaßen.

 
 

Ein letztes Lied der Liebe

Interessant an diesem Liebesgedicht im Angesicht des Todes ist, dass sich das lyrische Ich nicht auf ein Wiedersehen mit dem Geliebten im Jenseits vertröstet, wie es eigentlich im 19. Jahrhundert üblich war, sondern ganz dem Irdischen verhaftet bleibt.

Lingg: Lied

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Die Mathematik von Liebe und Tod

In der Mathematik nach Binding sind eins und eins eins, d.h. stirbt eins, fehlt keins, die Summe bleibt eins. Aber der Dichter kann das viel besser erklären:

Binding: Gleichung

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Kommentar:
Dies ist eins der wenigen Gedichte, in dem das Metrum komplett regelmäßig ist, aber nicht gleich. Binding nutzt zuerst einen Jambus (abwechselnd Senkung und Hebung), doch ab Strophe drei beginnt jede Zeile mit einer Hebung, die sich über eine Akzentverschiebung ergibt. Bei den ersten beiden Silben wird das Hebungsschema umgedreht. Schaut man auf die inhaltliche Struktur, passt dies zur Frage- und Antwortfolge.

 
 

Herausforderung an den Tod

Noch voller Leben ist dieses Liebespaar und fordert frechweg den Tod heraus, es als eines zu nehmen.

Hans Böhm · 1876-1946

Nachtstück

Aus Träumen erwachen
Wunderlich wirren
Und plötzlich zur Seite
Der Liebsten sein –
Welch frohes Erschrecken!
Auch sie blickt herüber:
Wo warst du so lange!
Und nun bist du mein!

Und seid ihr’s noch immer
Liebglänzende Augen
Ihr zärtlichen Arme
Atmender Mund?
So stumm ist die Erde
Als wär sie gestorben.
Du lebst mir alleine
Lieblicher Fund.

Und still von einem
Willen durchdrungen –
Süßes Erglühen
Süßestes Ruhn.
O Tod suchst du Eines,
Als Eins nimm uns Beide!
Ein Leib ein Atem
Entschlummern wir nun.

 
 

Liebe und Tod sind unvergänglich

Der Tod mag auf alle Ewigkeit die Sense schwingen, die Liebe wächst trotzdem immer wieder und für alle Zeiten nach, wenn man dem folgenden Gedicht glauben darf.

Dehmel: Verewigung

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In Erinnerung schwelgen

Ganz und gar rückwärtsgewandt ist dieses Gedicht über Liebe und Tod. Warum das so ist, erklären die ersten Verse.

Jakob Haringer · 1898-1948

Undine

Liebe sieht immer noch das Falsche echt,
Und betet ewig an, was einmal echt –
Und sieht das Blut rot, das seit Jahren tot,
Und fühlt die Hand noch und das letzte Wort;
Und ist wie Wind, der immer weht und spielt ...
Singt alle Treue aus den Sagen-Büchern –
Liebe bringt stets auch ihre Narren mit;
Wie jene blauen Falter, die dich einst
Für eine Blume hielten und dir hold
In Scharen folgten, weil du zaubervoll
Und lieblich nur wie eine schöne Blume –
Und du nur hast mich erst zur Welt gebracht! –
An deinem Fenster stehn noch meine Rosen.
Ach früher, damals war die Welt mein Zimmer,
Und nun ist deine Kammer mir die Welt –
Des Herzens Ätna glost in Silber-Nebeln,
Das Schiff schäumt schön den heitern Fluss hinab ...
Und alles Namen wie zur Kinderzeit;
Die Seele einer Birke deine Seele,
Dein schönes Herz ihr grünes leichtes Herz,
Ihr holdes Rauschen, Tändeln, ach dein Leben;
Dein Antlitz, so, als sei die Sonne drauf
Mit einem Veilchenstrauß hold eingeschlafen;
Und alles Leid, wie einer, der versunken
Und tief im Schatten alter Linden sitzt,
Auf deren Blätter lauter Sonne liegt;
So wie ein alter Spiegel, der einst süß
Dein Lächeln, glücklich, hell mir widerspiegelt ...

 
 

Schwesterliche Liebe und der Tod

Eine Liebe bis dass der Tod sie scheidet, wird in diesem Gedicht von Schwester zu Schwester beschworen.

Lilli Haller · 1874-1935

Dir – Meiner Schwester

Ich bin gewohnt, auf dich zu schauen
Mein ganzes Leben lang.
Ich bin gewohnt, auf dich zu bauen
Mein ganzes Leben lang.
Ich bin gewohnt, an meiner Seite
Zu hören deinen Schritt,
Und wo ich ging, in Licht und Schatten tauchend,
Da gingst du mit.

Nun legt sich auf den blonden, auf den dunklen Scheitel
Des Lebens allerletzter Sinn.
Ich weiß es heute tiefer, wer du bist,
Und du weißt tiefer, wer ich bin.

Des Herbstes milder, goldumflorter Schimmer
Spinnt sich hinab in unsrer Seele Grund,
Und neue, große uns vertraute Zeichen
Weist uns des Lebens heiligernster Mund.
So wisse denn, bevor der Tag sich neiget
Und abendlich mein Herz und meine Lippe schweiget,
Eh niedersinkt die Hand zur letzten Ruh:
Mein schönstes Selbst, mein tiefstes Menschenlieben
Warst immer du!

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