Gedichte über den Tod 1
Der Tod hat viele Namen. Bei den Grimms hieß er Gevatter Tod, im Norden Freund Hain, im Süden Boandlkramer, auch als Sensenmann oder Schnitter ist er bekannt. Wie sich Dichter den personifizierten Tod vorstellen, soll hier das Thema der Gedichte sein.
Mensch und Tod
Mensch möchte Tod nicht begegnen, doch der Grund sind nicht gewisse Lebensunannehmlichkeiten, sondern das, was beiden gemeinsam ist.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Mensch!
Der Klapperknochentod
zieht durch die Straßen.
Verbergt euch,
versteckt euch,
verkriecht euch
im tiefsten Loch.
Reden hilft nichts,
Argumente sind nutzlos,
Beschwörungen verhallen ungehört.
Der Klapperknochentod
kann nicht anders.
Er muss
töten.
Da ist er ganz Mensch.
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Macht und Tod
Ein Gedicht, das anerkennt, wer auf diesem Planeten und darüber hinaus letztendlich das Sagen hat.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Die Macht
Du kannst in die tiefste Höhle klettern,
der Tod
ist ein Lavastrom.
Du kannst den Weltrekord über 100 Meter brechen,
der Tod
ist ein Gepard.
Du kannst ins unermessliche Weltall fliehen,
der Tod
ist ein schwarzes Loch.
Es hilft kein Beten
zu Gott oder Teufel,
kein Jammern, kein Klagen,
der Tod hat die Macht,
wird Aufschub versagen.
Du kannst nur mit ihm leben,
und wenn es so weit ist,
dich ergeben.
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Der Tod ganz nah
Wo sitzt der Tod? Die Antwort hätte man sich denken können, aber zur Beruhigung trägt sie keineswegs bei.
Martine Betz · geb. 1997
Wenn er im Nacken sitzt, dann ist auf einmal alles anders...
Wenn er im Nacken sitzt, dann ist auf einmal alles anders.
Gerade noch das Haar gerichtet, in den Spiegel geschaut.
Und nun?
Das Bild hat sich verändert, oder doch nur der Blick?
Ist auch egal, sehe nicht mehr nur fahle Haut und Augenringe,
nein, ich sehe verräterische Äderchen, die sich höhnend winden,
auch egal, wenn ich es jetzt verliere, alles egal.
Die Hände krallen sich in kaltes Porzellan,
den letzten Funken Kraft bewahren, vielleicht kann man doch noch vergessen,
aber man weiß es doch zu gut,
so läuft es nicht.
Er ist nun mal da, mit mir in einem Raum,
egal wo ich bin,
er hat alles verändert.
Brennende Bitterkeit im Hals, will sie ersticken,
während die Galle hochkommt mischt sie sich mit humorlosem Lachen,
nun auch egal, nicht wahr?
Kann mich so viel, so wenig, ersticken, vergiften, drangsalieren, wie ich will,
ist jetzt auch egal,
denn er ist da.
Das ist es, was mir aus dem Spiegel entgegen blickt,
sehe nicht mehr nur mich, mich und meine Träume,
nein, jetzt sitzt er auf meiner Schulter,
sein kalter Atem kitzelt meinen Nacken
und leider weiß ich wohl,
er wird nicht mehr weggehen,
nicht ohne mich.
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Besuch!
Hier berichtet einer vom regelmäßigen Besuch einer Gestalt mit Fackel, scheint mir ein altgriechisches Phänomen zu sein – bis auf die Augen.
Hugo Kersten · 1892-1919
Deine Augen
So kommst du zu mir schon seit frühsten Zeiten:
So marmorstreng in meinen wilden Nächten!
Und eine Fackel loht in deiner Rechten,
Die leuchtet hart in meine Einsamkeiten.
Du stehst ganz nackt, von keuschem Glanz umflutet,
Der Schein der Fackel glüht bis an die Sterne.
Und deine Augen weisen in der Ferne
Das Ziel, dem hoch mein Herz entgegenblutet.
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Kleine Ansprache an den Tod
Nett soll er daherkommen, der Tod, und warum auch nicht? Für den Mächtigsten der Welt sollte dieser Wunsch eine Kleinigkeit sein.
Elli Otto · 1914-1952
Die Kranke
Nur dass du leise kommst,
du bleicher Freund,
erbitt’ ich, wenn es Zeit ist,
o nur dieses.
Und dass du schmerzlos
deine Flügel auftust,
und deiner Hände Zugriff
zart bleibt wie bei Faltern.
Hilf mir zu träumen dann
still von der Sonne,
und wie sie über Meere sprüht
und bunte Wiesen,
bis alle Furcht verklingt,
die manchmal Kinder
ganz bänglich spüren,
wenn sie nachts allein sind.
Ach alle Sterne werden
Glocken sein
und tönen, tönen
und Gesichter haben.
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Der Tod zu Besuch
Wie es sich gehört, wenn Besuch kommt, bleibt man nett und höflich, sorgt ein bisschen für Unterhaltung und wartet – bis man gehen muss.
Oskar Loerke · 1884-1941
Bei Betrachtung von Holbeins Totentanz
Du könntest nächtlich kommen, dich scheue ich nicht.
Klappertest du mit deinen Knochenfüßen
Die vier Stiegen zu mir herauf,
Die Faust am Blendlaternenknauf,
Ich wollte dich vor meiner Schwelle grüßen.
Meine Türen sollten offen stehen,
Deine Sense stellt’ ich an die Wand der Bücher,
An meinen Fenstern die losen Tücher
Sollten dein Blutlichtlein schaukeln, gespenstisch ihm wehen.
Und keine Lampe, nur deine Laterne soll blitzen.
So wollt’ ich wie immer mein Spätmahl essen,
Nur wie nach schwerem Abschied irgendwessen,
Und du solltest nahe gegenübersitzen.
Dann öffnet’ ich vielleicht das Klavier
Und spielte, und eiserne Saiten würden sagen
Deine Antwort auf meine Fragen,
Denn wortweis’ spricht man nicht mit dir.
Drauf würd’ ich im knirschenden Weidensessel lehnen,
Den ich lautlos an die Wand gerückt.
Du hast einen Arm in die Bücher gedrückt.
Wir sehn uns an. Nun blutet mein Sehnen.
Nichts sprichst du, doch hör’ ich dich und hör’ dich gerne,
Ich hör’ dich meine süßesten Gedichte sagen,
Meine heiligsten Gedanken noch einmal wagen,
Und Geisterrhythmen klopfst du auf die Laterne.
Dich liebe ich von alters her,
Bist in die Sesamberge mein Mitwanderer,
Doch künde mir den Tod! - Das ist ein Anderer,
Du füllst und schaffst, doch Einer macht die Erde leer.
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Der Tod als Steuermann
An die griechische Mythologie erinnert dieses Gedicht über den Tod, wobei dort die Rollen getrennt waren: Thanatos beendet ein Leben, der Fährmann Charon sorgte für die Überfahrt zum Hades.
Hans Benzmann · 1869-1926
Stille Fahrt
Ich stand an einem dunklen Meer.
Da kam vom grünen Eiland her
ein stiller Kahn geschwommen.
Mir ward so leicht, mir ward so schwer,
mein Herz ward aller Unrast leer,
der Schmerz ward mir genommen.
Still stieß das Schifflein an den Strand;
sein Lenker winkte mit der Hand,
er lachte wie im Traume
und lud mich ein zum andern Land,
das in der Ferne unbekannt
grün glänzte aus dem Schaume.
Und ich stieg ein. Der stille Mann
zog stumm die schwarzen Ruder an,
wir schwammen aus dem Hafen.
Er sang sein seltsam Liedchen dann
und nickte müde dann und wann,
und ich bin eingeschlafen ...
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Der mächtige Tod und das Ende
Die Stimme des Gedichts ist hingerissen zwischen dem Bild vom allmächtigen Tod und einem, der nur tut, was er tun muss. Der Schluss ist jedoch eindeutig und basiert auf der biblischen Offenbarung des Johannes (21, 4).
Richard von Schaukal · 1874-1942
An den Tod
Du, von dem wir wissen,
wie die Welt dich nennt,
den doch keiner kennt,
ob er hingerissen
dir im Arme ruht;
ob du nur genommen,
was von selbst gekommen,
müd und ohne Mut;
mächtigster Verwalter
höchster Herrlichkeit,
Fürst der Fürstenheit,
tiefster Ton am Psalter;
der du wie ein Blinder
stumm im Finstern schleichst,
deine Beute reichst,
Allesüberwinder;
Er, der dir gebot
am Beginn der Zeiten,
wird auch dich bestreiten,
du wirst sterben, Tod!
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Ein Gedicht über den Tod von Rilke
Ein sehr eigenartiges Bild konstruiert Rilke in seinem Gedicht vom Tod.

Gedicht über den sanften Tod
Bei diesem Bild vom Tod nimmt der Dichter Anleihen bei den alten Griechen, die den Tod als Jüngling darstellten.
Rolf Wolfgang Martens · 1868-1928
Kein Gerippe ...
Kein Gerippe!
Der schöne, blasse Jüngling mit den tiefen Augen
küsst mich.
„Komm!“
Sein weicher, weiter Mantel umfängt mich.
Über Gebirge mit spitzigen Schroffen,
über Abgründe mit Ungeheuern,
sanft, sanft – hinüber!
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Kommentar:
Im Original wurde das Gedicht entsprechend der von Arno Holz eingeführten Gestaltung zentriert dargestellt.
Der Tod aus Stein
Wer den Tod ganz ungefährdet aus der Nähe sehen möchten, für den hat dieses Gedicht einen Reisetipp: Mailand.
Guido Zernatto · 1903-1943
Der Tod von Mailand
Am Dom zu Mailand steht der Tod
In diesem heiteren Gestein,
Das so verspielt ist: Er allein
Ganz groß und ernst. Ein Stein – der Tod.
Es schwirrt und klingt zu ihm hinauf
Geschwurbel aus der Galerie
Und Rufe. – Eine Melodie
Das ganze Jahr, und hört nicht auf.
Und dröhnt und schwärmt. Das ist die Stadt!
Die nützt den Tag und gibt nicht Ruh,
Ist Leben – Lärmen – immerzu
Und schläft nicht ein – und wird nicht matt.
Vom Dom zu Mailand wirft der Tod
Das Echo über das Gestein
Auf die Piazza. „Ihr seid mein!“
Vom Dom zu Mailand schreit der Tod.
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Der Tod betritt das Zimmer
Hier malt sich ein lyrisches Ich aus, wie das sein wird, wenn der Tod ins Zimmer tritt und der Übergang ins Jenseitige erfolgt
Max Herrmann-Neiße · 1886-1941
Das Sterben
Schritt, der im Hofe hallt,
ängstet wie Henkersschritt.
Drohend die stumme Gestalt
nachts in mein Zimmer tritt.
Tastet wie spottend am Spind,
eh sie das Haar mir berührt,
dass mich ein eisiger Wind
fester ans Lager schnürt.
Einmal durchs Blut noch hallt
jäh meiner Straße Ton -
dann geschieht mir Gewalt
über den Sternen schon.
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Der kalte Tod
Der Tod ist ein Meister der Kälte, was nicht immer unwillkommen ist, wie dieses Gedicht über den Tod zeigt, selbst wenn jemand noch nichts vom Klimawandel gehört hat.
Clara Forrer · 1868-1950
Um Mitternacht
Mir ist, als hört’ ich einen leisen Schritt.
Bist du es, Tod, der an mein Lager tritt?
Ich fühl’s, du legst auf meine heiße Stirn
Die Hand so kalt wie Eis vom Gletscherfirn.
Dein Atem kühlt mir der Gedanken Glut.
Wie wohl wird mir – o Tod, wie bist du gut!
Gedämpfter schlägt der Pulse hastend Pochen.
Als ein Befreier bist du mir gesandt.
Ein Griff von dir – die Fessel liegt zerbrochen,
Die meinen Geist an diese Erde bannt;
Den Geist, der hier nicht Heimat hat noch Ruh,
Du Fürst des Friedens, ihn befreie du!
Mir ist, als hört’ ich einen leisen Schritt,
Als wende sich ein Fuß der Heimat zu.
Halt ein, o Tod! Nimm meine Seele mit!
Vom eignen Ruf erschreckt, bin ich erwacht.
Und fern ertönt der Schlag der Mitternacht.
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Der Begleiter
Wenn man sich selbst entfremdet ist, gibt’s da immer noch jemanden wie in diesem Gedicht, der einen treu begleitet. Wer? Nun, das Thema dieser Seite macht die Lösung nicht schwer.
Oskar Wöhrle · 1890-1946
Bildnis
Ich schreite und stehe doch still.
Ich leide und treib doch ein Spiel.
Ich weite und bin doch Zwang.
Ich läute und doch kommt kein Klang.
Ich passe und doch ist’s nicht Ruh.
Ich hasse und sage doch du!
Ich fasse die eigene Hand,
Als hätt’ ich nie Fremdres gekannt.
So schein’ ich ein ewiger Kreis,
Umschrein’ ich und gebe doch preis.
So schein’ ich ein rätselig Land,
Beforscht und doch gar nicht erkannt.
Trotzdem bin ich niemals allein.
Es wandert noch einer im Reih’n.
Ich hör seinen schlurfenden Schritt,
Er keucht mit dem meinigen mit.
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Der sanfte Tod
Dieses Gedicht ist ein zeitlich fernes Echo von Matthias Claudius? Der Tod und das Mädchen. Hier wie dort zeigt sich der Tod von seiner sanften, einfühlsamen Seite.



