Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Gedichte jenseits des Lebens 2

Die Erwartungen, was „danach“ kommt, waren früher doch wesentlich höher als heutzutage. Ob sich das auch in den Gedichten jenseits des Lebens aus dem 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts widerspiegeln wird? Dichter haben ja doch immer ihren eigenen Kopf, von daher ist Überraschendes auf dieser Seite nicht auszuschließen.

 
 

Nahtoderfahrung

Ganz nah dran an den Tod geht Theodor Storm in diesem langen, langen Gedicht.

Storm: Im Zeichen des Todes

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Ein Gedicht über die Toten

Hier haben die Toten das Wort. Das Gedicht verpackt sehr stilvoll eine eigentlich banale Erkenntnis.

Meyer: Der Chor der Toten

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Noch ein Gedicht über die Toten

Dieses Gedicht über die Toten ist nicht besonders nebulös, obwohl der Nebel eine große Rolle darin spielt.

Dauthendey: Unsere Toten

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Lebendig tot

Viele Jahrhunderte lang war es eine weitverbreitete, gefürchtete Vorstellung, lebendig begraben zu sein. Inzwischen ist die Medizin so weit zu sagen, wann tot tot ist, aber die Vorstellung, wie sie in diesem Gedicht dargestellt wird, ist immer noch äußerst ungemütlich, um nicht zu sagen: beengend.

Keller: Gedanken eines lebendig Begrabenen

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Endlich Ruhe

Einer der großen Vorteile jenseitigen Seins ist das Nichtsein. Dessen Loblied wird diesseitig in diesem jenseitigen Gedicht besungen.

Mihály Babits · 1883-1941

Grabvers

Hier ruhe ich. Nach dem Gequäle
Hab ich nun endlich, endlich, Ruh.
Ich gab von mir die bittre Seele
und liege starr und immerzu.
Froh hab ich sie von mir gegeben,
Wie man von Eiter sich befreit –
Hier bin ich sicher vor dem Leben
Und vor mir selbst bin ich gefreit.

Die andre Welt, die lass ich gelten:
Dort drüben gibt es keine Welt,
Und keine Welt ist die beste der Welten,
Auf dieser wird das Blühn vergällt.
Denn nirgends blüht das Dornenlose –
Der schönste Ort heißt: Nirgendwo ...
Wo Würmer sind und keine Rose,
Ist man nicht traurig und nicht froh.

Hier ruh ich nach der öden Strecke,
Mich quält kein Fieber und kein Licht!
Die Erde ist mir Bett und Decke,
Sie hebt mich nicht, und drückt mich nicht.
Der Sarg ist eine feste Klause,
Und keine Trauerlitanei
Stört mich in meinem stummen Hause:
Der bittren Seele bin ich frei.

Die andre Welt, die lass ich gelten,
Die uns erlöst von Schein und Pein,
Uns löst zu einem unvergällten –
Zu einem seinerlösten Sein.
Der Schlaf ist besser als die Liebe,
Und besser ist ein dürres Bein
Als dieses fleischige Weltgetriebe
Voll Bitterkeit und Narretein.

Übertragen aus dem Ungarischen von Heinrich Horvát

 
 

Vom Schweigen und vom Schreien

Was man im Leben versäumt, kann man im Tod nicht mehr nachholen, das ist die banale und dennoch eindringliche Botschaft dieses Gedichts über den Tod.

Otto zur Linde · 1873-1938

Ich hab in langen Nöten ...

Ich hab in langen Nöten
Mein Herz zu fest gepresst.
Ich wollt den Schrei ertöten,
Der mich nicht schlafen lässt.

Ich hab den Schrei beschwiegen –
Oh Stille um mich her!
Nun muss auf Asche liegen
Mein Herz und schlägt nicht mehr.

Nun möcht ich Stimmen rufen
Aus Wänden meiner Not.
Ach, ich sank tausend Stufen
Hinab bis untern Tod.

Bis unter all Erinnern
Und in den grauen Schlaf,
Nun weck ich nie im Innern
Stimme und Flamme mehr auf.

 
 

Per Boot ins Jenseits

Das antike Bild von der Bootsfahrt ins Jenseitige wird in diesem Gedicht neu aufgemalt.

Robert Jentzsch · 1890-1918

Ich nahm von jedem Haupte eine Strähne ...

Ich nahm von jedem Haupte eine Strähne,
Von jedem nahen Mund einen Kuss,
Und jedem Tod gab ich nur eine Träne
Beim kurzen Halt ... schon gleitet ja den Fluss

Mein Boot hinab entlang den herben Weiden,
Wiesen vorbei in buntem Ungefähr ...
Wann kommt zu Felsen, wann zu Trümmer-Heiden,
Wann treibt mein Nachen ins gewalt’ge Meer?

 
 

Tote Zukunft

Einen Blick in die Zukunft als Toter wagt dieses Gedicht und kommt dabei zu einer unausweichlichen Schlussfolgerung.

Busse: Zukunft

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Kommentar:
Es gibt einige Auffälligkeit in der Bauweise des Gedichts. Einmal natürlich die Verwendung des Infinitivs mit und ohne Ausstanzen (Ellipse) des „e“ in der ersten Strophe. Dann der monotone Rhythmus der ersten beiden Strophen mit ihren parallelen Satzbauten. Bei den ungeraden Zeilen liegt die Hauptbetonung am Anfang, bei den geraden kurz vor Schluss. Dieser Rhythmus wird erst in der letzten Strophen gebrochen, wo am Schluss dann sogar jeweils eine unbetonte Silbe am Anfang steht.

 
 

Zurück zur Natur

Völlig einverstanden mit dem Tod ist das Ich in diesem Gedicht, denn es geht zurück zu den Wurzeln im doppelten Sinne des Wortes.

Gyula Vargha · 1853-1929

Ruhesehnsucht

Kein Glockenläuten soll einst um mich klagen,
Kein Priester soll mir Abschiedsworte sagen;
Tragt mich zur Rast auf stillen Wegen
in eine stille Einsamkeit,
Ohne Lärmen und Geleit
Sollt in die mütterliche Erde ihr mich legen.

Und meine Grabstatt machet gleich zur Erde,
O, dass sie bald von Gräsern überwachsen werde, –
Keinen Stein, keine Schrift, nur rauschend Sommergrün
Spende Schatten und Hauch
Und am wilden Rosenstrauch
Soll Trieb um Trieb in ewiger Erneurung blühn.

Fliegt zum verschollnen Grab an Frühlingstagen
Ein Vogel: sei’s der Sänger süßer Klagen;
Und wenn der Wintersturm das Land verheert,
So sei vor Schnee und Eise
Der lieben, kleinen Meise
In trockner Blätter Schutz ein Obdach dort gewährt.

Mir sein kein gaukelbunter Traum beschieden;
Ich will vergehn in unbewusstem Frieden;
Hin über mich ströme der Jahrtausende Schar,
Die Woge der Zeiten
Soll über mich gleiten
Wie einst, da ich noch nicht auf dieser Erde war.

Übertragen aus dem Ungarischen von Heinrich Horvát

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