Trauergedichte
Trauergedichte sind in der Lyrik oftmals eine sehr persönliche Angelegenheit. Hier verarbeitet der Dichter häufig eigene Schicksalsschläge. Doch die Balance zwischen Kunst und eigenen Gefühlen muss gewahrt werden. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf sind Trauergedichte eine besondere Lektüre.
Fragen ohne Antworten
Hier hat mir der Dichter versichert, dass kein aktueller Todesfall mit dem Gedicht verbunden war.
Hans Retep · geb. 1956
Diese eine Nacht währt ewig
Als der Tod sprach: Folge mir,
warst du aller Sorgen ledig,
hinter dir schlug zu die Tür.
Tief betroffen fragten wir:
War das Schicksal dir nun gnädig?
Riss es dich zu früh von hier?
Und wir starren an die Tür
und sind allem Wissen ledig;
diese eine Nacht währt ewig.
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Die Unfähigkeit zu trauern
Auch das gibt es: Wo doch tiefgreifende Gefühle entstehen sollten, passiert – nichts. Da bleibt nur die Trauer, nicht trauern zu können.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Lebensklage
Jeden Tag denk ich an dich,
doch ich trauere nicht.
Jeden Tag denk ich an dich,
doch du fehlst mir nicht.
Arbeit quält mich,
doch ich vermiss dich nicht.
Krankheit quält mich,
doch ich neid’s dir nicht.
Solang du lebtest, ließ ich dich nicht im Stich,
doch nun – trauere ich nicht.
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Trauernde Erkenntnis
Dieses Gedicht könnte man als Fortsetzung des vorigen lesen. Nun scheint die Erkenntnis um den Verlust angekommen zu sein.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Du
Die Amsel dort,
du siehst sie nicht;
die Amsel singt,
du hörst sie nicht;
es regnet leicht,
du spürst es nicht;
ich denk an dich,
du weißt es nicht;
du liegst nur da
in deinem Grab.
Nun stehe ich
im Sonnenlicht
und wünschte mir,
es wäre nicht
so, wie es ist:
Niemals,
niemals wieder
wirst du bei mir sein.
Den langen Weg zum Ende,
den gehe ich
allein.
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Nachruf
Wie das so geht: Erst nachher weiß man, was man noch hätte sagen, hätte tun können, daher der Nachruf.
Hans Retep · geb. 1956
Für eine alte Frau
Die Blätter des Herbstes,
sie sind so wunderschön,
seit heute morgen
kann sie das nicht mehr sehn.
Die letzten Tage,
die hat sie einsam verbracht,
niemand war bei ihr,
der mal mit ihr gelacht
Nun wünschte sich jeder,
er hätt’ einen Schritt getan.
Doch täglich erlahmte
das letzte bisschen Elan.
Ich schaue zum Himmel,
der Himmel ist grau in grau.
Nur diese Verse
gedenken der alten Frau.
Und wie es im Leben
anscheinend immer so geht,
kommen die Worte
auch dieses Mal zu spät.
Die Blätter des Herbstes,
sie sind so wunderschön–
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Trauergedicht um eine jung Verstorbene
Mit viel Schnee wird in diesem Trauergedicht eine aufblühende junge Frau betrauert, obwohl doch eine Frühlingsszenerie besser gepasst hätte, oder?
Oscar Wilde · 1854-1900
Requiescat
Tritt leicht auf, sie ist nah
Unter dem Schnee,
Sprich leise, sie hört sogar
Der Blumen Weh.
Ihr Haar, so hell wie Gold,
Mit Rost benetzt,
Sie, die so jung und hold,
Zu Staub zersetzt.
Lilienweiß wie Schnee
Wusste sie kaum
Von ihrem Frausein, die Idee
Schien nur ein Traum.
Sargbretter, schwerer Stein,
Liegen auf ihr,
Ich plage mein Herz allein,
Sie schlummert hier.
Still, still, Sie höret nicht
Leier und Wort,
Sie ist, was mir gebricht,
Häuf’ Erde dort.
Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus
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Kommentar von Hans-Peter Kraus zur Übertragung:
Requiescat könnte auch Nicht-Lateinern schon mal in „requiescat in pace“, also „Ruhe in Frieden“, begegnet sein. Das Originalgedicht ist auf bartleby.com zu finden. Der größte Unterschied bei der Übertragung ist „daisies grow“ in Strophe eins, das zu „Blumen Weh“ führte. Das ist der Preis, den man zahlen muss, wenn man Reimschema und knapp gebautes Metrum (nur 2-3 Hebungen pro Zeile) in eine andere Sprache übersetzt, ansonsten ging das erstaunlich gut.
Blick zurück
Dieses Gedicht beginnt scheinbar mitten im Leben und offenbart sein eigentliches Thema erst am Schluss, weshalb hier auch nichts vorher verraten wird.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Vier Jahre
Wir gingen Seite an Seite,
du hattest dich bei mir eingehakt,
und wir quatschten und lachten,
und andere hätten uns vielleicht
für ein frisch verliebtes Paar gehalten,
obwohl wir schon so lange Freunde waren.
Nur gab es keine anderen, nur dich
und mich und deine Stimme und dein Lachen.
So verdammt echt.
Dann bin ich aufgewacht und habe mich gefreut,
dass du mir mal wieder im Traum erschienen warst,
bevor die Tränen kamen
und noch mehr Tränen
und noch mehr Tränen,
aber ich weinte nicht.
Um dich zu weinen, wäre egoistisch,
denn in Wahrheit würde ich um mich weinen,
weil du mir so sehr fehlst.
Doch ich muss zugeben:
Noch nie war ich näher dran,
die Beherrschung zu verlieren,
vier Jahre
nach deiner Beerdigung.
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Festgehaltene Erinnerung
Im folgenden Trauergedicht wird die Erinnerung in einem Winterfoto vergangener Tage festgehalten.
Katja A. Freese · geb. 1973
Verlustporträt
Wir im Schneegarten
hältst meine Finger
festgefroren in einem Kinderfoto
Bist dortgeblieben
in einem Winter
der unerreichbar für mich schneit
Dein süßes Lächeln
Hab zu dir aufgeschaut
jetzt bist du nicht mehr zu sehen
Aus dem Bild gerutscht
vom Weiß verschlungen
nur Gestern blickt mir entgegen
Meine Hand bleibt leer
wird sich mit Schnee füllen
wenn das Jahr sich wieder dreht
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Lesetipp:
Mehr von und über Katja A. Freese in ihrem Blog.
Trauergedicht bei einem plötzlichen Todesfall
Der Tod nimmt keine Rücksicht aufs Alter. Morgens ist die Welt noch in Ordnung und am Abend wie in diesem Trauergedicht plötzlich alles anders.
Herta Dietrich · geb. 1966
Zerbrechlich
Das aber kann ich niemals fassen
dass jemand so bald gehen muss
hast jugendlich das Haus verlassen
und abends war für immer Schluss
Auch in den schönsten Maienzeiten
schlägt der Gevatter tückisch zu
er suchte in der Welt der weiten
und plötzlich warst sein Opfer du
Er nahm dir alles nahm dein Leben
doch was du warst das nahm er nicht
du hast es mir ja schon gegeben
ich sorge dass es nicht zerbricht
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Lange Trauer
Man sagt zwar, die Zeit heilt alle Wunden, aber tödliche Wunden brauchen etwas länger, wie in diesem Trauergedicht gezeigt wird.
Herta Dietrich · geb. 1966
Dein Tod
Ich schrieb dir Briefe ohne Zahl und Ende
ich hob sie auf bewahrte sie bei mir
und durch das rasche Schreiben meiner Hände
floss meine Trauer mit in das Papier
Noch heute kann ich diese Briefe lesen
um zu verstehen was man kaum versteht
dass dieses Sterben meines auch gewesen
und dass dein Tod als Grauen vor mir steht
Die Jahre nahmen ihm vielleicht die Härte
und auch der Schmerz ist nicht mehr ein Vulkan
die Seele bleibt vernarbt von seinem Schwerte
denn nichts sonst hat mir je so weh getan
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Ein Trauergedicht von Matthias Claudius
Dieses Trauergedicht soll zum Tode der Schwester des Dichters verfasst worden sein. So ganz genau wissen’s die Biographen nicht. Es ist in jedem Fall ein ungewöhnliches Gedicht aus dem Frühwerk von Matthias Claudius. Bekannt ist vor allem die letzte Strophe, die schon einige Todesanzeigen geziert hat.

Ein weiteres Trauergedicht von Matthias Claudius
Bei diesem Trauergedicht hingegen ist der Hintergrund eindeutig. Matthias Claudius betrauerte den Tod seiner 20-jährigen Tochter. Da war es auch kein Trost, dass die anderen neun Kinder ihn überlebt haben.

Ein Trauergedicht von Wilhelm Busch
Auch hier nehme ich einen biographischen Hintergrund an, denn das ist nun wirklich kein Gedicht von der Sorte, die man bei Wilhelm Busch erwarten würde.

Ein Trauergedicht von Friedrich Rückert
Friedrich Rückert setzt in seiner Trauerklage auf Wiederholungen, um die Eindringlichkeit zu steigern. Zählt man durch, besteht das Gedicht eigentlich nur aus acht Versen.

Noch ein Trauergedicht von Friedrich Rückert
Hier schildert das lyrische Ich des Gedichts die veränderte Weltsicht aufgrund seiner Trauer. Plötzlich ist viel mehr Tod im Leben.

Abschied in die Ewigkeit
Die alte Hoffnung, dass das Leben nur eine kurze Zwischenstation für die Reise durch die Ewigkeit ist, wird in diesem Trauergedicht aufgegriffen.
Johanna Wolff-Hamburg · 1858-1943
Das ist der Tod?
Hier ruht das stille Kleid,
das eine große Seele hielt gefangen;
den lautren Tropfen hat die Ewigkeit
des ewgen Lebens wert zurück empfangen.
Es gibt kein Sterben! Dieses Erden-Haus
baut weit ins Unerforschte sich hinaus.
Was hier gewesen, wird sich selbst erwecken,
den goldnen Grund der Dinge aufzudecken,
und Kräfte, die sich schaffend hier gefunden,
im Kranz des Werdens bleiben sie verbunden.
Geheimnisvolle Fernen werden Licht:
Tod entschleiert nur des Lebens Angesicht.
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Trauer und Reue
Die Reue, nicht das gesagt zu haben, was gesagt werden sollte, thematisiert dieses Trauergedicht.

Erkenntnis
Der Tod eines geliebten Menschen ist nur schwer zu akzeptieren. In diesem Trauergedicht kämpft das lyrische Ich mit der Erkenntnis des „Nirgends nie wieder“.

Trauergedicht um eine Mutter
Der Tod der eigenen Mutter ist eine einschneidende Angelegenheit, die einem, wie in diesem Sonett, die unvermeidliche Vergänglichkeit vor Augen führt.
Jesse Thoor · 1905-1952
Der toten Mutter
Die Welt war schlecht, du hast im Leben viel gelitten.
Nun bist du tot und alles ist vorbei.
Versonnen geh ich meinen Weg mit müden Knabenschritten.
Fast Wissen mehr und Zorn als Schmerzensschrei.
Ich weiß: hier ist kein Baum und Strauch, der nicht verdirbt.
Nichts atmet, was nicht einst der Wurm zernagt.
Nichts Gutes ist es und nichts Schlechtes, wenn man stirbt.
Doch ob man gut lebt oder schlecht, so sei gefragt.
Läg’ es in meiner Kraft, ich hätte Könige erschlagen.
Ich legte dir zu Füßen, große Frau, ihr Reich. –
und hätte jubelnd dich von Traum zu Traum getragen.
Nun aber tropfen Sterne auf dein Grab in hellen Nächten.
Du bist dem Winde, bist der Wolke gleich –
du Mutter meines Leibes, Tochter der Gerechten.
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Die Welt ein Trauerspiel
Die ganze Welt wird in diesem Trauergedicht bemüht, um der Trauer Ausdruck zu verleihen.

Trostlos
Dass das Leben weitergeht, ist kein Trost, sondern unverständlich. Dass man selbst der einzige zu sein scheint, der trauert, macht es nicht besser. Da hilft auch kein Mondlicht – trostlos eben.

Trauer und Weiterleben
Wie ein Todesfall auf die Überlebenden wirkt, schildert Rilke in diesem Trauergedicht auf seine unnachahmliche Art.

Trauerkreislauf
Im Kreise dreht sich das folgende Trauergedicht und spiegelt damit sicher auch wider, wie die Gedanken nach einem Todesfall sich im Kreise drehen.
Hans Böhm · 1876-1946
Litanei
Mit deinen sinkenden Augen
Erlosch die strahlende Welt.
Mit deinen sterbenden Pulsen
Brach mein eigenes Herz.
Mit deinen liebenden Armen
Du gäbst mir Vergessen und Glück.
Mit deinem stillen Gesichte
Wohnst du über dem Leid.
Mit deinem stillen Gesichte
Du wohnst nun über dem Leid.
Mit deinen liebenden Armen
Gäbst du Vergessen und Glück.
Mit deinen sterbenden Pulsen
Zerbrach mein eigenes Herz.
Mit deinen sinkenden Augen
Losch die strahlende Welt.
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Nicht-Akzeptanz
Eine sehr widersprüchliche Art der Trauer ist die Nicht-Akzeptanz des Todes. Besonders deutlich wird das am Schluss der zweiten Strophe.
Hans Böhm · 1876-1946
Der Witwer
Fast erschrickst du lieber Schwager
Weil hier alles ist wie einst?
Still, ich weiß schon, wie du’s meinst,
Doch das muss so bleiben: dort ihr Lager
Neben meinem, das ist süß und schwer.
Und das Morgenkleid: kennst du’s nicht mehr?
Auf dem Wachtisch ihre Siebensachen
Um für mich sich schön zu machen.
Dann im Frühstückszimmer
An dem runden Tische immer
Ihr Besteck und Stuhl mir gegenüber.
Hier ein Stünde heller oder trüber
Dann zur Arbeit in die Stadt.
Leise geh ich weg – nur blick ich nie
Zum Balkon empor wo sie
Mir noch nachgesehen hat.
Drüben tu ich meine Arbeit dann
Weil ich mich auf etwas freuen kann,
Auf die Stunden hier
Abendlich allein mit ihr.
Manchmal steh ich vor der Türe still
Ob sich’ drinnen regen will.
Leise tret ich ein – im Dämmerlicht
Mich empfängt ein unsichtbar Gesicht.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-5-90.php#1782



