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Unterm Lyrikmond
Gedichte lesen und hören, schreiben und interpretieren
Wenn’s schon eine Sucht sein soll, dann bitte Sehnsucht, obwohl auch hier, wenn man den Dichtern glauben darf, die Nebenwirkungen nicht geringe sind. Diese Auswahl von Gedichten über die Sehnsucht reicht vom frühen 20. bis ins 21. Jahrhundert.
Warten ist natürlich ein ganz großes Sehnsuchtsthema, in diesem Gedicht in der Variation Warten daheim.
Einen ganzen Jahreszyklus durchzieht dieses Sehnsuchtgedicht, das nennt man wetterfeste Liebe;-)
Anja Blume · geb. 1977
Nur dich
Ich vermisse
Die Morgennebel in den Wiesen,
Des Wassers Plätschern, Strömen, Fließen,
Das helle Grün der Blätterspitzen,
Das zarte Gelb von Frühjahrsblitzen,
Das Lächeln sonnentrunkner Leute
Und dich, und ganz besonders heute.
Ich brauche
Der Mittagssonne helles Scheinen,
Den Blick auf Feuer, Zelt und Leinen,
Die süße Kost der Beerenhecken,
Die nackte Haut nicht zu verstecken,
Den Feldweg, der mit Blumen streute
Und dich, und ganz besonders heute.
Ich liebe
Des Abendhimmels wilde Farben,
Der welken Blätter stummes Darben,
Der Stürme machtgewaltig Tosen,
Den Duft der letzten roten Rosen,
Der Glocken tönendes Geläute
Und dich, und ganz besonders heute.
Ich lebe
In Winternacht und aller Stille,
Der Erde gleich in eisger Hülle,
Für Schneesturm, Eiskristall und Kerzen,
Mit leiser Sehnsucht tief im Herzen,
Und wenn ich's noch so oft bereute -
Für dich, und ganz besonders heute.
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In Verbindung mit süßen Mächten wird hier das Objekt der Sehnsucht ans Ziel gelotst.
Albert Sergel · 1876-1946
Dies war es, was die Liebste sang:
Meine Sehnsucht machte mich matt und müd
und gab nicht Ruh;
ich war in heimlichen Ängsten krank
nach dir, o du!
Und weiter ging der Tag ins Land
dem dämmerkühlen Abend zu,
und höher schwoll die Sehnsuchtsflut
und sang ihr Lied in die Sternenglut,
bis sie mit starker süßer Macht
dich hergebracht, Geliebter du! ...
Nun ist es gut ...
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Die Sehnsucht bringt nach diesem Gedicht eine Art Relativitätstheorie der Zeit mit sich: Warten und Erwartung verlangsamen die Zeit, erfüllt sich die Sehnsucht, fliegt sie davon.
Liane Romer · geb. 1969
Gestern noch, da schmacht’ ich ...
Gestern noch, da schmacht’ ich,
heute schon, da dacht’ ich,
wenn es doch bloß morgen wär.
Nun ist morgen schon gewesen,
bin gerade so genesen,
wieder fällt das Warten schwer.
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Dass die oder der Geliebte gleichzeitig sehr nah und sehr fern sein kann, ist nichts Neues, doch verstärkt die Technik der modernen Zeit die Illusion der Nähe, wie das folgende Gedicht über Sehnsucht zeigt.
Petra Gellinger · 1960-2016
Mein Traum
Mein Herz rast, wenn ich an dich denke
Ich beuge mich der Liebe Macht
Glückselig bin ich schon vor Freude
Ich seh’ dich wieder heute Nacht
Den Abend kann ich kaum erwarten
Das Wiedersehn mit dir ist nah
Zu langsam rückt er vor der Zeiger
So lang ist’s her, dass ich dich sah
Dein Anblick lässt dahin mich schmelzen
Es ist so weit, du bist bei mir
Wahr wird der Traum, den ich oft träumte
Für immer wär ich gern bei dir
Wie schön du bist, ganz ohne Zweifel
Ich bin verliebt in einen Star
Der Spielfilm, ach – er ist zu Ende
Du bleibst ein Traum und wirst nicht wahr.
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Ein Liebesgedicht, das sich nicht reimt, weil es sich nicht reimen darf, wenn man das Ende ernst nimmt.
Einen Namen aus Sehnsucht durch die Nacht zu schreien, ist sicher keine gute Idee, doch in diesem Gedicht kommt es noch schlimmer:
Lilli Haller · 1874-1935
Dein Name
Ich bin durch die einsame Nacht gegangen,
Als alles schlief.
Da erwachte die Erle, da erwachte die Eule,
Als ich deinen Namen rief.
Deinen Namen,
Den niemand kannte
Als ich allein.
Aber es hörten ihn alle, alle,
Und an Fenstern und Laden,
Auf Treppen und Stufen
Fragt jeder, ob jemand um Hilfe gerufen.
Und ich habe deinen Namen doch nur geflüstert
In der grenzenlos einsamen Nacht.
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Im Prinzip kommt das folgende Sehnsuchtsgedicht mit einem einzigen Reim aus, denn auch der Reim von „ü“ auf „i“ gilt, wenn er auch nicht ganz sauber ist.
Andreas Kleingrothe · geb. 1985
Besucht
Nichts, das dies Gefühl beschwichtigt
Nichts, das dies Vermissen züchtigt
Fehlendes schmerzt unberichtigt
Während sich dein Duft verflüchtigt
Du – der Perfektion bezichtigt –
Hast mich herzbesucht, -besüchtigt
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Auch Max Dauthendey bietet ein interessantes Reimschema, das die Aussage seines Gedichts über die Sehnsucht unterstützt. Erst nimmt er Paarreime, dann quillt ein Paarreim zum Haufenreim über, der durch eine ungereimte Zeile unterbrochen wird.
Geradezu getrommelt wirkt das folgende Sehnsuchtsgedicht. Sehnsucht scheint also jung zu halten.
Kommentar:
Bei der Einschätzung „getrommelt“ hatte ich auch Hubert Kahs „Rosemarie“ im Ohr. Es gibt jedoch eine ganz untrommelhafte Vertonung von Fritz Jöde. Was aber in dem Gedicht auch drin steckt, zeigt die Mischung von Gesang und Rezitation des Ensembles des deutschen Theaters in Berlin.
Ein alternder Entertainer sehnt sich in diesem Gedicht auf seine alten Tage nach Liebe und Geborgenheit.
Albert Sergel · 1876-1946
Dem Ende zu ...
Silberflocken in den Haaren
und das Herze eingeschneit ...
Ist der Tanz noch kaum zu Ende,
geh ich einsam-still beiseit.
All mein Singen gäb ich gerne,
all mein Fiedelklingen her,
wenn ich wo in kleinem Häuschen
friedlichstill zu Hause wär.
Wenn ich wo zwei Hände wüsste,
sorglich um mein Wohl und Weh,
und zwei Lippen, die mich küssten,
eh den letzten Gang ich geh.
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Hier grübelt jemand darüber nach, ob es nicht besser ist ohne Sehnsucht. Die Zwiespältigkeit kommt auch formal in dem gespaltenen Reim am Schluss zur Geltung.
Ewig in Sehsucht, ewig enttäuscht, das ist die lebenslängliche Strafe eines ewig Sehnsüchtigen:
Jakob Haringer · 1898-1948
Land der Zauberei
Immer in Sehnsucht leben –
Immer zu Tode betrübt;
Immer steht man daneben,
Ewig war man verliebt!
Immer in Sehnsucht verwarten,
Immer enttäuscht und verbrannt,
Draußen vorm Tod und vorm Garten –
Hans ohne Glück, ohne Land!
Ewig in Sehnsucht verkümmern;
Ewiger Gletscher voll Eis:
Himmlisches rosiges Flimmern –
Strahlt ihm die Sonne zum Preis!
Ewig in Sehnsucht leben,
Wenn auch das Leben vergrollt –
Aber die Wunder weben
Teppiche silbern und gold.
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