Gedichte über Sehnsucht 1
Wenn’s schon eine Sucht sein soll, dann bitte Sehnsucht, obwohl auch hier, wenn man den Dichtern glauben darf, die Nebenwirkungen nicht geringe sind. Diese Auswahl von Gedichten über die Sehnsucht reicht vom frühen 20. bis ins 21. Jahrhundert.
Gedicht über Sehnsucht
Sehnsucht scheint ein sehr natürlicher Trieb zu sein, zumindest wimmelt es in diesem Gedicht über die Sehnsucht von Bildern aus der Natur.
Emanuel Mireau · geb. 1974
Sehnsucht
Sehnsucht ist ein sanfter Sommerwind,
der des Baumes Blätter lind berührt.
Sehnsucht ist am Tag ein träumend Kind,
sachte von der Mutter Hand geführt.
Vögeln gleich hat sie ein fernes Ziel,
das sie nie aus ihrem Sinn verliert.
Sehnsucht hat der Frühlingshoffnung viel,
und wie Unkraut – wächst sie unbeirrt.
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Erhellende Sehnsucht
Licht ist eine beliebte Metapher und daher leicht verständlich und wirksam in einem Gedicht über Sehnsucht verwendbar.
Emanuel Mireau · geb. 1974
Sehnsucht nach Licht
Tage tröpfeln auf die Erde.
Nächte gehen ohne Spur.
Leer wirkt jegliche Gebärde.
Alle Worte täuschen nur.
Ich bin Winter, voll der Klage,
und kein Frühling ist in Sicht.
Fehlt nicht viel, dass ich verzage,
kommt nicht bald zurück das Licht.
Licht, das deine Augen spenden.
Licht, das in deinem Lächeln ruht.
Licht, das rinnt von deinen Händen.
Dich zu spüren, macht mich gut.
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An jemanden denken
In diesem Gedicht drückt sich die Sehnsucht aus durch ein „Ich denk an dich“, was ja ein evolutionärer Fortschritt zu dem allgemein üblichen nur an sich selbst denken ist.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Sei gewiss
Wo immer du bist,
was immer du tust,
sei gewiss, ich denk an dich.
Bist du glücklich?
Bist du traurig?
Sei gewiss, ich denk an dich.
Halte inne,
erinnere,
ich denk an dich.
Nichts in mir ist verglommen,
unsere Zeit wird kommen,
sei gewiss –
ich denk an dich.
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Keine Sehnsucht
Warum soll es mit der Sehnsucht anders als mit anderen Süchten? Natürlich weiß man ganz bestimmt, dass man selbst nicht süchtig ist.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Sehnsuchtslos
Ich habe keine Sehnsucht
nach einem Aufleuchten der Augen,
nach einem Lächeln,
das ganz allein mir gilt.
Ich habe keine Sehnsucht
nach einer Umarmung,
einem Kuss,
nach Zweisamkeit.
Ich habe keine Sehnsucht
nach einem Gespräch
über dies und das und sonst noch was,
das zwei Menschen froh verbindet.
Ich habe keine Sehnsucht
nach körperlicher Nähe,
nach dem langsam anschwellenden
Rausch der Leiber.
Ich habe keine Sehnsucht
und doch heut’ Nacht von dir geträumt.
Nach all den Jahren.
Ich habe etwas Falsches gesagt,
du warst enttäuscht,
da bin ich aufgewacht,
aber ich weiß nicht mehr, was es war.
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Gedicht über unerfüllte Sehnsucht
Geradezu getrommelt wirkt das folgende Sehnsuchtgedicht. Sehnsucht scheint also jung zu halten.

Was erlaubt sich der Löns?
Hermann Löns, da fällt einem vielleicht die Vokabel Heidedichter ein. Der Titel des Buchs „Der kleine Rosengarten“, in dem das Gedicht Abendlied 1911 erschienen ist, lässt ebenfalls keine Verse erwarten, die an expressionistische Versuche erinnern. Deshalb: Wow! 1911! Dieser Dichter!
Wenn man das Gedicht nur für sich nimmt, ist schon der Titel eine Provokation: Abendlied? War da nicht was? Ja, da gibt es eine ganze Tradition. Nur sind diese Gedichte thematisch und klanglich völlig anders.
Mehr als auffällig treten die zahlreichen Wiederholungen auf. Jeder zweite Vers erhält eine Art Stampfrhythmus, was zur Verzweiflung, zur Hysterie des Gedichts beiträgt. Dazu kommt, dass die erste Strophe schon als vierte wiederkehrt: Refrain.
Auch ohne Lupe ist die seltsame Reimstruktur ersichtlich. Strophe eins, drei und vier haben einen Haufenreim, und die zweite bietet lautlich nicht viel Abwechslung. Nur zwei Vokale erscheinen in den Schlusssilben: i und a. Diese Reimarmut ist ein Mittel, die Verzweiflung klanglich zu stützen.
Wenn man das Metrum durchgeht, ist wirklich zu fragen: Was erlaubt sich der Löns? Das beginnt gleich in der ersten Zeile (H=Hebung, s=Senkung): Hs sH Hs sH. Mitten im Vers stoßen zwei Hebungen aufeinander. Und Zeile zwei? Ganz anders! Hier ist das Schema: Hs Hs s H s s H. Nun ist da ein Muster zu erkennen, am Anfang eine Hebung, am Ende eine, pro Vers vier. Ja, wenn die letzte Strophenzeile nicht wäre, da gibt es nur drei Hebungen.
Doch letztlich kapselt das Metrum mit der Hebung am Anfang und Ende jede Zeile ab: Zeilenstil. Das Nichtzusammenkommen wird sogar metrisch zum Ausdruck gebracht. Auch wenn das Gedicht in seiner Hysterie auf der komischen Seite gebaut ist und wie ein spontaner Aufschrei wirkt, bleibt es beim „Wow!“. Der Dichter hat sich die Wahl seiner Mittel sehr genau überlegt.
Sehnsucht zu Hause
Warten ist natürlich ein ganz großes Sehnsuchtsthema, in diesem Gedicht in der Variation Warten daheim.

Sehnsucht zu allen Jahreszeiten
Einen ganzen Jahreszyklus durchzieht dieses Sehnsuchtgedicht, das nennt man wetterfeste Liebe;-)
Anja Blume · geb. 1977
Nur dich
Ich vermisse
Die Morgennebel in den Wiesen,
Des Wassers Plätschern, Strömen, Fließen,
Das helle Grün der Blätterspitzen,
Das zarte Gelb von Frühjahrsblitzen,
Das Lächeln sonnentrunkner Leute
Und dich, und ganz besonders heute.
Ich brauche
Der Mittagssonne helles Scheinen,
Den Blick auf Feuer, Zelt und Leinen,
Die süße Kost der Beerenhecken,
Die nackte Haut nicht zu verstecken,
Den Feldweg, der mit Blumen streute
Und dich, und ganz besonders heute.
Ich liebe
Des Abendhimmels wilde Farben,
Der welken Blätter stummes Darben,
Der Stürme machtgewaltig Tosen,
Den Duft der letzten roten Rosen,
Der Glocken tönendes Geläute
Und dich, und ganz besonders heute.
Ich lebe
In Winternacht und aller Stille,
Der Erde gleich in eisger Hülle,
Für Schneesturm, Eiskristall und Kerzen,
Mit leiser Sehnsucht tief im Herzen,
Und wenn ich's noch so oft bereute -
Für dich, und ganz besonders heute.
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Sehnsuchtsgesang
In Verbindung mit süßen Mächten wird in diesem Gedichtdas Objekt der Sehnsucht ans Ziel gelotst.
Albert Sergel · 1876-1946
Dies war es, was die Liebste sang:
Meine Sehnsucht machte mich matt und müd
und gab nicht Ruh;
ich war in heimlichen Ängsten krank
nach dir, o du!
Und weiter ging der Tag ins Land
dem dämmerkühlen Abend zu,
und höher schwoll die Sehnsuchtsflut
und sang ihr Lied in die Sternenglut,
bis sie mit starker süßer Macht
dich hergebracht, Geliebter du! ...
Nun ist es gut ...
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Sehnsüchtiges Warten
Ein Liebesgedicht, das sich nicht reimt, weil es sich nicht reimen darf, wenn man das Ende ernst nimmt.

Ein Gedicht über Sehnsucht und die Zeit
Die Sehnsucht bringt nach diesem Gedicht eine Art Relativitätstheorie der Zeit mit sich: Warten und Erwartung verlangsamen die Zeit, erfüllt sich die Sehnsucht, fliegt sie davon.
Liane Romer · geb. 1969
Gestern noch, da schmacht’ ich ...
Gestern noch, da schmacht’ ich,
heute schon, da dacht’ ich,
wenn es doch bloß morgen wär.
Nun ist morgen schon gewesen,
bin gerade so genesen,
wieder fällt das Warten schwer.
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Unerfüllbare Sehnsucht
Dass die oder der Geliebte gleichzeitig sehr nah und sehr fern sein kann, ist nichts Neues, doch verstärkt die Technik der modernen Zeit die Illusion der Nähe, wie das folgende Gedicht über Sehnsucht zeigt.
Petra Gellinger · 1960-2016
Mein Traum
Mein Herz rast, wenn ich an dich denke
Ich beuge mich der Liebe Macht
Glückselig bin ich schon vor Freude
Ich seh’ dich wieder heute Nacht
Den Abend kann ich kaum erwarten
Das Wiedersehn mit dir ist nah
Zu langsam rückt er vor der Zeiger
So lang ist’s her, dass ich dich sah
Dein Anblick lässt dahin mich schmelzen
Es ist so weit, du bist bei mir
Wahr wird der Traum, den ich oft träumte
Für immer wär ich gern bei dir
Wie schön du bist, ganz ohne Zweifel
Ich bin verliebt in einen Star
Der Spielfilm, ach – er ist zu Ende
Du bleibst ein Traum und wirst nicht wahr.
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Gedicht über schreiende Sehnsucht
Einen Namen aus Sehnsucht durch die Nacht zu schreien, ist sicher keine gute Idee, doch in diesem Gedicht kommt es noch schlimmer:
Lilli Haller · 1874-1935
Dein Name
Ich bin durch die einsame Nacht gegangen,
Als alles schlief.
Da erwachte die Erle, da erwachte die Eule,
Als ich deinen Namen rief.
Deinen Namen,
Den niemand kannte
Als ich allein.
Aber es hörten ihn alle, alle,
Und an Fenstern und Laden,
Auf Treppen und Stufen
Fragt jeder, ob jemand um Hilfe gerufen.
Und ich habe deinen Namen doch nur geflüstert
In der grenzenlos einsamen Nacht.
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Sehnsuchtsreim
Im Prinzip kommt das folgende Sehnsuchtsgedicht mit einem einzigen Reim aus, denn auch der Reim von „ü“ auf „i“ gilt, wenn er auch nicht ganz sauber ist.
Andreas Kleingrothe · geb. 1985
Besucht
Nichts, das dies Gefühl beschwichtigt
Nichts, das dies Vermissen züchtigt
Fehlendes schmerzt unberichtigt
Während sich dein Duft verflüchtigt
Du – der Perfektion bezichtigt –
Hast mich herzbesucht, -besüchtigt
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Sehnsuchtswesen
Auch Max Dauthendey bietet ein interessantes Reimschema, das die Aussage seines Gedichts über die Sehnsucht unterstützt. Erst nimmt er Paarreime, dann quillt ein Paarreim zum Haufenreim über, der durch eine ungereimte Zeile unterbrochen wird.

Nächtliche Sehnsucht
Ein scheinbar ganz banales Sehnsuchtgedicht. Aber wenn man sich Stropheneinteilung und Reimschema anschaut und mit dem Inhalt verbindet, sieht man doch Kunstfertigkeit und nicht nur Sehnsucht.
Hans Ehrenbaum-Degele · 1889-1915
Schwermütig kam die Nacht ...
Schwermütig kam die Nacht. Ich bin allein.
Rings wuchern Bücher, Möbel und Tapeten
Im gelben Licht der Lampe fremd und kalt.
Wie weh tun Sehnsucht, Nacht und Einsamsein!
Still möcht ich in dein junges Leben treten
Wie eine Wanderschaft durch einen grünen Wald.
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Alterssehnsucht
Ein alternder Entertainer sehnt sich in diesem Gedicht auf seine alten Tage nach Liebe und Geborgenheit.
Albert Sergel · 1876-1946
Dem Ende zu ...
Silberflocken in den Haaren
und das Herze eingeschneit ...
Ist der Tanz noch kaum zu Ende,
geh ich einsam-still beiseit.
All mein Singen gäb ich gerne,
all mein Fiedelklingen her,
wenn ich wo in kleinem Häuschen
friedlichstill zu Hause wär.
Wenn ich wo zwei Hände wüsste,
sorglich um mein Wohl und Weh,
und zwei Lippen, die mich küssten,
eh den letzten Gang ich geh.
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Endstation Sehnsucht
Hier grübelt jemand darüber nach, ob es nicht besser ist ohne Sehnsucht. Die Zwiespältigkeit kommt auch formal in dem gespaltenen Reim am Schluss zur Geltung.

Lebenslänglich Sehnsucht
Ewig in Sehsucht, ewig enttäuscht, das ist die lebenslängliche Strafe eines ewig Sehnsüchtigen:
Jakob Haringer · 1898-1948
Land der Zauberei
Immer in Sehnsucht leben –
Immer zu Tode betrübt;
Immer steht man daneben,
Ewig war man verliebt!
Immer in Sehnsucht verwarten,
Immer enttäuscht und verbrannt,
Draußen vorm Tod und vorm Garten –
Hans ohne Glück, ohne Land!
Ewig in Sehnsucht verkümmern;
Ewiger Gletscher voll Eis:
Himmlisches rosiges Flimmern –
Strahlt ihm die Sonne zum Preis!
Ewig in Sehnsucht leben,
Wenn auch das Leben vergrollt –
Aber die Wunder weben
Teppiche silbern und gold.
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