Schüchterne Liebe im Gedicht
Lieben ist ja schön und gut, aber man muss auch ins Gespräch kommen, und da hakt es bei manchen. Dabei ist Schüchternheit in der Liebe kein neues Problem, sondern es besteht wahrscheinlich seit ihrer Erfindung. Die Reihe der Gedichte zur schüchternen Liebe auf diese Seite beginnt im 18. und endet im 21. Jahrhundert. Fortsetzung in Sachen Liebe und Schüchternheit garantiert.

Sterben ja, Reden nein
Das ist eine ganz große Liebe, wenn einer bereit ist, für die Liebste zu sterben, es gibt da nur ein kleines Kommunikationsproblem.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Liebe aus den Fugen
Als ich sie das erste Mal sah, da sagte ich: Hui!
Als ich sie das erste Mal sah, da sagte ich: Wow!
Ich weiß nicht mehr, was ich sagte, als ich sie das erste Mal sah.
Irgend etwas war an ihr, das mich berührte.
Irgend etwas war an ihr, das mich entflammte.
Ich weiß nicht, was es war, das mich so sehr faszinierte.
Hätte man mich vorher gefragt, wie sieht eine schöne Frau aus,
Hätte man mich vorher gefragt, wie sieht die schönste Frau aus,
Ich hätte nicht sie beschrieben, ich weiß nicht wen, aber nicht sie.
Ich hab nichts mit ihr zu reden, weiß ihr nichts zu sagen.
Sie hat nichts mit mir zu reden, weiß mir nichts zu sagen.
Ich schaue sie an, sie blickt fragend zurück, wir sagen nichts.
Wenn man mich fragte, ob ich für sie stürbe,
Wenn man mir sagte, ich müsse für sie sterben,
Ich würde glücklich gehen, mein Leben geben, dann hätte es einen Sinn.
Ist das Liebe? Wie kann so etwas Verrücktes Liebe sein?
Das ist Liebe? Wie kann etwas so Verrücktes Liebe sein?
Wenn das die Liebe ist, wenn das alles ist, dann ist die Liebe völlig verrückt.
So ich sie wirklich liebe, sie wird es nie erfahren.
So ich sie tatsächlich liebe, ich werde es nie sagen.
Sie bleibt für immer frei, es bleibt für immer mein, ihr Bild, das mich verrückte.
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Was sagt man?
Das ist die entscheidende Frage: Was sagt man, wenn sich eine Gelegenheit ergibt? Man will sich ja nicht zu weit hinaus trauen, denn es könnte Regen geben.
Edward Rowland Sill · 1841-1887
Bedeutende Worte
Welch boshaft Schicksal mischt sich ein,
Wo Liebende sich sehen,
Und friert das flinkste Hirn rasch ein,
Dass Gefühle klamm vergehen?
Wir hatten einen Augenblick,
Bevor die anderen kämen;
Auf morgen schieben mein Geschick,
Wer müsste sich dann schämen?
Wir tauschten Blicke – jetzt oder nie;
Und bloß nicht überlegen.
„Wie warm es ist,“ bemerkte sie,
Und ich: „Vielleicht gibt’s Regen.“
Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus
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Ein Liebesgedicht zwischen Hoffen und Bangen
Daran hat sich auch bis in die heutige Zeit nichts geändert: Das Gefühl des Ungenügens in Anbetracht großer Gefühle zehrt an den Nerven zwischen Hoffen und Bangen.
Dyrk Schreiber · geb. 1954
Ich bin verflucht so ungelenk
Ich bin verflucht so ungelenk
Zögerlich
Mich dir zu geben
Mein Schämen eingedenk
Ist nicht mal eben
Etwas Alltägliches
Doch Nichtalltägliches
Ist stets mein Streben
Mein Hoffen eingedenk
Dir mitzugeben
Zögerlich
Ich bin verflucht so ungelenk
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Ein Liebesmonolog
Das Monologische ist ganz klar ein Kennzeichnen des Schüchternen in der Liebe. In diesem Gedicht winkt immerhin ein Happy End.
Petra Gellinger · 1960-2016
Trau mich nicht
Ich liebe dich
Ich will es dir sagen
und trau mich nicht
Ich nehme das Handy
Ich tippe – Ich liebe dich
und schicke nichts ab
Ich schreibe auf Papier
Ich liebe dich
und schmeiße es weg
Ich schreibe eine E-Mail
Ich liebe dich
und lösche sie
Ich trau mich nicht
Ich trau mich nicht
FEIGLING!
Das Handy klingelt
Du bist dran
Ich bin dran
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Kommentar:
Dieses Gedicht hat es in sogar in ein bayerisches Schulbuch (siehe Inhaltsverzeichnis dort) als Vergleichsstück zu einem Liebesgedicht aus dem Mittelalter geschafft. Klein ist die Lyrikwelt.

Verliebt am Rande des Nervenzusammenbruchs
Verliebt zu sein, das ist für Schüchterne eine lebensgefährliche Erfahrung, wie das folgende Gedicht demonstriert.
Carmen Herrmann · geb. 1965
Chronisch verliebt
Todkrank
sehe ich hinauf zu dir.
Die Hand am Geländer
schleppe ich mit mir
wie ein Krebsgeschwür.
Die Treppe windet sich
um meinen Hals.
Die falsche Schlange will
mich hassen lehren.
Ich kann mich doch jetzt
nicht sterben legen
wo mein Herzschlag
unbedingt
an deine Tür
klopfen will.
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Schüchterne Liebe bei Matthias Claudius
Eine magische Lösung für seine Schüchternheit gegenüber einer angehimmelten Frau schlägt das lyrische Ich in diesem Gedicht vor.


Erwartung und Wirklichkeit
Hohe Erwartungen, triste Wirklichkeit, traurig die Liebe, die nicht ausgesprochen werden kann. Ob’s wirklich nur der Regen war?


Schüchterne Begegnung
In diesem Liebesgedicht gibt’s Wein statt Worte, aber selbst der hilft nicht so richtig.


Das große Schweigen
Dieses Liebesgedicht beschreibt das seltsame Phänomen, dass jemand mit jedermann reden kann, doch die Liebe ihn zum Schweigen bringt.
Hans Böhm · 1876-1946
Arm
Mit anderen sprech ich
Und schweige vor dir.
Zu anderen lach ich,
Starr bin ich bei dir.
Den anderen geb ich,
Nichts hab ich für dich.
Mit anderen leb ich,
Und sterb um dich.
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Die andere Seite
In diesem Gedicht kommt die andere Seite zu Wort. Was macht man mit so einem schüchternen Kandidaten?
Unbekannt
Der Schüchterne
Er will nicht sprechen, er tut nicht blicken,
Soll ich ihm winken, soll ich ihm nicken?
Er will mich nicht zuerst begrüßen;
Ich kann doch nicht zuerst ihn küssen.
Und wenn er niemals will beginnen,
Wie soll es Fortgang denn gewinnen?
Das möcht ich gern ersinnen.
Übertragen aus dem Chinesischen von Albert Ehrenstein
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