Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Mai-Gedichte

Unter allen Monaten hat der Mai den besten Ruf: Wonnemonat. Und so ist auch die Stimmung bei den Mai-Gedichten dieser Seite mindestens euphorisch. Doch nicht alle Dichter stimmen in den Jubelchor ein und finden nicht nur ein Haar in der Suppe, sondern gleich ein ganzes Büschel. Lassen Sie sich überraschen! Muttertagsgedichtwünsche werden möglicherweise bei Gedichte für Mütter erfüllt.

 
 

Gedicht zum ersten Mai

Gleich zum ersten Mai gibt es eine Lobeshymne, obwohl die leicht übertriebenen Reime etwas Ironieverdacht aufkommen lassen.

Dauthendey: Erster Mai ...

Dieses Gedicht im Textformat

Lesetipp:
Wer Gedichte zum 1. Mai als Tag der Arbeit sucht, wird möglicherweise bei den Gedichten zur Arbeit fündig.

 
 

Kindheitserinnerungen an den ersten Mai

Darf man seinen Kindheitserinnerungen trauen? Bei so einem bedeutenden Ereignis wie dem ersten Mai, was soll da schief gehen?

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Tag der Arbeit

Für uns Arbeiterkinder war der erste Mai
der schönste Feiertag des Jahres.
Am Morgen ging die ganze Familie
zur gewerkschaftlichen Demonstration.
Da gab es immer viel zu jubeln und zu klatschen,
denn für die Arbeiter
wurde jedes Jahr alles besser.
Zum Mittag machte die Mutter
unser Lieblingsessen:
Bratwurst mit Sauerkraut und Stampfkartoffeln.
Am Nachmittag hat der Vater
mit uns Fußball gespielt.
Wir haben ihn immer gewinnen lassen,
sonst hätte er schlechte Laune gehabt.
Um Punkt fünf wurde der Maibaum
aufgestellt und geschmückt.
Und dann
begann das Warten
auf den Gewerkschaftsmann.
Wir hielten unsere Stundenzettel bereit,
die manchmal ziemlich zerknittert wurden,
so aufgeregt waren wir.
Wenn’s endlich klingelte, gab’s kein Halten mehr.
Wir rannten zur Tür und ließen
den Gewerkschaftsmann ein,
auch wenn der Vater dann immer schimpfte.
Der Gewerkschaftsmann
bekam ein Schnäpschen
und guckte sich unsere Stundenzettel an.
Wer das Jahr über 240 Stunden
im Haushalt geholfen hatte
(von der Mutter abgestempelt),
bekam bunte Maieier,
bei 300 Stunden
war sogar ein Schokoladenei drin.
Unsere Mutter hat natürlich etwas nachgeholfen,
wenn wir zu wenig hatten,
denn der Gewerkschaftsmann war sehr streng.
Einmal hatten Mutter und ich uns verzählt.
Ich hatte nur 238 Stunden.
Keine Eier!
„Disziplin ist des Arbeiters Brot“,
sagte der Gewerkschaftsmann.
Ich habe ganz schön geheult,
bis mein kleiner Bruder
an meinem Ärmel zupfte.
Dass mein kleiner Bruder mich heulen sah,
wollte ich natürlich nicht.
Ich hab mir die Tränen am Ärmel abgewischt,
und dann gab er mir
zwei Eier ab,
obwohl er doch nur drei bekommen hatte.
Mein kleiner Bruder!
Da hab ich noch mal geheult.
Der Gewerkschaftsmann soll
„Hoch lebe die Arbeitersolidarität“,
gesagt haben, als er das sah,
und unser Vater:
„Is’ gut, Kurt, geh man weiter.“
Der erste Mai war für uns
immer der schönste Feiertag,
aber dieser
war der scheußlichste
und schönste zugleich.

Urheberrechtshinweis

 
 

Schon wieder ein Gedicht zum ersten Mai

Mai und Liebe gehören zusammen wie Dezember und Weihnachten, also warum nicht gleich am ersten Mai damit loslegen?

Hagedorn: Der erste Mai

Dieses Gedicht im Textformat

Lesetipp:
Die etwas merkwürdige Versstruktur hört auf den Namen Triolett. Mehr dazu gibt’s bei diesem Sommergedicht.

 
 

Die Früchte des Mais

Was aussieht wie ein Ende, ist in Wahrheit ein Anfang, so könnte man das folgende Mai-Gedicht zusammenfassen.

Emanuel Mireau · geb. 1974

Mai-Kinder

Es geht ein Zittern durch die Blüten,
man denkt, das kommt vom Wind,
doch ist es einer dieser Tage,
an dem die Pflanze sich besinnt.
Sobald die Blütenblätter schweben,
die Arbeit an der Frucht beginnt,
und von den Früchten, die dann reifen,
ist jede auch des Maien Kind.

Urheberrechtshinweis

 
 

Mai macht frei

„Jo mei“ ist die bayerische Version des hochdeutschen „Kannze ma sehn“ und passt insofern zu diesem Mai-Gedicht, als es plötzlich Dinge zu sehen gibt, die vorher verhüllt waren.

Hans Retep · geb. 1956

Jo mei

Kein Wölkchen mehr die Sonne stört,
die Frauen sind davon betört
und legen ihre Brüste frei.
Geh ich hinaus als Nackedei,
dann gibt es gleich ein groß Geschrei,
man droht mir gar mit Polizei.
Ja haben diese Leute nie gehört
vom Wonnemonat namens Mai?

Urheberrechtshinweis

 
 

Ein Mai wie gemalt

Ja ... Was sagt man zu so einem Gedicht? Irgendwas ist aus dem Ruder gelaufen. Birne durchgebrannt? Vielleicht ist eine Überdosis Mai-Sonne schuld, die Hormone und so.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Mai-Impressionen

Ein Flugzeug gräbt
sich durch den blauen Himmel.
Die großen Flügel hat’s
vom Maulwurf abgeguckt.
Der schläft am stillen Pool
auf einer Luftmatratze,
die Sonnenbrille ist
von seiner Nase abgerutscht.

Urheberrechtshinweis

 
 

Strammes Mai-Gedicht

Was um Himmels willen ist ein Mai-Stramm? Ganz einfach: ein Maigedicht in der Art von August Stramm, wobei er zugegebenermaßen einen um drei Monate falschen Vornamen hat.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Mai-Stramm

Sonne
Himmel
Bäume
Grünen
Pflanzen
Sprießen
Knospen
Platzen
Blüten
Flieger
Schrillen
Grauen
Bomben
Krachen
Schüttern
Näher
Krachen
Schüttern
Näher
Krachen

Urheberrechtshinweis

 
 

Rückblick auf den Mai

Kein Blick zurück im Zorn; durchaus nett zu sein, wird dem Mai in diesem Gedicht attestiert. Doch unter der Oberfläche scheint es einen leichten Groll zu geben, aber wirklich nur ganz leicht.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Netter Monat

Der Mai war dieses Jahr
ein netter Monat.
Man konnte jederzeit
’ne Runde drehen
zwischen zwei Weltuntergangsschauern.

Urheberrechtshinweis

 
 

Junger Mann im Mai

Natürlich hat der Mai sensationelle Wirkungen auf junge Männer, besonders an speziellen Tagen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

ein junger Mann ...

ein junger Mann
kotzt in die Sträucher
Vatertag

Urheberrechtshinweis

 
 

Der Mai ist nicht für alle da

Ein bisschen auf die Euphoriebremse tritt das folgende Mai-Gedicht, denn in schwieriger Lage scheint der Mai kein Trost zu sein.

Dyrk Schreiber · geb. 1954

Grau das Grün ist

Ins Wiesenmeer springen
und Liebe besingen
ist heiter ein Frönen!
Doch wie geht es jenen,

die kalt versorgt liegen,
ihr Leblos besiegen,
dem Trost fern, nicht schaffen:
Schaurig! Ach, ihr Gaffen

zur weißen Tünche hin
dem Leben keinen Sinn
gibt auch in diesem Jahr.
Grau das Grün ist und rar

der Sonne Licht im Mai,
und schwebt er bald vorbei,
küsst seine Melodie
uns nur – das Leiden nie!

Urheberrechtshinweis

 
 

Ein Mai-Gedicht von Goethe

In kurzatmigen Versen besingt Goethe, wie es sich für einen Dichter gehört, den Frühling, die Liebe und – den Mai.

Goethe: Mailied

Dieses Gedicht im Textformat

Kurzinterpretation Mailied
Wenn Natur und Liebe Hand in Hand gehen, das muss der Mai sein, dachte sich Goethe und verfasste ein Gedicht dazu. Allerdings: Es zeigen sich auch die Schattenseiten der Liebe, denn sie kann eine ziemlich egoistische Angelegenheit sein. Wie das? Mal schauen:

Die Verse sind äußerst kurz, zwei Hebungen jeweils, Jambus. Das eignet sich für ein stakkatohaftes Tempo (Strophe eins, drei und sechs), lässt sich aber auch nutzen, mehrere Verse per Zeilensprung zu einem Großen und Ganzen zu verbinden (letzte drei Strophen). Aufgrund der Kürze der Verse belässt es Goethe meist bei halben Kreuzreimen, nur die dritte Strophe reimt durch.

Inhaltlich kann man das Gedicht in drei Abschnitte aufteilen: Die ersten drei Strophen preisen die Natur, wobei die dritte bereits zur menschlichen Sphäre überleitet. Strophe vier und fünf feiern die Liebe, die sogar personifiziert wird („Du segnest ...“). In den letzten vier Strophen ergeht sich das lyrische Ich in Liebeswonnen zu einem „Mädchen“, über das sonst nichts zu erfahren ist, was nicht wundert, wenn man sich anschaut, wie das Ich seine Liebe beschreibt.

Bereits im Abschnitt über die Natur deutete das Ich an, dass es sich gern in den Mittelpunkt rückt: „Wie herrlich leuchtet / mir die Natur!“ Per Akzentverschiebung wird das „mir“ sogar betont. Auch in der Liebe herrscht die Ego-Perspektive vor. Das wird besonders deutlich am Schluss, als das Ich schildert was ihm die Liebe des Mädchens alles gibt, kein Wort davon, was das Ich zu geben gedenkt. Nein, das Mädchen soll „ewig glücklich“ sein, dass es ihn liebt.

Bei allem Enthusiasmus über die Natur und die Liebe demonstriert das Gedicht, dass es dabei auch um Selbstbestätigung geht. Die Welt dreht sich um ein Ego, Natur und Liebe sind nur seine Diener. Der Mai ist vielleicht doch nicht so wonnig, wie man immer annahm.

 
 

Der Mai in zwei

Kurz und knapp erfasst der für seine Sinngedichte berühmte Friedrich von Logau die Quintessenz des Monats Mai.

Friedrich von Logau · 1605-1655

Der Mai

Dieser Monat ist ein Kuss, den der Himmel gibt der Erde,
Dass sie jetzt gleich seine Braut, künftig eine Mutter werde.

 
 

Ein Mai-Gedicht von Heinrich Heine

Auch Heines Mai-Gedicht spricht von der Liebe, die nicht fehlen darf, wenn die Natur erblüht.

Heine: Im wunderschönen Monat Mai

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Der Klassiker unter den Mailiedern

Zum Mitsingen ist dieses Mai-Gedicht, aber man kann auch einfach nur Mitwandern.

Geibel: Der Mai ist gekommen ...

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Mai-Impressionen

Ganz im impressionistischen Stil tupft der Dichter mal hier, mal dort, und es entsteht eine Mai-Szene, wie man sie selbst vielleicht schon gesehen hat, aber eben nicht so.

Paul Ernst · 1866-1933

Auf dem Hof

Sonnenschein fällt in das letzte Sprühen des Mairegens.
Der neue Leiterwagen dampft in die Sonne.
Ein Tropfen blitzt.
Unter ihm, in einer kleinen Lache, blauer Himmel und weiße Wölkchen.

 
 

Wenn der Mai nicht maien will

Ein Monat wie der Mai mit seinem wonnigen, sonnigen Ruf hat bei Gustav Falke ein gewisses Anspruchsdenken aufkommen lassen, und so ist sein Mai-Gedicht eine kleine Strafpredigt für einen enttäuschenden Monat.

Falke: An den Mai

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Ein Gedicht zu Pfingsten

Da der Heilige Geist sich nicht so recht zwischen Mai und Juni entscheiden kann, aber meist den Mai wählt, ist dieses Pfingstgedicht hier untergebracht.

Falke: Pfingstlied

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Pfingsten privat

Den heiligen Geist in der Abgeschiedenheit sucht das Ich bei diesem Pfingstgedicht.

Greif: Pfingstfeier

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Mai-Wunsch

Hier beginnen die etwas anderen Betrachtungen des Mais im Gedicht. Dieser unbekannte Dichter denkt nicht ans Blühen und Lieben, sondern ans Sterben.

Unbekannt

Wunsch

Im Mai möcht’ ich einst sterben,
Wo ich geboren bin;
In einer stillen Mainacht
Tragt mich zum Grabe hin.

Wenn golden schaut die Sonne
Mir in das Kämmerlein
Und vor dem letzten Scheiden
Mich hüllt in ihren Schein;

Wenn mir die blauen Blümlein
Noch einmal nicken zu,
Eh’ sie die Äuglein schließen
Und gehen zu kurzer Ruh’;

Wenn durch das offne Fenster
Das Abendwehen dringt,
Und von dem Fliederbaume
Der Vöglein Lied verklingt.

Nicht möcht’ ich einstmals sterben
zu kalter Winterszeit,
Wenn raue Winde sausen,
Die Erde ist beschneit.

Im Mai möcht’ ich einst sterben,
Wo ich geboren bin;
In einer stillen Mainacht
Tragt mich zum Grabe hin.

 
 

Mai-Ruhe

Auch in diesem Gedicht ist der Wunsch ob eines vorhergehenden Verlustes nicht typisch für den Monat Mai.

Rückert: Lass mich nur entschlafen ...

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Das etwas andere Mailied

Und dieses Mai-Gedicht ist wirklich ein Kontrastprogramm. Da ist jemand auf 180 und völlig unbeeindruckt von den Wonnen des Monats.

Herrmann-Neiße: Neues Mailied (zum Mitsingen)

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Gedicht zur Konfirmation

Auch die Konfirmation schwankt bei den Monaten und trotzdem gibt es einen guten Grund dieses Gedicht im Mai zu platzieren. Welchen? Jo, mei, schau’ mer mal.

Rilke: Die Konfirmanden

Dieses Gedicht im Textformat

Hinweis: Gedichte zum Frühling sind sicher eine gute Ergänzung zu den Mai-Gedichten.

Link: Mai-Gedichte beim Poetischen Stacheltier