Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Frühlingsgedichte 1

Wenn die Natur aus ihrem Winterschlaf erwacht, dann blühen auch Dichterhirne wieder auf. So ist es nicht verwunderlich, dass der Frühling ein paar Gedichte-Klassiker aufzuweisen hat, die auf Seite 2 des Frühlingsthemas präsentiert werden. Auf dieser Seite werden neuere Gedicht-Versuche, den Frühling poetisch zu erfassen, gezeigt, von bekannten, aber auch unbekannten Dichtern. Denn ein bisschen Überraschung muss gerade im Frühling schon sein.

 
 

Die ersten Frühlingsklänge

In diesem Gedicht wird der Frühling hörbar gemacht durch den atmosphärischen Umschwung, der stattfindet, wenn es beginnt zu tauen.

Emanuel Mireau · geb. 1974

Ein neuer Klang

Ein neuer Klang
liegt in der Luft,
als ob die Welt
mit einem Male
heller wäre.

Wir gehn hinaus.
Es tropft und klopft;
im kahlen Strauch
übt eine Amsel
leise ihre Lieder.

Kein Zweifel:
Die Luft, gestimmt
von Sonnenstrahlen,
erweckt versteckt
ein Reich voll Farben.

Nun höre Winter,
deine Zeit ist um.
Der Frühling kommt,
der Frühling kommt
mit allen seinen Gaben.

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Frühling in Gedanken

Frühling ist, wenn man dran denkt. Da Pflanzen nicht denken können, muss der Dichter sich Gedanken über ihre Gedanken machen, hat ja sonst nichts zu tun.

Emanuel Mireau · geb. 1974

Vorfrühling

Die kahlen Zweige still im Morgengrauen,
sie sammeln Mut, um wieder sich zu trauen
zu Blättergrün und bunter Blütenpracht.
Sie wissen’s nicht, doch wird der Sonne Macht
all ihre Wünsche formen und erfüllen,
so ihre Kahlheit in Vergessen hüllen.

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Der Frühling kommt!

Tier-, Mensch- und Schneewelt sehen den Frühling aus ihrer jeweiligen Perspektive, doch in einem sind sie sich einig: Er kommt!

Hans Retep · geb. 1956

Der erste Frühling

Die Vögel spüren’s in den Schnabelspitzen,
da sie im Sonnenschein auf Wipfeln sitzen.
Sie zwitschern, trillern, rufen es hinunter:
Der Frühling, Frühling, Frühling kommt!

Der Mensch verdrängt sogleich des Winters Grauen,
die ersten Blicke suchen scheu nach Frauen,
jetzt fließen Säfte endlich wieder munter:
Der Frühling, Frühling, Frühling kommt!

Nur einer ist tatsächlich unzufrieden.
Dem Schneemann scheint sein End zu früh beschieden,
und unter seiner Rübennase brummt er:
Der Frühling, Frühling, Frühling kommt.

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Frühling gewinnt

Der Winter hat keine Chance gegen den frischen Konkurrenten, obwohl: Dieses Gedicht gibt einen Hinweis, dass er an seinem Comeback arbeitet.

Hans Retep · geb. 1956

Winter und Frühling

Der Winter wollte wüten,
doch ging ihm die Puste aus.
Der Frühling lachte Blüten
und schickte den Alten nach Haus.

Und wieder die Welt erstrahlte
in allen Farben des Lichts.
Die Kraft der Sonne zermahlte
die graue Kälte zu nichts.

Der Winter war bald vergessen,
die Liebe zum Leben gewann.
Der Alte nicht faul unterdessen
fraß sich ein Schneebäuchlein an.

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Frühling für Gärtner

So schön diese Jahreszeit im Garten auch ist, und das Gedicht zeigt ihre wunderbarsten Seiten, sie ist doch mit Arbeit verbunden.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Frühling im Garten

Endlich wieder Frühling!
Die Kiesel erblühen
in neuen Farben,
die Steintürme recken
ihre Häupter gen Sonne
und die rostige Skulptur dreht
sich mit den Winden.
Selbst kräftige Aprilschauer
sind willkommen,
sie entlocken dem Gestein
längst vergessene Aromen.
Nur das Unkraut
muss ich mal wieder herausbrennen.

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Warum der Frühling nicht kommt

Sollte man doch glauben, dass so ein Frühlingsanfang jede Dichterin und jeden Dichter zu Jubelarien animiert. Denkste. In diesem Gedicht wird ein ganz anderes Garn gesponnen.

Edna St. Vincent Millay · 1892-1950

Frühlingslied

Ich weiß, warum die gelbe Forsythie
Ihren Atem anhält und nicht blühen will
Und das Rotkehlchen seinen Schnabel in den Flügel stopft.

Soll ich’s dir sagen? Glaubst du’s zu ertragen?
Bedecke deine Augen mit der Hand und höre.
Du weißt, wie kalt noch die Tage sind?
Und alle sagen, wie spät dran der Frühling ist?
Nun – bedecke deine Augen mit der Hand – die Sache ist die,
Es wird keinen Frühling geben.

Kein Parken hier! Kein Parken hier!
Sie sagten ihr: Kein Parken hier!

Frau Frühling kam, wie sie’s immer tut,
Legte ihre Hand auf die gelbe Forsythie, –
Kleine Jungs regten sich im Schlaf und lächelten,
träumend von Murmeln, träumend von Achaten;
Kleine Mädchen sprangen aus ihren Betten, um zu sehen,
wie Frau Frühling vorbeikommt mit ihren bemalten Wagen,
Bunte Wagen quietschend vor Wunder –

Legte ihre Hand auf des Rotkehlchens Kehle;
Als Du-weißt-schon-wer auftaucht, mein Schatz,
Du-weißt-schon-wer in einem schönen blauen Mantel,
und sagt zu ihr: Kein Parken hier!

Kein Parken hier! Kein Parken hier!
Weiter! Weiter! Kein Parken hier!

Komm, spazier mit mir in den Gärten der Stadt.
(Aber halte Ausschau nach Du-weißt-schon-wer)
Hast du jemals solch eine trübe Vorstellung gesehen? –
Mitten im Juni, und nichts wächst;
Die Gärtner spähen umher und kratzen sich die Köpfe
und tropfen ihren Schweiß auf Tulpen-Beete,
Doch nicht ein Halm bricht durch.

Komm, weiter! Weißt du nicht, wie man geht?
Kein Parken hier! Und keine Widerrede!

Nun, gut – zur Hölle, es ist alles zum Besten,
Sie hat wirklich einiges an Durcheinander gebracht,
Blütenblätter unter Bäumen fallen lassen,
Dich von deinem Brotjob abgelenkt.

Wie auch immer, mir macht es nichts.
Ich kann mich erinnern, und du kannst es auch.
(Obwohl wir besser nach Du-weißt-schon-wer Ausschau halten,
Wenn wir herumsitzen, uns an den Frühling erinnern.)

In ein, zwei Jahren werden wir’s kaum noch bemerken,
Man kann sich an alles gewöhnen.

Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus

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Frühlingsbild

Wortwörtlich bietet dieses Gedicht ein Bild von einem Frühling, nur eine Kleinigkeit stört.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Das Bild

Ein alter Mann
sitzt im Sonnenschein
auf einer Bank
vor einem Haus,
er lauscht in die Höh’
und lächelt.
Das Bild ist undatiert,
der Maler nicht bekannt,
doch es hat einen Titel:
Frühling!

Gemäß den wissenschaftlichen
Bleiweißanalysen
ist das Bild mindestens
250 Jahre alt, nur:
Wie lässt sich erklären, dass
Gestalten aus gleißendem Metall
den Betrachter
über das Hausdach hinweg
anstarren?

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Alter

Selbst im Alter wirkt der Frühling noch inspirativ, auch wenn man ihn schon dutzende Male erlebt hat, alles ist besser als Genosse Winter.

Dyrk Schreiber · geb. 1954

In den Frühling

gebückt zu gehen
denn oft zieht’s im Kreuz
nach kalten Wintern
ist nicht schlimm
man geht ja
heute wärmt der Tag
wie eine Bettflasche
und sein Licht ist Luxus
der Matsch gurgelt munter
nach jedem Schritt
hier und dort putzende Wölkchen
sogar eine Blume am Rand
die ich trällernd grüße
ein wenig Wind hilft ihr
sich dankend zu verneigen

Ich schaue nach oben
die Putzkolonne zischt ab
ich schaue nach hinten
die Blume winkt mir nach
ganz ohne Furcht
es soll ja Leute geben
die solch kleine große Natur
in Käfigvasen stellt

Ich schaue nach vorne
nicht mehr so gebückt
auf festem Weg und
will mir den Himmel knallig
die Vögel kariert denken

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Gruß an den neuen König

Standesgemäß begrüßt wird der Frühling in diesem Gedicht. Alles scheint nichtig und klein, wenn seine Majestät wieder regiert.

Elsa Asenijeff · 1867-1941

Große Allmacht über totem Land

All unser Lächeln,
Unsere Schmerzen,
Unser Jauchzen,
Unser Scherzen
Ist nicht mehr wichtig,
Groß gemessen an dir,
Frühlinglicher Hang
Ausleuchtender Blüten!
Ausbrechender Gang
Der dunklen Erde ...
Wer sprach ihr das Werde,
Das den duftlockenden Farbenklang
Ins leuchtende Leben rief?
All unser Staunen,
All unser Raunen,
All unser Wüten
Ist Zirpen gegen dich!
Große Allmacht über totem Land:
Frühling genannt ...!

 
 

Vom Frühling getrennt

Einen etwas anderen Blick auf die schönste Jahreszeit findet das folgende Gedicht – aus Gründen, wie man so schön sagt.

Veronika Bauer · geb. 1978

Frühlingsgedicht

Seitdem du fort bist,
kreischen ohne Unterlass die Vögel,
blühen plastikbunte Primeln
im dreckigen Beet.
Und dort oben
hängt giftgelb die Sonne
und grinst.
Du hast mich allein gelassen
mit dem hellen, grellen Frühling,
die Fenster offen:
Im Hof stinkt der Flieder.
Ein lächerlich bunter Schmetterling
taumelt planlos vorbei.
Von allen Seiten drängen
unaufhaltbar Blätter in die Welt.
Es ist zu warm,
um zu frieren.
Manchmal spottet
der Kuckuck
dort hinten im Wald.

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Raus aus’m Haus

Der Frühling lockt den Menschen wieder aus dem Haus, ins Freie, in die Natur. Aber da Menschen nun mal Menschen sind, ist das nicht immer eine gute Idee.

Heinz-Peter Geißler · geb. 1962

der winter ist vergangen ...

der winter ist vergangen
mein haus ist wieder dunkelblau
ich geh mir einen vogel fangen

ich schleich mich durch den morgentau
mit leim und ruten aus der Stadt
die ruten sind noch rau

ich reib sie mit dem leimtuch glatt
und bring sie gleich als köder aus
denn wenn der vogel hunger hat

fliegt er aus seinem nest heraus
und flugs in meinen feinen leim
wie eine taube Fledermaus

dann nehm ich einen großen stein
und decke seine flügel zu
und lach mir in die hand hinein

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Lieder

Mit dem Frühling erwachen die Lieder. Das wusste man vor 200 Jahren, das wusste man vor 100 Jahren und heutzutage weiß man es immer noch. Man drückt es jetzt in einem Gedicht nur etwas anders aus:

Jari Niesner · geb. 1991

die lieder in mir ...

die lieder in mir
fangen an, gewinnen wieder
mein gehirn, vom winter
verklärt, und durchdringen
meinen leib wie ein meer, stoffe
so weiß wie
so warm wie
eine notwendigkeit aus watte

dies sind die wurzeln
unausgerottet noch, un-
ausrottbar, herzenskraut
am totempfahl, das wagt sich
fortzujagen, auf leisen sprossen
so luft wie
so selbst wie
zweige über steinige erde ragen

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Ein zwitscherndes Frühlingsgedicht

In diesem Gedicht zwitschert es aus fast jeder Zeile, denn zu dieser Jahreszeit ist das Zwitschern Pflicht.

Philipp Lauer · geb. 1994

Zwischen altrosanen Blüten...

Zwischen altrosanen Blüten,
auf knarrendem Geäst,
versteckt sich ein Vöglein,
das zwitschert.
Es trällert voll Liebe,
bemüht und konzentriert,
übt – es das
Zierlichste der Liebeslieder,
scharrt –
streckt das schillernde Gefieder,
verververrenkt
Hälschen und Gefieder,
wieder und wieder zwi -
tschert es das Zierlichste a-
aller Lie-Lie-Liebeslieder,
da blüht, da fliegt, da rührt Liebe
wiegt da, schmiegt da, rührt da
sich nur ein einzig Vögelchen
im knarrenden Geäst,
das mit plüscher Kehle
Liebeslieder bläst?
Und das wieder und wieder!
Respektierlichste Liebeslieder!
Es raschelt durch B-B-B-B-Blätter und prächtige Blütchen,
trällert wie-
der wie-
der wie
-der Vogel
schmachtet –
mit zierlichsten Liebesliedern,
quietsch - endem Gezwitscher, wider krach - enden Gewitttttttern -
und das wieder und wieder
im Lärm dieser Stadt,
und ich bin froh,
dass er es macht.

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Kraftspender Frühling

Die kraftspendende Wirkung der ersten Frühlingstage beschwört dieses Gedicht in konzentrierten Versen.

Olivér Meiser · geb. 1970

Frühlingstag

Frühlingstag:
Welt wird wach,
hochgeschwollen
rauscht der Bach,
führt mich in die Ferne!

Frühlingstag:
Freude schwingt,
in der Früh die
Amsel singt;
hör´ sie doch so gerne!

Frühlingstag:
Seidenweich
prangt der Himmel
und noch bleich
unser Angesicht!

Wenn wir erst
aufgetaut,
unsre Kraft
aufgebaut:
Ei, was dann
geschehen mag,
Frühlingstag!

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Gedicht mit Primeln

Der Frühling ist schon eine verrückte Jahreszeit. Wie verrückt, kann man daran erkennen, dass sich jemand Gedanken darüber macht, was Primeln denken:

Charlotte Schade · geb. 1999

Primeln

Die Primeln vor meinem Fenster
Recken sich der Sonne entgegen
Als wären sie nicht erst
Gestern von ihr verlassen worden
In stiller Dankbarkeit
Sehen sie sich selbst
Beim Wachsen zu
Empfangen jeden Schauer
Mit sprießenden Armen
Zum Himmel gestreckt

Ich frage mich ob
Sie an morgen oder gestern denken
Ob sie die Zeit fließen spüren
In ihren Blättern
Und sich wünschten es bliebe viel mehr
Ob sie den Wind fürchten oder die Vögel
Nein —
Sie scheinen
Viel zu beschäftigt
Mit Blühen zu sein

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Englischer Frühling

Die da drüben haben auch so etwas wie Frühling und das ganze ohne Pfefferminzsoße, nur eben ein bisschen wässrig, aber dafür mit Denkmal.

Eduard Saenger · 1880-1948

Park in London

Noch bläht die braune Erde Frost,
doch Vögel spielen sommerlich
im Holz der Rosen.

Ein Teich im Eirund wiegt
die möwenweiße KInderflotte
welt-um. Da kippt ein Schiff!
Mit dünnen Beinen plätschernd
hilft ein kleiner Gott.

Versäumte Bänke spenden sich,
jung aufgetaut, am hellen Gras,
erkalten unter alten Frauen.
Die Mauerkatze gründet sich
als Monument und glotzt ins Gelbe.

 
 

Ein Gedicht zum Vorfrühling

Ein sehr stimmungsvolles Gedicht zum Vorfrühling hat Hugo von Hoffmannsthal geschrieben.

Hofmannsthal: Vorfrühling

Dieses Gedicht im TextformatZur Interpretation des Gedichts Vorfrühling

 
 

Frühlingsversuch

In diesem Gedicht werden die Widerstandskräfte gegen den Frühling getestet. Wie es ausgeht, ist klar, und schuld hat wie immer eine Frau.

Yvan Goll · 1891-1950

Frühling

Ich hatte alle Kammern verschlossen und alle Fenster fest verrammt,
Dass nicht eindringe die Morgendrossel und nicht der Abend im roten Samt,
Ich habe Qual und Schrei und Verzweiflung und Schuld und Anklage gehäuft
Und meine Augen so fremd gemacht aus Angst, dass eine Träne träuft.
Ich hatte mein Herz sechsmal verpackt wie zu unendlich weiter Reise,
Das Saitenspiel meiner Seele zerhackt, zu hören nicht die ewige Weise –
Und doch am ersten Morgen schon, und doch beim ersten Duft Jasmin,
Da brach mein Schmerz, da schluchzt’ ich auf und fiel zu deinen Füßen hin.
(an Lilian)

 
 

Durch den Frühling spazieren

Alles ist gut und reimt sich, auf diese Kurzformel könnte man dieses Gedicht bringen. Was reimt eigentlich auf Frühling?

Emil Alphons Rheinhardt · 1889-1945

Frühlingsmittag im Park

... Und die Menschen gehen wie im Kreise,
So, als endete dies Gehen nie.
Sind nur Landschaft noch; die liebe, leise
Sonne bringt ein Bleibendes in sie.
Nie mehr schweigt die Amselmelodie.
Alles ist für immer schon gegeben.
Herzen, die sich jetzt zur Sonne heben,
Wachsen ganz voll Glanz und sinken nie.
Goldlack und Levkojen um die Teiche,
Wo das ewig junge Wasser grünt,
Grüßen lächelnd aus dem Liebesreiche
Mit Erinnerungen, lang gesühnt.
Alles Kommende ist längst vergangen.
Still geht das Gewesene im Blut.
Ewiger Frühlinge lichte Zweige langen
In den Himmel – und der Welttraum ruht.

 
 

Ein Gedicht über einen Frühlingsmorgen

Jung wie ein Kind fühlt sich das lyrische Ich an einem Morgen und denkt doch an die Ewigkeit.

Albert Sergel · 1876-1946

Ein neuer Mensch ...

Ein neuer Mensch erwach ich jeden Morgen
und schau mit ungeübten Kinderaugen,
die sich bei jedem neuen Wunder weiten,
des jungen Tages lachende Herrlichkeit,
als hätt’ ich nie die bunte Pracht gesehn,
die flimmernd vor den trunkenen Blicken liegt
und alle Fülle dieses blühenden Lichts,
das blendend hell aus tausend Quellen bricht:

Das weiche Grün der jungen Tannenspitzen,
der schlanken Birkenstämme Silberweiße
und dieses zarte Rot der Apfelblüten
am alten Baume unter meinem Fenster,
auf den das rinnende Gold des Morgens tropft ...

Und jauchzen möcht’ ich, jauchzen wie ein Kind,
dass ich noch einmal diesen Tag erlebe,
noch einmal diese Sonne sehen darf ...

Nun trinkt ihr Augen! Trinkt mit durstigen Zügen
die Wunderfülle taumelnd in euch ein,
dass meine Seele, voll von Licht und Farben,
geschlossenen Auges ewig solche Morgen sieht!

 
 

Erste Frühlingsimpressionen

Arno Holz lässt sich vom Frühling überraschen und gießt diese Überraschung in sehr freie Verse.

Arno Holz · 1863-1929

Mitten auf dem Platz, wo die Kinder lärmen ...

Mitten auf dem Platz, wo die Kinder lärmen,
vor der strohumwickelten Sandsteinflora,
die Beete drum dick mit Tannenreisern bedeckt, bespießt mit scheußlichen Ölpapierkapuzen,
– Was ist? ... Wieso? ... Ich weiß es nicht! –
bleibe ich stehn.

Jungens,
die sich um eine Murmel zanken;
quer
über dem
zwischen zwei Lehmkiesstreifen kreisrund laufenden Steinchenweg
ein
irgendwie rätselhaft „sich selbst“ überlassener,
leise steilaufschütternder,
blankblau spiegelnder Bahnwagen,
aus dessen weißen, schwellenden, zipfelzitterigen Häkelspitzenkissen
ein lallendes, krahlendes, quäkendes Etwas
mit kleinen, dicklich ungeschickten, milchzart grübchenfeisten Grapschhändchen
nach einem schwebend festgeknüpften,
schwanken,
lustigst knallrotschaukelnden Luftballon ampelt;
ein mich seltsamst,
verschmitzt, quietschvergnügt aus großen, hellen, strahlenden Sternaugen
kokett anlächelndes,
halbflügges, balletteusenhaft aufgeputztes
Mädelchen,
das
mit wehenden Röcken, ruckenden Schultern und
offenen,
flatternden, fliegenden
Haaren
Reifen springt!

Herr Gott ... Frühling!

Die
Luft so weich,
die hohen, grauen, häßlichst balkonüberklatschten Häuser rings,
fast
schimmernd,
schleierdunstig, silberschillerig,
glänzen,
das betäubend, tschilpend, ohrenzerreißend schrillende Spatzenpaar,
aus allen Bäumen, aus allen Sträuchern,
um alle Bänke,
wie
verrückt!

Und
... nichts ... nichts ... nichts ...
habe ich ... gesehn!

Aus allen Spitzen, aus allen Zweigen, aus
allen Büschen
brechen ja schon ... die Knospen!

 
 

Frühlingsanfang

Mit einer Reihe von Schnappschüssen hat der Dichter diesen Frühlingsanfang eingefangen. Man kann auch mit Versen fotografieren!

Georg Stolzenberg · 1857-1941

Erster Frühlingssonntagsmorgen ...

Erster Frühlingssonntagsmorgen
auf der Straße!

An der Ecke
der zerlumpte, versoffne Kerl
hält zwischen den gelben Zähnen eine Blume.

Kindermädel mit blanken Backen;
auf ihrem Arm
strampelnde Schneeglöckchen.

Über dem Bürgersteig,
durch Himmel und Hölle aus Kreidestrichen
segelt der Onkel mit der Kuchendüte:
ans Knopfloch geknotet
einen blauen und einen roten Ballon.

Er lächelt.

Läuft immer schneller!

 
 

Ein Frühlingsgedicht von Rilke

Auch Rilke hat den Frühling in einem Sonett auf seine ganz eigene Art und Weise besungen. Für die Formulierung „Die Erde ist wie ein Kind, das Gedichte weiß“ müsste es eigentlich einen Sonderpreis geben.

Rilke: Frühling ist wiedergekommen ...

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Göttlicher Frühling

Die Gläubigen (und die Bienen) haben es schon immer gewusst: Der Frühling ist Gott. Daher wurd’ es höchste Zeit, diesem Gott ein Gedicht zu widmen. Gesagt, getan:

Moriz Seeler · 1896-1942

Der Gott des Frühlings

Der weiße Gott des Frühlings saß am Hang,
Das Haupt, das licht war, nur von Licht beschienen,
Den Kranz sich flechtend, der ihm schön gelang
Und traulich Zwiesprach’ pflegend mit den Bienen.

Sie flogen ganz verliebt zu seinem Haar
Und saßen auf den Lippen, bei den Augen,
Weil er so rein und voller Süße war,
Als könnten sie gleich Honig von ihm saugen.

Sie machten summend Rast an seinem Kinn,
Umtummelten ihn, schwärmten, spielten, haschten.
Er streckte lockend einen Finger hin,
An dem sie wie von einer Blume naschten.

Auch raunten sie ihm vielerlei ins Ohr,
Berichteten ihm gern als fromme Späher.
Zuweilen beugte er sich etwas vor,
Dann krochen und bewegten sie sich näher.

Als nun die Luft vor lauter Licht zerschmolz
Und als er seinen Frühlingskranz geflochten,
Nahm er das Flötenspiel aus Weidenholz
Und blies das Lied, das sie so gerne mochten.

Da wurden seine Bienenfreunde stumm
Und wagten’s kaum, die Flügelchen zu heben.
Sie hielten ein mit jeglichem Gesumm,
Um sich dem Klang des Gottes hinzugeben.

Hernach befiel den Gott ein sanfter Schlaf.
Die Bienen blieben, um ihn zu bewachen.
Ein Wandrer, der vorbeikam und ihn traf,
Erzählt, der Schlummernde schien hold zu lachen.

 
 

Der Frühling mit Problemen

Probleme zu dieser Jahreszeit sind meist mit Heuschnupfen verbunden, doch im Gedicht hat der Frühling selbst ein Problem:

Lilli Haller · 1874-1935

Der Frühling vor Gericht

Man schleppt den Frühling vor Gericht,
Es heißt, er habe viel gesündigt,
Vor allem der Vernunft gekündigt.
An jedem flatternden Gedanken,
Rumoren, Flirten, Johlen, Zanken,
Verbotenem Lächeln, rascher Huld
Sei er, der arge Frühling schuld.

Nun sitzt er auf der Sünderbank.
Und schläfrig, halb und halb verdrossen,
Hält er die Augen dreist geschlossen,
Auch durch die tief gesenkten Lider
Erkennt er seine Hasser wieder:
Die Schreiber, Mucker, Spießer, Richter,
All das pedantische Gelichter,
Das da mit überlangen Ohren
Und dicken Fingern sich verschworen,
Als allererste Bürgerpflicht
Zu strafen jeden Bösewicht.

Da hört er seinen Namen rufen.
Und – als vom Anruf rasch belebt
Er höflich sich vom Sitz erhebt,
Wie sich’s gebührt dem Delinquenten,
Sieht auf den Pult des Präsidenten,
Dicht unter des Gestrengen Nase,
In hohem goldgereiften Glase
Er eine weiße Blume stehn,
Magnolienblüte jung und schön.
Er hat sie von der Gattin Hand
Dem Eheherrn als Gruß gesandt,
Damit bei richtender Gebärde
Die Strenge sanft gemildert werde.
Noch hält die duft’ge Blütenkrone,
Gleich einem festgefügten Nest,
Die zarten Blütenblätter fest.
Den eignen Schlummer zu behüten,
Legt sie, die herrlichste der Blüten,
Die hier des Lenzes Hauch nicht fand,
Das Haupt tief auf des Glases Rand.

Der Frühling hebt das Flammenauge,
Und zur Magnolie geht sein Blick.
Sie zittert, schauert, neigt zurück
Das süße Haupt, die Schleier springen,
Die losen Reise knistern, klingen,
Und in der Schönheit reinstem Glanz
Erstrahlt der weiße Blütenkranz.
Und nun beginnt ein süßes Düften –
Von tausend Gärten hergeweht –
Es über die Perücken geht.
Durch grauer Weisheit grauen Plunder
Strahlt der Magnolie köstlich Wunder,
Und aller Staub von Stirn und Schrein
Schlürft sie mit durstger Lippe ein.

Im Saal hebt an ein seltsam Staunen,
Ein kaum geflüstert scheues Raunen,
Ein linder Taumel, köstlich Bangen,
Verbotner Sehnsucht heiß Verlangen,
Begeistert Stammeln, trunkner Jubel
Wie erster Liebe süßer Trubel,
Umkost von Duft und Melodein.
Die Schreiber, Mucker, Spießer, Richter,
Sie lächeln alle. O, die Lust!
Voll junger Torheit klopft die Brust. –
Man legt die Aktenmappe nieder.
Sag, holde Jugend, kommst du wieder?
Du Zeit des Kusses, zarter Minne?
Du Lächeln meiner Königinne?

Doch in dem allgemeinen Taumel
Greift an die Stirn der Präsident.
„Wo“, ruft er, „ist der Delinquent?“
„Auf, holt ihn ein, fasst ihn am Kragen!“
Da hört man eine Türe schlagen,
Und um die Ecke flirrt im Nu
Des Frühlings goldbeschlagner Schuh.

 
 

Frühlingssonne

Frühling ist, wenn man die Sonne wieder spürt mit all den wunderbaren Konsequenzen für die Natur und den eigenen Körper und die eigene Psyche. Natürlich gibt es auch darüber ein schönes, langes Gedicht, nämlich dieses hier:

Franz Evers · 1871-1947

Ein Frühlingsgebet

Hinter den Hügeln schlafen die Winde,
Aber du fühlst, sie schlafen nicht lang ...
An den Ästen springt schon die Rinde,
Keimt der erste Knospendrang –
Und du siehst, wie rings die Erde
Dunkel den weißen Schnee durchdringt ...
Dass der Himmel voll Sonne werde,
Bettelt dein Herz nun und braust und klingt.

Weil die Winde nun bald erwachen
Mit aufjauchzender Frühlingskraft,
Fühlst dein Blut du zittern und lachen,
Und in deinen Stämmen treibt der Saft.
Aus dem Dunkel schlafender Träume
Dämmert dein Sinn dem Lebendigen zu,
Und wie Brüder sind dir die Bäume,
Denn sie gedeihen und wachsen wie du.

Horch! Schon werden zum Sturm die Lüfte ...
Hinter den Hügeln erwachsen sie schon.
Feurige Sehnsucht sprengt die Grüfte,
Und die taumelnden Wolken lohn.
Sonne! Sonne! Aus duftenden Becken
Bringt die Erde dir seligen Dank,
Die du zum Leben kannst erwecken,
Täler, die schliefen, und Herzen, die krank!

Die du die Wesen füllst mit Sehnen,
Scheuche das Dunkel, verscheuche das Weh!
Sonne! Sonne! O tilge die Tränen,
Wie du tilgst den Winterschnee!
Wenn dein Glanz die Stürme begleitet,
Leuchtend auf wilder Wanderschaft,
Halten die Arme ausgebreitet
Tausende, denen sich die Brust weitet,
Die eine selige Sehnsucht leitet,
Jugend zu trinken und Licht und Kraft ...

Wenn dein Glanz die Stürme begleitet,
Sonne! O gib uns deine Kraft! ...

 
 

Gedicht über Frühlingserinnerungen

In diesem Gedicht lebt nicht nur die Natur, sondern auch die Erinnerung auf. Manch einem ist sie sogar lieber als das, was die Natur da draußen veranstaltet.

Jakob Haringer · 1898-1948

Einst im Frühling

Ein Wetter, als sei es von früher,
Ein Duften von Liebe dabei –
Ach, und die alten Lieder,
Als glänzten Noch Küsse und Mai.
Im Park, da schlagen die Finken,
Da blühn Vergissmeinnicht –
Lasst auf das Leben uns trinken,
Wenn’s auch nicht viel mehr verspricht.
Lasst uns im Flieder verweilen,
War auch nicht alles von Gold –
Liebste! wo magst du wohl weilen?
Hast einst bloß mich gewollt!
Stickst vielleicht bei der Lampe
Einen uralten Spruch,
Streichelst vorm Spiegel das samtne
Kleid und liest müd ein Buch.
Kläng meine Laute dir wieder –
Wieder, wie damals im Mai!
Graues Haar unterm Flieder ...
Und noch Luft von Liebe dabei.

 
 

Barocker Frühling

Ein barockes Imitat liefert Arno Holz ab, und wie bei jedem Imitat gibt es eine Abweichung vom Original. Das Silbenschema geht eher Richtung Lied der Romantik, als dass es den ausschweifenden barocken Alexandriner-Versen folgt.

Holz: Er klagt / daß der Frühling so kortz blüht

Dieses Gedicht im Textformat

Hinweis: Mehr Frühling? Es gibt eine weitere Seite mit kurzen Frühlingsgedichten und aus den Jahresgedichten könnten die Themen März-Gedichte, April-Gedichte und Mai-Gedichte interessant sein.

Link: Kurzgedichte zum Frühling