Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Kurze Frühlingsgedichte

So lang erwartet und dann schießt die Natur plötzlich in die Höh’. Es wächst, es blüht, es kribbelt und krabbelt, was klein war, wird groß. Und so passt es ganz gut, dass auch unter den kleinen Gedichten auf dieser Frühlingsseite ein paar ganz große dabei sind.

 
 

Der Beginn

Was da alles blüht, wenn der Frühling anfängt, ist jedes Mal wieder ein Gedicht wert.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

erster Frühlingstag

erster Frühlingstag ...
auf dem Spielplatz blühen
Kinder auf

Urheberrechtshinweis

 
 

Ein paar Frühlingsreime

... sind schnell fabriziert. Der Frühling macht es einem aber auch leicht, quer durch den frischerblühten Garten zu reimen. Nur was, wenn man feststellen muss, dass sich die Welt eigentlich gar nicht reimt?

Hans Retep · geb. 1956

Erstes Frühlingsreimen

Die Sonne streichelt meine Wangen,
der Bach strömt leise vor sich hin
und Blümchen blühen voll Verlangen,
die Vögel zwitschern ihr „Ich bin“.

Da ist er also wieder: der Clown
mit seinem buntgeschminkten Gesicht.
Kann er die Stimmung heben?
Oh nein, ich möchte weinen,
der Welt allumfassendes Graun,
so schnell verlässt’s mich nicht.

Urheberrechtshinweis

 
 

Sonne am Morgen

So ein Frühling bringt am Morgen ganz neue – weil vergessene – Special Effects mit sich.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Frühlingsmorgen ...

Frühlingsmorgen
zwischen zwei Häusern
von der Sonne gestreichelt

Urheberrechtshinweis

 
 

Rückfall

Auch das gehört zum Frühlingserwachen dazu: Rückfälle sind nicht ausgeschlossen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Zurück zur Winterjacke

Der alte Mann
sitzt an der Bushaltestelle,
trinkt einen Schluck.
Dann steckt er
die Bierdose
in die Innentasche seiner Winterjacke.
Nach einem kurzen Frühlingserwachen
ist es heute
wieder kalt.

Urheberrechtshinweis

 
 

Die Blüten des Frühlings

Kirschbaumblüten gehören zur Standardausstattung eines Frühlings. Das heißt aber nicht, dass nur eitel Sonnenschein herrscht.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

die Kirschbaumblüten ...

die Kirschbaumblüten
im strahlenden Sonnenlicht
noch nass vom Regen

Urheberrechtshinweis

 
 

Launischer Frühling

Auch wenn viele Dichter so tun als ob mit dem Frühlingseinzug alles in Butter wäre, Rückschläge gibt es immer wieder, wie zum Beispiel diesen:

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Überraschung!

Damit haben die Kirschblüten bestimmt nicht gerechnet:
Dass es schneien würde,
als sie ihr erstes Sonnenbad nehmen wollten.

Urheberrechtshinweis

 
 

Gedicht über den erbarmungslosen Frühling

Die Natur nimmt wie üblich auch in dieser Jahreszeit keine Rücksichten, weder auf Lebende, noch auf Tote. Es muss geblüht werden:

Hans Retep · geb. 1956

Der Frühling kennt kein Erbarmen ...

Der Frühling kennt kein Erbarmen;
an Stängeln, Sträuchern und Bäumen
blüht es in allen Farben
auf dem Friedhof.

Urheberrechtshinweis

 
 

Frühlingsgedicht mit Amsel

Die Amseln männlicherseits haben aufgrund ihres schwarzen Federkleids eine gewisse Nähe zum Thema Friedhof, doch im Frühling kann darauf keine Rücksicht genommen werden.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Den Schnabel voll ...

Den Schnabel voll
sitzt die Amsel
auf dem Grabstein
der Eheleute Speis.

Urheberrechtshinweis

 
 

Frühlings-Haiku I

Haiku werden traditionell entlang den Jahreszeiten geschrieben. Da ist der Frühling mit seinen täglichen Neuheiten ein beliebtes Motiv für diese Art von Gedichtschnappschüssen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

endlich ...

endlich, endlich, endlich
an diesem Morgen
Vogelstimmen

Urheberrechtshinweis

 
 

Frühlings-Haiku II

Auch wenn Haiku eher als Naturgedichte gelten, zeigt dieses Beispiel, dass zumindest im Frühling Natur und Technik Hand in Hand arbeiten.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

heut früh neu ...

heut früh neu
beim Autohändler:
ein rosa Blütenblätter-Auto

Urheberrechtshinweis

Lesetipp:
Mehr zum Thema Haiku finden Sie bei Ziemlichkraus.

 
 

Übergang vom Winter zum Frühling

In diesem sehr nah am Haiku gebauten Gedicht wird der Übergang beschrieben: der Mensch erfreut sich der Natur, das Tier der Technik.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

bei Grün ...

bei Grün
geht eine Krähe
über die Ampel
Narzissen blühen

Urheberrechtshinweis

 
 

Morgengedicht

Ein Gang durch den Wald beschert an einem kühlen Frühlingsmorgen die Erkenntnis, dass man der Menschheit nie so ganz entkommen kann.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

An einem kühlen Frühjahrsmorgen ...

An einem kühlen Frühjahrsmorgen
gehe ich durch den Wald,
eingehüllt in eine Decke
aus Vogelgezwitscher.
In der Ferne rauscht
die Autobahn.
Doch hier
ist kein Mensch zu sehen.
Nun ja … fast.
Ein Schnuller
hängt an einem Ast.

Urheberrechtshinweis

 
 

Gemixter Frühling

Das dauert, bis der Winter getilgt und vergessen ist, zumal der Frühling auch nicht immer weiß, was er eigentlich will, deshalb gibt’s den April.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

drei Tauben ...

drei Tauben
auf kahlen Wipfeln
im Regen-
sonnenschein

Urheberrechtshinweis

 
 

Frühling für die Nase

Einen entscheidenden Faktor für Frühlingsgefühle beschreibt das folgende Gedicht:

Petra Gellinger · 1960-2016

Frühlingsduft

Es schwillt die Luft,
ist trunken
berauscht.
Der Wind treibt bunt
die Blüten
vom Baum.
Sie stieben wie Schnee,
ich glaube
zu träumen!
Inmitten der Blüten
schwelg’ ich
im Glück,
und nächstes Jahr
kommt dieser Duft
zurück.

Urheberrechtshinweis

 
 

Kirschblütenblättergedicht

Nur kurz blüht die Kirsche, nur kurz ist dieses Gedicht, nur kurz die Einleitung dazu., denn in der Kürze liegt die Kirsche – oder so ähnlich.

Andreas Obster · geb. 1979

Frühlingskonfetti

Kirschblütenblätter
Recken sich zur Frühlingssonne
Hummeln schwirren um die Äste
Verlieben sich in jede Blüte
Konfettiweiß tanzt
Schwerelos
Durch urbanes Alltagsgrau
Bedeckt den träumenden
Asphalt

Urheberrechtshinweis

 
 

Frühlingswahn

Obwohl der Frühling doch jedes Jahr wiederkommt, scheint diesem Gedicht ein bisschen Wahn destawegen durchaus angebracht.

Emily Dickinson · 1830-1886

Ein kleines bisschen Wahn im Frühling ...

Ein kleines bisschen Wahn im Frühling
ist selbst gesund für einen König,
Doch Gott sei mit dem Clown –
der's wagt, die gewaltigen Szenerien –
das ganze Experiment in Grün –
als eigene anzuschau'n!

Aus dem Englischen übertragen von Hans-Peter Kraus

Urheberrechtshinweis

 
 

Frühlingskittelgedicht

Alles wird besser im Frühling, Erwachen allerorten, wenn nur dieser blöde Kittel nicht wäre.

Dietmar Füssel · geb. 1958

Frühling

Und Wasser,
das gestern noch
Schnee gewesen,
fließt

Und nah
das Gebirge
und scharf
die Konturen

Und ich
bin gefangen
in einem blauen
Arbeitsmantel
und freudlos
am Frühlingserwachen.

Urheberrechtshinweis

Lesetipp:
Mehr von und über Dietmar Füssel auf seiner eigenen Website: www.dietmarfuessel.com.

 
 

Kurze Begrüßung

Dieses sehr bekannte Frühlingsgedicht von Mörike ist der einzig mir bekannte Fall, bei dem sich eine Zeile nur auf den Titel reimt.

Mörike: Er ist’s

Dieses Gedicht im TextformatZur Interpretation des Gedichts Er ist’s

 
 

Ein kurzes Gedicht zum Frühlingsanfang

Klassische Verskunst bemüht Martin Greif für sein Gedicht. Der Wechsel von vier zu drei Hebungen sorgt für Dynamik, die Zeilensprünge tun ein Übriges und zuletzt lässt eine Kunstpause den Schlussvers richtig aufblühen.

Greif: Frühlingsankunft

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Frühlingslächeln

Ein Dichter schreibt etwas, das jeder weiß: Der Frühling bringt das Lächeln zurück. Und trotzdem: Dieses Gedicht musste geschrieben werden.

Theodor Suse · 1857-1917

Frühling

Wenn der erste Frühlingsatem
über die Erde weht,
ist es, als ob ein Lächeln
über ein Antlitz geht,
ein Lächeln, so still, so innig,
so süßer Träumerei,
als gäb’ es nichts andres auf Erden,
als Sonne und Glück und Mai.

 
 

Ein Frühlingsgruß

Wo die Liebe ist, da hat Heine ein Wörtchen mitzureden. Sein Himmel hängt sozusagen voller Geigen.

Heine: Leise zieht durch mein Gemüt ...

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Frühlingsliebe

Auch Rilke findet die Verbindung von Liebe und Frühling im Gedicht unwiderstehlich, wobei er ganz nach seiner Art ein kleines Mysterium daraus macht.

Rilke: Will dir den Frühling zeigen ...

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Frühlingsgefühle

Leichte Gefühlsstürme aus Südwest lautet der knappe Gefühlsbericht zu diesem Gedicht.

Georg Stolzenberg · 1857-1941

Heute früh sang ich drei Liebeslieder ...

Heute früh sang ich drei Liebeslieder
über den schmelzenden Schnee
in die weiche Luft.

Mittags war ich so hungrig;
fast fielen mir die Träume in die Erbsen.
Ich stopfte.

Jetzt scheint der Mond.

Aus meinem Herzen
schreien dreihundert Kater.

 
 

Kurzes Gedicht zum Frühlingswandel

Nicht nur die Natur wandelt sich in dieser Jahreszeit, verzeiht dem Winter und blüht auf, auch das menschliche Bewusstsein betrachtet fünf als gerade Zahl.

Bauernfeld: Im warmen Frühling

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Frühling und Philosophie

In knappen Versen wirft Johann Georg Fischer die Frage auf: Wofür das Ganze?

Fischer: Ans Ziel

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Gedicht übers Frühlingserwachen

Immer das Gleiche, immer wieder neu: das Frühlingserwachen. Und daher müssen immer wieder neue Gedichte darüber geschrieben werden.

Friedrich Wilhelm Wagner · 1892-1931

Frühling

Nun wachen alle Seelen auf aus schwerem Schlaf,
Da sie der erste Strahl des jungen Lichtes traf.
Wie kleine Kinder, die sich den Wundern des Lebens nahn,
Sind alle den Dingen staunend willig aufgetan.

Man taumelt beklommen, hemmungs- und fassungslos
Und fühlt die Welt wie niemals neu, schön, reich und groß.
Man schwebt, man tanzt, man lässt sich willen- und ziellos wehn
Und glaubt, es muss ganz Großes, Beglückendes geschehn.

 
 

Widerstandskämpfer

Auch das gibt es: Alles jubelt, alles wächst, alles blüht, aber einer macht nicht mit beim Frühlingsgebraus.

Yvan Goll · 1891-1950

Frühling

Von blauen Lerchen zuckt die Morgenlippe.
Narzissen trägt wie himmlische Medaillen
Der auferstandene Hügel um die Brust.

In tiefer Schlucht
Erklingt die Stimme eines weißen Wassers
und nach der Sonne hascht ein schwarzer Busch.

Nur ich, nur ich
Verbleibe tief in meinem Kniefall,
Mein dunkles Herz
Umhängt sich nicht mit goldnen Faltern.

 
 

Frühling und Herbst

Zwischen Herbst und Frühling liegt bekanntlich der Winter und dieser scheint dem Ich in diesem kurzen Gedicht nicht ganz bekommen zu sein.

Jakob Haringer · 1898-1948

Im Frühling

Da bin ich im Herbst gegangen,
Und mein Herz war so fröhlich und blau.
Mädchen vorüber sangen,
Und die Sonne spielt’ purpurn durch Laub.
Nun lächeln ins Zimmer die Knospen –
O Mai! ach, ich leb nicht mehr gern,
Und das Gold deiner Hand ist erloschen,
Und mein Herz ist so blind und so schwer.

 
 

Expressionistisches Frühlingsgedicht

Gute Nerven braucht, wer dieses kurze Frühlingsgedicht lesen möchte, denn als wahrer Expressionist hatte Otto Steinicke anderes im Sinn, als Blümchen zu begrüßen.

Otto Steinicke · 1894-1943

Frühling

Der Tag schreit alle prallen Knospen an.
Ein Warmgeruch frisiert das Rückenmark.
Du fühlst, wie tausend Schädel, weiche warme Schädel
einen Abhang so wie Gras besetzen.
Dazwischen strähnt in fürchterlicher Enge sprosshaftes Blau.
Man sagt, es seien Veilchen. Ich aber sehe nur Gedärme,
dünne, fette Stränge bläulich in der Sonne schimmern.
Auf allen Straßen weint der Tod den Frühling an.

Hinweis: Mehr und längeren Frühling gibt es auf der Seite Frühlingsgedichte, und die Monatsthemen März-Gedichte, April-Gedichte und Mai-Gedichte duften sicher auch frühlingshaft.

Link: Kurzgedichte zum Frühling