Wald-Gedichte
Ihre ganz besondere Beziehung zum Wald offenbaren auf dieser Seite einige Dichter mit ihren Texten. Psychologisch gesehen ist der Wald im Gedicht eine Allzweckwaffe, er taugt sowohl für die Einsamkeit als auch für die Liebe, sein Anblick lässt philosophisch oder kindlich werden. Und das ganz Besondere an der Präsentation der Wald-Gedichte hier ist: Es wurden dafür keine Bäume gefällt.

Waldchinesisch
Wenn man dem folgenden Gedicht glauben darf, können die Bäume des Waldes Chinesisch, zumindest rein philosophisch betrachtet.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Die Philosophie der Bäume
Sie stehen nur herum,
und tun anscheinend nichts,
doch alles wird getan.
Sie trauen
der Sonne Strahlen,
des Regens Tropfen,
der Winde Sausen.
Sie gehen keinen Schritt,
verlassen nie den Platz,
doch kennen sie die Welt.
Sie wissen
die Zeit zu grünen,
die Zeit zu reifen,
die Zeit zu lassen.
Offensichtlich haben die Bäume des Waldes
das alte chinesische Buch vom Dao
gelesen,
verstanden
und leben danach.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#2928

Walderholung
Die Regenerationskraft des Waldes ist legendär. Nicht nur, dass der Mensch sich dort regeneriert, der Wald selbst lässt sich nicht beeindrucken von Feuer, Sturm oder dem Eindringen der Technik.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
die Fahrspur ...
die Fahrspur
durch den Waldboden
zwei Gräserpfade
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#3116

Walderholung 2
Wo wir schon mal beim Thema sind: Die größte anzunehmende Erholung ist das Leben nach dem Tod. Auch dazu hat der Wald ein paar Worte zu sagen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
vier grüne Blätter ...
vier grüne Blätter
an dem Zweig aus dem Stamm
der am Wegrand liegt
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#3119

Kirche und Wald
Was für die einen die Kirche, ist für die anderen der Wald, es gibt jedoch einen hörbaren Unterschied.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Glockenläuten
die alten Leute vor mir
biegen zur Kirche ab
um zu singen und zu beten
ich gehe weiter
geradeaus
in den Wald
wo die läutenden Glocken
nur eine ferne Erinnerung
der Stille
sein
werden
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#2977

Waldknipser
Heutzutage, wo jeder immer und überall sein Handy dabei hat, ist Fotografieren noch einfacher, und in einem Wald gibt es viel zu sehen und eben zu fotografieren, aber auch Dinge, die sich der Kamera verweigern.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Waldspaziergang ...
Waldspaziergang
so viele Fotomotive
das Zwitschern der Vögel
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#3115

Waldraub
Selbst schuld kann man da nur sagen, man soll eben nicht alles offen herumliegen lassen. Diebe lauern überall, selbst in Gedichten.
Emily Dickinson · 1830-1886
Ich beraubte den Wald ...
Ich beraubte den Wald –
Den vertrauensvollen Wald.
Die ahnungslosen Bäume
Brachten hervor ihre Kletten und Moose,
Meine Phantasie zu erfreuen.
Ich überflog neugierig ihren Schmuck –
Ich griff zu – Ich trug hinfort –
Was wird die ernste Tanne –
Was wird die Eiche sagen?
Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#3063

Kein Gedicht über den Wald
Zu Anfang ein Gedicht über Menschen statt über Wälder, obwohl ein Verwandtschaftsverhältnis nicht ausgeschlossen wird.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Wunderbare Menschen
Sie sind immer da.
Sie haben immer Zeit.
Sie hören dir immer zu.
Ihre Gelassenheit in allen Lebenslagen
ist beispielhaft.
Wenn dir der Kopf schwirrt,
bringen sie Klarheit.
Wenn du zornig bist,
schenken sie Ruhe.
Wenn Regen dich überrascht,
bieten sie Obdach.
Wenn die Sonne dich versengt,
geben sie Schatten.
Bäume
sind wunderbare Menschen.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#1272

Was die Bäume wissen
Die Bäume des Waldes wissen etwas, was Menschen nicht wissen – über das Leben. Weisheit ist eben doch ziemlich ungleich verteilt.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Menschen wissen nicht, was Leben ist
Ein Baum wird gefällt.
Aus menschlichen Gründen.
Der Baumstumpf bleibt stehen.
Aus dem Baumstumpf wachsen Zweige.
Aus den Zweigen wachsen Blätter.
Zweige und Blätter wachsen so dicht,
bis ein Strauch entsteht, der den Baumstumpf
umhüllt.
Das – ist Leben.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#3196

Wortkarges Waldgedicht
Geht man alleine durch den Wald, ist das ein wortloses Vergnügen, falls man nicht gerade so ein Plapperdings dabei hat. Daher ist es nur folgerichtig, dass auch dieses Gedicht sehr sparsam mit der Sprache umgeht.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Sommertag im Wald
die Schatten der Bäume
unbewegt
meine Schritte
verstummt
Rascheln im Gesträuch
Flattern in den Kronen
beglückt
gehe ich weiter
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#3071

Gefährlicher Wald
Wenn man sich erst mal den Gefahren, die im Wald lauern, bewusst wird, dann gibt es kein Halten mehr und Mensch muss zurück in die sichere Welt der geraden Linien und Regeln.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Zu spät
Als er durch den Wald ging,
blitzte plötzlich
das Wort Hirnhautentzündung
in ihm auf.
Ängstlich
spähte er ins grüne Gewölbe,
zog sich rasch die Kapuze über
und rannte los.
– Diese Viecher
erwischen mich nicht,
niemals
erwischen mich diese Viecher,
rhythmisierte es in seinem Kopf.
Dem Wald entronnen,
blickte er heftig schnaufend zurück,
sah die bedrohlich aufragende Bäume,
doch erleichtert streifte er die Kapuze ab,
drehte sich um,
trat auf die Straße,
Bremsen quietschten.
Zu spät.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#3154

Der Baum spricht
Auch wenn er nicht viel rumkommt, hat der Baum doch was zu erzählen und im Wald fehlt es ja auch nicht an Zuhörern.
Hans Karl Abel · 1876-1951
Wiege dich hin, Nachbarin ...
Wiege dich hin, Nachbarin,
Wiege dich her, Nachbarin,
Dass uns Sonne durch die Nadeln fließt.
Spürst du den Regen noch, der gestern fiel, im Boden?
Ich spüre ihn tief,
Dort, wo die feinsten Würzlein enden,
Und lasse die Kranke trinken, neben mir,
Die legt sich schwer über ihre Schwester!
Ich bin frei nach allen Seiten,
Gesund und rund!
Ich brauche keine Hilfe
Und mache mich behaglich breit.
Seht, ihr Kleinen,
Nehmt euch ein Beispiel!
Ich schlafe viel
Und träume auch zuweilen.
Wache ich auf, dann weiß ich nichts mehr.
Der Sturm hat einen Ast mir abgeknickt,
Da hängt er gelb und ziert mich nicht,
Doch mir liegt nichts daran.
Lass mich in deine weichen Zweige greifen!
Ich habe dich lieb!
Ein Schauer rieselt mir bis in die Nadeln!
Ein Schauer der Luft!
Auch ich bin jung, wie du –
Wir wollen beide miteinander grünen,
Ineinander grünen!
Hört ihr die Stimmen? – –
Das ist unser Volk,
Das sind wir Tannen –
O, du brausender Wald!
O, du rauschendes Leben!
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#1198

Ein Gedicht über Mensch und Wald
Eine interessante bildliche Gestaltung bringt dieses Wald-Gedicht. Gegenübergestellt werden Mensch und Feuer sowie Wald und Stein.
Leo Greiner · 1876-1928
Der Wald
Soll ich, du Finstrer, einzutreten wagen?
Wirst du nicht zürnen der Vermessenheit,
dass ich den unruhvollen Funken Zeit
unter das Dach des ewigen Schattens trage?
Wird nicht das Rauschen im verdorrten Laub
dich aus versteinerter Erhebung schrecken,
wenn meine Füße deinen eignen Staub,
uralte Herbste aus dem Schlafe wecken?
Du starrst gedächtnislos aus hohlen Kronen
Hinab auf deinen hundertfachen Tod
und schauderst nicht, und deine Wipfel wohnen
Der Erde fern im kalten Abendrot.
Ich aber bin der Mensch, des Todes Raub,
bin Zeit und Glut, bin Schmerz und wilde Blüten!
In dunkler Brust will ich den Funken hüten,
sonst brächst du brennend hinter mir in Staub.
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#1259

Gespräch mit dem Wald
Nach Kinderart lässt der Dichter die Stimme des Gedichts mit dem Wald reden. Doch der Schluss ist ganz und gar nicht kindlich, sondern mystisch-erwachsen.


Ein Gedicht über Wald und Liebe
Das Thema Liebe darf im Wald nicht fehlen. Schließlich fördert seine Unübersichtlichkeit das Zweisame.


Ein Gedicht über Wald und Philosophie
Ein bisschen in Richtung chinesischer Philosophie führt das folgende Wald-Gedicht, namentlich zum Daoismus, denn Dao heißt „der Weg“.


Der Wald persönlich gesehen
Ganz wie einen alten Kumpel behandelt Peter Hille den Wald in diesem Gedicht, nur dass alte Kumpels keine 1000 Jahre alt werden.


Freunde im Wald
Sie sind immer für einen da, wenn man sie braucht, wie gute Freunde sind die Bäume. Das ist der Tenor dieses Waldgedichts. (Den Tenor hören, gelesen von der Autorin selbst bei Youtube.)
Kaia Rose · geb. 1974
Daheim
Die Bäume haben
auf mich gewartet
geduldig
so lange war ich fort
Ungerührt stehen sie
jeder ein Wunder für sich
und singen leise ihr Lied
als wäre nichts geschehen
Vielleicht ist es
in Baumzeit
nur eine Sekunde
seit ich sie besucht habe
in einem anderen Leben
Oder vielleicht haben sie
mich nicht bemerkt
Ich atme ihre Ruhe
die mich nicht braucht
die nichts von mir verlangt
Und tröstend fühl ich
die Gewissheit
dass sie noch hier sein werden
lange nach mir
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-10-68.php#2134
Kommentar:
Dieses Gedicht war einer der 12 Finalisten aus über 1600 Einsendungen für das Gedicht des Jahres 2018. Mehr Gedichte von Kaia Rose bietet ihr Buch Das Lied des Regenbogens.

Der Wald – dein Freund und Helfer
Das Wort „Asyl“ bezeichnet einen Zufluchtsort und einen solchen zu haben, ist ein wunderbares Gefühl. Ludwig August Frankl weiß auch genau, wo man ein solches Asyl findet:


Gedicht über Waldesstille
Die beruhigende Wirkung des stillen Waldes wird in diesem Gedicht gepriesen. Ob die Bewohner des Waldes das auch so sehen, steht auf einem anderen Blatt.


Und ewig rauschen ...
Während der eine die Stille des Waldes mag, der andere eher die zwitschernden Stimmen der Vögel, entscheidet das Ich in diesem Gedicht sich fürs Rauschen im Walde, das metaphysische Qualitäten entwickelt.

