Gedichte über Schnee
Schnee: Wer noch nie welchen gesehen hat, wünscht sich welchen. Wer jeden Winter eingeschneit wird, kann auch gerne mal drauf verzichten. In Gedichten entwickelt Schnee eher Zauberkräfte, zu schöne Erinnerungen und Bilder sind damit verknüpft.

Schneezauber im Gedicht
Sehr andächtig ist dieses kurze „Lied“ über den Schnee.
Emanuel Mireau · geb. 1974
Schneelied
Leise, sacht und schwebsam
sinken Flocken nieder;
leise, sacht und strebsam
geht ein Sehnen durch die Glieder,
formen alte Lieder
den Gesang der Seelen.
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Schnee-Haiku 1
Typisches Geräusch bei Schneefall? Schnell fällt lautlos? Denken Sie darüber besser noch mal nach.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
schnarrende Schaufeln ...
schnarrende Schaufeln
lautlos
fällt weiter der Schnee
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Schnee-Haiku 2
Die ersten zwei Zeilen dieses Haikus lassen nicht mal an Winter denken, doch dann:
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
auf der Terrasse ...
auf der Terrasse
laufen Kinder barfuß
schreiend durch den Schnee
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Schnee-Haiku 3
Wenn man des Schnees längst überdrüssig ist, ihn wirklich nicht mehr sehen kann, dann sollte man genau hingucken.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
der Tag kalt und grau ...
der Tag kalt und grau
im schmutzigen Schnee
eine grüne Spitze
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Kinderschneelied
Dies ist die Originalversion des bekannten Kinderliedes vom Schnee:

Gedichtchen, Geschichtchen
Sicher kennen die meisten dieses Gedicht als „Schneeflöckchen, Weißröckchen, / wann kommst du geschneit? ...“, doch gerade vertonte Gedichte haben ein Eigenleben, weil eine Art „Stille Post“-Effekt eintritt. Das kann sogar dazu führen, dass der Text nur noch als „volkstümlich“ gekennzeichnet wird, statt Dichterin oder Dichter zu nennen.
Bei diesem Gedicht lässt sich jedoch die Autorenschaft für das Original nachweisen. Hedwig Haberkern hat es in ihrem 1869 erschienenen Buch „Tante Hedwigs Geschichten für kleine Kinder“ in die Geschichte von der Schneewolke eingebettet. Schon dort war die Idee, das Gedicht von Kindern singen zu lassen. Der Text trägt den Zusatz „Melodie: Wir Kinder, wir haben der Freuden so viel“. Doch davon gibt es verschiedene Versionen, es ist nicht klar, welche vorgesehen war. Zwischendurch wurde es auch zur Melodie von „Im Märzen der Bauer“ gesungen, denn der Versfuß – ein Amphibrachys (sHs) – ist gleich. Bei der Melodie, die heutzutage verwendet wird, ist der Komponist wiederum unbekannt. Also auch der musikalische Part bietet einige Geschichtchen.
Wer Hand an den Text gelegt hat, ist nicht dokumentiert. Die Ergebnisse sind durchwachsen, mal wurde der Originaltext verbessert, mal verschlimmbessert. Der Einstieg gestaltet sich durch die Frage interessanter. Auch die dritte Zeile „Du wohnst in den Wolken“ ist besser als im Original „Du warst in der Wolke“, die Metapher „wohnen“ schlägt das Hilfsverbs „sein“ allemal. Etwas merkwürdig erscheint die Änderung von den landwirtschaftlich wichtigen „Saaten“ zu „Blümelein“ in der Neufassung. Möglicherweise glaubte der Bearbeiter, dass das kindgerechter ist, aber es kommt auch ein bisschen süßlich-altbacken daher. Nun ist es sicher nicht verkehrt, wenn eine Dichterin Impulse von außen erhält, das kann sich durchaus positiv auswirken, aber sie sollte das letzte Wort haben, denn es ist ihr Gedichtchen.

Der stumme Schnee
Redselig wird Schnee erst, wenn er matschig ist, davor hat er die Tendenz, die Welt verstummen zu lassen und nicht nur die.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Es schneite den ganzen Tag ...
Es schneite den ganzen Tag,
die Welt
wurde weiß und stumm.
Er saß am Fenster
und konnte sich nicht erinnern,
wann er zuletzt
ein Wort gesprochen hatte.
Ihm fiel auch jetzt keines ein,
das dem Anlass
würdig gewesen wäre.
So saß er schweigend
und schaute zu,
wie die Flocken fielen.
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Schneeflocken als Lehrer
Was kann man noch anderes von einer Schneeflocken lernen als vom Himmel ohne Fallschirm zu fallen? Dieses Gedicht hat da eine Idee:
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Von der Flocke lernen
Der Tropfen fällt
und fällt
und fällt,
zerschellt.
Die Hoffnung sinkt
und sinkt
und sinkt,
zerspringt.
Die Flocke rieselt
und rieselt
und rieselt
und landet weich
auf Brüdern und Schwestern,
sie kümmert sich nicht
um heute, morgen oder gestern.
Und was will uns das sagen?
Man kann die Flocke
nicht auf der Zunge tragen,
man muss sie denken
und dann verschenken.
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Noch mehr Schneelehre
Man kann doch einiges vom Schnee lernen, vor allem wie man’s nicht macht. So ist ein derart fauler Schweinehund, der den ganzen Tag nur im Weg herumliegt, auch noch für etwas gut.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
in sich gekehrt ...
in sich gekehrt
gedankenversunken
verlief sich der schnee
über nacht
bis auf die kinder
war ihm niemand gram
trotzdem sollte das allen
eine lehre sein
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Schnee zum Fest?
Jedes Jahr die gleiche bange Frage. Und jedes Jahr die gleiche unerschütterliche Antwort. Vielleicht sollte da jemand mal ein Gedicht drüber schreiben.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Wenn’s schneit, dann schneit’s
Auch in diesem Jahr,
wie in jedem Jahr,
stellt sich die bange Frage:
Wird Weihnachten weiß?
Da es offensichtlich nichts nutzt,
zur Abwendung dieser Katastrophe
alle Leute zu erschießen,
die sich eine weiße Weihnacht wünschen,
lautet die ehrliche Antwort:
Wenn’s schneit, dann schneit’s.
Der Himmel kennt keinen Kalender,
glaubt keine alten Geschichten,
und der Rest des Universums
(meistenteils)
hält Schnee sowieso
für reine Fiktion.
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Noch mehr Spuren im Schnee
Wenn man einen Todesfall und Fußspuren im Schnee verbindet, können selbstverständliche Erwartungen ausgehebelt werden, wie das folgende Schneegedicht zeigt.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Die Spur
Die Nacht durchwacht,
die plötzliche Todesnachricht
hat mich nicht schlafen lassen,
steh ich früh auf,
geh aus dem Haus
durch die noch stillen Gassen.
Es hat geschneit,
meine Spuren sind die ersten,
selbst der Zeitungsausträger
war noch nicht hier.
Ich gehe weit
und weiter,
bis ich die Häuser hinter mir gelassen.
Felder liegen unter toter, weißer Decke,
kaum auszumachen des Weges Pfad.
Es dämmert, ein grauer, heller Streifen
zeigt sich fern im Osten.
Plötzlich aus dem Feld die Spuren
– nackter Füße?
Jäh bleib ich stehen
und starre die Spuren an.
Wie kann das sein?
Wer geht nachts
in dieser gottverlassenen Gegend
barfuß durch den Schnee?
Klopfenden Herzens folge ich der Spur.
Die Spuren sind eher klein,
es mögen Frauenfüße sein.
Alte Märchen kommen mir in den Sinn.
War’s nicht Sterntaler,
die so durch die Wälder ging?
Die Spur geht weit und weiter,
schon wird es Tag.
Ich schau zurück:
Da sind nur meine und ihre Spur,
die ich sorgsam gemieden.
Ich schau nach vorn:
Ihre Spur führt zum dunklen Wald.
Gesenkten Hauptes folge ich ihr
und auf einmal –
ist sie zu Ende.
Verwirrt schau ich mich um.
Der Schnee ist jungfräulich
zur Linken, zur Rechten
und weiter vorn.
Ich sehe genau hin:
Bei der letzten Fußspur
ist die Hacke nur schwach ausgebildet,
so als ob die Frau
oder wer auch immer
gesprungen ist.
Ich schau hinauf zu den grauen Wolken,
wage nicht mal in Gedanken auszusprechen,
was hier passiert sein könnte.
Es ist nicht möglich,
es ist völlig ausgeschlossen,
es kann nicht sein
und doch
endet die Spur ganz zweifellos
hier und jetzt.
Ich greife in meine Taschen,
kein Handy dabei.
Kein Foto, kein Beweis,
nur dieser Anblick der Spuren
nackter Füße im Schnee,
die abrupt enden.
Man wird mir nicht glauben.
Man wird sagen: Ihr Tod
hat ihn zu sehr mitgenommen.
Und doch …
und doch stand ich allein an jenem kalten Morgen
und sah, was ich sah.
So war es.
(Nach einer Idee aus dem Gedicht „Die Spur im Schnee“ von Jozef Jedlicz)
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Schneegedicht zum März
Im März noch Schnee? Da mögen sich Tourismusgebiete freuen, aber der Flachländler sieht mit Befriedigung, wenn solcher Schnee keine Chance mehr hat.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Im Märzen die Flocken
Schneeflocken
sie fallen
und fallen
und fallen
und keine
ist wie eine
andere
am Boden
die Flocken
sie schmelzen
sie schmelzen
und das
war alles
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Schneegespräch
Der große Vorteil fallender Schneeflocken, ihre völlige Lautlosigkeit, entpuppt sich in diesem Gedicht ob des emotionalen Zustands des Ichs als Nachteil.
Dyrk Schreiber · geb. 1954
Flocke, dein Falltod
am kahlen Stadtsaum
müde vom Leben
das Weiße
meine Zukunft sei
Flocke
dein Falltod so
frei und geräuschlos
wie mein Herkommen
sag noch was
schnell
schnell
sag noch was
wie mir zumut ist
ohne Antworten
ein weißer Teppich
liegt mir zu Kopf
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Gedicht über Schneemänner
In diesem Gedicht verlieren Schneemänner ihre Unschuld und dank Frühling nicht nur die.
Jana E. Hentzschel · geb. 1973
Hinterm grauen Gartenzaun
Ein Schneemann stand am Gartenzaun
und konnte auf die Straße schau'n.
Ein andrer lief dort ganz allein,
den lud er herzlich zu sich ein.
Sie lachten viel, verstanden sich
und fanden sich auch ansehnlich;
und irgendwann war es passiert,
die Liebe kam ganz ungeniert.
Nun gab es diese Schwierigkeit,
sie hatten wohl zum Kuscheln Zeit,
doch lagen sich die zwei im Arm,
dann wurde es zum Schmelzen warm.
Die Angst vor dem Verlust war groß,
drum liebten sie sich geistig bloß;
als aber dann der Frühling kam,
da lagen sich die zwei im Arm.
Es wurde wärmer, wurde grün,
man sah die ersten Pflanzen blüh’n
und hinterm grauen Gartenzaun
ein Hasenpaar zwei Möhren kau’n.
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Lesetipp:
Mehr Gedichte von Jana Hentzschel.

Spuren im Schnee
Ein Erlebnis, das unbedingt ein Gedicht brauchte, ist das Hinterlassen der ersten Spuren im Schnee. Christian Morgenstern hat’s geschrieben:


Schneespaß
Für Kinder ist der Schnee natürlich ein Ereignis, das viel Spaß verspricht. Doch in diesem Gedicht über den Schnee wird auch die gereiftere Perspektive angedeutet.


Romantischer Schnee
In diesem Schneegedicht entfaltet die weiße Pracht sogar romantische Gefühle.


Ein Schneegedicht über Glocken und Flocken
Am Anfang war die Glocke, behauptet Morgenstern in diesem Gedicht über eine Flocke, viele Flocken und Engleinflaum.


Ein Sonett über den Schnee
Aus Polen stammt das folgende sehr stimmungsvolle Gedicht über Schnee, das mit der Liebe beginnt und dem Tod endet.
Artur Schröder · 1881-1934
Schnee
In stillem Taumel, sacht und ohne Stocken,
Gleich sanften Worten, die von Liebe künden,
Gleich bangen Träumen, die in Sehnsucht münden,
So fallen still zur Erde weiße Flocken.
Wie schlummermüde sie zur Erde ziehen,
Die weich umfangen liegt von Traumesschweigen! ...
In dieser lichten Flocken wirrem Reigen
Erklingen heimlich Sehnsuchtsmelodien.
Und mit Gebeten, die die Luft durchbeben,
Ums Antlitz des Vergessens Tuch geschlagen,
Mit Seufzerflüstern, in verzücktem Schweben
Will meine Seele in die Ferne ziehen
Und dort mit bangem, sehnsuchtstiefem Klagen
An stillen Gräbern leise niederknien.
(Aus dem Polnischen übertragen von Lorenz Scherlag)
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Schnee zum Fest
Alle Welt spekuliert immer wieder, ob es für eine weiße Weihnacht reicht, und dieses Gedicht zeigt, welche Wirkung der Schnee zum Fest hat.
Richard von Schaukal · 1874-1942
Weihnachtsschnee
Das ist der alte Weihnachtsschnee
aus meiner Kinderzeit:
er liegt so weich, als hätt’ es Weh,
gelindes Weh geschneit.
Du wunderweiße weite Welt,
wie füllst du dich mit Ruh:
der langsam auf dich niederfällt,
der Himmel deckt dich zu!
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Flockenleben
Schönheit und Kürze eines Schneeflockenlebens sind Thema dieses Gedichts.


Schneefall symbolisch
In diesem Gedicht wird der Schneefall nach und nach verschoben zum Fall des menschlichen Lebens.


Ein Gedicht aus Wind und Flocken
Ein geradezu zärtliches Bild vom Zusammentreffen eines frühlingshaften Windes mit Schneeflocken zeichnet dieses Gedicht.
Adolf Bartels · 1862-1945
Blütenwind
Hörst du ihn leise schauern?
Das ist der Blütenwind.
Der schrillt nicht um die Mauern,
ist wie der Lenz so lind.
Sanft spielt er mit den Flocken:
Beim ersten Hauch und Ton,
da sind sie süß erschrocken –
der zweite löst sie schon.
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Gedicht über eine Schneedecke
Das folgende Gedicht stammt aus der berühmten Sammlung Kindertodtenlieder von Friedrich Rückert. Daher begräbt die Schneedecke nicht nur die Erde unter sich.


Schnee und Tod
In diesem Gedicht zeigt sich der Schnee von seiner rauen Seite als Sturm, der ein einsames Leben bedroht.
Josef Leitgeb · 1897-1952
Schneesturm
Du bist in dieser Winternacht allein,
von allen Seiten bricht der Sturm herein.
Horch, wie die finstre Himmelshöhle saust,
der schwarze Schnee an Kammerfenster braust!
Das Wild im Berg erfriert in dieser Nacht.
Kein einziger Vogel ist mehr aufgewacht.
Längst ging der letzte Stern am Himmel aus,
und bis zu seinem Grunde schwankt das Haus.
Aus keiner Stube fällt ein warmer Strahl,
von Tod und Finsternis erbraust das Tal,
in Tod und Finsternis vergeht die Welt,
die dich zum letzten Mal umfangen hält.
Du bist allein zu dieser Stunde wach.
Es wächst der Wind und er zerreißt das Dach.
Er fährt herunter und verlöscht das Licht –
du aber lebst, mein Herz, und zitterst nicht?
Kein zweites Herz, das deinen Schlag belauscht,
nichts als der Himmel, der herunterrauscht,
nichts als das Blut, das schneller sich bewegt,
wenn Eis und Ewigkeit ans Fenster schlägt.
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