Kurze Herbstgedichte
Das Leben ist zu kurz, um lange Gedichte zu schreiben, sagte mal niemand nicht, und da auch der Herbst ein bisschen an die Kürze des Lebens erinnert, ist es nur gerecht, ihn in kurzen Gedichten zu würdigen. Dabei haben die Kleinen es durchaus in sich und manch ein Kurzgedicht auf dieser Seite ist längst ein Herbstklassiker.

Herbstrose
Ein letztes Blühen im Herbst, das sollte man unbedingt mitnehmen, denn lang wird’s dauern ...
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
eine gelbe Rose ...
eine gelbe Rose
tief einatmen
am ersten Herbsttag
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Gedicht über Herbstschmuck
Wenn sich die Natur im Herbst mit allerlei Farben schmückt, dann sollte man als Mensch nicht hintanstehen – so die Botschaft dieses kurzen Herbstgedichts.
Emily Dickinson · 1830-1886
Die Morgen sind sanfter als zuvor ...
Die Morgen sind sanfter als zuvor –
Die Nüsse werden braun –
Der Beeren Wange dellt sich –
Die Rose ist schon abgehauen.
Der Ahorn trägt ’nen bunten Schal –
Das Feld geht scharlachrot –
Ich sollt’ nicht altmodisch sein,
Die bunte Kette langt zur Not.
(Übertragen aus dem Englischen von Hans-Peter Kraus)
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Gedicht über einen Herbstbeginn
Zusammenfassend könnte man aus diesen Gedicht folgern, dass eine Krähe schon früher aufstehen muss, um Neuigkeiten zum Herbst mitzuteilen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Zu spät
Die Krähe krakt
oben auf der Hausantenne.
Krähe, du bist zu spät.
Regen und Wind
haben längst herumerzählt,
dass der Herbst begonnen hat.
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Die Sache mit den Blättern
Daran kommen Gedichteschreiber nicht vorbei, an der Sache mit den Blättern, wenn Herbst ist. Die Frage bleibt, welchen Dreh man findet, und in diesem Gedicht wurde sogar ein Wirbel gefunden.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Herbstwunsch
Sterben möcht' ich
wie die Blätter am Baum.
Meine Farbenpracht
nähme alle Sorgen,
mein Abschied
ein letzter Wirbel
im freien Raum.
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Ein Herbstgedicht von Rilke
Rilke spannt in seinem Herbstgedicht den Bogen von der Natur zum Menschen.

Kurz-Interpretation Rainer Maria Rilke: Herbsttag
Das Versmaß von Rilkes Herbsttag ist ein fünfhebiger Jambus, doch der erste Vers beginnt mit einer Hebung: XxxX statt xXxX. Diese Akzentverschiebung hat ihren inhaltlichen Grund: Die Stimme des Gedichtes spricht den Herrn an, befindet sich in einem Zwiegespräch mit Gott. Sie lobt ihn für den Sommer und ist bereit, sich ins Unvermeidliche zu fügen, denn „es ist Zeit“. Auch formal ist die Strophe trotz der Dreizeiligkeit harmonisch, denn Rilke hat das Reimproblem bei ungeraden Zeilenzahlen durch einen Mittenreim gelöst: ...uhren – Fluren.
In der zweiten Strophe wünscht sich die Gedichtstimme die Vollendung der Natur vom Herrn. Die Strophe ist durch einen flüssiger werdenden Übergang der Verse gekennzeichnet. Während die ersten beiden Verse klar getrennt sind, funktioniert die Akzentverschiebung „dränge“ wie eine Fortsetzung des Jambus aus der Vorzeile. Die beiden Schlussverse sind durch einen flüssigen Zeilensprung verbunden. Der umarmende Reim vom existenziellen „sein“ zum süßen „Wein“ rundet die Strophe ab.
Nimmt man das Gedicht als Zwiegespräch statt als Gebet, dann ist die dritte Strophe eine Fortsetzung im Sinne „Ja, ich weiß, wer jetzt ...“. Auch schon die ersten beiden Strophen waren eine Bejahung des Übergangs zum Herbst. Nun erklärt die Gedichtstimme, die Konsequenzen zu kennen und sie zu akzeptieren, wenn man kein Zuhause hat, sich fremd fühlt und allein ist. Der Preis besteht darin, zu grübeln, unruhig zu sein. Diese Strophe ist auch äußerlich im Ungleichgewicht. Der umarmenden Reim wird zu einem um eine Zeile hinausgeschobenen Kreuzreim.
Zum Schluss bliebe noch die Frage, warum das Gedicht Herbsttag betitelt ist. Ich denke, es ist damit gemeint, dass dies ein Tag der Entscheidung ist. Der Sommer ist endgültig vorbei, daran ändern auch zwei „südlichere Tage“ nichts. Die Natur nähert sich der Vollendung, und im Umkehrschluss der Mensch ebenso, wenn er nicht den beiden Bedingungen zu Beginn von Strophe drei unterworfen ist.

Noch mal Herbstblätter
Die Kunst der Kunst über Blätter im Herbst zu schreiben, besteht darin, was Neues zu finden, in diesem Fall ist das Gedicht auf Autokunst ausgewichen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
ein Schwall bunter Blätter ...
ein Schwall bunter Blätter
weht
auf den Leichenwagen
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Was vom Herbst übrig bleibt
Dieser Herbst meint ja, er kann ordentlich Chaos veranstalten, aber nicht in Deutschland. Da hat alles seine Ordnung, auch sackweise.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
ordentlich in einer Reihe ...
ordentlich in einer Reihe
sechs Säcke
mit Laub gefüllt
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Fast ein Herbsthaiku
Hätte es keinen Titel, dann wäre das Gedicht ein Haiku, wobei es eigentlich egal ist, welche Form hier gewählt wurde, Hauptsache es wird etwas zum Herbst vermittelt, das des Vermittelns lohnt.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Start in den Herbst
Auf der Balkonbrüstung glänzen
im Morgentau die Spuren
eines Vogels.
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Herbststurm-Gedicht
Herbst ist eigentlich Drachenzeit, aber anscheinend waren für dieses Kurzherbstgedicht keine Drachen mehr auf Lager.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Vom Herbststurm getrieben ...
Vom Herbststurm getrieben
fliegt eine Krähe in wilden Schwüngen
über den Friedhof
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Eine Frage zum Herbst
Eine der großen Fragen stellt dieses Herbstgedicht an welche, die kaum antworten können. Da wird wohl der Leser selbst einspringen müssen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Herbstgedanken
Nun geht ihr also wieder
und nichts und niemand
kann euch zum Bleiben überreden.
Einerseits verstehe ich das:
Die Winter hierzulande
sind nichts
für zarte Gerippe.
Doch andrerseits:
Glaubt ihr wirklich,
hier auf Erden ist es besser
als dort oben
an den Bäumen?
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Durch den Herbst gehen
Mit dem Gehen ist es sowohl im Alter als auch in sehr jungen Jahren nicht so einfach, zumal im Herbst noch die Blätterschicht stört. Hier stört sie jedoch weniger, sondern erinnert an etwas.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Herbstgang
Schritt
für
Schritt
geht
die alte Dame
am Krückstock,
das kleine Mädchen
an der Hand
seiner Mutter.
Im Vorbeigehen
rascheln Blätter
unter meinen Füßen.
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Gedicht über 500 Jahre Herbst
Viel Erfahrung mit dem Herbst hat die Stimme dieses Gedichts. Dass es trotzdem so kurz geworden ist, liegt an einem einfachen Grund, der am Schluss verraten wird.
Dyrk Schreiber · geb. 1954
Herbstzeit
Man glaube mir
ich bin fünfhundert Jahre alt
weiß von der
immergleichen Herbstzeit
mit ihren Wiederholungen an
Sentimenten Melancholien
Nebeln Stürmen Farben
Man glaube mir
das ist unerträglich
wirklich unerträglich
schön
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Herbstzeit ist Wartezeit
Dieses kurze Herbstgedicht mahnt zur Geduld, denn das Verblühen der Natur kündet eine schöpferische Pause an.
T. A. Wegberg · geb. 1963
Farbe bekennen
Erst haben die Blätter Farbe bekannt,
jetzt verlieren sie jeglichen Halt.
Wo gestern noch blühender Ginster stand,
entblößt sich nun zögernd der Wald.
Es dunkelt so früh.
Die Tage sind kurz,
die Nächte einsam und kalt.
Worauf du auch wartest, habe Geduld.
Du ahnst ja: Es kommt nicht so bald.
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Lesetipp:
Mehr von und über T. A. Wegberg bietet seine Website www.tawegberg.de.

Herbstflüstern
Ein kurzes, stimmungsvolles Herbstgedicht mit Regen, Verfärbungen und einem Flüstern im Zimmer.
Claus-Detlef Großmann · geb. 1962
Aufforderung
Blaugrauer Herbst
fällt perlend vors Fenster
verfärbt die Landschaft
streift durch mein Zimmer
findet mich doch
bei den Bücherschränken
reicht mir die Hand
flüstert „Komm ...“
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Vergehen im Herbst
Es beginnt ganz harmlos mit einem grünen Blatt, doch dann werden die großen Themen Tod und Nacht gedichtlich aufgetischt.
Richard von Schaukal · 1874-1942
Wende
Heut liegt der Garten schon von gelben Blättern voll.
Da sinkt auf meinen Weg ein fast noch grünes nieder:
Das ist der Tod: ich seh ihn wieder
am Werk, das lautlos sich vollenden soll.
Die Berge hat der Nebel aus der Welt gebracht.
Noch gestern standen sie hoch vorm hellen
ganz blauen Himmel. Gold aus warmen Quellen
durchströmte sommerlich die Luft. Nun wird es Nacht.
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Herbst des Lebens
Ein einfacher Analogieschluss verhilft in diesem Herbstgedicht jemandem zu einem glücklichen Leben.
Adam Kuckhoff · 1887-1943
Herbstlied
Wenn dieses nun so ist,
dass von den Jahreszeiten,
Herbst, du die reichste bist,
was öffnet das für Weiten!
Vom Knaben, der ich war,
geh ich ins Mannesleben –
Mir bleibt das hohe Jahr
und auch der Herbst gegeben.
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Unheimlicher Herbst
Etwas unheimlich kommt der Herbstmorgen dieses Gedichts daher. Man muss anscheinend im Herbst die Pflanzenwelt aufmerksam beobachten. Aber das ist ja eh Dichterpflicht.
Richard von Schaukal · 1874-1942
Herbstmorgen
Düster über den Dächern
dämmert ein kränkelnder Tag.
Mit zerfallenen Fächern
schwanken die Bäume zag.
Manchmal in jähem Erschauern
drängen die Ranken heran,
klammern sich an die Mauern,
flehen durchs Fenster mich an.
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Gedicht über den stillen Herbst
Wenn nicht gerade Herbststürme durchs Land sausen, dann hat der Herbst seine ganz eigene niederdrückende Stille.
Richard von Schaukal · 1874-1942
Herbstschweigen
Wieder bin ich allein im dämmernden Garten gegangen,
Tiefer schweiften die Krähen, der Wald war von Wolken verhangen.
Mitten aus den verfinsterten Fichten erhoben sich rote,
braune, blassgelbe Blätterwipfel und standen wie Tote.
Und es war in der Welt eine Stille, die traurig verharrte,
dass mir das Herz in der Brust vor so viel Schweigen erstarrte.
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Herbstzweizeiler
Dreimal Herbst in zwei Zeilen präsentiert dieses kurze Herbstgedicht. Wie es sich für das Thema gehört, bieten diese Zweizeiler keinen Service für Optimisten.
Endre Ady · 1877-1919
Im Herbst
Am Mittag im Herbst, wie ist es so schwer,
Lachend den Mädchen zu winken,
Wie ist es so schwer, in des Herbstes Nacht
Zu schaun nach der Sterne Blinken,
In der herbstlichen Zeit, wie ist es so leicht,
Schluchzend zur Erde zu sinken.
Übertragen aus dem Ungarischen von Heinrich Horvát
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Der Herbst und die Toten
Leicht apokalyptisch kommt dieses kurze Herbstgedicht daher. Schon im September denkt die Stimme des Gedichts sehr intensiv an den November.
Max Herrmann-Neiße · 1886-1941
Herbst
In diesem Schmerzseptember geistert Allerseelen schon,
des Lebens Strom sucht fröstelnd Unterschlupf in seiner Winterhöhle,
die welken Blätter überbluten den verstoßenen Menschensohn,
das Totenlämpchen zehrt an letztem Öle.
Die Straßen rücken an den Friedhof. Blumenstöcke
entblättern sich und stehn als Marterkreuze blind.
Auf wüstem Stoppelfelde schrein vergessen ein paar Böcke
ihr Ängsten in den mitleidslosen Schädelstättenwind.
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Blick über den Herbst hinaus
Obwohl der Herbst in diesem Gedicht noch in den Anfängen steckt, ist doch der kommende Winter bereits fest im Blick.
Richard von Schaukal · 1874-1942
Heute
Heute zum ersten Mal hat sich der gilbende Garten
weithin erhellt, vom nächtlichen Winde gelichtet.
Stand er doch gestern noch ins eigenen Dämmern verdichtet
so als wollt’ er die Stürme des Winters gesichert erwarten.
Und nun muss es dunkel werden und täglich
kälter, kahler, nackt und ärmer, frieren und schweigen,
bis die weißen Wolken tiefer sich niederneigen
und wieder wirbelnd Schnee sinkt, einsam unsäglich.
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