Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Oktober-Gedichte

Der Oktober teilt das Schicksal des Septembers: Falsche Namenszahl wegen den blöden Römern und ihrer Kalenderreform sowie verschiedene Versuche, ihn umzubenennen, die allesamt wieder einkassiert wurden. Die deutsche Bezeichnung Weinmonat scheiterte wahrscheinlich an der Promillegrenze für Autofahrer. Als erster voller Herbstmonat werden ihm durchaus noch gute Seiten oder Zeiten attestiert, doch dass er golden sei, das glaubt nicht mal ein Dichter.

Der Oktober ist nach der Sommerpause der erste Monat mit „wichtigen“ Feiertagen. Zu nennen wäre der berühmt-berüchtigte dritte Oktober, an dem ein Volk nicht weit von hier seine Einheit feiert, ohne eine Einheit zu sein. Die nicht weniger berüchtigten Nachbarn südlicherseits, die sich seltsamerweise Österreich nennen, haben am 26. ihren Nationalfeiertag, denn an jenem Tag 1955 mussten alle ausländischen Truppen den österreichischen Staub von ihren Stiefeln geschüttelt haben. Die Evangelischen sind auch noch da und feiern am letzten Oktobertag, dass Martin Luther einen Hammer hatte. Der Rest der blauen Kugel begnügt sich mit Halloween, als ob die Welt nicht schon gruselig genug wäre. Ich sage nur: Oktoberfest.

Wer im Oktober geboren ist, hat gute Chancen im Leben. Angeblich sind Oktoberkinder sehr sportlich und ausgeglichen, werden ziemlich alt, nur: Der Oktober ist auch der Monat, der die meisten amerikanischen Präsidenten per Klapperstorch geliefert hat. Das ist nicht unbedingt eine Empfehlung. Aber noch mal Glück gehabt: Herr Drumpf ist ein Juni-Weichei.

Rein literarisch stehen die Chancen auch nicht schlecht. Immerhin stehen zwei im Oktober geborene deutschsprachige Literatur-Nobelpreisträger zu Buche: Elfriede Jelinek und Günter Grass. Obwohl sie ihren Dynamitpreis sicher nicht für ihre Lyrik bekommen haben, waren ihre Anfänge lyriklich. Man sieht: Oktober und Lyrik, das passt.

 
 

Gedicht über den angeblich goldenen Oktober

Irgendwer hat ja immer was zu meckern, und wenn dann noch Dichter, dann wird natürlich gereimt gemeckert über den angeblich so goldenen Oktober.

Hans Retep · geb. 1956

Oktober, Oktober ...

Oktober, Oktober,
was soll der Zinnober,
dass golden er angeblich sei?
Ich seh nur die Matsche
und all das Geplatsche,
es klimpert nichts golden dabei.
Und schaue die Blätter,
die ganz ohne Retter
sich stürzen mit lautlosem Schrei.
Mein guter Oktober,
du scheinst mir ein Grober,
dein „golden“ ist nur Melodei.

Urheberrechtshinweis

 
 

Beschwerde über den Oktober

Oktober ist Herbstzeit, und da regnet’s eben viel. Aber das kann der Herr Dichter nicht verknusen und holt zum Rundumschlag aus.

Georgi Kratochwil · geb. 1979

Oktober-TV

wenn ich morgens
aus dem Fenster gucke
und es regnet
wenn ich mittags
aus dem Fenster gucke
und es regnet
wenn ich abends
aus dem Fenster gucke
und es regnet
dann kann ich auch gleich
den Fernseher einschalten
das ist genauso spannend

Urheberrechtshinweis

 
 

Wetteraussichten im Oktober

Erfreulich: Die Aussichten für den Oktober sind besser als gedacht – trotz Herbst. Und wer das glaubt, glaubt auch, dass die Oktoberrevolution tatsächlich im Oktober stattfand.

Hans Retep · geb. 1956

Heute keine Schauer

Ja! Heute keine Schauer,
nur Dauerregen,
und keine Sturmböen,
nur kräftiger Wind.
Wer sagt, der Oktober ist golden?
Nein, nein, der Oktober, der spinnt.

Urheberrechtshinweis

Kommentar:
Historische Aufklärung: Der Jahrestag der Oktoberrevolution fand in der Sowjetunion immer am 07.11 statt, denn seit 1918 (nach der Revolution!) galt auch dort der Gregorianische Kalender, der die Ereignisse 13 Tage voraus datierte.

 
 

Der Oktober ist kein April

Mittlerweile hat man den Eindruck, dass jeder Monat ein April sein will, ein Wetter von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Doch der Oktober macht da nicht mit.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Der Oktober ist ein solider Bursche ...

Der Oktober ist ein solider Bursche:
Morgens Regen,
mittags Regen,
abends Regen.
Das nenne ich Konstanz.
Das nenne ich Geradlinigkeit.
Und: Ein Herz fürs Unkraut,
das auch im Herbst wachsen will.
Nur bei der Wahl zum April des Jahres
dürften ihm die Felle davonschwimmen –
selbst schuld.

Urheberrechtshinweis

 
 

Oktobernächte sind lang

Eine der unangenehmen Begleiterscheinungen des Oktobers ist, dass die Tage kürzer werden. Wie dieses Gedicht zeigt, ist eine der angenehmen Begleiterscheinungen des Oktobers, dass die Nächte länger werden.

Dauthendey: Oktober

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Oktoberwind

Herbstlicher Wind, schwache Sonne, lauernder Winter, kein Wunder, dass dieses Oktobergedicht sich selbst beklagen muss.

Schaukal: Herbst

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Oktober kurzgeverst

In kaum noch zu unterbietender Kürze wird in diesem Oktober-Gedicht ein Sturm skizziert. Die Kürze der Verse passt jedoch ausgezeichnet zum Gedicht-Thema der Vergänglichkeit.

Morgenstern: Oktobersturm

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Oktober am Rande

Nur am Rande geht es in diesem Gedicht um den Oktober. Obwohl es interessant ist, das ausgerechnet dieser Monat in Verbindung mit einer Reise jenseits der Welt gebracht wird. Wer meint, dass dies nur dem Reim auf Zinnober geschuldet ist, unterschätzt Klabund gewaltig.

Klabund: Lied im Herbst

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Ein Reim auf den Oktober

Der Dichter in diesem Gedicht macht sich einen Reim auf den Oktober. Und es sieht fast so aus, als ob mit einem einzigen auskäme, doch am Schluss fließt der Reimfluss über den Oktober hinaus.

Guido Zernatto · 1903-1943

Lied im Oktober

Wenn ich jetzt in meinem Garten
Bei den blassen Astern stehe,
Oder zugeknöpft und fröstelnd
Durch die leeren Felder gehe,

Wenn ich irgendwo am Wegrand
Einen toten Maulwurf sehe,
Spüre ich und fühl’s gewaltig:
Ja, der Herbst ist in der Nähe!

Ja, der Herbst ist in der Nähe
Und der Winter und die Ruh!
Und jetzt fließen alle Zeiten
Sänftlich ihrer Mündung zu.

 
 

Schwerer Oktober

Liest man dieses Gedicht, muss man sich fragen, wie weit der Dichter den Leser noch herunterziehen will und dann kommt plötzlich der Schluss.

Löns: Oktober

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Kürbis-Gedicht

Der Oktober ist Kürbismonat, auch wenn das nicht jedem in den Kopf will, was nichts macht, weil der Oktober auch ein Herz für Hohlköpfe hat.

Maike Suter · geb. 1966

Warum ich den Oktober nicht mag

an die Kürbissuppe könnte ich mich noch gewöhnen
an Kürbiskuchen und Kürbismarmelade auch
sogar daran dass im Herbst
alle diese merkwürdige Gesichtsfarbe kriegen
von zu viel Solarium
oder einseitiger Ernährung
wer weiß

aber
was ich wirklich verstörend finde
ist die Sache mit den Köpfen
jedes Jahr dasselbe
Anfang Oktober tauchen die ersten auf
orangefarben grinsend
liegen sie in den Vorgärten
auf Fensterbänken oder Treppenstufen
und erschrecken einen zu Tode
dann werden es immer mehr

heute
am letzten Abend des Monats
stehe ich vor meinem Haus
blicke die Straße entlang
sehe überall verzerrte Fratzen
mit leuchtenden Mündern
und Augen

auf einmal bin ich müde
fühle mich wie ausgehöhlt
wer denkt sich so etwas Krankes aus
frage ich mich
schüttele den Kopf
dann
nehme ich ihn vorsichtig ab
stülpe ihn
über die Kerze auf dem Fensterbrett
und gehe ins Haus

Urheberrechtshinweis

Kommentar:
Mehr zur Dichterin auf ihrer eigenen Website.

 
 

Halloween-Gedicht

Wer auf eine Halloween-Party geht, der darf Gespenster nicht fürchten. Das wusste schon Gottfried Keller und hat dazu ein passendes Gedicht geschrieben.

Keller: Ich fürcht’ nit Gespenster ...

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Gedicht über Gespenster

Vor Gespenstern muss man sich nicht fürchten, vor allem wenn sie Thorben heißen. Es sei denn, sie sind gut in der Schule:

Jana E. Hentzschel · geb. 1973

Die Geisterschule

Mit Angst vor allem und vor jedem
kann ein Gespenst nur sehr schwer leben;
drum wär’ der Geist mit Namen Thorben
am liebsten hier und heut’ gestorben.

Statt andre kräftig zu erschrecken,
zu überraschen und zu necken,
ist er es, der erschrickt und zittert,
sobald er ein Geräusch nur wittert.

So muss – trotz großem Unbehagen –
er diesen einen Schritt nun wagen:
Er reist zur Schule, wo ein Meister
sich kümmert um labile Geister.

Mit dreiundzwanzig Gleichgesinnten
lernt Thorben, sich zu überwinden,
die Scheu und Panik zu besiegen,
durch Schlüssellöcher heil zu fliegen.

Er lernt, die Stimme zu trainieren,
die Atmung klug zu variieren;
so kann er Töne von sich geben,
die gruseln jedes Seelenleben.

Beendet sind nun zwei Semester.
Er schwebt nach Haus’ als Jahresbester
und freut sich auf den Schreck der Leute,
die er im letzten Jahr noch scheute ...

Urheberrechtshinweis

Lesetipp:
Mehr Gedichte von Jana E. Hentzschel auf www.janahentzschel.de.

 
 

Die Liebe am letzten Oktober

So wie die Oktober-Gedichte begannen, so enden sie auch: In den Fängen der Liebe.

Hans Retep · geb. 1956

Die Halloween-Liebesfalle

Du bist die schauerlichste Falle,
seit Venusfliegen man entdeckte.
Ich hab zum Glück sie nicht mehr alle,
da ist kein Ort, wo lieber ich verreckte.

Urheberrechtshinweis

Hinweis: Zum Oktober passend sind auch Gedichte zum Herbst.

Zu HaikuHaiku: Kurzgedichte aller Art