Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

September-Gedichte

Der September ist verdächtig. Was macht „Sept“ im neunten Monat? Ist das nicht Französisch für die Sieben? Die Fragen sind berechtigt, die Antwort ist einfach: Alle Wege führen nach Rom. Dort hat man entschieden, den Jahresanfang vom März in den trüben Januar zu verlegen, aber vergessen, die Monate zu informieren. Beim sechsten Monat ist das noch mal gutgegangen, den hat sich Kaiser Augustus geschnappt, doch danach blieben die falschen Zahlen stehen.

Es hat einige Versuche gegeben, den September anders zu benennen. Der römische Senat drängte ihn Kaiser Tiberius auf. Der lehnte ab. Caligula grabschte nach dem Monat, aber dessen Umbenennung wurde wieder beseitigt. Auch Tacitus war als Alternative im Gespräch, aber welcher Monat bei Verstand will so heißen? Also blieb es beim September.

Im deutschen Sprachraum hätten wir als Lyrikbezug die Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach anzubieten, die im September 1830 geboren wurde. In der englischsprachigen Lyrik ist der Monat geburtsweise etwas prominenter besetzt mit einem Dichter als Nobelpreisträger: T. S. Eliot.

Inhaltlich sind Gedichte zum September geprägt vom Übergang des Sommers zum Herbst, der sich zwar noch freundlichen Gesichts zeigt, aber unvermeidlich das Absterben in der Pflanzenwelt mit sich bringt. Auch das berühmteste Septembergedicht – Eduard Mörike: Septembermorgen – lebt von der letzten Schönheit der Natur vor dem Verfall.

Es gibt zudem ein sehr ernstes September-Thema, das eigentlich keinerlei schöne Seiten in sich birgt. Der Zweite Weltkrieg begann an einem ersten September, als Nazi-Deutschland aufgrund eines inszenierten Vorfalls 1939 in Polen einmarschierte. Daran erinnert Hans Reteps Gedicht Im September und nutzt dabei zu Anfang die eher traditionelle Herangehensweise an den Monat als letzte Bastion der Schönheit vor dem Herbst.

 
 

Rückblick auf einen September

Einen ganz bestimmten September hatte der Dichter hier im Auge, ein September, der sich vom Wetter sicher nicht besonders von anderen Septembern unterschied und trotzdem der Erinnerung wert ist.

Hans Retep · geb. 1956

Im September

Blauer Himmel, grüne Bäume,
Ganz ein Morgen wie gemalt;
Noch ist Zeit für Sommerträume,
Heute fühlt sich keiner alt.

Schwarze Punkte in der Ferne
Ziehen durch das Himmelsblau.
Langsam kommen sie uns näher,
Bilden ein perfektes V.

Flugzeug’ sind’s, vom Mensch geschaffen,
Wollen sie zu unsrer Stadt?
Über uns beginnt zu fallen
Alles, was sie mitgebracht.

Und wir rennen Richtung Keller,
Feuerbälle blühen auf,
Explosionen kommen schneller,
Fegen uns hinweg im Lauf.

Unsre Körper, unerkennbar,
stinken in der Sonne scheußlich
im September,
im September
1939.

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Lesetipp:
Auf der Seite mit den Kriegsgedichten wird das Gedicht vom Dichter ausführlich kommentiert.

 
 

September-Haiku

Eigentlich ist ein Haiku immer im Hier und Jetzt platziert, doch dieses könnte man auch mit einer historischen Brille lesen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

welke Blätter ...

welke Blätter
krachen unter den Stiefeln
1. September

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Ein September zum Vergessen

Eigentlich schreit der September danach, unvergesslich zu sein, aber leider nur in Englisch. Und Fremdsprachliches wird schneller vergessen, da könnten die Marketingleute ein Lied von singen, wenn sie singen könnten.

Didi Costaire · geb. 1963

Der September

Besungen wird er, der September.
Er reimt sich schließlich auf remember.
Ich habe aber unterdessen
sogar den jüngsten längst vergessen.

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Der Herbst im September

Zumeist recht freundlich zeigt sich der Herbst im September, aber das ist lediglich Fassade, die er nur aufrecht erhalten kann, indem er ein wichtiges Detail verschweigt.

Emanuel Mireau · geb. 1974

Der Herbst zeigt sich im September ...

Der Herbst zeigt sich im September
freundlichen Gesichts,
spricht in gedämpften Farben
und erwähnt mit keinem Wort
das Schwinden des Lichts.
Er lobt den Sommer sehr,
groß sei er gewesen, doch:
heiß, mit zu wenig Regen.
Wäre es nicht besser,
wenn die Winde Kühle brächten,
Wolken sich ergössen?
Er spricht viel vom frohen Scheiden,
die Blätter seien zu beneiden:
Wie sie schweben, wie sie gleiten!
Ach, der September ist so schön,
sagt er freundlichen Gesichts
und erwähnt mit keinem Wort
das Schwinden des Lichts.

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Ein Madrigal
Das Gedicht Der Herbst zeigt sich im September … ist ein Madrigal: Ein (relativ) kurzes Gedicht ohne Strophen, ohne festes Metrum, teilweise gereimt. Im Prinzip ist es die letzte gereimte Form, bevor man bei freien Versen landet.

Nun könnte man sagen: Das ist einfach, das kann jeder. Aber seltsamerweise gibt es nicht so viele Madrigale in der deutschen Lyrik. Vielleicht liegt das daran, dass es doch nicht so einfach ist, weder für die Lesenden, noch für die Schreibenden. Wenn man beim Schreiben kein festes Gerüst hat, also Reimschema, Metrum, Strophenform, dann muss man sich die zum Inhalt am besten passende Form selbst suchen. Auch beim Lesen fehlt erst mal die klare Orientierung der Regelmäßigkeit. Kurz gesagt: Es ist für beide Seiten ein Abenteuer.

Das September-Madrigal geht sehr sparsam mit Reimen um. Eigentlich sind es nur zwei, da der Reim „Gesichts – Lichts“ wiederholt wird. Trotzdem mangelt es dem Gedicht nicht an Klang, was an der Nutzung eines anderen Gleichklangs liegt. Wenn nur die Vokale gleich sind, spricht man von einer Assonanz. Im Mittelteil gibt es da einige von an den Versenden, zum Teil etwas unrein: „Regen – besser – brächten – ergössen“ und „beneiden – gleiten“. Doch weil auch beim Reim durchaus akzeptiert wird, dass ä und e oder ö und e reimen, dann kann man auch hier vom Gleichklang der Assonanz sprechen.

Wenn man das Zusammenspiel von Form und Inhalt betrachtet, dann ist das Madrigal eigentlich die ideale Form für ein Gedicht, das den Herbst im September thematisiert. Das ist zwar immer noch eine Jahreszeit, die ihren schönen Seiten hat (also Reime), aber in der sich auch die Schönheit und Harmonie in der Natur langsam zerfällt: statt Strophen eine unregelmäßige Bauweise von Versen.

Weitere Madrigale finden Sie im Schreibkurs-Kapitel Madrigal und beim entsprechenden Lexikoneintrag.

 
 

Ungereimter September

Ungereimt geht es auch, den September noch mal zu loben. Doch ist er auch der Monat, der sich auf Herbst reimt, und darauf möchte man sowieso nicht reimen.

Emanuel Mireau · geb. 1974

Septembertage

Dunkler sind die Morgen und kühler auch,
der Sommer nur Erinnerung.
Und doch es gibt sie noch
die blauen Tage,
an denen Bäume
im Licht der reifen Sonne
wahre Farbenwunder vollbringen.
Die Herzen, im Frieden mit sich
und der Welt, fühlen das Glück zu leben,
bevor der Herbst
mit seinen Launen
Einlass begehrt.

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Septembergedicht zwischen Sommer und Herbst

Die zwei Gesichter des Septembers sind Thema dieses Gedichts, wobei die klassischen Rollen von Sommer und Herbst vertauscht erscheinen.

Dyrk Schreiber · geb. 1954

Janusseptember

Es vergoss der Sommer sich zum kühlen Tod,
Am Baum vergilbten rasch die Quitten.
Auf tiefen Wassern Schwäne glitten
Abends stumm verteilt in grauem Rot.

Es übergießt der Herbst mit Gold die Reben,
Kirschen süßen nach, es ist noch warm.
Obenan formiert ein Vogelschwarm
Gekonnt den lauten Zug zum Leben!

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Ein berühmtes September-Gedicht

Dieses berühmte September-Gedicht von Mörike enthält ein seltenes, wenn nicht gar einzigartiges Reimschema für einen Sechszeiler.

Mörike: Septembermorgen

Dieses Gedicht im TextformatZur Interpretation des Gedichts Septembermorgen

 
 

Spätsommergedicht

Ein September-Gedicht, das noch mal den Sommer feiert und erst am Schluss in die Herbstbahn einläuft, bietet Gustav Falke.

Falke: September

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

September-Gedicht für Kinder

Der Übergang von Sommer zu Herbst hat auch seine Vorzüge, wenn man die Apfelbäume näher betrachtet, wie das Robert Reinick in diesem September-Gedicht für Kinder tut.

Reinick: September – Der Apfelbaum

Dieses Gedicht im Textformat

 
 

Ein September-Gedicht von Christian Morgenstern

Schon ganz dem Herbst verfallen ist das Morgenstern-Gedicht zum September, und doch ist es noch der schöne, klare Herbst, bevor die Stürme ziehen.

Morgenstern: Septembertag

Dieses Gedicht im Textformat

Hinweis: Gedichte zum Herbst bietet weitere Texte mit Septemberstimmung.

Zu HaikuHaiku: Kurzgedichte aller Art