Fußballgedichte
Über die Bandbreite der Blickwinkel, aus denen Fußball in den Gedichten dieser Seite betrachtet wird, kann man sich kaum beschweren. Auch die Themenvielfalt reicht von der WM bis zum Kinderfußball. Nur bei den Autoren könnte es etwas abwechslungsreicher sein. Das ist fast so, als ob immer nur eine Mannschaft deutscher Meister würde, was ja nicht stimmt, ab und zu dürfen auch andere mal ran.

Die zwei Gesichter des Balles
Ja, ja, der Ball ist nicht nur rund, damit er die Richtung ändern kann, er hat auch zwei Gesichter, je nachdem wer gerade am Drücker ist.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Was du bist und was du wirst
Du bist
der Ball.
Du wirst
angestoßen,
lang gespielt,
erlaufen und
abgegrätscht.
Du wirst
eingeworfen,
gestoppt,
vorgelegt,
angeschnitten geflankt und
abgefangen.
Du wirst
abgestoßen.
Du fliegst und fliegst und fliegst
und wirst geköpft,
mit der Brust
angenommen, aber
misshandelt.
Du gehst
verloren,
wirst zurückerobert,
hinausgespielt auf links,
gepasst, doppelt gepasst,
scharf hineingezogen,
gebombt und
zappelst im Netz.
Du wirst getreten
und hinausgeschleudert.
Du bist
der Ball,
der scheiß
Ball.
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Der Ball ist rund
Gerüchteweise ist der Ball rund, damit er die Richtung ändern kann, doch eigentlich ist der Grund ein ganz anderer, wie dieses Gedicht enthüllt.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Erdenrund
Sie waren zu elft und traten ihn,
obwohl er niemandem etwas getan hatte.
Doch er wusste: Widerstand war zwecklos.
Das würde sie nur zornig machen.
Also ertrug er ihre teilweise ungeschickten
Tretversuche und dachte zum wiederholten Male:
Warum gerade elf?
Es gab die zwölf Apostel, die zehn Gebote und
die sieben Todsünden, doch hier traten ihn elf
mit religiöser Inbrunst.
Nur einer nahm ihn ab und an in die Hand
oder drückte ihn an die Brust.
Ein großer Trost war das nicht, weil ausgerechnet
jener ihn manchmal extra heftig trat.
Und da erschienen noch mal elf.
Seine einzige Hoffnung war, dass sie sich
in die Haare kriegten und ihn vergaßen.
Nur kam das selten vor, denn es gab einen
Streitschlichter, der sie zur Vernunft brachte,
und Vernunft hieß: Ihn treten.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Folter
neunzig Minuten zu ertragen.
Sein großer Trost: Am Ende war er immer noch
der einzige von erdenrunder Form.
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Fußball und Leben
Es wurde sicher schon oft versucht, das Leben und den Fußball auf einen Nenner zu bringen. Davon lässt sich aber ein wahrer Künstler nicht abschrecken und versucht es noch einmal:
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Die Frage ist
Zuerst glaubt man,
das Leben ist ein volles Bundesligastadion
mit einer Wahnsinnsstimmung, einem Spiel
voller Rasse und Klasse und Dramatik bis
zur letzten Minute.
Doch irgendwann merkt man,
das Leben ist
nur ein müder Kreisligakick
vor dreißig Zuschauern,
mit zwei Mannschaften,
die sich redlich bemühen,
Fußball zu spielen.
Die Frage ist,
wie man damit klarkommt.
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Kinderfußball
Ein Gedicht aus der Zeit, in der Fußball noch ein Spiel ist und kein Business.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Sommernachmittag
Auf der Wiese
zwischen den Häusern
spielen Kinder
Fußball.
Die Mädchen
haben schmutzige Knie.
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Ein historischer Elfmeter
Historische Elfmeter gibt es viele, verwandelte und verschossene. Das liegt in der Natur der Sache, weil: Entscheidung. Aber der Elfmeter in diesem fußballerischen Gedicht schlägt sie alle.
Hans Retep · geb. 1956
Der Ehrentreffer
Ein Ball ganz stille & friedlich,
der thronte rund & nicht niedlich
auf dem Elfmeterpunkt.
Ein Spieler machte sich bereit,
das Rund ganz ohne jeden Streit
ins Eckige zu befördern.
Er nahm 'nen Anlauf noch und noch,
verzögert’ kurz vorm Balle doch,
um den Torhüter zu verladen.
Trotzdem schoss er mit viel Furor,
so dass der Ball sich ein-, zwei-, dreimal teilte
und achtmal flog hinein ins Tor.
Acht Tore mit nur einem Streich,
er schimpfte sich Prinz, er hieße Scheich,
das hatte keiner je erreicht!
Und auch noch heute schwärmen viele Leute
von diesem Spiel und diesen Toren,
als Holstein Kiel mit 8 zu 9 verloren.
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Kein Fußball
Wenn an einem Sommerabend der Bolzplatz leer ist, muss schon was ganz Besonderes anliegen:
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Der Bolzplatz
Sogar der Bolzplatz ist
an diesem Juniabend
verlassen.
Deutschland spielt
im Fernsehen.
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Die Bundesliga ist immer und überall
Von der Präsenz, die Fußball im Leben mittlerweile hat, hätte sich niemand erlaubt zu träumen, als die ersten jungen Männer im ausklingenden 19. Jahrhundert ihre Freizeit damit verbrachten, einen Ball durch die Gegend zu treten.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
auf dem Feld der Traktor ...
auf dem Feld der Traktor
steht still
der Bauer hört
Bundesliga
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Die schönste Nebensache
In diesem Fußball-Haiku bringt sich die Natur in Erinnerung, damit man weiß, dass die schönste Nebensache der Welt eben genau das ist: eine Nebensache.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
auf dem Weg zum Stadion ...
auf dem Weg zum Stadion
ein Schmetterling
fliegt in die Gegenrichtung
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Fußball-WM im Gedicht
Alle vier Jahre die gleiche Frage: Wer wird's? Guckt man in die Statistik, ist die Auswahl nicht sehr groß. Zieht man noch die Nationen ab, die nur ihre Heim-WM gewonnen haben, bleiben nur noch die üblichen Verdächtigen übrig. Und Hauptverdächtiger Nummer 1 ist:
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Wer wird Fußballweltmeister?
Eine Frau in einer blauen Uniform
redet auf einen abgewrackten Typen ein.
Neben ihr ein schwarzer Koffer.
Auf dem Koffer steht in weißen Großbuchstaben:
Jesus wird siegen.
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Der größte Fußballmoment
So ist der Fußball: Ein einziges Tor kann über Wohl und Wehe einer ganzen langen Saison entscheiden, von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Doch was kommt dann?
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Der Schrei
Ein Tor noch,
ein einziges Tor noch
bis zur Meisterschaft,
doch es wollte
und wollte
nicht fallen.
Die Anspannung der 50.000 entlud
sich nach jeder halbwegs
torgefährlichen Situation
in heftiger Anfeuerung.
Nie waren sie Meister gewesen,
immer nur Mitläufer,
nicht gut genug für ganz oben,
noch gut genug, nicht abzusteigen.
Aber in dieser Saison
mit dem neuen Trainer
geschah Wunder über Wunder.
Wäre die Schwächeperiode
rund um Ostern nicht gewesen,
sie hätten schon feiern können.
Doch jetzt fehlte im letzten Spiel ein Tor,
ein einziges Tor.
Die gegnerische Mannschaft,
längst abgestiegen,
wehrte sich verbissen.
Die Spieler
warfen sich in jeden Schuss,
verteidigten,
als ob es um ihr Leben ginge.
Dann zog der Achter aus dreißig Metern ab,
Latte, Kopfball, Pfosten, Nachschuss, Torwart,
Verzweiflung.
90 Minuten um,
vier Minuten Nachspielzeit.
Vorwärtsgebrüllt
rannten sie an,
kein Durchkommen.
Noch eine Minute,
eine allerletzte Minute.
Der Ball wurde nach vorne gedroschen,
der Mittelstürmer, mit dem Rücken
zum Tor, machte ihn fest, spielte
im Fallen rechts hinaus zum
Kapitän und der hämmerte ihn
Der Schrei war in der ganzen Stadt zu hören,
die Zuschauer sprangen wild umher,
schlugen die Fäuste in die Luft,
Umarmungen, Tränen.
Der Torschütze spurtete zur Trainerbank,
wurde unter glückseligen Leibern
begraben.
Kurz danach: Schlusspfiff.
100 Jahre später
ist der Verein aufgelöst,
das Stadion eingeebnet ein Parkplatz;
niemand lebt mehr, der damals dabei war.
Nun sagt,
warum
habt ihr so geschrien?
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Fußball-WM im Gedicht II
Auch das gehört alle vier Jahre dazu: Deutsche Farben all überall. In manchen Situationen erscheint der Verzicht darauf jedoch besser.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Vor dem Spiel
Deutsche Fahnen an Häusern und Autos.
Deutsche Trikots an dicken Leibern.
Ein Junge zieht einen Panzer hinter sich her.
Ohne Fahne, ohne Trikot.
Da haben wir noch mal Glück gehabt.
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Gedicht übers Endspiel
Wenn das Schicksal ganzer Nationen davon abhängt, ob das Runde ins Eckige geht, hat das nicht für jeden Prioriät.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Endspiel
Ein Ball landet im Netz.
Eine Nation jubelt,
eine Nation trauert.
Am Bierstand
prügeln sich zwei Besoffene.
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Experimentelles Gedicht über Fußball
Kann man ein experimentelles Gedicht über Fußball schreiben? Wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert, ist das gar kein Problem:
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Was am Samstagnachmittag zählt
eins
zwei
drei
halb vier
viertel nach fünf
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Nach dem Spiel
Ein Fußballspiel kann selbst vor dem Fernseher emotional erschöpfend sein.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
der Fernseher ist aus ...
der Fernseher ist aus
die Stille
nach dem Schlusspfiff
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Fußball intellektuell
Was passiert, wenn ein ewiger Besserwisser über etwas redet, von dem er nicht den Hauch einer Ahnung hat, lässt sich in diesem Gedicht nachlesen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Gerücht
Mir ist zu Ohren gekommen,
dass ein Verein namens
„Bayern München“
deutscher Meister im Fußballwettspiel
geworden sein soll.
Ich halte dies
aus zwei Gründen
für unwahrscheinlich:
1.
Selbst Fußballer
können nicht so dumm sein,
zu vermuten,
dass München
nicht
in Bayern liegt.
Die Redundanz
im angeblichen Vereinsnamen
enthüllt
dessen fiktiven Charakter.
2.
Über eine Eingliederung Bayerns
in den Staatsverband der Bundesrepublik Deutschland
ist mir nichts bekannt.
Nach meinem Informationsstand
gehört dieses Land immer noch
zur Christlich-Sozialen Union.
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Verstolperter Sieg
Im Fußball ist alles möglich. Das Tor verwaist, der Stürmer allein und dann: Sprachprobleme, alle Siegesträume schlafen ein.
Didi Costaire · geb. 1963
Der Fußballclub Dover aus Kent ...
Der Fußballclub Dover aus Kent
will's wissen und drückt vehement.
Die Flanke kommt rein,
der Stürmer nickt ein.
So hat er das Siegtor verpennt.
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Gedicht über eine Tormaschine
Der Trainer stellt natürlich immer die falschen auf. Aber wirklich skandalös ist, wenn er, wie in diesem Gedicht, eine wahre Tormaschine draußen lässt und lieber auf Null-Null spielt. Solche Trainer gehörten in einen Windkanal eingesperrt.
Dyrk Schreiber · geb. 1954
unhaltbar
er würde immer treffen
nicht so rumeiern
wie diese geldheinis
die gar nicht wissen
was fußball bedeutet
wieder und wieder
nahm er anlauf
doch war der platzwart
im wege der alles wegräumte
was man bequem
versenken könnte
nach dem anpfiff wurde ständig
einundausgewechselt
nur er bekam keine chance
bis zum abpfiff
was für ein taktischer fehler
zürnte er nach dem nullzunull
fixierte einen pappbecher
und jagte ihn unhaltbar
in den linken dreiangel
ich kann immer treffen
schrie der wind
ins leere rund
und legte sich
zum erneuten beweis
bevor der platzwart kam
ein sitzkissen zurecht
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Gedicht über das Trainer-Karussell
Jahrhundertelang haben sich Dichter geweigert über das aberwitzige Trainerkarussell in der Fußballbundesliga ein Gedicht zu verfassen, jetzt wurde mit diesem Tabu gebrochen:
Joachim Gräber · geb. 1943
Karussell
Für Szenekenner war es leicht zu fassen:
nachdem die Mannschaft wieder mal verlor
und selbst im eignen Stadion schoss kein Tor,
hat in der Krise wen man prompt entlassen?
Den Trainer. Nichts mehr ging und wollte passen,
so dass, gefeiert die Saison davor,
man kurzweg ihn zum Sündenbock erkor;
wie hurtig Ruhmesblätter doch verblassen!
Indes muss der Betroffne sich nicht grämen.
War gestern er noch Chef bei Kölns FC,
wird heut’ verpflichtet er vom BVB
und Retter übermorgen sein in Bremen.
Nach Marktgesetzen, aberwitzig schnell,
dreht sich im Fußballland das Karussell.
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Kommentar:
Formal interessant ist, dass hier eine Mischung von klassischem und dem englischen Sonett genutzt wurde. Vierzeilige Strophen mit umarmendem Reim sind typisch fürs klassische Sonett, das aber eigentlich mit dreizeiligen Strophen abgeschlossen wird, während für das englische Sonett Kreuzreime der Normalfall sind und der Zweizeiler am Schluss.
