Lustige Gedichte zum Nachdenken
Wer witzig ist, wird nicht ernst genommen. Das war schon immer die Überlebensgarantie für den Hofnarr, doch manchmal lohnt es sich schon, bei einer witzigen Bemerkung oder eben einem lustigen Gedicht etwas tiefer zu graben, darüber nachzudenken. Solcherart Gedichte sollen auf dieser Seite vorgestellt werden.

Der Glaube versetzt Planeten
An irgendetwas muss man ja glauben, und so glaubt das Ich in diesem Gedicht an einen wundersamen Planeten irgendwo im dunklen Universum. Hinweis: Jede Ähnlichkeit mit noch lebenden oder bereits verstorbenen Planeten wäre rein zufällig.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Glaubensbekenntnis
Ich glaube daran,
ich glaube fest daran,
dass es irgendwo
in der Dunkelheit des Universums
einen bunten Planeten gibt.
Dieser bunte Planet wird von zwei
Muttertieren bewohnt.
Das größere umschmiegt
blau schimmernd das kleinere.
Es heißt: Mehr.
In seinem Inneren schwimmen
Milliarden über Milliarden Lebewesen.
Alle zusammen nähren sie Mutter Mehr
und Mutter Mehr nährt sie.
Das kleinere der beiden hat feste Form
und möchte wachsen.
Deshalb heißt es: Werde.
Es ist bedeckt mit grünem Flaum,
von dem sich Milliarden über Milliarden
Lebewesen nähren und alle zusammen
nähren Mutter Werde.
So weit ist der Planet dem unseren ähnlich,
doch ich glaube daran,
ich glaube fest daran,
dass es auf diesem Planeten Tiere gibt,
die auf zwei Beinen über Mutter Werde wandern.
Und weil sie aufrecht gehen, haben sie freie Sicht,
und weil sie freie Sicht haben, denken sie voraus,
und weil sie vorausdenken können
als einzige Art auf dem bunten Planeten,
sorgen sie, dass keiner anderen Art ein Leid geschieht,
dass Mutter Mehr und Mutter Werde
allzeit gesund bleiben.
Und sie nennen den Planeten, der
von allen Reisenden bewundert
blau und grün ins schwarze Universum strahlt,
nach dem größeren der beiden Muttertiere.
Sie nennen ihn: Mehr.
Daran glaube ich,
daran glaube ich ganz fest.
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Lustig ist das Liebesleben
Ökonomie und Liebe sind zwei Welten, die nur mit viel gutem Willen zusammenpassen. Das weiß jede Frau und jetzt auch ein Mann.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Das Studium der Gefühle
Er hatte eine Menge Gefühle
in diese Beziehung
investiert.
Und was sprang
am Ende
für ihn heraus?
Eine bitterböse Abrechnung,
eine verheerende Bilanz,
ein Kurssturz ins Bodenlose.
Vielleicht
hätte er etwas anderes studieren sollen.
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Gedicht über das Ich
Das Ich ist eine seltsame Sache. Angeblich immer gleich, ist es doch immer anders, so dass einem vor lauter Ich, wie im folgenden Gedicht, schon mal schwindlig werden kann.
Bianca Weißinger · geb. 1999
wie ich bin
sei wie du bist!
doch sag
wie soll ich sein
wie ich bin
wenn ich bin
wie ich bin
wenn ich vor euch spiele
ich sei nicht
wie ich bin?
wenn ich ich bin
weil ich gern
mit meinem ich
alleine bin?
ich wäre nicht ich
wenn ich wäre
wie ich bin!
ich müsste mich spielen
um zu sein
wie ich bin!
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Über prophetische Worte
Prophezeiungen sind ja so ein Ding. Wenn sie stimmen, ist jeder hin, wenn nicht, lacht man dem Propheten ins Gesicht. Das Prophetenexemplar in diesem Gedicht hat immerhin eine Trefferquote von teils-teils, macht ihn aber auch nicht glücklich.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Der Prophet
Und der Prophet sprach:
Ihr werdet alle sterben.
Und sie starben alle und riefen:
Hurra!
Der Prophet hat wahr gesprochen.
Und der Prophet sprach:
Ihr werdet alle auferstehen.
Und sie sagten:
Moment mal.
Uns geht’s gut hier,
wir liegen bequem,
haben keine Sorgen.
Warum sollten wir auferstehen?
Und der Prophet war tief beschämt
und hängte die Propheterei an den Nagel
und eröffnete ein Lädchen für Heiligenbilder.
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Scheibenwelten
Einen der fundamentalen Nachteile unserer Scheibenwelten, über die wir einen großen Teil der Realität wahrnehmen, wird durch einen Blick in den Spiegel enthüllt.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Entdeckung im Spiegel
So ein Badezimmerspiegel
ist ein flaches Ding,
wie ja auch Fernseher,
PC-Monitore und
Handy-Screens
flache Dinger sind.
Früher hatten Fernseher und Monitore
einen Riesenbuckel.
Aber heute:
Alles flach.
Doch im Badezimmerspiegel habe ich
eine Entdeckung gemacht:
Ich bin
dreidimensional!
Mein Kopf ist ein massives Gebilde
von der Nasenspitze bis zu den Ohrenrändern
(und wirkt durchaus gefüllt und gar nicht hohl).
Meine Schultern wölben sich im Raum.
Jede Falte meines Hemdes klüftet.
Da ist Form.
Da ist Tiefe.
Ich stehe in einem Raum mit viel Platz
vor mir, neben mir, hinter mir.
Ich kann die Leere sehen!
Und hineingreifen!
Hebe ich meine Hand,
ragt jeder Finger als dreidimensionaler Körper
in den Raum!
Das ist wirklich
ein erstaunlicher Anblick,
den ich gar nicht kenne
von all diesen flachen Dingern.
Sollten die Alten doch recht gehabt haben?
Die Welt ist gar keine Scheibe,
sie ist eine
Kugel?
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Ein Bild von einem Gedicht
Falsch, dies ist ein Gedicht von einem Bild, wobei: So ganz richtig kann das auch nicht sein, weil zu viel Bewegung involviert. Wie dem auch sei, Trümmer sind immer des Nachdenkens wert.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Trümmer
Es gibt dieses Bild,
das ich mal ganz toll fand,
von dem Typen,
der auf dem Gipfel des Berges sitzt
und weint,
und seine Tränen wandeln sich
zu Schneebällen,
die Schneebälle sammeln sich
zu einer Lawine,
die alles, was da steht –
ob Baum, ob Haus, ob Mensch –
mit sich zu Tale reißt,
bis sie im Meer versinkt.
Der Schnee schmilzt,
die Trümmer werden geräumt,
der Strand ist wieder sauber,
das Meer blau
und der Typ fläzt sich
im Liegestuhl.
Inzwischen meine ich, die Trümmer
hätten auf dem Bild bleiben sollen.
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Die Menschheit aus Sicht eines Schmetterlings
Kein gutes Haar lässt ein Schmetterling an der Menschheit, muss jedoch erfahren, dass Meinungsfreiheit relativ ist.
Volker Teodorczyk · geb. 1953
Meinungsfreiheit
Der leuchtend bunte Schmetterling
Den neulich noch mein Vetter fing
Der konnte plötzlich sprechen
Mit dünnem Stimmchen, zauberzart
Hat er nicht mit Kritik gespart
Und Kommentaren, frechen
Der Mensch beraubt und schändet nur
Nicht nur sich selbst, auch die Natur
Wir sollten uns was schämen
Auch schon das All hat sich gefüllt
Mit Erdengütern zugemüllt
Wie wir auf sowas kämen
Und wie brutal und wie gemein
So können doch nur Menschen sein
Er wurde sehr persönlich
Der Vetter schaute fast entrückt
Hat dann den Schmetterling zerdrückt
Wie er es tut, gewöhnlich
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Doppelköpfigkeit
Manchmal bräuchte man schon einen zweiten Kopf, um bei den sich überschlagenden Entwicklungen in der Welt noch mitzukommen. Es gibt allerdings Leute, die haben schon zwei und es nutzt trotzdem nichts.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Köpfchen, Köpfchen
Dieb Reimt Sich Auf Krieg
Krieg Reimt Sich Auf Sarg
Sarg Reimt Sich Auf Tag
Tag Reimt Sich Auf Nacht
Nacht Reimt Sich Auf Mond
Mond Reimt Sich Auf Sterne
Sterne Reimt Sich Auf Sonne
Sonne Reimt Sich Auf Himmel
Himmel Reimt Sich
Jeder Mann
hat ein kahles Köpfchen,
mit dem er nicht denken kann,
Naziglatzen
haben zwei.
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Lustig sind nur die anderen
Hier ein Geibelinchen mit etwas Lustigem aus der Tierwelt. Ein Mensch käme natürlich nie auf den Gedanken, so etwas Dummes zu sagen:


Philosophisches zum Nachdenken
Bei diesem Gedicht kommt man wirklich ins Grübeln ob der offenkundigen Weisheit, die es ausspricht, und an der mehr dran zu hängen scheint als eine lockere Pointe.


Gedicht über Zahlengläubigkeit
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts hat es anscheinend eine Fixierung auf Wirtschaftszahlen gegeben, die zeigen sollen, wie gut es uns geht.


Ein kurzes Gedicht über den Genuss der Freiheit
Wenn ich es recht bedenke, scheint dieses Gedicht einen Bezug bis ins 21. Jahrhundert zu haben. Ich muss automatisch an die Geschichte der Piraten-Partei denken.


Ein lustiges Gedicht über Dummheit
Etwas deprimierend ist es schon, dieses Gedicht, obwohl es lustig gemeint ist. Mit etwas Nachdenken muss man leider sagen: Wo er recht hat, hat er recht.


Noch ein lustiges Gedicht über Dummheit
Ok, jetzt harte Kost. Ich bestreite, dieses Gedicht komplett verstanden zu haben. Also: Lustig sein und selbst nachdenken.


Der Klügere wird verjagt
Dieses Gedicht wiederum ist recht einfach zu verstehen. Die Moral wird gleich hinterher geworfen.


Hinweis: Wer zur nachdenklichen Seite der Menschheit gehört, dem muss sicher nicht das Nachdenken mit Humor verzuckert werden, obwohl ein bisschen Humor nie verkehrt ist. Für solche Menschen gibt es gleich eine ganze Kategorie mit verschiedenen Themenseiten: die Gedankengedichte.