Schwarzer Humor im Gedicht 1
Der Begriff Schwarzer Humor geht auf den Surrealisten André Breton zurück, der 1940 eine Anthologie de l’humour noir veröffentlichte. So recht definiert hat er den Begriff nicht. Er zitierte Sigmund Freud als kennzeichnend für die Art Humor, die er sich als schwarz vorstellte: „Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, dass ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahe gehen können, ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zum Lustgewinn sind.“ (Sigmund Freund, Der Humor, 1928, zitiert nach: André Breton, Anthologie des Schwarzen Humors, S. 18, Rogner & Bernhard 2011) Den Prototyp für schwarzen Humor will Breton zuerst beim Iren Jonathan Swift in voller Ausprägung entdeckt haben. Sein Humor ist dadurch gekennzeichnet, dass er die schrecklichsten Dinge in aller Ernsthaftigkeit vorträgt. Breton über Swift: „Seine Augen waren, scheint es, so veränderlich, dass sie von hellblau in schwarz übergehen konnten, vom Treuherzigen zum Schrecklichen.“ (Anthologie, S. 24) Der Humor in der Anthologie selbst ist jedoch wesentlich weiter gesteckt. Es ist eher eine Auswahl mit einem schwarzen Kern, die Bretons Humor widerspiegelt. Fazit: Schwarzer Humor ist mehr eine echte oder vorgespielte Lebenseinstellung im Sinne Freuds, die sich im Text ausdrückt, als die Suche nach Pointen, die einen grausigen Showeffekt haben.

Stoisch schwarz
Das Gedicht verdeutlicht Freuds Worte von der Leidensverweigerung. Schwarzer Humor bleibt kühl wie Eis, egal wie heißblütig eine Friseurin ist.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Manche Frauen vertragen keine Komplimente
Als hätt ich es selbst geschnitten,
lobte ich
die Friseuse,
als sie mir im Handspiegel meinen Hinterkopf zeigte,
worauf sie schwach wurde und
Spiegel und Hinterkopf zusammenprallten.
Oh, Entschuldigung,
kicherte sie,
peinlich berührt ob ihres Missgeschicks,
und eilte,
den Besen zu holen,
um die Scherben zu kehren.
Zu Hause
machte ich mir eine Notiz,
diese Friseuse
nicht mehr so überschwänglich
zu loben
und kühlte
die Beule
mit einem Eiswürfel.
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Schwarzer Humor mitmenschlich
Das geht auch: Schwarzer Humor und Menschlichkeit, aufeinander Rücksicht nehmen, gemeinsam Lösungen finden, der ganze Quark gedichtlich aufbereitet.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Menschlichkeit
An meiner Garderobe hing ein Mann.
Ich weiß nicht, wie er da hingekommen war.
Ich hatte niemanden eingeladen
und niemanden erwartet.
Warum hing er da?
Ich habe ihn nicht gefragt.
Sollte er doch zuerst sprechen,
wenn er sich schon uneingeladen
in meiner Wohnung aufhing.
Das tat er auch und sagte krächzend:
„Assa.“
„Wie bitte?“, fragte ich.
„Wasser“, presste er heraus.
Nun bin ich ein geduldiger Mensch
und lege auch nicht viel wert
auf Förmlichkeiten,
aber so ein Ein-Wort-Satz von jemandem,
der sich ungebeten in meiner Wohnung
aufgehängt hat an meiner Garderobe,
die fürwahr anderen Zwecken dienen sollte,
das fand ich dreist.
Also schenkte ich ihm kein
frisches Mineralwasser ein,
sondern nur welches aus dem Hahn.
Doch als ich ihm das Glas reichen wollte,
nahm er’s nicht.
„Was ist?“, fragte ich mit einem
nicht mehr unterdrückten feindseligen Unterton.
Atemlos sagte der Mann:
„Ich kann
meine Hände
nicht heben“,
„Warum nicht?“, hakte ich nach.
„Ich bin
tot“, hauchte er.
Das gab mir zu denken.
Nur ergab sich kein Gedanke.
Ich flößte ihm etwas Wasser
zwischen den schon recht trockenen Lippen ein
und schaute ihn an.
Ruhig hielt er meinem Blick stand.
„Was nun?“, fragte ich. „Ich kann Sie schließlich
nicht hier hängen lassen. Diese Garderobe ist für
meine Sachen gedacht, nicht für Ihren Körper.“
Und ich fügte noch hinzu:
„Außerdem fangen Sie irgendwann an zu stinken.“
Der Mann schloss die Augen.
Ich wartete.
Er öffnete die Augen und brachte flüsternd hervor:
„Ich verstehe
Ihre Lage.
Haben Sie
einen Balkon?“
„Ja“, sagte ich, „den habe ich, aber ...“.
Ich verstummte,
denn der Mann hatte wieder die Augen geschlossen.
Und mit geschlossenen Augen sagte er kaum hörbar:
„Es ist nicht sehr
würdig für mich,
aber ich habe Sie
in diese
unangenehme Lage
gebracht.
Also schmeißen Sie
mich vom Balkon.“
Er öffnete die Augen.
Wir sahen uns an.
Ich nickte,
ging zur Balkontür,
öffnete sie,
ging zurück zur Garderobe,
zerrte den Mann dort herunter,
schleifte ihn zum Balkon,
bugsierte ihn auf die Brüstung
und gab ihm einen Stoß.
Er klatschte auf den Gehsteig.
Und obwohl es keinerlei
Veranlassung dazu gab,
denn schließlich hatte dieser Mann
ungefragt das Problem hierher gebracht,
sagte ich dennoch:
„Danke.“
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Natur und Glück
Über Risiken und Nebenwirkungen, aber auch über das Glück, ein Dichter zu sein, informiert dieses schwarzgefärbte Gedicht.
Georgi Kratochwil · geb. 1979
Der Dichter im Gespräch mit der Natur
Beeil dich, Schnecke, beeil dich!
Die Straße ist breit,
die Autos schnell.
Beeil dich, Schnecke, bee
Hier hatte der Dichter Glück im Unglück. Die Operationen verliefen meist ohne Komplikationen, die jahrelangen Rehabilitationen waren insoweit erfolgreich, als dass er wieder schreiben konnte. Und er schrieb:
il dich!
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Glück im Unglück
Eine wundersame Geschichte wird mit schwarzem Humor in diesem Gedicht mit einer etwas seltsamen Strophenform erzählt.
Hans Retep · geb. 1956
Die wundersame Wandlung des Herrn Krieg
Herr Krieg, ein Anzugmann mit Aktentasche,
worin er trug nur eine Whiskyflasche,
der ging mit Blick aufs Handy über Rot
und wäre auf der Stelle tot
gewesen.
Doch noch im Fluge dachte er:
Das passt mir heute nicht,
was wird aus meiner Klage bei Gericht?
Herr Gott, ein alter Mann mit Wundertüte,
die er recht selten wundersam bemühte,
vernahm des Anzugmannes große Not
und ließ ihn kurz vor seinem Tod
genesen.
So tat Herr Krieg als ob nichts wär
und nutzte seine Zeit
mit einer ungewohnten Heiterkeit.
Die Klage bei Gericht, sie war verloren,
als er den Richter nannte „Euer Ohren“.
Den Nachbarn als Beklagten lud er ein,
man traf sich zum Beisammensein
am Tresen.
Herr Krieg ganz ohne Whisky traute mehr
der guten Laune Lauf
und schlug getötet auf die Straße auf.
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Kommentar Hans Retep:
Die Idee dieses Gedichts ist nicht neu. Bei mir hat die Geschichte An Occurrence at Owl Creek Bridge (englische und deutsche Version) von Ambrose Bierce bleibenden Eindruck hinterlassen. So was wollte ich auch mal machen. Mit der Strophenform habe ich mir allerdings selbst eine Grube gegraben, wie es sich für ein Gedicht mit schwarzem Humor gehört. Die ersten zwei Strophen gingen flott von der Hand, aber die letzte wollte einfach nicht, so dass das Gedicht ein paar Jahre liegen blieb, bevor ich einen erfolgreichen Anlauf zur Pointe unternahm.

Ein hundsgefährliches Gedicht
Eigentlich sollte dieses Gedicht verboten werden. Befolgten alle Hundebesitzer die gutgemeinten Ratschläge im Text, dann fände man bald keinen Hundekot mehr zum Einsammeln und nur die Hundebesitzer würden ewig leben. Und was wäre das für eine Welt? Das Gekläff wäre ja nicht zum Aushalten.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Aufruf an alle Hundebesitzer
Achtung! Achtung!
An alle Hundebesitzer!
Esst mehr Hundekot!
Hundekot enthält wertvolle Mineralien,
die das Blut stärken und vorbeugend wirken
gegen Alterserscheinungen aller Art.
Ihr zahlt Steuern!
Besteht auf euren Rechten!
Überlasst euren Hundekot nicht
den hundelosen Schmarotzern!
Hundekot kann man auch einfrieren.
Seine wertvollen Mineralien
gehen dabei nicht verloren.
Selbst als Geschenk ist Hundekot
immer eine gute Idee.
Wer fühlt sich nicht gleich besser
mit einem Kilo Hundekot im Haus?
Aber vor allem denkt an euch selbst:
Esst mehr Hundekot!
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Unterm blassen Mond
Wahrlich nicht hinterm Mond ist der Schwarze Humor im folgenden Gedicht. Ob die Polizei so etwas erlaubt?
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Mond am Morgen
Der Mond ist blass geworden;
das wundert mich nicht,
er sah dein Gesicht
und was ich ertragen musste.
Die Messer in deinen Augen.
Die Ratte in deinem Mund.
Doch die Sonne scheint!
Es wird ein schöner Morgen.
Hoffentlich
sind die Polizisten nett.
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Stille schwarz gefärbt
Das Geräusch der Motorsäge kann ziemlich enervierend sein, doch für jemanden mit schwarzem Humor hat auch dieser Lärm sein Gutes.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Endlich Ruhe
Das einzig Gute
an dem Krach einer Motorsäge ist,
dass man das Geschrei des Nachbarn
nicht mehr hört.
Und doch muss ich zugeben,
er sieht etwas seltsam aus
ohne Arme und Beine ...
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Herzprobleme einfach behandelt
Wenn das Herz hörbar klopft, gibt es ein Problem. Wenn es nicht hörbar klopft, dann gibt es keins. Von daher ist die angebotene Lösung des folgenden Gedichts bei Herzbummern nur folgerichtig.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Herzklopfen
Nervös, verliebt, aufgeregt?
Dein Herz klopft wild
gegen deine Brust?
Sofort aufmachen!
Brust mit Alkohol
und einem Eiswürfel einreiben,
das desinfiziert und betäubt,
dann mit einer Feinsäge öffnen.
So bekommt dein Herz
die dringend benötigte
frische Luft.
Nach etwa drei Minuten
kannst du die Rippen
mit Alleskleber zusammenleimen
und den Brustkorb
(doppelt gezwirntes Garn!)
wieder zunähen.
Dein Herz wird nie wieder
gegen deine Brust klopfen.
Falls doch,
bring die Säge zurück
und
lass dir das Geld auszahlen.
Das Umtauschrecht gilt auch
bei Herzensangelegenheiten.
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Stoischer Schein
Nur schlecht verhüllt ist hier der stoische Schein des lyrischen Ichs. Kein Wunder, dass das nicht funktioniert.
William Schwenck Gilbert · 1836-1911
An den irdischen Globus
(geschrieben von einer jämmerlichen Gestalt)
Roll weiter, Kugel, roll weiter!
Durch pfadlose Weiten im Raum
Roll weiter!
Was soll’s, dass ich Luft bekomme kaum?
Was soll’s, dass ich nur noch Schulden seh?
Was soll’s, dass mir die Zähne tun weh?
Was soll’s, dass ich ständig zum Pillenschrank geh?
Mach dir nichts draus!
Roll weiter!
Roll weiter, Kugel, roll weiter!
Durch Meere dunkler Luft hinab
Roll weiter!
’s ist wahr, dass ich keine Hemden mehr hab;
’s ist wahr, dass der Metzger sein Geld sehn will;
’s ist wahr, dass meine Zukunft ist trüb und still –
Mach dir nichts draus!
Roll weiter!
[Sie rollt weiter.]
Übertragen aus dem Englischen von Hans Peter Kraus
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Schwarzer Humor aus Frankreich
Wenn schon der Begriff aus Frankreich stammt, dann auch das älteste Beispiel für schwarzen Humor, bei dem es um den Erkenntnisgewinn durch Hängen geht.
François Villon · 1431-1463
Mein Name ist François ...
Mein Name ist François, was doppelt wiegt,
Geboren in Paris, das bei Pontoise nah liegt,
Und wenn um meinen Hals der Strick bald rundum liegt,
Weiß endlich er, wie viel mein Hintern wiegt.
Übertragen aus dem Französischen von Hans-Peter Kraus
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Kommentar von Hans-Peter Kraus zur Übertragung:
Dieses Gedicht soll von François Villon geschrieben worden sein, als er zum Tode verurteilt wurde. Das französische Original klingt so:
Ich fand das Gedicht in dem sonst nicht besonders bemerkenswerten Buch Gehirn und Gedicht von Raoul Schrott und Arthur Jacobs, wo eine wortwörtliche Übersetzung angegeben war.
Anhand von einigen misslungenen Übertragungen zeigten die Autoren, wie schwer es ist, Gedichte von einer Sprache in die andere zu übertragen. Durch die missglückten Versuche angestachelt, habe ich meine eigene Version erstellt. Ich hab versucht, das kuriose Reimschema und die damit verbundene Wortspielerei zu retten und mich an den Jambus gehalten. Geopfert wurde dafür das Achtsilbenmaß der Verse. Irgendwas geht bei einer Übertragung ja immer baden.

Hier wird nicht gelacht
Ein guter Ratgeber für das vorbildlichen Benehmen als Leiche ist das folgende Gedicht.
Norbert Herrmann · geb. 1970
lucky im park
komm tot in den besagten park
in dem schon manche leiche lag
mach dirs bequem, die augen zu
tot spürest du die tiefste ruh
wenn dann die ratten an dir nagen
vesuch das kitzeln zu ertragen
denn schallend lachen ist unbekannt
der park des todes ist heiliges land
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Zeit für Zärtlichkeit
Zur Erholung von all dem grässlichen, hässlichen, scheußlichen, gräuslichen schwarzen Humor ein Gedicht fürs Herz – garantiert blutlos.
Laura Matthiesen · geb. 1987
Du und ich
Ich frag mich schon lange
Wer du bist
Wie du bist
Ob du wirklich bist
Du siehst so traurig aus
Hier bei mir
Auf dem Bett
Kalt im Morgenrot
Dabei sind wir glücklich
Du und ich
Hier allein
Still im tiefen Wald
Ich streiche über deine weiße Wange
Du bist Porzellan
Du bist kalt
Dein kleiner Finger ist ganz blau gefroren
Ich will, dass du lächelst
Für mich
Ein liegendes Lächeln
Im ersten warmen Sonnenlicht
Dein Haar bleibt mir für immer
Wir sind
Zusammen
Uns gehört die Welt
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Rat an die lieben Kinder
Typisch für Schwarzen Humor wird in diesem Gedicht in aller Unschuld den Kinderchen ein Rat gegeben, der jedem verantwortungsbewussten Elternteil die Haare zu Bergen stehen lässt.
Joachim Ringelnatz · 1883-1934
Kinder, ihr müsst euch mehr zutrauen ...
Kinder, ihr müsst euch mehr zutrauen!
Ihr lasst euch von Erwachsenen belügen
Und schlagen. – Denkt mal: fünf Kinder genügen,
Um eine Großmama zu verhauen.
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