Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Gedichte für Geldgeschenke

Geldgeschenke haben keinen guten Ruf, sind jedoch bei Licht betrachtet keine schlechte Lösung. Niemand als die Beschenkten selbst wissen besser, was ihnen gefällt. Um die Überreichung schnöden Mammons aufzulockern, empfiehlt sich eine ausschweifende Verpackung und – ein Gedicht.

 
 

Gedicht zum Schein in Tüten

Tütenscheinchen garantiert blütenfrei kann man mit diesem Gedicht verschenken, das die Segnungen des Geldgeschenks lobpreist.

Hans Retep · geb. 1956

Farbig Scheinchen in der Tüte

Dies farbig Scheinchen in der Tüte,
wir schwören es, ist keine Blüte.
Bedruckt mit einer runden Zahl,
erspart es dir die blöde Qual,
mit Dank zu ehren nutzlos Tand,
den wir als Gabe schlicht verkannt.

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Ein flottes Gedicht zum Geldgeschenk

Ein ziemlich wahnsinniges Tempo schlägt dieses Gedicht an, um den Schein passend zu begleiten. Denn so ist es ja oft mit dem Geld: Kaum da, schon weg.

Georgi Kratochwil · geb. 1979

einfach so

ein Papier
kein Saphir
schöner Schein
wird nun dein
ist nur Geld
nicht die Welt
außer Haus
gib es aus
mach dich froh
einfach so

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Kommentar Georgi Kratochwil:
Vorbild für den ultrakurzen Versbau war Detlev von Liliencrons Handkuss. In 30 Silben 20 Hebungen unterzubringen ist auch für mich als Schreiber ein Spaßfaktor, sozusagen mit Geld nicht zu bezahlen;-)

 
 

Gedicht mit mehr Schein!

Und das hier ist eine Art „extended Version“ von Gedicht Nummer eins. Wer schon immer ein Gedicht mit dem schönen Wort Wunscherfüllungstauschpapier überreichen wollte, wird hier für sein Geldgeschenk bestens bedient.

Hans Retep · geb. 1956

Dies Stück Papier

Dies Stück Papier mit einer runden Zahl
erspart nun uns und dir die Marterqual
ein wohlgemeintes, unbrauchbares Ding
auf artig Weise lobend zu besing’.
So mag dir nutzen unser Scheinchen hier
als wahres Wunscherfüllungstauschpapier.

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Vom Reimwiderstand
Der Reimwiderstand ist nicht Ausdruck einer Abneigung gegen den Reim, sondern ein Begriff, den Karl Kraus geprägt hat. Der mochte den Reim durchaus, nur wollte er damit höher hinaus und nicht nur Verse klanglich auffüllen.

Bei den Wörtern „hier“ und „Wunscherfüllungstauschpapier“ lässt sich vielleicht erahnen, was er mit dem Reimwiderstand meinte. Da wäre zuerst die quantitative Komponente: Ein einsilbiges Wort wird gereimt mit einem siebensilbigen. Der Reim muss sechs Silben im Wort überwinden, um vollendet zu werden.

Wie ein Blick in viele Gedichte zeigt, ist das ziemlich außergewöhnlich. Meist reimen einsilbige Wörter miteinander oder zweisilbige. Wenn’s hochkommt, variiert die Silbenzahl aufgrund einer unbetonten Vorsilbe (Ding – besing’) oder ein Reimwort wurde zusammengesetzt aus zwei kurzen Wörtern (Zahl – Marterqual).

Doch gibt es beim Reimwiderstand auch eine qualitative Komponente, die Karl Kraus noch wichtiger war. Er verdeutlichte den qualitativen Aspekt an einem Reim aus einem seiner Gedichte, das passenderweise „Der Reim“ hieß:

Er ist das Ufer, wo sie landen,
sind zwei Gedanken einverstanden.

Die beiden Reimwörter sind nicht nur des Klanges wegen dort platziert, sondern für den Inhalt des Gedichts wichtig. Sie verbinden eine körperliche Sphäre (landen) und eine geistige (einverstanden), so wie der Reim eine körperliche Komponente hat (Rhythmus) und eine geistige (Sinn), Gefühl und Verstand gleichermaßen anspricht.

Die zwanglos wirkende Verbindungen zweier Sphären ist eine Möglichkeit für mehr Reimqualität, eine andere wäre, entgegengesetzte Wörter per Reim zu verbinden. Wieder aus „Der Reim“:

Er ist nicht Ornament der Leere,
des toten Wortes letzte Ehre.

Hier wurden „Ehre“ und „Leere“ verbunden, die sich sicher nie begegnen wollten. Um diese Verse zu schreiben, musste gedanklicher Widerstand überwunden werden. Also auch beim Reim gilt: Nicht nur den einfachsten Weg der Anpassung wählen, sondern Widerstand leisten.

 
 

Gedicht über die rechte Kaufstimmung

So richtig prickelnd wird ein Geldgeschenk erst, wenn der Beschenkte auch in der rechten Kaufstimmung ist. Darauf weist dieses Gedicht zum Geldgeschenk in stimmungsvollen Versen hin.

Emanuel Mireau · geb. 1974

Zauberschein

Wenn deine Seele sich erhebt,
dein Kopf in blauen Himmeln schwebt,
die Welt erscheint als Paradies
und jeder Augenblick dir süß,
dann wandelt dieser Zauberschein
sich wunderbarerweis in ein
dir wunscherfüllend Dein.

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Schein und Schein

In diesem Gedicht zum Geldgeschenk geht es scheinbar um den Schein, doch in Wirklichkeit geht es um den Schein. Wer den Scheinwiderspruch dieses Satzes verwirrend findet, darf in seinem bevorzugten Lexikon unter dem Stichwort Homonym nachschlagen.

Hans Retep · geb. 1956

Der Schein

Die Welt, sie sei nur bloßer Schein,
so wird seit langer Zeit geklagt.
Wer Wunscherfüllung sich versagt,
für den mag das so sein.

Doch wer zu nutzen weiß den Schein,
der kauft damit, was ihm behagt,
erfüllt sich Wünsche ungefragt
und wandelt Schein in Sein.

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Vom Schein

Der Schein ist als solcher eben nur ein selbiger. Das wird in diesem Gedicht zum Geburtstag unmissverständlich, geradeaus – und warum auch nicht? – zum Vorschein gebracht.

Hans Retep · geb. 1956

Scheinkunst zum Geburtstag

Wir würden niemals daran denken,
dir Geld an deinem Geburtstag zu schenken.
Das wäre uns zu einfallslos,
denn wir verteilen nicht nur Moos.
Wir nehmen kunstvoll bedrucktes Papier,
das feiert ein Fest für die Augen schier.
Kunst und Kultur, die wollen wir schenken,
wer wird dabei an Zahlen denken?

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Ein Gedicht über erfüllte Wünsche

Wilhelm Busch kann man natürlich mal wieder nichts recht machen. Sein Gedicht zum Geldgeschenk warnt vor übertriebenen Hoffnungen.

Busch: Niemals

Dieses Gedicht im Textformat

Kommentar:
Ein kleines Detail unterstützt den Hin-und-her-Charakter des Gedichtes. Busch wechselt bei den Versen zwischen längeren und kürzeren. Die ungeraden Verse haben vier Hebungen, die geraden nur drei. Hinter den spontan klingenden Versen steckt also etwas mehr Gedankenarbeit, als man auf den ersten Blick sieht.

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