Historische Geburtstagsgedichte
Geburtstagsgedichte gelten und galten nicht als künstlerische Herausforderung und laufen daher bei vielen Gesamtausgaben der Gedichte einzelner Dichter maximal unter „Sonstiges“, wenn sie nicht überhaupt verschollen sind. Für diese Seite mit historischen Geburtstagsgedichten habe ich drei Dichter ausgewählt, bei denen sowohl private als auch „offizielle“ Geburtstagsgedichte überliefert sind. Matthias Claudius, Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Hölderlin stammen noch aus einer Zeit, in der die Förderung durch einen Landesherrn eine Möglichkeit war, als Dichter finanziell zu überleben. Die Huldigung des regionalen Adels durch ein Geburtstagsgedicht gehörte nicht nur zum guten Ton, es konnten durchaus handfeste Interessen dahinterstehen.
Bei den privaten Gedichten sind von Matthias Claudius einige erhalten geblieben, weil er das Private durchaus öffentlich abhandelte, indem er etwa solche Geburtstagsgedichte im Wandsbecker Boten veröffentlichte, eine Tageszeitung, deren einziger Redakteur er war. Und bei Goethe und Hölderlin sind schlicht alle greifbaren beschriebenen Papierschnipsel ausgewertet worden, so dass auch Privates erhalten blieb.
Geburtstagsgedichte von Matthias Claudius
Zuerst ein Gedicht, dass der Dichter sich selbst zum Geburtstag schrieb. Sein Verhältnis zum Tod, den Matthias Claudius Freund Hain nannte, ist ein ganz spezielles. Er widmete Freund Hain den ersten Teil seiner gesammelten Werke. Das folgende Gedicht wurde jedoch nicht in die selbst herausgegebene Werkschau aufgenommen. Es erschien 1773 im Wandsbecker Boten, vermutlich anonym, wie viele andere Gedichte dort auch. Als Geburtstagsgedicht einen Appell an den Tod zu richten, ist nun wahrlich etwas Historisches, denn den Tod haben wir inzwischen weitgehend aus dem Leben verbannt.

Nun aber zu einem rein privaten Geburtstagsgedicht, es ist tatsächlich eines der wenigen von Matthias Claudius, das zu seinen Lebzeiten ungedruckt blieb und trotzdem überliefert wurde. Um so erstaunlicher, dass er in einem Gelegenheitsgedicht literarisch experimentierte. Ein Reimschema wie in diesem Gedicht habe ich noch nirgendwo gesehen, obwohl bei Sechszeilern viele Variationen ausprobiert wurden. Und wieder sind trotz des freudigen Anlasses Tod und Vergänglichkeit ein Thema.

Ein weiteres Gedicht aus dem Wandsbecker Boten, das eigentlich privater Natur ist, demonstriert eine klare Trennung zwischen Autor und lyrischem Ich, denn Claudius nimmt den Standpunkt seines Vaters ein. Das Gedicht hebt sich damit deutlich ab von anderen Gedichten, die für Eltern geschrieben wurden und werden.

Und nun zur offiziellen Geburtstagspoesie. Das folgende Geburtstagsgedicht ist an den dänischen König Friedrich VI. gerichtet, denn als Wandsbecker war Matthias Claudius dänischer Untertan. Claudius war zeitlebens ein Verfechter des Gottesgnadentums, mit der französischen Revolution konnte er sich nie anfreunden. Darauf spielt die dritte Strophe an. Allerdings zeigt sich dort auch, dass er durchaus kritisch gegenüber seinem König sein konnte, denn er stellt eine Bedingung: „Und wenn der eine mit Weisheit fährt / So ist er all unsrer Liebe wert“. Auch der Krieg als Mittel der Politik darf bei Claudius nur zu den widerwillig ergriffenen Maßnahmen eines Monarchen zählen. So nutzt der Dichter dieses Geburtstagsgedicht zu einem eindeutigen Friedensappell an seinen König, der zu jener Zeit auf der Seite des Emporkömmlings Napoleon in den europäischen Auseinandersetzungen stand.

Geburtstagsgedichte von Goethe
Bei den Geburtstagsgedichten von Goethe an den Adel zeigt sich ein ganz anderes Verhältnis von Dichter zu den Bedichteten. Im ersten Gedicht an den Sohn des Landesherrn, der 1828 Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach wurde, gibt es von Kritik keine Spur. Untertanen sind nur die anderen, während der Dichter sich selbst als Außenseiter darstellt. Bei der Form wählte Goethe die aus Italien importierte achtzeilige Stanze mit dem Reimschema abababcc, ein wortloser Hinweis auf seine eigene (Reise-)Biographie.

Auch im zweiten Geburtstagsgedicht, diesmal an die Landesmutter, ist Goethe nicht Untertan, sondern schreibt auf Augenhöhe, er gehört dazu. Etwas lästerlich könnte man sagen, dass sich Goethe anscheinend nicht sehr viel Mühe gegeben hat. Das Gedicht ist formal (vierzeiliger Kreuzreim, so etwas schreibt ein Dichter noch vor dem Frühstück) und inhaltlich recht konventionell. Es kann natürlich aber auch sein, dass Goethe genau das als passend für die Adressatin empfand, er sozusagen mundgerecht schrieb.

Goethes drittes Geburtstagsgedicht ist, auch wenn der Titel einen anderen Eindruck macht, an einen Freund gerichtet. Er kannte Karl August von Hardenberg seit seiner Studienzeit. Dieses Gedicht aus dem Jahr 1820 nimmt passend zu einem 70. Geburtstag das Thema Zeit und damit Vergänglichkeit auf. Vergleicht man es mit den Geburtstagsgedichten von Matthias Claudius, dann wird das Thema allerdings in einer sehr abgeschwächten Form behandelt. Es überwiegt, wie es sich für Geburtstagsgedichte gehört, das Positive, die guten Wünsche. Auch hier bleibt Goethe beim Konventionellen in der Form.

Zum Schluss zeigt Goethe seine schauspielerischen Fähigkeiten in einem Gedicht, das er für seine Enkel als Ghostwriter schrieb, die ihre Mutter mit einem Geburtstagsgedicht überraschen wollten. Er nimmt sich sehr zurück und musste natürlich eine konventionelle Form wählen, damit er Eindruck entsteht, als ob ein Kind ein Geburtstagsgedicht für seine Mutter verfasst hätte. Also eigentlich klingt es nach Matthias Claudius;-)

Ein Hölderlin-Geburtstagsgedicht für einen Freund
Ungewöhnlich für Hölderlin bedient er sich im Dezember 1800 traditionellen kreuzgereimten Vierzeilerstrophen für sein Gedicht zum 31. Geburtstag von Christian Landauer.

Geburtstagsgedicht für eine Bewunderin
Auch Hölderlin hat mit einem Geburtstagsgedicht einem regionalen Fürstenhof gehuldigt. In diesem Gedicht bleibt er jedoch bei dem für ihn eher typischen Odenstil.


