Gedichte über Kinder 1
Kinder im Gedicht – das kann auch schief gehen, aber Dichter mit feiner Beobachtungsgabe oder die selbst ein bisschen Kind geblieben sind, können aus dem Thema ein paar schöne Gedichte zaubern. Ältere Gedichte über Kinder finden Sie in Teil 2.

Kindermund
Kindermund tut bekanntlich Wahrheit kund und manchmal auch viel mehr: Er rettet Leben.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Eine Sternstunde der deutschen Sprache
Man kann schon jetzt sehen,
dieses philippinische Mädchen wird einmal
eine wunderschöne Frau.
Ihr schwarzes Sternenhaar
wird mit ihren Perlenzähnen
um die Wette glitzern,
beim Anblick ihrer seidigen Haut
von der Farbe eines spanischen Milchkaffees
werden sich Männer ihrer Eisenhände schämen.
Doch vor allem
werden ihre Weisheit
und ihr Charme
die Herzen schmelzen lassen wie
den Schneeball in der Hand ihres kleinen Bruders,
als sie im lieblichsten Glöckchendeutsch zu ihm sagt:
„Ich rate dir,
tue es nicht.“
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Kommentar:
Ich schreibe solche Gedichte manchmal ganz gerne: Eine beobachtete Szene wird mit etwas Wortgeklimper angereichert, der Text rhythmisiert, fertig. Was mir bei diesem Text wieder einfällt: Inzwischen erscheint es völlig normal, dass Kinder afrikanischer oder asiatischer Herkunft deutsch reden wie alle anderen Kinder auch. Vor etwa 20 Jahren war das noch anders. Wobei das für Kinder, die wahrscheinlich hier geboren sind, einfacher ist als für ihre Eltern. Jeder, der als Erwachsener einigermaßen Deutsch lernt, hat meine Hochachtung. Ich mag die deutsche Sprache sehr, aber sie als Fremdsprache zu lernen, das muss eine furchtbare Erfahrung sein.

Fußball und Mädchen
Nur ein klitzekleines Detail wird in diesem Gedicht geschildert und doch öffnet es Gedankenströme über die Kindheit, das Erwachsenwerden und Geschlechterrollen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Sommernachmittag
Auf der Wiese
zwischen den Häusern
spielen Kinder
Fußball.
Die Mädchen
haben schmutzige Knie.
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Kind am Samstag
Samstags gibt es keine Schule mehr. Also: Zeit für große Abenteuer.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Samstagmorgen ...
Samstagmorgen
ein Kind mit Rucksack
geht allein in den Wald
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Von Kindern lernen
Das weiß doch jeder: Von Kindern kann man was lernen. Aber dass sie selbst Zen beherrschen, hat sich, so glaube ich, noch nicht herumgesprochen. Doch dafür gibt’s ja Gedichte.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Mein Zenmeister
Er trägt einen grünen Anorak,
blaue Jeans und rote Schuhe.
Er starrt ein Haus an
auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Er neigt den Kopf etwas nach links,
dann etwas nach rechts.
Seine Mutter, ein paar Schritte voraus,
wartet.
Ich schaue hinüber zu dem Haus.
Links daneben steht ein Haus,
rechts daneben steht ein Haus,
warum starrt er gerade dieses an?
Ich gehe an seiner Mutter vorbei,
gehe an ihm vorbei,
schaue zu dem Haus,
aber krieg’s nicht raus.
Noch einmal schaue ich zurück,
immer noch starrt er das Haus an,
schleudert geistesabwesend mit den Armen.
Plötzlich hab ich’s:
Das Haus ist ein Haus,
das ist der Grund.
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Ringelnatz über Kinder
Ringelnatz über Kinder? Das muss lustig sein, mag mancher denken. Aber nein, Ringelnatz konnte auch anders, und man beachte die schräge Reimstruktur. Da ist ein Künstler am Werk, obwohl es doch nur ein Gedicht über Kinder ist.


Geschichtslektion für Kinder
Tief in die haarige Geschichte greift dieses Gedicht über Schneebälle werfende Kinder. Ob diese Lektion gut ankommt, ist nicht zu vorherzusagen, aber laut – das wird sie.
Hans Retep · geb. 1956
Aus der Geschichte lernen
Schneeräuber stehlen
Schnee von Automobilen,
um Schneebälle zu werfen
auf Mädchen, die kreischen.
Diese jugendlichen Rabauken
haben versäumt Geschichte zu pauken,
denn dann hätten sie davon gehört,
wie man Hymnen zerstört.
Damals in Woodstock
Jimmy’s Gitarre
weckte selbst Tote aus Leichenstarre.
Saiten, die ließ er kreischen,
statt Schneeballschreie
von Mädchen zu erheischen.
Außerdem, und hier ist die Belehrung
wirklich zu Ende,
vom Gitarrespielen
bekommt man keine
kalten Hände.
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Ein Mutter-Tochter-Gedicht
Das Verhältnis Mutter und Tochter ist sicher ein ganz spezielles. Ungezählt die Scharmützel, die ausgetragen werden, eins wurde in dem folgenden Gedicht protokolliert.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Frontbericht
Todesmutig stieß
auf ihrem Gehrad das kleine Mädchen
Richtung Straße vor.
Entschlossen wehrte
ihre Mutter den Angriff ab:
Du kannst doch nicht einfach auf die Straße fahren!
Bei dir piept’s wohl!
Streckte die Tochter die Waffen?
Nein!
In Guerilla-Manier hob sie
die linke Hand und sprach:
Oh, oh, meine Ticktack-Uhr.
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Kinder und Essen
Keine einfache Geschichte: Kinder und Essen. Deshalb wird hier vorsichtshalber die Sache als Gedicht nicht als Geschicht’ serviert. Ob das hilft, wenn der Mond doch Flecken hat?
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Der Mond hat Flecken ...
Der Mond hat Flecken.
Das ist nicht gut.
Die Kinder mögen’s nicht,
wenn was Flecken hat.
Kann ich sagen, was ich will,
selbst Vorkosten hilft nichts.
Wenn da Flecken sind,
essen sie’s nicht.
Am liebsten mögen sie Nudeln mit Ketchup.
Nudeln haben keine Flecken.
Und der Ketchup verpatscht alles wunderbar.
Flecken auf T-Shirt oder Hose
stören sie nicht.
Die kann ich ja rauswaschen.
Aber wenn ich einen Mond
mit Flecken serviere,
keine Chance.
Da kann ich gleich Nudeln aufsetzen,
und Nudeln
hab ich sowas von satt.
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Kinder jeden Alters
Obwohl in diesem Gedicht nur ein Kind auftaucht, liegt der Verdacht nicht fern, dass es doch zwei sind.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Der Generationenvertrag
Ein Mann und ein Junge
stehen auf den gegenüberliegenden Seiten
einer Ampel.
Es ist Rot.
Links kein Auto.
Rechts kein Auto.
Sie gehen los.
„Bei Rot geht man aber nicht über die Straße“,
ruft der Junge dem Mann zu.
„Nein, tut man nicht“,
ruft der Mann zurück.
Sie begegnen sich,
ein kurzer Blick,
dann sind sie aneinander vorbei,
und ohne sich umzudrehen sagt der Junge:
„Dann tun Sie’s auch nicht!“
„Würde ich nie tun“,
antwortet der Mann über die Schulter hinweg.
Sie erreichen die andere Straßenseite,
drehen sich um,
heben grüßend die Hand,
grinsen
und gehen ihrer Wege.
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Keine Angst vor den Großen
Auch wenn sie sich aufplustern: Vor Großen muss man als Kind keine Angst haben. Da ist sich dieses Gedicht ganz sicher.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Mache den Weg frei
Die Autos parken dicht an dicht
halb auf dem Gehsteig, lassen
nur eine schmale Gasse frei.
Mir kommt ein Mädchen entgegen,
das nur halb so groß ist wie ich,
und das keinerlei Anstalten macht
auszuweichen.
Da stelle ich mich breitbeinig mit
verschränkten Armen vor der Brust hin
und sage mit tiefer Stimme:
„Mache den Weg frei,
ich bin viel größer als du.“
Da stellt sich das Mädchen breitbeinig
mit verschränkten Armen vor der Brust hin
und piepst:
„Mache den Weg frei,
ich bin viel kleiner als du.“
„Auch wieder wahr“ sage ich
und mache den Weg frei.
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Gedicht über Kinder von heute
In diesem Gedicht geht es um einen Trend, der sich von Erwachsenen zu Kindern ausgebreitet hat. Man könnte es auch eine Seuche nennen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Das Gebet
Die Schule ist aus.
Drei Mädchen
sitzen in der Straßenbahn.
Kein Gebabbel,
kein Geschrei.
Vornübergebeugt
beten sie in stiller Andacht
ihre Smartphones an.
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Kommentar Hans-Peter Kraus:
Mir wird das langsam unheimlich. Egal wohin man guckt, in der Straßenbahn, zu Fuß unterwegs, im Auto(!), immer hat irgendwer sein Smartphone gezückt. Das mag eine sedierende Wirkung auf sonst quicklebendigen Schüler haben, aber gibt’s überhaupt nichts mehr zu sehen außerhalb dieses Minibidschirms?

Gedicht über schlafende Kinder
Schlafende Kinder zu betrachten, das enthüllt ihre ganze Unschuld, doch auch hinter ihren Stirnen verbirgt sich etwas.
Richard von Schaukal · 1874-1942
Die Kinder
Nun schlafen sie, haben die blonden Köpfe
leicht auf die lieben kleinen Hände gelehnt.
Leise leg ich ihnen die Decken zurecht
und streiche langsam über die reinen Stirnen,
hinter denen sich Wunder verbergen, die mich vergessen haben.
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Elternleid
Lied und Leid liegen in diesem Gedicht über Kinder besonders nah beisammen, und alles nur, weil die Kinder laufen lernen.


Wehmütiges Gedicht über Kinder
Etwas Wehmut beschleicht das lyrische Ich in diesem Gedicht über seine Kinder beim Gedanken an die unausweichliche Trennung.


Ein Gedicht über: nicht genug
Dass Kinder manchmal nicht genug von etwas bekommen, kann lästig sein, aber macht die Freizeitgestaltung möglicherweise etwas einfacher, wie das folgende Gedicht über eine Märchenstunde zeigt.
Börries Freiherr von Münchhausen · 1874-1945
Märchen
Glänzende Augen und feurige Bäckchen,
Eins rechts, eins links im Sofaeckchen,
Die kleinen Hände fest geballt.
„Also der Königssohn kam aus dem Wald
Mit der Prinzessin glücklich heraus,
Und nun ist die Geschichte aus!“
Zwei tiefe Seufzer. Die rosa Mäulchen
Schließen sich für ein kurzes Weilchen,
Und dann zwei Stimmen, ganz sentimental:
„Nochmal, bitte, bitte, Papa, nochmal!“
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Liebeserklärung an eine Tochter
Streng genommen ist dies kein Gedicht über ein Kind, sondern über einen Vater. Doch letztlich sagt der Text einiges über die Tochter, in dem er vom Vater spricht.
Max Jungnickel · 1890-1945
Kind
O meine liebe, kleine Tochter,
Was wär’ ich ohne dich? – –
Ein Puppenspieler wär’ ich –
Ohne Lachen.
Ein Geiger wär’ ich –
Ohne eine Melodie.
Ich wär’ ein Wanderer
Und hätte nicht ein Fliederreis am Hut.
Ich wär’ ein Narr
Und wüsste keinen Scherz.
So aber hab’ ich dich! – –
Und alle Straßen werden bunt
Und laufen in die Sterne,
Weil ich dich habe.
Und alle Märchen tuen herbergsfroh sich auf
Und brennen ihre blauen Lichter an,
Damit ich darin wohnen kann.
Und jeder Vogel weiß,
Dass ich dich habe. – – –
O meine liebe, kleine Tochter!
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Gedicht über eine zweite Kindheit
„Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“, heißt es. In diesem Gedicht ist dem Autor eine glückliche Kindheit nicht genug, er hat gleich zweie davon.
Wilhelm Popp · 1870-1938
Neue Jugend
Ach – meine Jugend war schön!
Tiefblaue Lüfte, glänzende Tage,
lärmende Spiele am Bergeshang,
Märchen am Abend, Kindergesänge –
noch in die Träume scholl mir ihr Klang.
Ach – meine Jugend war schön!
Aber nun sah ich sie wieder erstehn:
Trabt mir ein Pärlein mit braunkrausen Härlein
lustig und lachend im Zimmer herum,
hascht nach der Sonne mit hastigen Händen,
nimmermehr sind die Mäulchen stumm.
Alte Lieder singen wir wieder,
Lieder der Kindheit mit seligem Klang,
wenn erst die goldenen Märchen erwachen,
lauscht mein Pärlein halb froh, halb bang.
Ach – meine Jugend war schön!
Aber nun seh ich sie wieder erstehn,
schöner, viel schöner erstehn.
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Ein Gedicht von Rilke über Kinder
Eher träumerisch kommt Rilkes Gedicht über Kinder daher, und dennoch fußt es in der Realität des Kindlichen.

Kommentar:
Diesen Dreireim, den Rilke in beiden Strophen auffährt, benutzte er ziemlich häufig in fünf- oder sechszeiligen Strophen. Wesentlich gängiger ist beim Sechszeiler der Schweifreim, wie er z.B. im Abendlied von Matthias Claudius verwendet wurde (Der Mond ist aufgegangen ...).

Noch ein Gedicht über Kinder von Rilke
Dieses sehr bekannte Rilke-Gedicht über Kinder ist eine Studie über Dinge und Selbstvergessenheit: Kinder haben im Gegensatz zu Erwachsenen Zeit.

