Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Gedichte über Mensch und Tier

Begegnungen zwischen Mensch und Tier können sehr spannend sein, auch wenn es nicht um fressen und gefressen werden geht. Beide müssen das Verhalten des Anderen entschlüsseln, um in Frieden miteinander zu leben. Wie die Geschichte lehrt, sind Menschen nicht gerade Großmeister im Entschlüsseln, sondern bevorzugen eher die Methode „Erst schießen, dann fragen“, wohingegen Tiere eingebaute Fluchtreflexe haben, was gesünder ist, als nachzudenken über das seltsame Verhalten dieser zweibeinigen Ex-Affen. Trotzdem ergeben sich manchmal gedichtwürdige Begegnungen, wie auf dieser Seite der Tiergedichte über Mensch und Tier zu begutachten ist.

 
 

Von Menschen und Mäusen

Die Begegnung zwischen Mensch und Maus wird in diesem Tiergedicht geschildert. Sie mag etwas unglaubwürdig sein, aber ...

Robert Höpfner · geb. 1954

Du magst es nicht glauben

Du magst es abtun,
dass am helllichten Tag eine Maus
aus ihrem Loch hervorkam
und sich mir vorsichtig näherte.

Du magst es belächeln,
dass ich in ihre Knopfaugen sah
und wir innehielten für die Dauer
meines angehaltenen Atems.

Du magst den Kopf schütteln,
dass mir Tränen in die Augen traten,
als die Maus auf meinen Schuh stieg
und sich zum Schlafen einrollte.

Du magst es nicht glauben,
aber das ist mir scheißegal.

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Kommentar:
Dieses Gedicht hat den geteilten ersten Preis beim achten Lyrikmond-Wettbewerb gewonnen.

 
 

Mensch, Hummel, Käfer, Schnecke

Kleine Tiere, kleine Gesten, große Wirkungen, zumindest temporär. Doch letztlich geht es Mensch nur um den Menschen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Jahresbilanz

Im Vorfrühling eine Hummel,
die reglos auf dem Balkon saß,
mit Zuckerwasser aufgepäppelt.
Nach einigen Startversuchen
flog sie davon.

Im Mai einen schwarzen Käfer,
der auf einer Stufe vor der Haustür lag,
aus der Rückenlage befreit.
Erst rührte er sich nicht,
dann kletterte er die Stufe hinab,
fiel wieder, doch diesmal
auf die richtige Seite.

Im Hochsommer einer Schnecke,
die einen Weg im prallen Sonnenschein querte,
Sonnenschutz gegeben, indem ich stehenblieb.
Sie erreichte langsam, sehr langsam,
aber in aller Feuchte
den Schatten.

Mittlerweile werden sie alle tot sein,
doch ich,
ich kann etwas erzählen.

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Begegnung mit einem Bär

Jenseits von Teddybär ist eine Begegnung mit einem Bären eine knifflige Sache. Eigentlich sind sie sehr vernünftig im Umgang mit Menschen, aber sie sind Tiere, und da weiß man nie, das ist ja beim Tier Mensch nicht anders.

Anne P. Kühl · geb. 1964

Rio Grande

Ein heißer Tag
ein kühles Tal
uralte Berge
ein kleiner Fluss.
Wir gehen Richtung großen Strom
und ahnen: wir werden ihn nicht erreichen.

Ein Wanderer kommt uns entgegen
einen Bären hat er gesehen
erzählt er aufgeregt.
Wir laufen weiter
und der ferne Rio Grande ist plötzlich egal.

Was tun, wenn wir das Raubtier treffen?
Haben wir Angst?
Sollen wir umkehren? Weitergehen?
Weitergehen!

Ein Knacken in der kleinen Eiche am Wegesrand
zehn Meter vor uns:
ein junger Braunbär sitzt in den Ästen
hält inne
schaut zu uns herüber.

Klettert bedächtig hinunter
läuft zum Bach
verschwindet im Dickicht.
Mein Herz hüpft vor Freude!
Tagelang.

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Vögel gucken

Das scheint ein harmloses Vergnügen zu sein, doch nicht wenn man einen Schwarm Krähen beobachtet. Denn das zeigt dem Menschen seine Grenzen auf.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Herbstabend am Fluss

Über mir
teilt sich ein riesiger Schwarm
krächzender Krähen in zwei
Schwärme, die einen Bogen fliegen,
sich über der Flusswiese vereinen
und gemeinsam als wogende Masse
über dem nahegelegenen Waldstück kurven.
Von dort
zieht der ganze riesige Schwarm
unzähliger Krähen in einem Bogen
auf mich zu,
um sich über mir
erneut
in zwei Schwärme aufzuteilen,
die sich nach vollendetem Kreis
wieder zu einem hin- und herwogenden
schwarzen Reigen vereinen.

Ich kann nicht mehr hinschauen.
Ich bin nur ein Mensch.

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Kinder und Küken

Flauschig sind sie ja, die Küken, aber leider auch zum Teil überflüssig. Was das Wort Überflussgesellschaft bedeutet, lernt ein Kind in diesem Gedicht auf anschauliche Weise. Der Schluss ist ein Muss.

Benjamin Baumann · geb. 1985

Man stelle sich vor ...

Man stelle sich vor
  das eigene Kind
hat Freundschaft geschlossen
  mit einem der Küken
auf
  dunkelrasendem Band

Und man hält das Kind an der Hand
  als es zum letzten Mal
  nach einem der Küken winkt
(Eddy)
  seinem Freund

Und ihm nachsieht
  wie es erst plumpst
  fast drollig durch die Lüfte fliegt
erbarmungslos vom Eisen dann
  zerrissen wird

  erst Beine dann die runde Mitte
  dann fliegt sein Kopf
durch die erstarrten Augen des Kindes

Und es sieht ihm nach
  wie sein Rest ganz
zackig durch den Schredder rutscht

Und sieht ihm nach
  so lang
dass fliegende Freundschaften
                                              hunderte
  in seinem Blick geschlossen werden

Und durch geschlossene Lider noch
  sieht es am Metall
  die totgelben Stücke

und für jedes
  schweigt das Kind
  eine Stunde

 einige Monde vergehen still
  schließlich bricht das Schweigen:

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Kommentar:
Dieses Gedicht hat den geteilten ersten Preis beim achten Lyrikmond-Wettbewerb gewonnen.

 
 

Ein Besuch im Zoo

Eine Familie im Zoo, nee, watt is’ datt schön! Aber geht in diesem Gedicht leider nicht ohne gewisse Verluste ab, was das Verhältnis zwischen Mensch und Tier zuweilen doch ein wenig trübt.

Dirk Bernemann · geb. 1975

Vater, Sohn und Löwe

Der Vater und der Sohn
stehen vorm Gehege
da drinnen liegen Löwen
in der Sonne und sind satt

gefressen wurde ein bisschen
was vom Metzger vorhin
und gerade eben
die Ehefrau und Mutter

die Löwen wirken zufrieden
mit diesem unerwarteten Snack
während Rettungskräfte sich nähern
und Betäubungsgewehrleute

Arme und Beine schon
bis auf den Knochen
runtergenagt,
„Wie zuhause, wenn
du Hähnchen isst“, sagt der Junge

Ein Löwe hat noch Sommerkleid
zwischen den Zähnen,
dann kippt er zur Seite,
wegen des Betäubungsgewehres

„Siehst du“, sagt der Vater,
„das passiert, wenn man
der Natur zu nah sein möchte.
Das will sie häufig nicht.“

Auf dem Rückweg
halten sie bei der Wurstbude,
reden nicht,
essen nur

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Streiten und Vertragen

Wenn Mann mit einer Frau zusammenleben kann, dann müsste das doch auch mit einer Fliege gehen, selbst wenn ein bisschen Porzellan zerdeppert wird.

Johann Peter · geb. 1947

Entweder oder

„Tod oder Freiheit!“, rief ich
und schwang die Klatsche
vor geöffneter Tür.
„Tod!“, rief die Fliege,
stürzte sich auf mich.
Drei Tassen gingen zu Bruch,
eine Vase, ein Glas.
Die Fliege und ich überlebten.
Wir teilen uns meine Küche
als Beweis, dass Alternativen
trügerisch sind.

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Gedicht über Groß und Klein

Der Mensch begreift sich traditionell als Krone der Schöpfung, doch selbst dem kleinsten Tier gelingt es, dem großen Menschen einen Zacken aus der Krone zu brechen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Wer ist hier der Boss?

Ich setzte die Heuschrecke im Balkonkübel aus.
Sie kam zurück.
Ich setzte sie wieder im Balkonkübel aus.
Sie kam erneut zurück.
Also ließ ich sie.
Sie kletterte, immer wieder einen Fuß an den
Mundwerkzeugen reibend, die Wand hoch.
Als ich das Haus verließ, saß sie still
knapp unter Decke.

Am Abend war sie immer noch dort.
Ich schrieb eine E-Mail, plötzlich ein Geräusch,
und die Heuschrecke saß auf dem Wörterbuch
neben der Tastatur.
War sie nun bereit zu gehen?
Behutsam hob ich das Wörterbuch an,
sie machte keinen Mucks.
Ich trug sie hinaus auf den Balkon,
sie machte immer noch keinen Mucks.
Dann sprang sie mit einem
kurzen Satz in den Balkonkübel.
Ich habe sie nie wieder gesehen.

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Mensch und Huhn

Ein Gedicht über eine Begegnung der unerwarteten Art. Wie immer bei solchen Gelegenheiten ist die Kommunikation nicht ganz einfach, aber die Lösung simpel.

Theresa Göhler · geb. 1996

Unerwartete Begegnung

Ich gehe los in den Garten,
Und traue meinen Augen nicht,
Da läuft ein Huhn,
Von wo kommt das denn her?,
Ähnliches fragt sich wohl auch das Huhn,
Neugierig blickt es zu mir.

Vorsichtig halte ich ihm meine Hand hin,
Doch es weicht sofort aus,
Ich ziehe meine Hand zurück,
Es sieht mich fragend an,
Kommt näher Stück für Stück,
Spät in meine offene Hand.

So reiche ich sie wieder hin,
Das Huhn weicht erneut zurück,
Was will es denn nun?,
Seufzend lasse ich ab,
Setze ich mich in den Gartenstuhl,
Und genieße die warme Sonne.

Das Huhn tut es mir gleich,
Sachte geht es in die Nähe des Gartenstuhls,
Und legt sich entspannt hin,
So relaxen wir beide nun da,
Genießen unseren freien Tag,
Und stören uns nicht
An der Anwesenheit des anderen.

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Kind und Haustier

Das ist eine spannungsgeladenen Situation, wenn ein Kind sich ein Haustier wünscht. Doch als Eltern kann man sehr viel Beruhigung aus dem folgenden Gedicht ziehen: Jeder Widerstand ist zwecklos.

Eva Burt · geb. 1986

Mission HAUSTIER

Ich glaube, ich war sechs oder so.
Wollte nichts anderes als
HAUSTIER.
Mein erster Gedanke morgens:
HAUSTIER.
Mein erstes Wort zum Frühstück:
HAUSTIER.
Begrüßungen hatte ich mir abgewöhnt.
Waren zu zeitaufwändig.
Meine Mutter verdrehte die Augen,
während sie mir ein Wurstbrot hinstellte.

In der Schule, alle erzählten:
HAUSTIER.
Meine beste Freundin hatte gleich mehrere.
Kaninchen, Ratten, Meerschweinchen.
Ich platzte vor Neid.
Stellte mir vor, nachts bei ihr einzubrechen,
eines zu stehlen.
Vielleicht würde meine Freundin gar nichts merken?
Hatte eh keinen Überblick?
In Mathe war sie gar nicht gut.
Aber ich auch nicht.
Dennoch, ich sparte mein Taschengeld.
Meine Mutter sagte:
Da kannst du lange sparen.
Wir erlauben dir kein HAUSTIER!
Doch, HAUSTIER!
brüllte ich.
Sachlich argumentieren
lernt man erst auf der weiterführenden Schule.

Ich ging ans Festnetztelefon, wenn es klingelte,
fragte: HAUSTIER?
Die Anrufer legten verwirrt auf.
Meine Mutter hatte Tränen in den Augen.
So geht das nicht weiter, sagte sie zu meinem Vater.
Sie zogen sich zurück und tuschelten.
War das gut oder schlecht?

Dann kam Weihnachten.
In der Nacht zuvor träumte ich.
War selbst zum HAUSTIER geworden.
War ein Hund und hüpfte kläffend herum.
Beim Aufwachen dachte ich:
von Hunden war doch gar nicht die Rede.
So überambitioniert
wollte ich gar nicht sein.
Wir warteten, meine Geschwister und ich.
Dass wir ins Wohnzimmer durften.
Zu den Geschenken.
Dann war es so weit.
Vor dem Tannenbaum ein großer, rechteckiger Kasten,
mit einer Wolldecke verdeckt.
Bevor ich fragen konnte,
was ist das,
hatte mein Vater die Decke schon gelüftet.
Ein Zaubertrick.
Ein Käfig stand da.
Mit Heu drin und Streu und Häuschen.
Und in dem Häuschen: Kaninchen.
Ich liebe euch! schrie ich.
Meine Eltern grinsten.
Sie sagten den ganzen Abend
nichts weiter als
HAUSTIER zu mir.

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Mensch und Tier und Spiel

Der Spieltrieb ist weit verbreitet im Tierreich. Wenn Mensch und Tier sich zusammentun, aber nichts zu reden haben, dann geht Spielen noch immer.

Christoph Maisenbacher · geb. 1963

spielsucht

deine augen
können mehr sagen
als ein wort
dein blick heißt
bitte
heißt
ich lade dich ein
heißt
jetzt
ist die aufforderung
die welt
mit dir
unbeachtet
zu lassen
nur du
nur ich
und wir beide
in spiel
verbunden
im spaß
im austausch
ohne unterschied
ohne zögern
lassen wir ihn
rollen
den ball
zwischen
meinen beinen
und
deinen beinen
hindurch
und am ende
kurz vor der wand
packst du ihn
und bringst ihn
zurück
ganz im sinne
eines
perpetuum mobile
einer kleinen
ewigkeit
zwischen mensch
und hund

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