Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Gedichte über Vögel

Gedichte über Vögel lassen hochfliegende Ideen vermuten, aber wer hoch fliegt, kann auch tief fallen. Von daher ist es für die Damen und Herren Dichterinnen und Dichter vielleicht keine schlechte Idee, nur ein bisschen mit den Phantasieflügeln zu flattern und das Fliegen denen zu überlassen, die sich damit auskennen, womit wir wieder beim Thema wären: Gedichte über Vögel.

 
 

Eine Amsel singt

Was singt eine Amsel, wenn eine Amsel singt? Hoch auf dem gelben Wagen? Naa, sie hat ganz eigene Interessen, die sie in ihrem Liedgut zum Besten gibt.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Ich bin

Grauer Morgenregen;
nur eine Amsel
singt das Lied
„Ich bin“:

Ob Nassherab, ob Trockenöd:
Ich bin.
Ob Luftgekreisch, ob Ästestill:
Ich bin.
Ob Weißerstarrt, ob Flimmerhitz:
Ich bin.

Es ist heller geworden.
Der Regen hat aufgehört.
Die Amsel ist
wo auch immer.

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Frühling und Rotkehlchen

Auch ein mörderischer Vogel wie das Rotkehlchen (die Würmer können das bestätigen) bekommt sonderbare Gefühle, wenn es Frühling wird.

Emily Dickinson · 1830-1886

Das Rotkehlchen ist’s ...

Das Rotkehlchen ist’s,
das den Morgen unterbricht,
mit – ein paar – hastigen Frühnachrichten,
kaum ist der März in Sicht –

Das Rotkehlchen ist’s,
das überflutet satt
den Mittag mit engelhafter Fülle –
kaum der April begonnen hat –

Das Rotkehlchen ist’s,
das sprachlos einräumt aus dem Nest,
dass Heim – und Gewissheit
und Geheiligtes sind besser als der Rest.

Aus dem Englischen übertragen von Hans-Peter Kraus

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Duell mit einem Rotkehlchen

Spannung! Drama! In diesem Gedicht gibt es keinen Mangel an nervenzerfetzendem Thrill.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Begegnung

In der Hecke leises
Zwitschern.
Durch eine Lücke
seh ich, sieht mich
ein Rotkehlchen.

Still
bedenken wir
unseren nächsten Zug.

Das Rotkehlchen hüpft
außer Sicht
und zwitschert fort.

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Gedicht über Elstern

Wie langweilig wäre ein Gedicht über Elstern, wenn es da nicht dieses glitzernde Geheimnis gäbe, das wieder mal bestätigt: Am besten versteckt ist, was ganz offen gezeigt.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Elstern

Eigentlich sind Elstern schöne Vögel,
(Pica pica!)
das schwarz-weiße Federkleid ist ausdrucksstark
und schimmert bläulich, grünlich, violett.
Aber sie haben halt diesen Ruf:
Diebisch seien sie,
und mancher Singvogel kann das bestätigen,
wenn er die traurigen Reste
in seinem Nest beguckt.
Dabei sind Elstern nicht wählerisch,
es muss nicht immer Frischware sein,
die gemopst wird, auch Aas futtern sie.
Und sie mögen Glitzerdinge.
Inzwischen haben sie sogar eine eigene Website,
um Glitzerndes und Buntes einzusammeln:
www.elster.de
Da Elstern sehr intelligent sind, ist die Tarnung
als Finanzamt bisher nicht aufgeflogen.
Aber jetzt wisst ihr Bescheid.
Also: Seid nett zu diesen komischen Vögeln.

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Vogel im Straßenverkehr

Es braucht schon eine gewisse Intelligenz, um die Regeln des Straßenverkehrs zu durchschauen. Aber noch mehr Intelligenz braucht es, sie zu brechen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Komplizen

Wir stehen an der Ampel,
die Autos rauschen an uns vorbei.
Da ist das letzte.
Ich gehe über Rot,
nach kurzem Zögern
kommt die Krähe mit.

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Gedicht über Tauben

Tauben gelten als Friedenssymbol, doch zwischentaublich ist auch nicht immer Frieden. Da muss erst ein wahrer Friedensbringer kommen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Zwei Tauben auf der Straße

Eine Taube jagt
eine Taube
ein Stück
die Straße
hinab.
Ein Auto kommt.
Die Tauben fliegen
fort.

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Schwanengedicht

Irgendwo bei den Engländers: schwarze Schwäne. Das kann verschiedene Dinge bedeuten, könnten aber auch nur schwarze Schwäne irgendwo bei den Engländers sein.

Eduard Saenger · 1880-1948

Schwäne in Kew Gardens

Es rieselt, nebelt, überkühlt
die grüne Senkung;
Schwäne am Seerand
heben den schwarzen Hals,
läuten
einen Zauber über sich,
süßklaren Ton, wie leise
von Gläsern angestimmt beim Wein. –
Denk nicht ans Sterben!

 
 

Krähenrufe

Vögel haben es auch nicht besser als Menschen. Immer wenn man jemanden zum Reden braucht, dann ...

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Vogelgezwitscher ...

Vogelgezwitscher
eine Krähe ruft drei Mal
keine Antwort

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Vögel verstehen sich

Ein Vorbild für die internationale Völkerverständigung ist die internationale Vögelverständigung vielleicht nicht gerade, aber so geht es auch.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Eine Amsel, eine Dohle, eine Taube ...

Eine Amsel, eine Dohle, eine Taube
picken auf der Wiese.
Keine
kümmert die andere.
Hoch
die internationale Vögelverständigung!
Ohne
Verständigung.

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Haiku über Vögel 1

Vögel kennen ihre Pappenheimer, Lebewesen ohne Flügel ist nicht zu trauen.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

die Vögel ...

die Vögel
nehmen das Futter
fürchten den Spender

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Haiku über Vögel 2

Vögel sind nicht gerade wählerisch, was das Futter angeht und auch sonst haben sie eine sehr praktische Einstellung zu Leben und Tod.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Hähnchen auf Grillspießen ...

Hähnchen auf Grillspießen
vor dem Verkaufsstand
picken zwei Tauben

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Haiku über Vögel 3

Die Natur ist kein Ponyhof, und selbst in der Stadt, wo doch genug für alle da sein sollte, finden im Obergeschoss unfreundliche Dinge statt.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

im Baum über dem Café ...

im Baum über dem Café
zwei Amseln
vertreiben eine Krähe

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Gänse-Gedicht

In diesem Gedicht wird eines der größen Gänse-Mysterien aufgeklärt von einer Person, die nicht ganz dicht scheint, und sich daher dichtergemäß in Reimen ausdrückt.

Hans Retep · geb. 1956

Dumme Gänse

Jetzt weiß auch ich, warum die Gänse dumm genannt,
sie haben sich in eine fixe Idee verrannt.
In jedem Herbst, da fliegen sie in den tiefen Süden
und müssen doch die ganze Strecke zurück nach hüben.
Doch wenn ich vertraulich sie rufe: Ihr Gänse! Kehrt um!
Dann hören sie nicht auf mich, sie sind dafür zu dumm.

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Stiller Vogel

Winter macht schweigsam, selbst einer Amsel vergeht die Lust am Trillern, aber keine Sorge: Das wird wieder.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Januarabend

Still
sitzt die Amsel
auf der Gartenmauer –
es wird Nachtfrost geben.

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Noch ein Gänse-Gedicht

Gänse scheinen ein Hort furchtbarer Mysterien zu sein. Doch auch das folgende Geheimnis wird dank dichterischer Superkräfte aufgedeckt.

Hans-Peter Kraus · geb. 1965

Ein Hoch aufs Kleingedruckte

Die Frage ist doch:
Warum lassen sich all die Gänse in der Blüte ihrer Jahre
abschlachten?
Sind es altruistische Motive,
die Gänse dazu verleiten, ihren Beitrag
zur menschlichen Ernährung zu leisten?
Oder sind sie religiös motiviert
und glauben an ein Leben nach dem Braten?
Tatsächlich führen diese philosophischen Fragestellungen
in die Irre.
Der wahre Grund ist praktischer Natur.
Die Gänse, die zur Schlachtbank marschieren,
sind schlicht des Lebens müde.
Jeden Tag das gleiche Geschnatter auf dem Hof,
Flugreisen sind auch nicht mehr drin,
doch selbst Hand an sich zu legen ist keine Option.
Denn bei Freitod
wird die Lebensversicherung nicht ausbezahlt.
Und den Kindern soll es ja mal besser gehen.
Also muss es wie Mord aussehen.
Der Pferdefuß
liegt jedoch wie immer im Kleingedruckten begraben.
Aufgrund der per se geringen Lebenserwartung
von Gänsen gezählt in menschlichen Jahren
ist die Auszahlungssumme so gering,
dass sie gerade reicht, damit die nachfolgende Generation
ihre Prämien zahlen kann.
Und so geht Gänsegeneration für Gänsegeneration
auf die Schlachtbank
und alle profitieren.
Der Mensch hat zu essen.
Die Versicherungen zweigen ihren Anteil von den Prämien ab.
Und die lebensmüden Gänse
sterben jedes Mal voller Hoffnung
auf ein besseres Leben für ihre Kinder.

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Was sagt der Kuckuck?

Was so ein komischer Vogel wirklich sagt, ist wie immer Interpretationssache. In diesem Gedicht wird ein einfacher Vogellaut zu einer Sache von Leben und Tod.

Wolfgang Rinn · geb. 1936

Der Kuckuck

Ein Ruf, vertraut aus Kindheitstagen,
erweckt in mir auch heute noch
dieselben Fragen,
nachdem ich ihn gehört an vielen Orten,
und in der Zwischenzeit
bin ich ein alter Mann geworden.

Er war schon da,
da hat es mich noch nicht gegeben,
doch wurde er Begleiter mir
ein ganzes Leben.

Des Kuckucks Rufen wird auch sein,
selbst wenn ich nicht mehr bin,
es trägt in sich den Neubeginn
für Viele, die dann nach mir kommen,
die gleichen Töne hören werden,
die einstmals ich vernommen.

Wer bringt es fertig, so wie er zu künden,
ein Ruf, der stets sich gleich bleibt,
um des Todes Nähe
mit dem Lebensanfang zu verbinden?

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Pinguine sind auch Vögel

Denkt man nicht unbedingt gleich dran, dass Pinguine auch Vögel sind, aber die Pinguine haben daran zu knabbern, anders zu sein als andere Vögel, oder besser gesagt: Sie haben ein Eis daran zu lutschen.

Wolfgang Rödig · geb. 1965

Pinguin in der Antarktis

Und dann ist dort noch
ein typischer Pinguin
in der Antarktis, wo sonst,
dem es nicht genügt,
ein Vogel zu sein.

Er wäre auch gern so ein
Herkömmlicher
beziehungsweise
Hinziehender
und flöge im Herbst
respektive
zur richtigen Zeit
in den Süden.

Doch leider sänge er,
könnte er's,
ein Lied davon,
von ihr, der aufgrund der
limitierenden Funktionsfähigkeit
des eigenen Körpers
und der geographischen Lage
seines Aufenthaltsortes
gleich doppelt
abgesicherten Unmöglichkeit.

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Unter Geiern

Nicht symbolisch gemeint ist das folgende Gedichte, wo ein Mensch unter die Geier gerät. Möglicherweise hat er sich diese Begegnung etwas poetischer ausgemalt, doch Geier verstehen nur eine Poesie.

Piet LaFleur · geb. 1988

geiers festmahl

dort droben segelt ein geier
von unten sieht man seine
majestätischen flügel
eines adlers würdig
kreisend im aufwind
spähend
spähend

zwei schon
ein dritter
vier fünf sechs sieben
erspähen was
dem tode geweiht

landeanflug!
gespreizte schwingen
gravitätisch schreitet
platz da! haut ab!
der geier zum mahl

schnabelhaken ins bauchfleisch
leberwärts eingetaucht
bis zur halsfederkrause
im saftigen sumpf
des gekröses

um das hirn
eiweißreich! festschmaus!
im rundlichen schädel
das einst gar gedichte
über geier entwarf
gibt es noch tagelang
streit

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Ein Spatz in der Zukunft

Wahrscheinlich beim Fliegen falsch abgebogen ist der Spatz in diesem Gedicht und in einer seltsamen Zukunft gelandet, denn die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war.

Irene Kress-Schmidt · geb. 1957

Auftakt: der Spatz

Auf seltsamen Wegen kam ein Spatz in ein fernes Jahrhundert.

Fremde Wesen sah er auf den Ästen ungestalter Gewächse;
sah sie steigen hinab und sinken hinauf ohne Flügel zu schlagen,
mit verrenkten Gliedern und Augen, die in dunklen Höhlen kreisten,
mal beäugend das Drumherum, mal belauernd das Innerste;

Dann sahen sie ihn, einen Spatz – etwas Fremdes in ihrer Sphäre,
sahen zwei schwarze Augen und schwirrende Flügel aus braunen Federn –
ein nie gesehener Braun-Farbton in ihrer bunt schillernden Welt.
Aufgeschreckt flog der Schwarm auseinander und zerfiel wie von selbst.

Allein mit sich selbst schlug der Störenfried Spatz Purzelbäume aus Angst.
Als bleibender Rest und in Eile vergessen – hing nur noch der Schrecken,
hing ungefragt an zitternden Zweigen in fragender Tropfenform.

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Lesetipp:
Mehr von und über die Dichterin: www.kress-schmidt.de

 
 

Gedicht über Schwalbennachwuchs

Eine Nestreportage bietet dieses Gedicht, das auf einer wahren Geschichte beruht.

Toller: Auf dem gebuckelten Nestrand ...

Dieses Gedicht im Textformat

Lesetipp:
Zum Hintergrund des Gedichts: Das Schwalbenbuch

Zu HaikuHaiku: Kurzgedichte aller Art über Vögel