Gedichte über Insekten & Co.
Kleinvieh macht auch Mist, heißt es bekanntlich, doch hier soll es ums Kleinstgetier gehen, das Karriere im Gedicht macht. Mit dabei sind die Lieblingstiere des zivilisierten Menschen wie Schnecken, Spinnen und Wespen. Auch Ameisen befleißigen sich, ihre Fußabdrücke in Gedichten zu hinterlassen. Sollte es beim Lesen im Nacken krabbeln, seien Sie vorsichtig, Insekten mögen keine Finger, außer sie werden zum Gedichteschreiben genutzt.

Fliegen-Gedicht
Wie man aus einer Fliege einen Trampelfanten macht, demonstriert das folgende Gedicht aus Spanien. Wo bleibt die südländische Gelassenheit?
Domingo López Torres · 1910-1936
Die Fliegen
Weder die erbitterte Verfolgung
der schlagkräftigsten Adjektive
noch das ständige Wirbeln von 2000 Armen
noch jene dichte Wolke der Vernichtung,
die alles befiel,
ließ deinen guten Stern erblassen,
konnte dich abbringen
von deinen gemeinen Wegen.
Du warst in der Suppe, in den Taschen,
auf der blauen Jacke von Ortiz Rosales,
überall.
Das anmutige Kreisen des kurzen Flugs,
die rastlose Bewegung der sechs Beine,
die perfekten Schwestern Flügel und Spürnase,
deine Wendigkeit, deine Kühnheit,
verbunden mit einer solchen Ausdauer
ist deine Präsenz wie die Duschen, die Toiletten,
der Innenhof, die Nachrichten:
eine stete Besessenheit, die in alles eindringt.
Übertragen aus dem Spanischen von Hans-Peter Kraus
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Schnecken-Gedicht
Schnecken haben Antworten auf existenzielle Fragen, weil: viel Zeit zum Nachdenken, während sie sich im Anti-Tempo durch die Gegend schleimen.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Die Schnecken wissen Bescheid
Verregneter Sommertag.
Endlich klart es auf und ich geh hinaus.
Auf dem Weg am Wald entlang
muss ich aufpassen, wo ich hintrete:
Überall Schnecken.
Da kommt mir eine Idee. Schnecken
haben viel Zeit zum Nachdenken, so langsam
sind sie unterwegs. Sie müssten es also wissen.
Ich lege mich längelang auf den Weg und warte
eine Stunde,
zwei Stunden,
bis sich ein paar Dutzend Schnecken vor mir
versammelt haben.
Ich frage:
Glaubt ihr,
dass es Lebewesen gibt
100 Mal größer als ein Schneckenhaus,
die sich auf zwei Beinen fortbewegen?
Lange Zeit geschieht nichts.
Dann zuckt bei einer Schnecke ein Fühler vor
und zurück.
Dann bei der nächsten und
das Zucken überträgt sich auf alle, bis sich schließlich
eine Schnecke auf die Seite legt, Vorder- und Hinterteil
zusammenklatscht. Andere machen es ihr nach,
einige klatschen mit dem Hinterteil auf den Weg,
dass der Schleim nur so spritzt und eine
rollt sich gar über ihr Häuschen ab.
Danke, sage ich, stehe auf und gehe mit einem großen Schritt
über die ausgelassene Schneckenbande hinweg.
Dacht ich’s mir doch.
Selbst für Schnecken ist die Vorstellung,
dass ich existiere,
völlig absurd.
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Würmer-Gedicht
Auch Würmer haben mit dem Generationenkonflikt zu kämpfen. Das klingt zwar unglaublich, ist aber ganz bestimmt nur reine Erfindung.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Die jungen Würmer
„Geht nie hinaus,
wenn’s klopft“,
lehrt der älteste Wurm des Universums.
Doch wir wissen ja,
wie die jungen Leute sind.
Keine Achtung
vor der Weisheit des Alters.
Alle Regeln
sind nur da, um sie zu brechen.
Und so laufen sie,
wenn’s regnet,
durch die Straßen,
Musikstöpsel im Ohr,
und hören die Songs der Amseln
von der Freiheit.
Was einfach nicht in ihre Köpfe will:
Auch die Amseln
sind nur Marionetten
der Unterhaltungsindustrie.
Auf die Freiheit
geben sie keinen Piep.
Hauptsache
der Bauch ist voll.
Doch wenn die Jungwürmer endlich einsehen,
dass der alte Wurm recht hatte,
ist es zu spät;
das letzte Gedankenglimmen
erlischt
in der Dunkelheit
eines Amselmagens.
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Grashüpfer-Gedicht
Wenn sich ein Mensch intensiv mit einem Grashüpfer beschäftigt, ist das für diesen laut Gedicht nicht unbedingt gesund.
Annelie Neubauer · geb. 2003
Sommernacht
Grashüpfer,
Mein Freund,
Was zirpst du so?
Süßer klang nie dein Locken,
Als in dieser schwülen Sommernacht.
Komm zeig mir, wie du’s machst.
Grashüpfer,
Mein Freund,
Warum verbirgst du dich
Vor meinem suchend Blick
Im knöchelhohen Gras?
Grashüpfer,
Da du’s nicht anders willst,
Muss ich dich denn haschen, fassen,
Dein Geheimnis zu ergründen.
Warte nur,
Schon find ich dich,
Schon halt ich dich.
Denn ich bin Mensch,
Und wo ich schreite
Da neigt die Natur
Demütig das Haupt.
Das Geheimnis deiner
Überlangen, kräftigen
Hakenbesetzten,
Grün schillernden Beine –
Das entreiß ich dir.
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Schmetterlingsgedicht
Das schönste Kleinvieh unter den kleinsten ihrer Art ist sicher der Schmetterling, was eine Begegnung mit ihm zu etwas ganz besonderem macht.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Atemlos
An einem strahlend schönen
Sommertag
sitzt du auf der Bank
unterm Baum
und schaust über die Felder.
Ein Schmetterling flattert hierhin, dorthin,
flattert näher, entfernt sich,
flattert näher, flattert noch näher, entfernt sich,
flattert näher, flattert noch näher und nimmt Platz
auf deiner linken Brust.
Du hältst –
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Mahlzeit!
Einem ultramodernen Trend folgt das Ich in diesem Gedicht und verzichtet dabei sogar auf Restaurant-Sterne.
Ben Frandesa · geb. 1984
Radtour mit Imbiss
Ein schwarzer Katzenkopf
schaut neugierig aus einem
goldgelben Feld heraus
und eine Libelle gleitet
vor mir majestätisch
durch die Luft.
Ich schnappe
mit meinen Zähnen
nach der Libelle.
Krachend zermalme ich
ihren Chitin-Leib
und schmatze dabei.
Zum Nachttisch
fahre ich
mit offenem Mund
und geschlossenen Augen
durch einen Mückenschwarm
und würze das Ganze
mit einem Zitronenfalter,
der meine Strecke kreuzt.
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Hummel-Gedicht
Hummeln stehen im Verdacht, eigentlich gar nicht fliegen zu können, aber sterben, das können sie, wie dieses Gedicht zeigt.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Im Kreis
Unter der Linde
auf dem Gehweg
kreist eine Hummel
um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst ...
Ich lege ihr
einen kleinen Stein
in den Weg.
Sie kreist
über den Stein hinweg
um sich selbst,
kreist
sich vom Stein entfernend
um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst,
kreist um sich selbst …
Verstreut
um sie herum
liegen tote Hummeln.
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Käfer-Gedicht
Was ist der größte Schicksalsschlag für einen Käfer? Darum geht es in diesem Gedicht. Eigentlich seltsam, dass die Evolution Käfer für diesen Fall so schlecht ausgerüstet hat.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Der Käfer
Entlang des Wegs am Waldrand –
ein großer, schwarzer Käfer liegt
auf dem Rücken
regungslos.
Ich nehme ein Stück Rinde aus dem Gras
und drehe den Käfer um.
Er bleibt
regungslos.
Wahrscheinlich ist er vom Baum gefallen,
ein Windstoß genau zur falschen Zeit
und dann das Spiel von Wind und Schwerkraft
und die winzigsten Nuancen entschieden,
ob der Käfer auf den Beinen oder
auf dem Rücken landete.
Er wird heftig mit den Beinen gestrampelt haben,
doch niemand kam vorbei
in der Zeit, die ihm blieb,
oder es kam jemand vorbei
und hat nicht auf den Weg geachtet,
oder jemand hat ihn gesehen
und es nicht der Mühe wert befunden,
einem großen, hässlichen, schwarzen Käfer
das Leben zu retten.
Und nun:
vorbei,
nie wieder.
Das wuselige Leben im Wald
wird weitergehen, als ob nichts gewesen wäre,
und niemand wird ihn vermissen,
und niemand
wird wegen dieses einen Käfers traurig sein,
niemand
–
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Mücken-Gedicht
Aus der Serie „Leben und leben lassen“ stammt dieses Gedicht, was beim Thema Mücken schon etwas Heroisches hat.
Albrecht Haushofer · 1903-1945
Die Mücke
Ein leisestes Gesurr. Auf meine Hand
Sinkt flügelschwirrend eine Mücke nieder,
Ein Hauch von einem Leib, sechs zarte Glieder –
wo kam sie her aus winterlichem Land?
Ein Rüssel ... schlag ich zu? Missgönn ich ihr
Den Tropfen Blut, der solches Wesen nährt?
Den leichten Schmerz, den mir der Stich gewährt?
Sie handelt, wie sie muss. Bin ich ein Tier?
So stich nur zu, du kleine Flügelseele,
Solang mein Blutgefäß dich nähren mag,
Solang du sorgst um deinen kurzen Tag!
Stich zu, dass es dir nicht an Kräften fehle!
Wir sind ja beide, Mensch und Mücke, nichts
als kleine Schatten eines großen Lichts.
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Spinnen-Gedicht
Die Spinnen dürfen natürlich nicht fehlen, wenn es um Insekten & Co. geht. Hier schildert ein recht bekannter Dichter, wie er seinen Frieden mit den achtbeinigen Netzhockern gemacht hat.

