Allerlei Tiergedichte
Natürlich wollen alle Tiere mal in ein Gedicht, aber die Lyrikmond-Arche bietet nur begrenzt Platz, so dass auf dieser Seite zwar einiges aus dem Tierreich geboten wird, aber die Warteliste immer noch lang ist. Das Angebot an Tiergedichten reicht von exotischen Tieren aus fernen Ländern bis zu heimischen Tierarten, die nur sporadisch in Gedichten Verwendung finden. Dabei ist manch tierischer Vertreter dabei, dem man vielleicht gar keine poetischen Kräfte zugetraut hätte, doch wie ein Dichter mal ganz stramm sagte: Alles ist Gedicht.

Winterschlaf extralang
Dass Ochsen Winterschlaf halten, war bisher nicht bekannt, selbst den Ochsen nicht, aber das Problem des Ochsen in diesem Gedicht ist eine ganz unbekannte Größe von unbekannter Größe.
Maike Suter · geb. 1966
Ochse im Watt
er musste lange geschlafen haben
denn als er aufwachte
war sein Heimatwald verschwunden
stattdessen
umgab ihn ödes Watt
nichts als Schlick und Sandbänke
soweit das Auge reichte
auch von seinen Artgenossen
fehlte jede Spur
er war ganz allein
das alles war seltsam
beunruhigend
lange stand er da
versuchte zu begreifen
doch er fand keine Erklärung
im Grunde war die Sache einfach
man hatte schlicht vergessen
ihm Bescheid zu geben
Auerochsen
waren seit dreihundertsechsundneunzig Jahren
ausgestorben
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Kommentar:
Mehr zur Dichterin auf ihrer eigenen Website.

Triël
Wer einen Western zu viel geguckt hat, wird sich beim folgenden Tiergedicht an eine Szene aus „The Good, the Bad and the Ugly“ erinnern. Fragt sich nur, welche Rolle Clint Eastwood hier übernimmt.
Dyrk Schreiber · geb. 1954
das Treffen ...
das Treffen
der Fliege der Katze
und der Spinne
die Augen
der Spinne der Fliege
und der Katze
die Beine
der Katze der Spinne
und der Fliege
das Schnelle
der Gifte der Krallen
und der Flügel
die Fliege
die Spinne die Katze
warten
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Tiergedicht aus den guten, alten Zeiten
Das waren noch Zeiten, als man unbeschallt von Zivilisationslärm durch die Landschaft ziehen konnte, obwohl: Auch damals gab es Ruhestörungen.
Christiane Walkenhorst-Risse · geb. 1961
Urzeitliches Panzertier
Wanderschaft mit ruckartig
schaukelnden Bewegungen
urwüchsige Schuppenbeine schieben
den gepanzerten Körper voran
fossilartiger Kopf mit schwarzen
Knopfaugen starr nach vorne gerichtet
Stille – nur gelegentliche Reibegeräusche
auf dem Boden
beruhigende Gleichförmigkeit
der ungelenken Bewegungen
zufällige Begegnungen
ohne Begrüßungsreaktion
nicht einmal gegenseitige Rücksicht
unnachgiebiges Klettern
übereinander hinweg
jedes verfolgt
den eigenen Weg
Sonnenhügel, Wasserstelle
Schattenplatz oder Futterstein
temperaturgesteuerte Bedürfnisse
plötzliche Unruhe
hektische Bewegungen, Verfolgung
adulte Männlichkeit
benötigt drei Weibchen
triebgesteuerte Bisse ins Bein
als Vorspiel
Aufreiten des Panzertiers
nach keuchender Befruchtung
Rückkehr zur
urzeitlichen Gemütlichkeit
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Gedicht über ein seltenes Tier
Das liest man ja oft, dass bestimmte Tierarten vom Aussterben bedroht sind. In diesem Gedicht wird das noch gesteigert.
Tetyana Dagovych · geb. 1980
Im Zoo
Es hat fünf Pfoten.
Oder ist die fünfte der Schwanz?
Es gräbt an unterschiedlichen Orten
in seinem Gehege, zielstrebig
oder eher frenetisch und dann
erstarrt.
Es schaut mit einem
menschlichen Auge
direkt auf dich.
Im Auge taumeln
Bäume, Gerüche, das Gespür
der Zunge auf salzigem Stein,
des Bauchs am Boden, ganz dicht.
Plötzlich
rennt es in die Ecke,
in seinem Gehege
ist es gar nicht eng.
Zwischen braun und lila,
zwischen Seide und Draht –
sträubt sich sein Fell.
Es gibt keinen Partner,
es gibt keinen Freund
und nichts zu erwarten,
aber es verfolgt
verzweifelt und hoffnungsvoll,
sicher und stur
sein Ziel,
und schnüffelt, und gräbt
konzentriert und agil.
Niemand weiß genau
den lateinischen Namen
und woher es kommt,
es war einfach da.
Das schönste und traurigste,
erste und letzte
seiner
nichtexistierenden Art.
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Schwein gehabt
Ein Gedicht darüber, wenn man Schwein hatte. Wenn man recht drüber nachdenkt, ist das eigentlich der Normalfall, außer natürlich bei Leuten, die sich anders ernähren.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
An den Galgen mit dem Schwein
Drüben auf dem Hof
haben sie den Galgen aufgebaut.
Wird wohl wieder eins von diesen Schweinen dran glauben müssen.
Mir soll’s recht sein.
Obwohl:
Letztes Mal war es ein ziemliches Theater.
Mit vier Mann mussten sie das Schwein da hochbugsieren.
Was für ein Geschiebe und Gezerre!
Sterben
wollen sie ja alle nicht.
Und natürlich hat das Schwein nicht stillgehalten,
als sie ihm die Schlinge um den fetten Hals legen wollten.
Das hat gedauert!
Dann hing es endlich so halb am Galgen,
hat im wahrsten Sinne des Wortes um sein Leben gequiekt, –
und die Klappe ging nicht.
Großes Palaver!
Und siehe da: Das Schwein ist auf einmal ruhig geworden,
dachte wohl an Begnadigung in letzter Sekunde oder so was.
Aber einer ist unter den Aufbau geklettert
und hat die Klappe per Hand entsperrt.
Das Schwein fiel,
hing
und zappelte.
Und wollte verdammt noch mal nicht sterben.
Der Metzger hat dann der Sache ein Ende gemacht.
Das gab ’ ne Blutfontäne!
Die Idioten, die vorne standen, haben ganz schön was abgekriegt.
Am liebsten hätten sie den Metzger gleich mitaufgehangen.
Am Abend waren aber wieder alle friedlich.
Ich bin dann auch rüber.
War lecker!
Schwein vom Grill, Krautsalat und Brot,
die einfachsten Mahlzeiten sind immer noch die besten.
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Tiger im Zirkus
Die große Tigernummer wird in diesem Gedicht präsentiert, doch der Dompteur hat alles im Griff – bis auf seine Phantasie.
Alfred Krüger · 1887-1953
Der Dompteur
Mit einem Schlag verebbte das Gelächter,
Die grelle Fratze eines Clowns verschwand.
Da tritt er schlank und biegsam wie ein Fechter,
Die Peitsche lässig in der einen Hand,
In die Manege, wo schon hinter Gittern
Ihn zwölf gestreifte Königstiger wittern.
Und um ihn kreist Neugier, Erregung, Staunen,
Fiebernde Lust nach einer Sensation;
Er aber prüft sekundenlang die Launen
Der großen Katzen, und ein leiser Hohn
Spielt durchsichtig um den geschweiften Mund.
Der Zirkus wird Kulisse, Hintergrund ...
Sein Blick ist jetzt der Mittelpunkt der Welt,
Der jede Bestie lautlos dirigiert,
Sie nicht mehr loslässt, antreibt, kettend hält
Und sie im Sprung noch von ihm distanziert.
Nur eine faucht und bietet Widerstand,
Krümmt sich und duckt sich lauernd in den Sand.
Ein grüner Blitz flammt aus dem Liderspalt,
Hochfährt des Tigers blutgewohnte Pranke,
In sich zu ungeheurer Kraft geballt.
Doch der Dompteur, rasch wie ein Fluchtgedanke,
Hat seinen Leib federnd zurückgeschnellt,
So dass der Hieb im leeren Raum zerschellt.
Hochreißt die Peitsche er, die jäh entrolllte,
Und als er sie zur Abwehr drohend hebt,
Stürzt aus dem Knäul der Leiber die Revolte,
Die seine Blickgewalt jäh untergräbt.
Er weicht zurück bis an die Gitterwand
Und füllt sich übermenschlich bis zum Rand
Mit hypnotischer Kraft wie ein Fakir
Und bannt mit seinem dunklen Magierblick
In stummen Kampf den Blutinstinkt im Tier.
Das Publikum glaubt noch an einen Trick –
Und nur sein Auge, potenzierter Wille
Herrschen in dieser atemlosen Stille.
Und als dann draußen vor den Käfiggittern
Die Beifallswoge auf ihn niederbricht,
Lässt eine Vision ihn tief erzittern,
Und er wird bleicher als das grelle Licht
Und sieht sich stürzen mit zerrissenen Lenden
Und fühlt, er wird eines Tages so enden.
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Gedicht über eine Mausefalle
Wie brutal eine Mausefalle ist, weiß man erst, wenn man’s mal erlebt hat. In diesem Gedicht wird einem dieses Erlebnis nähergebracht.
Renate Maria Riehemann · geb. 1955
Mausefalle
Fast – hätte sie sich verschluckt
die Mäusemutter
vor freudigem Schreck
so fett war der Mensch
der sich in der Falle
zu Tode zappelte.
Zer - quetscht.
So ist es recht
dachte die Maus und
rief ihre Kinder, ihnen zu zeigen
wie man so ein Menschlein
vorschriftsmäßig entsorgt
und hernach
die Falle säubert.
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Kein schafloses Gedicht
Ganz und gar nicht schaflos kommt dieses Schaflied daher, denn wäre es schaflos, dann wäre es kein Schaflied. So weit, so logisch, für alle tierischen Unlogischkeiten ist der Dichter selbst zuständig.
Dirk Tilsner · geb. 1966
Schaflied
wir lieben sie alle
die Schwarmintelligenz des Nichtstuns
sanftmütige Bäusche, die auf Wiesen gedeihen
doch gerissen
wie sie in Wirklichkeit sind
täuscht ihr Dorfpfarrerblick noch jeden
dem sie bei strömendem Regen plötzlich den Weg versperren
frönen stetig und ständig
der Wolllust und dass es obendrein ums Geschäft geht
kümmert sie nicht im geringsten!
bei Mondschein treibt
es diese nachtaktive Spezies besonders schlimm, kein Wunder
wenn sie tagsüber allzeit müde erscheinen
halten ihre flauschige Weste stets tadellos rein
und lassen die schmutzige Arbeit von Wölfen erledigen
am nächsten Morgen käuen sie dann wieder
gleichgültig wie seit eh und je
als Meister der Tarnung
blöken sie gern voller List: Scheiß Mainstream!
aber kaum hat man eines dabei erspäht, taucht es
sofort in der Menge unter
gib acht, sie sind wie du und ich
cave ab ovibus – Hüte dich vor dem Schaf!
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Gedanken über Schafe
Man muss schon viel Zeit haben, um sich Gedanken über Schafe zu machen, also entweder Schäfer oder Dichter sein. Oder Dichter im Schäfergewand.
Hans-Peter Kraus · geb. 1965
Schäfergedankchen
Ich finde,
Schafe,
die auf der Weide stehen,
ihr Gras wiederkäuen und
wiederkäuen,
gucken,
wenn sie einen Menschen sehen,
ein wenig zu
arrogant
aus der Wäsche,
die bald
aus ihrer Wolle
gewebt wird.
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Schaf oder nicht Schaf?
Das ist wirklich die Frage bei diesem Gedicht. Sind das wirklich Schafe oder poetische Hirngespinste in Wolle verpackt?
Eduard Saenger · 1880-1948
Ballade von den Schafen
Woher tausend Schafe?
Sie fielen aus dunstiger Sonne herab.
Bläuliche Schafe,
mit ihnen der Schattenhund,
flackernd und jagend.
Abseits am Rand,
gleichgültig, plump – der Herr,
der keine Herkunft hat.
Die Schafe grasen und verzehren
einen Tag,
verzehren immer wieder
einen Tag.
Plötzlich gehen sie nackt
und sehen aus wie allerart
misslungene Tiere.
Einmal, im Morgenrot,
verbluten sie.
Und leben fort
in ihrem Wesensbild
als Ängste:
Kleine, dann größere,
dann ausgewachsene Ängste.
Und der Herr abseits,
der keine Herkunft hat,
sieht nur die alte gleiche Herde.
Er überlebt sie nicht –
doch immer läuft der Schattenhund,
flackernd und jagend.
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High noon für Tiere
Spannungsgeladen ist dieses Gedicht, weil es schildert, dass nichts passiert, wogegen Tiere selten was einzuwenden haben.


Verfluchtes Tier
Ein katzenartiges Wesen treibt in diesem Gedicht sein Unwesen, vielleicht, vielleicht ist es aber auch nur eine Verwünschung und wenn man es küsst, wird es ein Automobil.
Moriz Seeler · 1896-1942
Der Fluch
Immer hängt und schwebt er lauernd,
Ungesehen im Geröll der Nächte,
Sich wie eine Katze kauernd,
Über dem verworfenen Geschlechte.
In der Welt, die schlummert, scheint er selber
Träge für den Schlummer nur zu taugen.
Aber manchmal schießt der Hass als gelber,
Schräger Blitz aus seinen Katzenaugen.
Immer hockt er in dem alten Neste
Und gedeiht – ein fettes Ungeheuer.
Schwellend reift sein Bauch, als mäste
Sich die Bestie vom verborgnen Feuer.
Rauchlos die verruchte Nahrung schmausend,
Schmatzt er lüstern mit der Katzenzunge.
Und er wartet; doch vielleicht nach tausend
Jahren setzt er an zu seinem Sprunge.
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