Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Wie schreibt man ein Gedicht mit wenig Schatten und viel Licht?

8 - Paarreim

Der Paarreim ist die einfachste Reimform, doch selbst Goethe hat ihn verwendet (z.B. beim Erlkönig). Paarreime lassen sich in jede Strophenform packen oder strophenlos verwenden. Da die Reimwörter nah beieinanderliegen, fallen Unsauberkeiten besonders auf. Hier solltest du also sehr sorgfältig reimen. Regelmäßigkeit ist auch bei der Länge der Reime gefragt:

Am Montag fängt die Woche an.
Am Montag ruht der brave Mann,
das taten unsre Ahnen schon.
Wir halten streng auf Tradition.

(Aus: Fred Endrikat – Wochenbrevier)

Diese Strophe ist geradezu ein Muster an Tradition. Die Reime sind durchgängig einsilbig (auch bei den weiteren Wochentagsstrophen), jede Zeile hat exakt acht Silben und beginnt unbetont, dann folgt eine betonte Silbe, danach geht der Wechsel weiter bis zum Zeilenschluss. Zudem ist jede Zeile ein vollständiger Satz, was die einfachste Bauweise bei Paarreimen ist.

Das Schicksal ist ein Wirbelwind,
ein armes Blatt das Menschenkind.
Er treibt’s zu Tal, er hebt’s zum Hügel –
das Blättchen rühmt sich seiner Flügel.

(Hieronymus Lorm – Mensch und Schicksal)

Bei diesem Vierzeiler wechselt der Dichter zwischen ein- und zweisilbigen Reimen. Hätte das Gedicht mehr Strophen, würde das auch so beibehalten. Wieder ist jede Zeile ein Haupt- oder Nebensatz und die Silbenzahlen unterscheiden sich nur um die eine einzige Silbe, die es mehr braucht für den zweisilbigen Reim. Eine Sache, die später wichtig wird: Am Anfang der Zeilen dieses Gedichts ist die Betonung immer gleich. Auch wenn am Schluss gewechselt wird zwischen ein- und zweisilbigen Reimen, jede Zeile beginnt unbetont.

Der Vater zu dem Sohne spricht:
Zum Herz- und Seelengleichgewicht,
zur inneren Zufriedenheit
und äußeren Behaglichkeit
und zur geregelten Verdauung
bedarf es einer Weltanschauung.

(Aus: Erich Mühsam – Erziehung)

Das Besondere an diesem Gedichtausschnitt ist, dass ein Satz von Zeile zwei bis sechs durchläuft. Dieser durchgehende Satzbau ist schwieriger zu konstruieren, weil die Reime nicht am Ende eines Haupt- oder Nebensatzes liegen, sondern im Vorbeigehen gereimt wird. Dadurch wird das Ausleiern vermieden, das sich einstellen kann, wenn ständig eine Zeile einem Satz entspricht und vielleicht noch die Hauptbetonung auf dem Reim liegt. Hier ein Beispiel, bei dem das tatsächlich Absicht ist:

Die Zeit war wieder mal reif für einen Krieg.
Im Fernseh’n lief Hurrageschrei für den großen Sieg.
In Reih und Glied marschierten stolz die Männer durch das Tor,
Die Mütter weinten bitterlich und flehten laut im Chor:

Ihr Soldaten, zieht nicht in den Krieg.
Wo Kriege sind, da gibt’s nur Mord und nirgends einen Sieg.

(Aus: Hans Retep – Soldatenlied)

Dieses Gedicht ist eigentlich nur ein deutscher Text auf den alten englischsprachigen Folksong „Oh, Susannah“ (I came from Alabama with my banjo on my knee …). Dass hier immer die Schlusssilbe besonders betont wird, gehört also zum musikalischen Programm. Ansonsten würde es in einem Gedicht irgendwann nerven, weil es ähnlich einer Büttenrede klingt, wo jeder Reim eine Pointe ist.

Ob du Paarreime in Strophen oder durchgehend schreibst, ist fast egal. Eine Strophe ist eine rhythmische Gliederung, sozusagen ein Versprechen, dass die Folgestrophen genauso gebaut sind wie die allererste. Letztlich ist es eine optische Hilfe für Leserinnen, die Grundstruktur des Gedichts zu erkennen.

Gefahren bin ich in schwankendem Kahne
Auf dem blaulichen Oceane,
Der die leuchtenden Sterne umfließt,
Habe die himmlischen Mächte begrüßt.
War in ihrer Betrachtung versunken,
Habe den ewigen Äther getrunken,
Habe dem Irdischen ganz mich entwandt,
Droben die Schriften der Sterne erkannt
Und in ihrem Kreisen und Drehen
Bildlich den heiligen Rhythmus gesehen,
Der gewaltig auch jeglichen Klang
Reißt zu des Wohllauts wogendem Drang.

(Karoline von Günderrode – Der Luftschiffer)

In diesem Gedicht wechselt die Dichterin zwischen zwei- und einsilbigen Reimen, doch eigentlich hätte sie den Text in drei vierzeilige Strophen unterteilen können. Dass der Satzbau der zweiten Strophe in die dritte übergegangen wäre („Und in ihrem Kreisen und Drehen“), ist kein Hinderungsgrund. Die Aufteilung wäre rhythmisch, nicht inhaltlich, obwohl ich hier darauf plädieren könnte, dass es tatsächlich einen inhaltlichen Sprung gibt von den zweiten vier Zeilen zu den dritten.

Ein weiterer Punkt, der das Gedicht von der Paarreim-Konstruktion her interessant macht: Es beginnt mit einem Satz, der durch zwei Zeilen durchfließt, dann folgen einige Zeilen mit subjektlosen Sätzen und am Schluss wieder fließender Satzbau über ein Reimwort hinweg. Es ist mit Sicherheit eine gute Idee, Paarreime aufzulockern, indem zwischen ein- und zweisilbigen Reimen gewechselt wird und der Satzbau eben nicht immer am Reimwort endet.

Zum Ausprobieren: Bei dem Günderrode-Gedicht geht es ums Fliegen, was zu ihrer Zeit eher eine theoretische Möglichkeit war, also ließe sich der Inhalt sicher wesentlich moderner gestalten. Ist dir das Thema zu groß, schreib ein Gedicht über eine einzelne Fliege.

Da Paarreime ziemlich einfach sind, ein paar Konstruktionsvorgaben: Mindestens acht Zeilen, Wechsel bei der Reimlänge, entweder ein- zu zweisilbig oder andersherum, und die Zeilen, die sich reimen, müssen jeweils gleich viele Silben haben. Hieße also, bei dem einen Reim haben beide Zeilen z.B. acht Silben, beim nächsten Reim dürfen es mehr oder weniger sein, aber eben in jedem Zweizeiler gleich. Wenn du einen besonders ehrgeizigen Tag hast, dann versuche, alle Zeilen mit einheitlicher Silbenzahl zu schreiben, außer dass die Zeilen mit zweisilbigen Reimen eine Silbe mehr als die mit einsilbigen haben.