Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Wie schreibt man ein Gedicht mit wenig Schatten und viel Licht?

60 - Metaphern

Es gibt viel mehr Metaphern, als man auf Anhieb vermuten würde. Im täglichen Sprachgebrauch sind sie allgegenwärtig, meist ist man sich dessen gar nicht bewusst. Wenn eine Mutter zu ihrem Kind sagt: „Du bist aber eine faule Socke“, dann ist offensichtlich das Kind nicht „wirklich“ eine Socke und Socken sind nicht „wirklich“ faul. Damit triffst du auch das Zauberwort, um herauszufinden, ob du es mit einer Metapher zu tun hast: Wirklich? Im Text- oder im Kommunikationszusammenhang hat ein Wort nicht seine ursprüngliche, wörtliche Bedeutung, sondern ist im übertragenen Sinne gemeint.

Wenn ich also rhetorisch frage „Wie schreibt man ein Gedicht mit wenig Schatten und viel Licht?“, dann lauten die Gegenfragen: Hat ein Gedicht wirklich Licht? Hat ein Gedicht wirklich Schatten? Wohl kaum, Licht und Schatten sind hier Metaphern.

Der Vorteil von metaphorischem Sprechen ist neben seiner Bildlichkeit eine Ausweitung des Assoziations- und Gefühlsraums. Licht und Schatten kann bei einem Gedicht Verschiedenes bedeuten: Klarheit oder Unklarheit im Sinn, gute oder schlechte Qualität des Textes, depressive oder fröhliche Grundstimmung, Horror- oder Blümchenlyrik thematisch. Auf der Gefühlsebene wird Licht eher mit etwas Positivem verbunden, Schatten eher mit etwas Negativem. Dass in einem Gedicht Licht gut ist und Schatten schlecht versteht sich also von selbst, zumal die Metaphern mit „viel“ und „wenig“ einsortiert wurden.

Trotzdem kann „ursprüngliche, wörtliche Bedeutung“ etwas schwammig sein, weil Wörter nicht selten mehrdeutig sind und dann nicht gleich die ursprüngliche Bedeutung klar ist (z.B. dünn, ursprüngliche Bedeutung: Gegensatz zu dicht – nicht zu dick! –, also dünn besiedelt, dünn stehendes Getreide). Als Arbeitsgrundlage sollte es reichen, weil Metaphern in Gedichten sich zumeist klar von einer wörtlichen Bedeutung abheben. Das liegt auch daran, dass nicht selten bei ihrem Gebrauch ein bisschen Protzen mit den eigenen Formulierungskünsten im Spiel ist. Das sollte nicht so sein, aber es passiert.

Überhaupt unterliegt der bildliche Sprachgebrauch der Mode. Es gab Zeiten, in denen die Metapher als unverzichtbar in der Lyrik galt, zu anderen Zeiten war sie pfui. Mein Ansatz ist wie bei vielen anderen Gedichtmerkmalen: Nützt die Metapher dem Text, wunderbar, wenn nicht, dann ist strengstes Nachdenken angesagt. So, genug parliert, werden wir barock:

Was ist die Welt, und ihr berühmtes Glänzen?
Was ist die Welt und ihre ganze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurzgefassten Grenzen,
Ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht;
Ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen;
Ein schön Spital, so voller Krankheit steckt.
Ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen,
Ein faules Grab, so Alabaster deckt.

(Aus: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau – Die Welt)

Wenn du das Zauberwort „Wirklich?“ einsetzt, dann stößt du auf ein Meer von Metaphern (ein Meer – wirklich?). Im Barock war die Metapher absolut „in“. Sie erlaubte, das Thema eines Gedichts ausschweifend in bildlicher Sprache zu behandeln. Und wirklich – diesmal wirklich wirklich – klingt das viel interessanter als eine Predigt über die Beschwerlichkeiten der Welt.

Lässt sich nun jede dieser Metaphern in eine gewöhnliche Sprache übersetzen? Da biete ich ein kräftiges: vielleicht. Und noch kräftiger: Wen interessiert’s? Metaphern müssen nicht übersetzt werden können, es reicht, wenn sie den Leserinnen auf der Gefühlsebene etwas mitteilen. Ich denke, das Gedicht ist verständlich, selbst wenn du gar nicht versuchst zu übersetzen, welcher Missstand durch die jeweilige Metapher angesprochen wird. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, heißt es. Ein Bild sagt etwas? Es spricht? Wirklich? Auch Verben können Metaphern sein.

Du kühlschrankst mich
mit eisfachlichem Blick,
doch ich herdplatte ungerührt,
gluckere geschirrlich, als ob
alles frühstückstischig wär.
Schließlich abendbrotest du
und wir mahlen gemeinsam
in obstkorbiger Stimmung.
Unsere Liebe küchenuhrt verlässlich,
und wir gefriertruhen uns erneut,
niemals stromausfällig zu werden.

(Hans-Peter Kraus – Küchenliebe)

Ok, ich habe geschummelt und Substantive in Verben, Adjektive und Adverbien verwandelt wie Prinzen in Frösche. Wer hat behauptet, man könne mit Metaphern keinen Spaß haben? Trotzdem ist das Gedicht natürlich eher Protzen in Richtung: Guck mal, was auch geht. Na gut, haben wir gesehen, weiter im Text:

Tatsächlich sind Metaphern immer wieder für ernsthafte Liebesgedichte verwendet worden. Sie erlauben der Stimme des Gedichts, Gefühle auszusprechen, ohne sie auszusprechen:

Helle Länder sind deine Augen.
Vögelchen sind deine Blicke,
Zierliche Winke aus Tüchern beim Abschied.

In deinem Lächeln ruh ich wie in spielenden Booten.
Deine kleinen Geschichten sind aus Seide.

Ich muss dich immer ansehen.

(Alfred Lichtenstein – Liebeslied)

Lediglich die letzte Zeile enthält keine Metapher. Zeile vier scheint auf den ersten Blick nur ein Vergleich zu sein, doch: Kann man in einem Lächeln wirklich ruhen? Können Boote wirklich spielen? Gleich der Anfang – „Helle Länder“ – zeigt, wie phantasieanregend Metaphern sein können. Es wäre möglich, den Ausdruck schlapp zu übersetzen in „Leuchtend sind ...“ oder „Strahlend sind ...“, doch „Helle Länder“: Da ist Sonne drin, Ferne, Fremdes, Exotisches, Reisen, die ganze Erregung, ein fremdes Land zu erkunden. Der Sprachgebrauch im übertragenen Sinne eröffnet eine ganze Welt.

Einen Schritt weiter geht, wer eine Metapher im Gedicht wiederaufnimmt, sie fortsetzt. Im folgenden Beispiel sind es gleich zwei, die ausgeweitet werden:

Die Nacht ist ein Baum,
groß und schweigend,
der seinen Schatten
sanft über die Steine legt.

Der Tag ist ein Blumenbeet,
schreiend bunt,
durch dessen Grund sich blinde Würmer winden.

Das Blumenbeet ist schnell zertreten,
die Würmer sind leichte Beute.
Doch wehe,
wehe! der Baum wird gefällt.

(Emanuel Mireau – Plädoyer für die Nacht)

Was will uns der Autor sagen? Durch das metaphorische Sprechen ist das nicht so einfach aufzulösen. Die Metaphern „Baum“ und „Blumenbeet“ werden zwar näher beschrieben, aber auch diese Beschreibungen sind metaphorischer Natur. Es wird ziemlich viel Platz gelassen für die Assoziationen der Leserin und damit ein großer Interpretationsspielraum möglich gemacht. Man könnte Richtung Vergänglichkeit denken, oder dass es eben immer ein Plus und ein Minus geben muss, oder noch weiter Innerlichkeit gegen Äußerlichkeit setzen.

Es ist Fluch und Segen zugleich, dass man mit Metaphern Welten eröffnen, aber auch Beliebigkeit erzeugen kann. Sie ähneln als Gestaltungsmittel den Reimen. Wer einen Reim an den anderen reiht, bekommt ein klangvolles Gedicht, auch wenn es inhaltlich nichts hermacht. Wer Metapher an Metapher reiht, erhält einen bilderreichen, geheimnisvollen Text, doch ob er über etwas spricht, über das sich zu sprechen lohnt, steht auf einem anderen Blatt.

Auf welche Weise findet man Metaphern? Ich glaube nicht, dass man danach suchen muss. Wie weiter oben gezeigt, ist die Sprache eh durchsetzt von ihnen. Willst du etwas auffälligere anbringen, dann sollten die sich aus dem Gedicht innerhalb des Schreibvorgangs ergeben. Wenn nicht, dann nicht. Wenn doch, dann ist immer im Einzelfall zu entscheiden, ob die Metapher gut für das Gedicht ist, sich „natürlich“ einpasst oder vielleicht aufgesetzt wirkt. Wieder gibt es die Analogie zum Reim. Drängt sich bei einem Gedicht in freien Versen ein Reim auf, muss man auch überlegen, ob er wirklich passt.

Ich kann dir hier also keine allgemeinen Hilfen geben, aber zumindest einen Anstoß, um die Metapher-Muskeln zu trainieren:

Was ist der Mensch und sein berühmtes Glänzen?
Was ist der Mensch und seine ganze Pracht?

Diese beiden Zeilen sind offensichtlich geklaut. Du könntest Mensch auch durch Frau oder Mann ersetzen und dann – einfach mal loslegen, metaphere das gewählte Objekt. Lästere dich in wilden Bildern durchs Thema.