Wie schreibt man ein Gedicht mit wenig Schatten und viel Licht?
43 - Profane und pontifikale Lyrik
Als Bertolt Brecht im Jahr 1940 schlechte Laune hatte, weil das Leben im Exil nun mal kein großer Spaß ist und Hitler noch von Erfolg zu Erfolg panzerte, teilte er in seinem Arbeitsjournal die Lyrik in eine profane und eine pontifikale Linie ein. Natürlich watschte er beide gleichermaßen ab, weil: schlechte Laune. Als historische Vertreter der beiden Linien nannte er Heine (profan) und Hölderlin (pontifikal), etwas näher an seiner Gegenwart wären Ringelnatz und Rilke gewesen oder schlicht: offen und verschlossen.
Bei den Profanen ärgerte Brecht die Verlotterung der Sprache, unachtsame Wortwahl und unverantwortliche „Witzigkeit“, na ja, Sachen, die man so sagt, wenn man nicht gut drauf ist. Die Pontifikalen kamen auch nicht besser weg: Ihre Gedichte seien unsinnlich, dafür verfeinert kulinarisch und streng subjektiv unter der Maske der Objektivität.
Ich würde Brecht so in die Gegenwart übertragen: Es gibt Dichterinnen und Dichter, die auf eine ungekünstelte Sprache setzen, aber Gefahr laufen, ins Prosaische abzugleiten. Das sind die Profanen. Auf der anderen Seite gibt es jene Pontifikalen, die Sprache in Gedichten zelebrieren, sozusagen eine Messe lesen, aber im Prinzip nicht mit ihren Leserinnen und Lesern reden. Wenn ein profanes Gedicht nicht gelingt, sagt man: „Ja und?“. Gelingt ein pontifikales Gedicht nicht, dann setzt es ein „Hä?“.
Ein Beispiel für „Hä?“: Sie darbten an kreisarmiger Leere in kopfigen Hintertürebenen. Das ist nicht mal ein besonders gutes Beispiel, denn es lässt sich einfach übersetzen. Wahrhaft Pontifikales bleibt unübersetzbar, eben „unsinnlich“, wie Brecht sagte. Im Profanen lautet der Satz: Sie hatten nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das ist deutlich, aber eben auch etwas unpoetisch, „die Spannung zwischen den Wörtern verschwindet“ schrieb Brecht und hat nicht ganz unrecht.
Jede Dichterin, jeder Dichter tendiert zu einer der beiden Seiten. Ich gebe sofort zu, dass meine Tendenz eindeutig auf der profanen Seite liegt. Die Pontifikalen habe ich im Verdacht, daran schuld zu sein, dass viele Leute keine Gedichte lesen mögen wegen zu viel „Hä?“. Auf der anderen Seite: Gäbe es nur die profane Richtung, würde ein bisschen das Geheimnisvolle der Lyrik fehlen. Doch es besteht kein Zwang, auf der einen Seite stecken zu bleiben, womit ich so langsam zum Sinn des Ausflugs in Bertolt Brechts Schlechte-Laune-Land komme: Bleib offen.
Niemand ist dazu verurteilt, auf ewig nette kreuzgereimte Schunkelstrophen zu schreiben oder auf der anderen Seite: ungereimte, undurchschaubare Gedichte, die so vielseitig interpretierbar sind wie ein weißes Blatt mit einem einzigen Wort drauf. Etwas anders gesagt: Man sollte nicht Stil und Marotte verwechseln. Stil ist Ausdruck der Persönlichkeit, die nach und nach beim Schreiben hervortritt, eine Marotte ist, immer auf die äußerlich gleiche Art und Weise zu dichten.
Also: Dinge ausprobieren, die du normalerweise beim Gedicht nicht machen würdest, offen bleiben für sehr verschiedene Arten, Gedichte zu schreiben, das ist die beste Art, dem Schlechte-Laune-Bertolt mit seinen pösen Ps zu entkommen. Du könntest sogar so weit gehen, Gedichte unter verschiedenen Namen anzulegen, um auf eine Art zu schreiben, die du vielleicht so nie verwenden würdest, wenn du nicht bewusst immer mal wieder was anderes versuchtest. Ich kenne jemanden, der das gemacht hat. Im letzten Kapitel über die Assonanz gab es zwei Beispiele von Hans Retep und eins von Emanuel Mireau, und wenn du dir diese Gedichte noch mal anschaust, würdest du wohl nicht auf die Idee kommen, dass die beiden zusammen nur einen Kopf haben: meinen.
Ursprünglich habe ich nie mit Reim geschrieben. Hans Retep ist dann für nett Gereimtes erfunden worden, das – Geständnis! – mir manchmal Spaß macht, Emanuel Mireau sollte Richtung Rilke tendieren, also pontifikal. Das geht auch, aber so richtig warm werde ich mit ihm nicht. Muss auch nicht, das Wichtige ist der Versuch, nicht immer den gleichen Stiefel herunterzuspielen. Also bitte: Probiere, versuche, experimentiere, lass dich nicht aufhalten, Neues zu entdecken. Schlechte Laune dürfen andere haben.