Wie schreibt man ein Gedicht mit wenig Schatten und viel Licht?
30 - Dreizeiler
Dreizeilige Strophen haben ein eingebautes Problem. Nein, ich fange noch mal an:
Dreizeiler haben eine eingebaute Chance zum flexiblen Reimen. Ein Reim, an dem zwei Zeilen beteiligt sind, hat Platz in einer dreizeiligen Strophe, aber was tun mit der dritten, wenn du nicht auf einen etwas penetranten Dreireim aus bist? Eine elegante Lösung kennst du schon, den Schweifreim:
An die Schwelle möcht ich euch geleiten,
gern auch noch das neue Land beschreiten,
eine Strecke still daneben gehn.
Nimmer kann es meine Liebe fassen,
dass ich eines Tages euch verlassen,
scheiden soll, um nimmer euch zu sehn.
(Aus: Richard von Schaukal – Meinen Kindern)
Zu sehen ist wieder die typische Struktur: zweisilbige Paarreime und einsilbige Schweifreime mit Hebungsende. Bedingung ist das nicht, aber sinnig, wenn ein Gedankengang mit der Strophe endet. Eigentlich hat so ein strophenübergreifender Reim einen eigenen Namen: Korn. Du könntest genauso gut die mittleren oder die Anfangszeilen miteinander reimen lassen. Der Schweifreim mit den reimenden Endzeilen ist bei dreizeiligen Strophen nur ein Spezialfall des Korns. Ein Beispiel für den Reim in den mittleren Zeilen:
Als der Tod sprach: Folge mir,
warst du aller Sorgen ledig,
hinter dir schlug zu die Tür.
Tief betroffen fragten wir:
War das Schicksal dir nun gnädig?
Riss es dich zu früh von hier?
(Aus: Hans Retep – titelloses Gedicht )
Auch hier unterscheiden sich Korn und die Reime innerhalb der Strophen durch die Reimlänge. Die Einzelreime stechen dadurch ein bisschen heraus, aber ich glaube nicht, dass das immer so sein muss, zumal in diesem Beispiel durch die Reimwiederholung von Strophe zu Strophe das Korn sowieso schon herausragt.
Eine weitere interessante Möglichkeit ist der abc-Reim. Jede Zeile ist ein Korn, das dann in der Folgestrophe an gleicher Stelle „aufblüht“:
Schwermütig kam die Nacht. Ich bin allein.
Rings wuchern Bücher, Möbel und Tapeten
Im gelben Licht der Lampe fremd und kalt.
Wie weh tun Sehnsucht, Nacht und Einsamsein!
Still möcht ich in dein junges Leben treten
Wie eine Wanderschaft durch einen grünen Wald.
(Hans Ehrenbaum-Degele)
Vielleicht auch durch die langen Zeilen bedingt ist das eine sehr dezente Form des Reimens, also eher für bedächtige, zurückhaltende Gedichte geeignet.
Die häufigste Verwendung von dreizeiligen Strophen ist das Sonett, denn die Vorgabe für diese Form lautet, zwei Vierzeiler und zwei Dreizeiler zu bauen. Doch die Dreizeiler verlieren dort oft ihren Strophencharakter, also die Wiederholung einer gleichen Form. Es sind schlicht alle Reimschemata erlaubt, z.B. auch ein durchgehender Kreuzreim:
Doch kann ich nie die Hoffnung ganz verlieren,
Sind auch noch viele Nächte zu durchträumen,
Zu schlafen, zu durchwachen, zu durchfrieren!
So wahr erzürnte Wasser müssen schäumen,
Muss, ob der tiefsten Nacht, Tag triumphieren,
Und sieh: Schon bricht es rot aus Wolkensäumen!
(Aus: Gottfried Keller – titelloses Gedicht )
Oder das aus sechszeiligen Strophen bekannte Muster a b c c b a:
Jegliches Leid, jeder Schmerz ist verwahrt
Tief in der uralten Kammer: dem Schlaf,
Der heimatlichsten im Hause der Nacht.
Einzig des Traumes Flügel entfacht
Leise die Welt. Und wo er sie traf,
Schwingt er und kündet von ewiger Fahrt.
(Aus: sJohannes Linke – Mondnacht)
Die beiden Dreizeiler im Sonett können auch wie ein Sechszeiler behandelt werden. Und wenn die Sonetter das dürfen, dann ist das zumindest eine kreative Möglichkeit, die du dir im Hinterkopf bewahren solltest.
Zum Schluss ein ketzerischer Ansatz: Sollte es möglich sein, darf es gedacht werden, ist so viel Mut auf der Welt vorhanden, bei drei Zeilen eine gar nicht zu reimen? Es sollte, es darf, es ist:
Sein Freund, der Türmer, war noch wach,
Wie Silber gleißte das Rathausdach,
Und drüber stand der Mond.
Er wusste kaum, wie schwer er litt,
Doch schlug ihm das Herz bei jedem Schritt.
Und das Ränzel drückte ihn.
(Aus: Arno Holz – Ein Abschied)
Warum nicht? Es muss auch nicht die jeweils letzte Zeile sein, die reimlos bleibt. In jedem Fall eröffnen sich dadurch neue Welten, wenn eine Zeile gegen den Reimstrom schwimmt. Übrigens: Alle Zeilen haben ein Hebungsende, auch die ungereimten. Nicht zu reimen heißt also nicht, gleich alle Regelmäßigkeit über Bord zu werfen.
Falls es dich reizt, selbst mal im Dreierboot zu sitzen: Monat Nummer drei heißt März, da ist immer Frühling drin und noch ein bisschen Winterrest als Gegenpol, also sollte da etwas Gedreiliches gehen. Entweder nimmst du dir eines der Beispiele zum Vorbild oder denkst dir was Eigenes aus, das kann z.B. auch heißen, stark unterschiedliche Zeilenlängen zu wählen.