Wie schreibt man ein Gedicht mit wenig Schatten und viel Licht?
3 - Wortbetonungen
Wie die Beispiele bei „Richtig Reimen“ gezeigt haben, ist die Wortbetonung beim Reim wichtig, sonst geht der Gleichklang für die Ohren verloren. Natürlich weißt du eigentlich, wie Wörter zu betonen sind, sonst gäbe das einen etwas seltsamen Singsang beim Sprechen. Aber vielen geht es so, wenn sie es bewusst versuchen, um herauszufinden, ob zwei Wörter als Reim passen, dann kommen auf einmal diese merkwürdigen Zweifel. Deshalb hier einige Daumenregeln, wie Wörter im Deutschen betont werden. Da Deutsch wie jede andere Sprache ein Mischmasch, ein Tritsch-Tratsch, ein Sammel und ein Surium aus vielen Quellen ist, gibt es natürlich immer Ausnahmen. Gerade Wörter, die aus dem Französischen kommen, sind dafür Kandidaten. Doch zunächst eine urdeutsche Regel:
Stammbetonung
Wie betonst du
geben,
Geber,
Gabe,
Gabel?
Ich hoffe, immer auf der ersten Silbe. Diese bildet hier den Wortstamm, der für die Bedeutung des Wortes in Abgrenzung zu anderen Wörtern zuständig ist. Bei „geben“ zum Beispiel gibt es eine Reihe von Wörtern, die sich nur durch den Anfangsbuchstaben des Wortstamms unterscheiden: beben, heben, leben, weben.
Der Stamm ist veränderbar, aus „geben“ wird in der Vergangenheitsform „gaben“, aber immer noch liegt der Bedeutungsunterschied in der ersten Silbe. Eine Aushilfsregel ist, dass Endsilben mit kurzem e- oder i-Laut, die in vielen Wörtern vorkommen (z.B. -en, -er, -ig, -lich), nie betont werden.
Wie sieht’s mit der Betonung bei
Stuhlbein,
Tischbein,
Standbein
aus?
Werden Wörter zusammengesetzt, wird das erste Wort betont, weil es das zweite näher bestimmt. Ob Stuhl- oder Tischbein, macht einen Unterschied. Das gilt auch, wenn das zweite Wort zweisilbig ist: Die Tischbeine haben nur eine Betonung auf der allerersten Silbe, obwohl das Wort Beine selbst auch auf seiner ersten Silbe betont wird, wenn es allein steht. Dessen Betonung geht im zusammengesetzten Wort unter, wäre also auch nicht für einen Reim brauchbar.
Wenn zwei zweisilbige Wörter zu einem Wort geworden sind, z.B. Gummibeine, liegt die Betonung ebenfalls vorne. Aber auch wenn die vorletzte Silbe im Beispielwort etwas schwächer betont wird als die erste, kann man sie dennoch für einen Reim nutzen, denn beim Reimen zählt nicht nur die Hauptbetonung eines Wortes. Man spricht hier von Hebungen und Senkungen statt von Betonungen. Hebung heißt: stärker betont als die beiden Nachbarsilben (die Senkungen). Daher sind auch die Enden von vielsilbigen Wörtern reimbar. In diesem Fall wird „bei-“ deutlich stärker betont als die Nachbarsilben.
Das gilt selbst dann, wenn am Schluss vielgebrauchte Endungssilben stehen, etwa -keit oder -heit wie in Kleinigkeit, Besonnenheit. Die jeweils letzte Silbe wird noch etwas stärker betont als die vorletzte, also könnte man beide Wörter z. B. auf Sommerkleid oder Zeit reimen. Hätte man jedoch nur zweisilbige Wörter mit diesen Endungen, etwa Schönheit oder Klugheit, müsste der Reim aufgrund der Stammbetonung mit der ersten Silbe anfangen, was für beide ziemlich entsetzliche Konsequenzen hat: kein Reim nirgends zu sehen.
Welche Silbe wird bei diesen Wörtern betont?
Friseur,
Natur,
Papier,
rasant.
Bonjour zur Betonung der zweiten Silbe, denn bei zwei- und mehrsilbigen Wörtern, die aus den romanischen Sprachen (bevorzugt aus dem Französischen) eingewandert sind, werden die Endsilben betont. Zu erkennen sind solche Wörter z. B. an den Silbenendungen -eur, -ur , -ier und -ant. Reime sind in solchen Fällen nur einsilbig, also können auch einsilbige Wörter Reime mit Importbegriffen bilden: Uhr reimt auf Rasur, Sand auf charmant.
Vorsilben
Diese Betonungsfrage ist variabler: Welche Silbe wird jeweils betont?
Ausbrechen,
einbrechen,
verbrechen,
umbrechen.
Vorsilben funktionieren bei den Betonungen so wie zusammengesetzte Wörter, denn die Bedeutung eines Wortes ändert sich: Aus brechen wird ausbrechen, einbrechen, umbrechen, die Betonung wandert nach vorne, ein Reim müsste also bei der drittletzten Silbe anfangen. Es gibt jedoch eine riesengroße Ausnahme: Vorsilben mit dem Laut e, die nicht selbst ein Wort sind, werden nicht betont. Da gibt es eine ganze Menge von: er-, ver-, ge-, be- usw., aber: ein- gehört nicht dazu, weil der Laut „ai“ ist, also kein e, folglich wird einbrechen auf der ersten Silbe betont, aber verbrechen auf der zweiten. Sind die Vorsilben mit e auch eigenständige Wörter, dann bleibt es bei der Vorsilbenregel als Wortzusammensetzung, z. B. weg in wegbrechen oder her in herschauen, Betonung jeweils auf der ersten Silbe. Tauchen unbetonte Vorsilben mitten im Wort auf, wie in Buchverleih oder abgesagt, dann sind sie auch dort unbetont bzw. eine Senkung, so dass auf die letzte Silbe gereimt werden kann.
Merkwürdige Ausnahmen
zulegen
zusammen
zubeißen
zugegen
Eigentlich sollte nach der Vorsilbenregel hier immer die erste Silbe betont sein, aber das gilt anscheinend nur für Verben. Deshalb ist bei „zusammen“ und „zugegen“ doch die zweite Silbe betont, ein zweisilbiger Reim machbar. Dass das Wort Zukunft dennoch auf der ersten Silbe betont wird, obwohl kein Zusammenhang mit einem Verb erkennbar ist wie z.B. bei Zustand, liegt wahrscheinlich an der Herkunft des Wortes, das ursprünglich im räumlichen Sinne von „ankommen“ gebraucht wurde.
umfahren
umfahren
umstoßen
umgeben
Die Vorsilbe „um-“ hat ein bisschen ihre eigene Logik, aber immerhin hat sie eine, was in der deutschen Sprache nicht selbstverständlich ist. Die mittlere Silbe wird betont bei einer Bewegung um etwas oder jemanden herum oder wenn etwas oder jemand mittendrin ist. Die Betonung auf der ersten Silbe gilt in allen anderen Fällen, am einfachsten zu merken an der unterschiedlichen Betonung von „umfahren“. Auf der ersten Silbe betont, hat das Nebenwirkungen und ein Reim müsste dreisilbig sein, auf der zweiten Silbe betont ist das Verhalten eher kooperativ und ein zweisilbiger Reim möglich.
Noch ein Ausnahmekandidat ist die Vorsilbe „voll-“. Bei Wörtern, die in Richtung Abschluss oder Perfektion gehen, wirkt diese Vorsilbe, die ein eigenständiges Wort sein kann, nicht als Magnet für eine Betonung: vollkommen, vollziehen, vollbringen, vollstrecken, vollenden. Diese Wörter lassen sich also für zweisilbige Reime durchaus gebrauchen, was ja keine schlechte Nachricht ist. Volllabern braucht hingegen einen dreisilbigen Reim, was etwas schwierig werden dürfte, aber keine Trauer verursacht.
Einsilbige Wörter
Beobachte, wie sich die Betonung jeweils im zweiten Satz verschiebt:
Welche Tür knarrt? Die Tür knarrt.
Was knarrt hier? Die Tür knarrt.
Hast du die Tür lange nicht geölt? Die Tür knarrt.
Die Betonung einsilbiger Wörter folgt ihrer Bedeutung für Satzbau und Sinn. Um sich zu reimen, müssen sie aber Hebungen sein: stärker betont als die Silbe des angrenzenden Wortes. Meist ziehen Verben und Substantive die Betonung an sich. Trotzdem würde im ersten Antwortsatz der bestimmte Artikel betont, denn die Aussage ist, dass diese bestimmte Tür knarrt. Im zweiten Antwortsatz gewinnt das Substantiv gegen das Verb, weil die Information vermittelt wird, dass es die Tür ist, die knarrt und nicht z.B. ein Fenster. Im dritten Antwortsatz wäre dann das Verb zu betonen, weil Träger der Hauptinformation und so wäre es auch ein Kandidat für den Reim. Im zweiten Antwortsatz ginge das nicht, weil die vorletzte Silbe betont ist. Im ersten Antwortsatz wäre aber auch möglich, auf das Verb zu reimen. Da „die“ sehr stark betont werden muss, fällt „Tür“ ziemlich ab und ermöglicht „knarrt“, etwas stärker betont zu werden, also eine Hebung zu sein.
Hilfen
Gibt es trotz der genannten Regeln noch Unsicherheiten, kannst du zwei Dinge probieren. Die erste Möglichkeit ist, Vokale lang zu ziehen. Oft genug wird eh die Silbe betont, die einen langen Vokal hat, aber zieht man die Vokale der Silben extra lang, fällt es eher auf, welche Silbe betont werden muss. Beispiel: sprechen, spreeeechen, sprecheeeen. Beide e sind eigentlich kurz, aber bei der zweiten Silbe klingt das Langziehen seltsamer als bei der ersten, also wird die erste Silbe betont.
Die zweite Chance ist der Duden. Sowohl im Buchformat als auch im Internet (www.duden.de) sind die betonten Silben mit einem Unterstrich gekennzeichnet. So ist zumindest die Hauptbetonung klar. Für den Rest musst du halt den Vokalen die Ohren lang ziehen.
Reime finden
Ist die Betonungslage geklärt, bleibt immer noch übrig, den passenden Reim zu finden. Da der Konsonant vor dem betonten Vokal variieren soll, kannst du das Alphabet durchgehen. Beispiel: biegen, fliegen, kriegen, liegen, Riegen, schmiegen, siegen, stiegen, wiegen, Ziegen, wobei hier einige Verben auch als Mehrzahlsubstantive existieren (z.B. die Stiegen), was inhaltlich mehr Möglichkeiten ergibt. Nachteil dieser Methode ist, dass oft Zweisilber zu Zweisilbern und Einsilber zu Einsilbern gepaart werden. Hier solltest du dich ein bisschen zwingen, Vorsilben mitzudenken wie bei gediegen, erliegen, aufgestiegen, aber: abfliegen ist kein Reim auf biegen, weil die allererste Silbe betont wird.
Oft genug kommen Reime von selbst in den Sinn, doch wenn du nicht nur den erstbesten nehmen möchtest oder einen Reim mehrfach verwenden willst, dann lohnt es sich, systematisch Reimwörter zu finden. Für einen Selbstversuch habe ich einige zweisilbige Wörter mit viel Reimpotential aufgelistet. Pick dir ein Wort heraus, das dich vielleicht mal für ein Gedicht interessieren könnte. Wie viele Reime findest du? Versuche auch, möglichst Wörter mit mehr als zwei Silben zu finden.
Dichten
Zacke
Leben
Bauen