Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Wie schreibt man ein Gedicht mit wenig Schatten und viel Licht?

28 - Mehr Klang

Reime alleine sorgen schon für ordentlich Klang – am Ende der Verse. Doch was ist mittendrin? Auch innerhalb der Verse gibt es Klangverstärker. Drei Methoden für mehr Klang stelle ich hier vor. Wie immer gilt: Solche „Tricks“ sind kein Selbstzweck. Mit etwas Praxis stellen sich solche Klangverstärker von ganz alleine ein. Dann solltest du dich immer fragen: Nützt das dem Gedicht an dieser Stelle? Oder ist mehr Klang zu viel Sing-Sang?

Was dient in den folgenden Beispielen als Klangverstärker?

Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

(Aus: Rainer Maria Rilke – Der Panther)

Kling hinaus bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen!

(Aus: Heinrich Heine – titelloses Gedicht)

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

(Aus: Rainer Maria Rilke – Herbsttag)

Wir holen sie ein auf jenen Höhn
Im Sonnenschein, der Tag ist schön.

(Aus: Friedrich Rückert – titelloses Gedicht)

All diese Beispiele lassen sich unter dem Stichwort Binnenreim zusammenfassen. Angefangen beim Schlagreim „Stäbe gäbe“, wo die Reime unmittelbar hintereinander folgen, über einen Binnenreim von innen nach außen („hinaus … das Haus“) bis zu Reimen, die in verschiedenen Zeilen, aber nicht am Versende platziert sind („Sonnenuhren … auf den Fluren“ und „holen sie ein … Sonnenschein“).

Während der Schlagreim deutliche Klangspuren hinterlässt und sich somit auch für Übertreibungen eignet, sind die beiden letzten Beispiele schon etwas unauffälliger. Noch unauffälliger ist der reimlose Gleichklang in folgenden Gedichten:

Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.

(Aus: Ludwig Uhland – Frühlingsglaube)

Zwei Segel erhellend
Die tiefblaue Bucht!
Zwei Segel sich schwellend
Zu ruhiger Flucht!

(Aus: Conrad Ferdinand Meyer – Zwei Segel)

Bekanntlich sind beim Reim ab dem Vokal einer betonten (gehobenen) Silbe alle Laute gleich: (er)hellend – schwellend, Bucht – Flucht. Sind nur die Vokale gleich, nennt sich das Assonanz: Tag – Nacht, schaffen – allen, Segel – (er)hellend, Segel – schwellend. Das kann im Einzelfall ein sehr heimlicher Klangverstärker sein (schaffen – allen, Letzteres hat bei den gehobenen Silben die schwächste Betonung im Vers), aber er ist da und trägt seinen Teil zu einem harmonischen Klang bei.

Eine sehr alte Variante, Klang innerhalb eines Verses zu erzeugen, ist die folgende. Beachte die Hebungssilben:

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,

(Aus: Ludwig Uhland – Frühlingsglaube)

Von den acht Hebungssilben in den zwei Versen beginnen vier mit einem W, besonders aufdringlich ist der Dreierpack in den aufeinanderfolgenden Hebungen der zweiten Zeile. Diese klangliche Aufdringlichkeit hat einen gefährlich klingenden Namen: Alliteration. Eine Eselsbrücke, um sich diesen Begriff zu merken, habe ich auch nicht parat, sagen wir einfach Alli. Wichtiger als der Begriff ist sowieso der klangliche Effekt.

Wie immer gilt, die Schreibweise ist egal, die Laute und Hebungen zählen:

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

(Aus: Rainer Maria Rilke – Der Panther)

Die erste Zeile hat eine Dreifach-Alli, denn bei „geschmeidig“ wird die mittlere Silbe betont, ist gehoben, und „starker“ wird schtarker gesprochen. In der zweiten Zeile wird die Alli mit der Assonanz im „allerkleinsten Kreise“ kombiniert. Die gehobenen Silben fangen mit dem gleichen Konsonanten an und es gibt jeweils das Muster ei in der gehobenen und e in der gesenkten Silbe.

Ein Sonderfall gilt für die Alli bei den Vokalen. Hier funktioniert sowohl der gleiche Laut (ein und alles; a-Laut) als auch verschiedene Vokale: für immer und ewig oder Uhlands „an allen Enden“.

Ich habe gesagt, die Alli ist eine sehr alte Variante. Tatsächlich ist sie die Vorgängerin des Reimes. Die alten Germanen haben den Reim am Versende nicht gekannt, sondern auf den Anfangsklangeffekt gesetzt. Als Trost heißt das auch Reim: Stabreim.

Interessant wäre jetzt, wenn du dir die Texte anschaust, die du bisher als Übungen erstellt hast. Tauchen dort Klangmittel auf, derer du dir gar nicht bewusst warst? Und für die Erschaffung neuer Klangkörper könnte ich mir vorstellen, dass Themen wie Frühling, Feuerwerk, Verliebtsein oder Musik sich ohne Rücksicht auf Verluste dazu eignen, Binnenreim, Assonanz, Alliteration im Überschwang einzusetzen. Als Appetitanreger:

Im Lenzen da glänzen die blümigen Auen,
die Auen, die bauen die perlenen Tauen,
die Nymphen in Sümpfen ihr Antlitz beschauen,
es schmiltzet der Schnee,
man segelt zur See,
bricht güldenen Klee.

(Aus: Johann Klaj – Vorzug des Frühlings)