Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Wie schreibt man ein Gedicht mit wenig Schatten und viel Licht?

24 - Trochäus spezial

Zur Erinnerung: Trochäus ist der Zweisilbentakt, der oben anfängt, wie in Wolke oder Meier oder Müller oder Boden oder „oder“. Sätze fangen oft nicht oben an, außer bei Fragen oder Befehlen:

Lass die heilgen Parabolen,
Lass die frommen Hypothesen –
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen.

(Aus: Heinrich Heine – titelloses Gedicht)

Nun kannst du nicht komplette Gedichte in Frage- oder Befehlsform schreiben. Ich korrigiere mich: Natürlich kannst du komplette Gedichte in Frage- oder Befehlsform schreiben, aber es passt nicht für alles. Deshalb zeige ich anhand einiger Beispiele, wie du mit dem Trochäus ins Rollen kommen kannst, mal unauffällig, mal mit Wucht, was durchaus zu diesem Versfuß passt.

Zuerst ein Vergleich:

Aber wehe, wehe, wehe,
Wenn ich auf das Ende sehe!!

Doch wehe, wehe, wehe,
Wenn ich das Ende sehe!!

Der erste Zweizeiler ist das Original aus Wilhelm Buschs Max und Moritz, ein vierhebiger Trochäus. Tatsächlich ist die gesamte Geschichte in Trochäen geschrieben. Der zweite Vierzeiler ist das jambische Gegenstück, und eigentlich fällt der Unterschied kaum auf. Das liegt daran, dass die Versanfänge im Original eher schwach betont sind, die Hauptbetonungen (wehe, Ende) kommen später. Wenn du aber vom Trochäus profitieren willst, sollten Verse (einige, nicht alle) mit etwas mehr Druck beginnen. Dafür bieten sich wiederum Verben an.

Kann nicht reden, kann nicht schreiben,
Kann nicht sagen, wie mir ist.
Mir ist wohl und bang im Herzen,
Kann nicht ernst sein, kann nicht scherzen,
Kann nicht wissen, wie mir ist.

(Aus: Adelbert von Chamisso – titelloses Gedicht)

Der Dichter hat in diesem Gedicht das „Ich“ am Satzanfang verschwinden lassen, was inhaltlich wunderbar passt und die Verse trochäisch-druckvoll beginnen lässt. Dennoch sind es wahrscheinlich eher die Wiederholungen, die den Text so eindringlich machen. Das Metrum stützt die Absicht des Dichters, aber es ist nur das Muster, das für Ordnung oder Harmonie sorgt.

Still und einsam schwingt er die Flügel,
Tauchet in den Wasserspiegel,
Hebt den Hals empor und lauscht;
Taucht zum andern Male nieder,
Richtet sich auf und lauschet wieder,
Wie’s im flüsternden Schilfe rauscht.

(Aus: Gottfried Keller – Stiller Augenblick)

Dieses Beispiel habe ich bereits in einem anderen Zusammenhang gebracht (schlechte Planung), es zeigt, dass mit dem Trochäus auch eine sehr besinnliche Stimmung erzeugt werden kann. Hier wurden die Verben als Nebensatzanfänge an die erste Silbenposition gestellt. Der Satzbau wirkt völlig natürlich, was beim Trochäus nicht selbstverständlich ist, weil es eine Herausforderung sein kann, immer mit einer Hebung anzufangen.

Jetzt erscholl ein Lied voll süßer Wehmut,
Das die Schar der Kranzgenossen sang –
Ich erkannte deines Nackens Demut,
Deine Stimme, die den Chor durchdrang.

Dir entriss in trotzgem Liebesdrange
Ich die Schale, warf sie in die Flut,
Sie versank und siehe, deine Wange
Färbte sich mit einem Schein von Blut.

(Aus: Conrad Ferdinand Meyer – Lethe)

Viermal nutzte der Dichter als zweites Wort ein Verb mit einer unbetonten e-Vorsilbe und konnte damit den Trochäus bauen. Die zweite Strophe hat jedoch zu Beginn einen etwas verqueren Satzbau. Er hätte „Ich“ und „Dir“ auch vertauschen können, was natürlicher klingt, hatte aber wohl seine inhaltlichen Gründe, genau dies nicht zu tun.

Es kann bei trochäischen Versen passieren, dass sie nicht mit dem normalen Satzbau zusammenpassen. Zwar gilt eine etwas krumme Wortreihenfolge durchaus als poetisch, doch macht es einen Unterschied, ob die Wortreihenfolge auf „ging nicht besser“ oder einer inhaltlichen Hervorhebung basiert. Es gibt immer eine Alternative, das sollte dein Motto beim Versbau mit festem Metrum sein.

Zum Schluss der Reihe „Verben zu Anfängen“ ein erstaunliches Beispiel. Da schreibt ein komischer Autor etwas Lustiges über die Schule und erledigt den Trochäus im Vorübergehen, indem er Sätze über zwei Zeilen laufen lässt:

Also lautet ein Beschluss,
Dass der Mensch was lernen muss. –
Nicht allein das A-B-C
Bringt den Menschen in die Höh’;
Nicht allein in Schreiben, Lesen
Übt sich ein vernünftig Wesen;
Nicht allein in Rechnungssachen
Soll der Mensch sich Mühe machen;
Sondern auch der Weisheit Lehren
Muss man mit Vergnügen hören.

(Wilhelm Busch)

Nach dieser eleganten Lösung des Hebung-zuerst-Problems als Kontrastprogramm eine Falle beim Trochäus. Der Versfuß an sich entspricht dem typischen deutschen zweisilbigen Wort: betonte Silbe vorne, unbetonte anhängend. Also könntest du dir sagen: Nehme ich hauptsächlich zweisilbige Wörter, fertig ist der Trochäus. Da gibt es einen Haken:

in das Flüstern, in das Rauschen
leise liebe Worte mischend,
öfter aber noch dem Schweigen
lange Küsse zugesellend,

(Aus: Christian Morgenstern – titelloses Gedicht)

Betrachte die zweite Zeile: vier Zweisilber, vier Trochäen und dummerweise sind die Wörter in der Reihenfolge ziemlich austauschbar. Das klingt sehr flach. Die nächste Zeile ist eigentlich nur zu retten, wenn man das „noch“ etwas stärker betont und eine kurze Pause mitten im dritten Versfuß macht, sonst würde sie ähnlich flach dahinplätschern.

Die Falle beim Trochäus ist, dass es naheliegt, Wort- und Versfußgrenzen gleichzusetzen, weil eben die meisten Wörter auf der Endsilbe unbetont sind. Das kann jedoch zu einem etwas monotonen Klang führen, zumal wenn kein Wort richtig herausragt in der Betonung. Deshalb ist es keine schlechte Idee, dreisilbige Wörter einzustreuen, die entweder mitten im Versfuß anfangen oder in einem enden. Wie immer kannst du aus einem Minus ein Plus machen:

Immer enger, leise, leise,
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.

(Theodor Fontane – Ausgang)

Hier ist die Monotonie in den ersten beiden Zeilen inhaltliche Absicht. In der dritten Zeile setzt Fontane eine durch das Komma angezeigte Pause mitten in den trochäischen Versfuß. Es folgt wieder ein Monotonie-Vers, aber dann streut er ein dreisilbiges Wort ein, bevor es zur Schlussfolgerung kommt. Was Fontane da macht, ist, etwas wortlos zu vermitteln durch den ins Monotone abgleitenden Rhythmus des Textes.

Leichte Übung: Wie wär’s mit einem Gedicht, das fast nur aus Fragen besteht, bei denen jeweils Verben am Anfang stehen? Da sollte sich der Trochäus von ganz alleine klimpern lassen. Thema? Vielleicht Zukunft?