Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

Wie schreibt man ein Gedicht mit wenig Schatten und viel Licht?

17 - Im Zweiertakt – Lösungsvorschläge

• Von Trochäus zu Jambus

Nacht ist wie ein stilles Meer,
=> Die Nacht ist wie ein stilles Meer,

Der Unterschied ist: Beim Original ist gleich klar, dass die Nacht im Allgemeinen gemeint ist. In der neuen Version könnte auch eine spezielle Nacht gemeint sein.

Lust und Leid und Liebesklagen
=> Und Leid und Lust und Liebesklagen,
=> Die Lust, das Leid und Liebesklagen,

Wem ein drittes „und“ zu viel des Guten scheint, könnte zur stilistisch „korrekteren“ Fassung greifen, die aber etwas steril klingt. Korrekt ist in der Lyrik nicht immer besser.

Kommen so verworren her
=> Sie kommen so verworren her

In dem linden Wellenschlagen.
=> In jenem linden Wellenschlagen.

Die letzten beiden Zeilen waren problemlos. Die letzte zeigt, dass man nicht unbedingt am Versanfang eine zusätzliche Silbe einbauen muss, wenn der Wechsel von Trochäus zu Jambus angestrebt wird. Der geänderte Gedichtausschnitt demonstriert, dass der Wechsel zum Jambus durchaus vertretbar wäre. Vielleicht hat sich der Dichter auf den Trochäus festgelegt, um die erste Zeile in seinem Sinne eindeutiger zu gestalten.

• Von Jambus zu Trochäus

So oft ich dieses Gässlein gehe,
=> Oft ich dieses Gässlein gehe,
=> Stets ich dieses Gässlein gehe,
=> Wenn ich dieses Gässlein gehe,
=> Immer wenn die Gass’ ich gehe,

Die Verkürzung von „So oft“ auf „Oft“ geht mit einem Intensitätsverlust daher, denn ersteres meint eigentlich „Wann immer“, während in der zweiten Version eben nur oft, nicht immer das geschilderte Ereignis eintritt. Ich habe versucht, in den anderen Versionen diese Abschwächung zu vermeiden. Version zwei klingt etwas verquer, Version drei zu seicht, Version vier gefällt mir noch am besten. Ich denke, die Verkürzung der Gasse zu einer süddeutschen, umgangssprachlichen Version hat durchaus ihren Charme, aber: Dann klingt das „gehe“ am Schluss etwas aufdringlich hochdeutsch. Hier hätte man dann umsatteln müssen auf „geh“ und einen Wechsel von einsilbigen zu zweisilbigen Reimen oder ausschließlich einsilbige Schlüsse. Das wäre klanglich eine ziemlich einschneidende Verpflichtung, da sie ja auch für den Rest des Gedichts gälte.

Wohl später noch als Mitternacht,
=> Später noch als Mitternacht,

Hält dort in respektabler Höhe
=> Hält in respektabler Höhe

Hier habe ich jeweils nur ein Wort weggekürzt, was in meinen Augen keinen Schaden anrichtet. Die gekappten Wörtchen scheinen also eher dem Metrum zu dienen als dem Inhalt, was sich nicht immer vermeiden lässt. Ob’s ok ist, kommt auf den Einzelfall an und die Eleganz, mit der ein Wort „eingeschmuggelt“ wird, obwohl es inhaltlich nicht unbedingt notwendig wäre.

Ein eifersüchtig’ Lämpchen Wacht.
=> Lämpchen eifersüchtig Wacht.
=> Neidvoll dieses Lämpchen Wacht.
=> Eifernd dieses Lämpchen Wacht.
=> Eifrig dieses Lämpchen Wacht.

Der Wechsel zum Trochäus war mit dem Wortbestand des Originals für mich unlösbar. Die erste Version ist eigentlich für mein Gefühl nicht mehr tragbar. Was verloren geht, wenn „eifersüchtig“ in der dritten und vierten Version ersetzt wird, ist eine Art Beziehung zwischen dem Sprecher (der ein Nachtwächter ist) und dem „Lämpchen“. Natürlich besteht diese Beziehung nur in der Phantasie des Sprechers, aber dieses Konkurrenzdenken geht halt bei den letzten zwei Ersatzversionen ziemlich verloren. Die Lösung Nummer zwei mit „neidvoll“ als Synonym zu „eifersüchtig“, die eher wieder eine Beziehung andeutet, finde ich aber nicht befriedigender, weil Neid und Eifersucht nicht wirklich deckungsgleich sind.

Ich glaube, der Original-Jambus bekommt diesem Gedicht besser (trotz Füllwörterverdacht). Die erste und die vierte Zeile leiden doch etwas unter der Verkürzung.

Insgesamt hast du hoffentlich auch die Erfahrung gemacht, dass es manchmal ziemlich viele Variationsmöglichkeiten gibt. In einem eigenen Gedicht ist dann immer die Frage, was will ich eigentlich sagen, wie soll das Gedicht klingen? Je flexibler du bei den Formulierungen bist, desto mehr Möglichkeiten hast du, dein Gedicht zu „lenken“.