45 - Zwischen den Hochzeiten ...
Zwischen den Hochzeiten veröffentlichte Matthes Band sechs seiner gesammelten Werke. Zwei weitere Bände sollten noch folgen. Mit der großen Literaturwelt hatte er es sich lange verdorben, aber es gab einen Stammleserkreis. Menschen, die an Gott glaubten, die aus diesem Glauben heraus die Welt betrachteten.
Band sechs war politisch. Matthes beurteilte die Entwicklungen der Zeit von seinem Standpunkt aus. Gedichte waren auch wieder dabei: meines, Christianes, Rebekkas und einige andere. Doch zuallererst rechnete Matthes mit der französischen Revolution ab.
Viel Phantasie braucht es nicht, um sich vorzustellen, was er von der Revolution dachte. Sie war ihm ein Gräuel. Er hatte die Jesus-Worte „Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist“ innig ins Herz geschlossen. Betrachtete die Monarchen als gottgegeben. Dass nun das Volk das Volk regieren sollte, war ihm höchst suspekt.
Es gab damals Leute, die dachten, er sei ein blinder Gefolgsmann der Monarchie. Das sei ferne, wie Paulus immer so drollig in seinen Briefen schrieb. Aus der Berufung zum König ergab sich für Matthes ganz klar eine Verpflichtung gegenüber Gott und den Menschen. Oder mit den Worten des Dichters gesagt:
Jeder König sei des hehren
Großen Rufes wert! –
Doch denn muss er nichts begehren,
Was ein Mensch begehrt;
…
Und durch jede seiner Taten,
Wo er des vergisst,
Hat er Gott den Herrn verraten,
Dessen Bild er ist;
Matthes sah nicht ein, dass wegen einiger Fehlentwicklungen ein bewährtes System gegen ein neues mit neuen Schwächen ausgetauscht werden müsse. Für ihn lag die Chance auf Verbesserung nur im Menschen selbst. Wenn jeder Mensch sich besserte, dann besserte sich die Welt. Heutzutage würde man sagen: Evolution statt Revolution.
Matthes verstand dies natürlich im Sinne seiner Religion. Der Mensch war nicht frei, der tun konnte, was er wollte. Es war nur jener frei, der im Sinne des Glaubens das Rechte tat, ohne an biblische Gebote überhaupt denken zu müssen. So wollte Matthes leben. So erzog er seine Kinder.
Es ist kaum eine Überraschung, dass drei seiner Söhne Pastoren wurden. Der älteste, Johannes, versucht zuerst eine Kaufmannslehre in Hamburg. Verglichen mit den Wehs und Achs beim Verlust seiner beiden Töchter ging Johannes’ Auszug geräuschlos vor sich. Was nicht heißen soll, dass Matthes sich keine Gedanken um seinen Sohn in der Großstadt gemacht hätte. Tagelang arbeitete er einen Brief aus. Er versuchte, Johannes alles mitzugeben, was er in sich trug.
Matthes schrieb: „Man hat darum die Sache nicht, dass man davon reden kann und davon redet. Worte sind nur Worte, und wo sie so gar leicht und behände dahinfahren; da sei auf deiner Hut, denn die Pferde, die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, gehen langsameren Schrittes.“
„Du misstraust den Worten?“ fragte ich ihn, als er mir die Stelle vorlas.
„Selbstverständlich, Freund Hain, Worte sind wie Decken. Sie mögen schön wärmen, und doch verhüllen sie den Menschen oder den Gegenstand, über den er spricht. Ganz selten einmal gelingt es einem Dichter, die Worte zu finden, die Wahrheit enthüllen. Das ist dann ein großer Tag, und ich weiß nicht, ob ich jemals einen solchen Tag hatte.“
„Na, na, mir hast du schon einiges enthüllt.“
„Du bist mein Freund und unter Freunden steckt man gemeinsam unter der Decke.“
Matthes riet: „Hilf und gib gerne, wenn du hast, und dünke dir darum nicht mehr; und wenn du nicht hast, so habe den Trunk kalten Wassers zur Hand, und dünke dir darum nicht weniger.“
„Du predigst einem Kaufmann die Armut?“
„Warum nicht? Will Johannes denn Kaufmann werden, um reich zu sein? Wäre es nicht besser, er würde Kaufmann, um anständig zu leben und zu geben, was ihm möglich ist?“
Ein schönes Ideal. Wohl unerreicht in der Welt. Aber das sagte ich lieber nicht. Auch nicht unter der Decke.
„Verachte keine Religion, denn sie ist dem Geist gemeint, und du weißt nicht, was unter unansehnlichen Bildern verborgen sein könne. Es ist leicht zu verachten, Sohn; und verstehen ist viel besser“, ließ er seinen Sohn noch wissen.
Matthes beschäftigte sich viel mit asiatischen Religionen. Immer auf der Suche nach seinem Gott. Aber durchaus mit der Toleranz, die er seinem Sohn empfahl. Eine ausführliche Darstellung dazu veröffentlichte er im siebten Band seiner gesammelten Werke: „Eine asiatische Vorlesung“.
Die Haut des einfältigen Asmus hatte er lange abgestreift. Seine Bücher liefen trotzdem noch unter dem ausgreifenden Titel „Asmus omnia sua secum portans, oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Boten“.
Johannes hielt es nur wenige Monate in der Kaufmannslehre aus. Dann schlug Vaters Erziehung durch: Der Sohn wollte doch lieber Theologie studieren. Matthes drückte ihn aber nun nicht freudig an die Brust.
Sicher: Es war schön, wenn der älteste Sohn die Familientradition fortführen wollte. Aber: So ein Studium ging ins Geld. Also forderte er, die verlorene Zeit durch hartes Lateinstudium aufzuholen. Das sollte die Probe sein, ob es dem Sohn diesmal ernst war. Johannes bestand.
Als dann die beiden jüngsten Söhne, Franz und Ernst, ebenfalls Theologie studieren wollten, musste Matthes wieder einen Brief schreiben. Ans dänische Königshaus. Das Geld reichte nicht mehr. Seine Bitte wurde erhört, die Pension aufgestockt und der Glauben an die Monarchie gefestigt.