Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

38 - In meinem Ruheraum ...

 

In meinem Ruheraum im Plöner Schloss betrachtete ich Sonnenuntergänge. Schnitt achtlos Leben. Ich musste nachdenken. Konnte aber nicht. Dieser Glaube an Gott. Wie ein Nebel. Undurchsichtig. Zurückweichend. Nicht fassbar. Und – nicht zu akzeptieren.

Es musste einen Weg geben.

Rebekka.

Auch sie glaubte, doch auf ihre Urteilskraft konnte ich noch vertrauen. Sie würde wissen, was zu tun war. Kannte ihren Matz besser als ich. Und der Bann? Warum sollte der mich aufhalten? Wir waren keine Freunde mehr. Und dies schien mir die einzige Möglichkeit, es wieder zu werden. Später würde kein Hahn danach krähen.

Ich wartete auf meine Chance. Beobachtete das Haus an der Lübschen Landstraße. Ungeduldig. Es war wie verhext. Erst verließ Matthes kaum das Haus, dann waren Gäste da. Endlich bekam ich eine Gelegenheit. Matthes ging nach Altona. Er war in diesem Jahr vom dänischen Kronprinz mit der Revisorstelle bei der Altonaer Species-Bank belohnt worden. Das gab gutes Geld für quartalsweises Erscheinen und für mich eine Lücke, durch die ich schlüpfen konnte.

Ich klopfte. Wartete. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Dann öffnete sich die Tür. Rebekkas Willkommenslächeln erstarb sogleich.

„Oh, Herr Schneider, Matz ist heute nicht da.“

Ich konnte schlecht zugeben, dass ich das wusste. Mir fiel allerdings auch keine passende Antwort ein. Ich war so begierig darauf gewesen, mit ihr zu reden. Nun stand ich hier und wusste nicht weiter.

„Äh, ja …“

„Ich kann Sie auch nicht hereinlassen. Wir sollen noch nicht mal mit Ihnen sprechen, hat Matz ausdrücklich gesagt.“

„Wir?“

„Die Kinder und ich.“

„Nun, Letzteres ist wohl nicht mehr rückgängig zu machen.“

Ich versuchte ein Lächeln. Es gelang mir nicht.

„Was um Gottes willen ist passiert, Herr Schneider? Matz will nichts dazu sagen.“

„Ja … um Gottes willen … Wenn Matz dir nichts gesagt hat …“

„Bitte, Herr Schneider. Was es auch sei, ich kann es ertragen. Es ist furchtbar genug, dass Sie nicht mehr der Freund unserer Familie sein sollen. Diese Geheimniskrämerei macht es nur schlimmer.“

Ihre eindringlichen Worte, ihr flehentlicher Gesichtsausdruck. Ich konnte nichts sagen, sah sie nur an. Mit einem Mal wurde mir ganz und gar bewusst, was ich verloren hatte.

„Herr Schneider?“

„Hm, ich weiß nicht …wir hatten … eine religiöse Auseinandersetzung.“

„Ach, Herr Schneider …“

Und dann schmiss ich es ihr einfach hin:

„Ich glaube nicht an Gott.“

„Oh.“

Jetzt war es an ihr, nicht weiter zu wissen.

„Aber wie können Sie nicht …“

„Es ist mir halt nicht gegeben. Ich würde damit auch nicht hausieren gehen. Matthes hat gebohrt und gebohrt und ich habe es ihm gesagt. Das schien lange kein Problem zu sein. Doch jetzt hat er sich entschlossen, meinen Unglauben nicht mehr zu tolerieren.“

„Das tut mir sehr leid, Herr Schneider. Wir haben eine schwere Zeit durchgemacht wegen dem kleinen Matthias Heinrich. Matz hat nach seinem Tod sehr mit dem Glauben gerungen.“

„Ja, ich weiß. Ich habe auch wirklich und wahrhaftig mit euch gefühlt, als der Kleine starb. Ich …“

Ich konnte nicht mehr weitersprechen. Der Hals verengte sich von selbst.

„Mama? Wer ist …?“

Christiane schaute hinter ihrer Mutter hervor und verstummte. Fragend sah sie zu ihrer Mutter hoch. Die Kraft flackerte unablässig zu stark.

„Ist schon gut, Christiane. Herr Schneider wollte nur nachfragen. Da ist es ein Gebot der Höflichkeit zu antworten, nicht wahr?“

Christiane nickte unsicher.

„Und außerdem bleibt das nur unter uns beiden“, flüsterte Rebekka ihr zu. Ein Geheimnis. Das wirkte. Christiane nickte zuversichtlicher. Bedachte mich sogar mit einem Lächeln.

„Tschüss, Onkel Hein“, rief sie schnell und verschwand im Haus.

Das war fast zu viel. Ich ging zwei, drei Schritte zurück.

„Herr Schneider, bitte warten Sie. Wo waren wir? Sie sagten, sie hätten mit uns gefühlt?“

Ich nickte, die Lippen fest zusammengepresst.

Rebekka dachte nach.

„Es tut mir aufrichtig leid. Momentan kann ich nichts für Sie tun, Matz ist der Herr im Haus. Es ist seine Entscheidung, wer als Gast willkommen ist. Ab und an könnte ich nachhorchen, ob er noch immer so streng darüber denkt.“

Sie seufzte.

„Herr Schneider, tun Sie bitte alles, was Ihnen möglich ist, zum Glauben zu finden. Es kann doch nicht … Ach, ich will Ihnen nicht predigen. Ich habe eine Idee: Wenn auf unserer Seite das Wetter besser wird, stelle ich weiße Blumen ins Fenster … noch besser, weiße Blumen mit einem weißen Band. Dann ist jedes Missverständnis ausgeschlossen. Tun Sie halt, was Sie können. Ich möchte Sie nicht missen.“

Und dann ging sie schnellen Schrittes auf mich zu, umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr:

„Ich bete für Sie.“

Abrupt wandte sie sich ab, eilte ins Haus und schloss die Tür.

Ich stand nur da, betäubt.

„Danke“, flüsterte ich, drehte mich um und ging von dannen.

Ich sah nichts. Ich hörte nichts. Ich ging. Dann spürte ich Tränen meine Wangen hinunterlaufen. Ich schleppte mich weiter und brach nach ein paar Metern schluchzend zusammen. Ohne mich umzublicken, löste ich die Gestalt von Opa Nikolaus auf.

Ich war um eine gottverfluchte Erfahrung reicher: Ich wusste nun, wie es ist, wenn man einen Menschen verliert.


Kommentar des Autors:

Damit ist sozusagen das Ende des zweiten Aktes erreicht und vielleicht Zeit, über die Rolle von Rebekka sprechen. Sie sagt es klar und deutlich: Der Ehemann ist Herr im Haus, sie hat sich zu fügen, und dennoch: Ihre Rolle ist inzwischen so bedeutend, dass sich Freund Hain an sie als Schiedsrichterin/Vermittlerin wendet. Was als Männerfreundschaft begann, ist inzwischen ein Dreierfreundschaftsbund geworden, wenn auch dieser Bund nun zerstört wurde.