30 - Wie so oft bei Matthes ...
Wie so oft bei Matthes lösten sich die finanziellen Probleme in Wohlgefallen auf. Von der Familie mochte er nichts leihen, weder von der eigenen noch von Rebekkas. Lieber schrieb er den Schriftstellerkollegen Jacobi an. Der hatte ins Geld geheiratet. Die Verbindung bestand jedoch nur aus einer wohlwollenden Rezension, die im Wandsbecker Boten zu einem Jacobi-Buch erschienen war. Auch Herder mühte sich, Matthes aus dem Darmstädter Loch zu helfen. Letztlich bekam er gleich zwei Zusagen. Von Jacobi und einer Gräfin, die Herder aufgetan hatte. Matthes nahm das adelige Geld und machte sich mit der Familie auf die Reise.
Das Haus am Steindamm stand bereits wieder leer. Angeblich sollte es dort spuken. Behauptete die Familie, die nach den Claudiussen dort gewohnt hatte. Gegenstände wären durch die Luft geschwebt. Ein alter Mann soll trotz verschlossener Türen plötzlich im Haus erschienen sein. Der übliche Aberglauben halt.
Mein Meisterstück lieferte ich ab, indem ich das Haus ganz alleine möblierte. Wie üblich hatte Matthes den schweren Teil seiner Ausstattung vor dem Umzug verkauft. Die Familie Claudius war schon unterwegs, da fiel mir ein kleines Vermögen in die Hände.
Eigentlich hatte ich nur die Speisekammer bei einem frisch Geschnittenen untersucht. Wollte Essbares nach Wandsbeck schaffen. Und dann spürte ich etwas Hartes im Mehlsack: Ein Beutel mit Geldstücken, die golden glitzerten. Nehmen oder nicht nehmen? Die Frage war schnell entschieden. Die Geldstücke waren nicht das Einzige, was in diesem Haus glitzerte. Normalerweise kommt man nur zu solchen Reichtümern, wenn man vergisst zu teilen. Das nachzuholen, schien mir nur recht.
Mein größeres Problem war, dass ich den Wert der Münzen nicht kannte. Geld hat für mich keinen Wert. Das ist eine der wenigen positiven Dinge, die man mir nachsagt: Ob reich, ob arm, ich behandle alle gleich. Herauskaufen geht nicht.
Ich machte eine Probe. Opa Nikolaus kaufte einen Ballen Stoff für Rebekka. Ich gab eine Münze her, der Händler guckte sie etwas komisch an. Dann bat er um einen Moment Geduld und verzog sich ins Hinterstübchen. War ich einem Falschmünzer aufgesessen? Nein. Bald darauf kam der Händler mit neun kleineren Münzen zurück. Der Beutel schien ausreichend für Tische, Stühle, Betten und Schränke.
Dank Opa Nikolaus hatte ich auch kein Problem, mal hier, mal dort aufzutreten. Niemand spürte den Tod unter der Haut bis auf die Tiere. Die verkrochen sich vorsichtshalber, wenn ich auftauchte.
Matthes halber Ulk, ich sei Transportunternehmer, wurde Wirklichkeit. Ich lieh mir Pferd und Wagen (eine Goldmünze weg, sechs andere zurück), sammelte eine komplette Einrichtung ein und fuhr nach Wandsbeck bei Rebekkas Eltern vor.
Ich behauptete im Auftrag des Dichters Claudius zu handeln. Die Behns kannten sich besser mit Geldstücken aus. Sie betrachteten die Ladung und bauten unübersehbar im Geiste kleine Münztürmchen. Völlig zu recht kamen sie zum falschen Schluss: Der Schwiegersohn musste in Darmstadt ein begüterter Mann geworden sein.
Mutter Behn überreichte mir lächelnd den Schlüssel. Die Eltern waren derart übermannt vom Glück ihrer Tochter, dass sie nicht fragten, wie ich den Wagen zu entladen gedachte. Darüber hatte ich mir ebenfalls keine Gedanken gemacht. Das war auch nicht nötig. Solange niemand zuschaute, kam ich allein klar.
Familie Claudius ließ sich Zeit. Rebekka war inzwischen hochschwanger. Es durfte nichts riskiert werden; der Sohn sollte proper zur Welt kommen. Auch ließ sich viel Geld sparen, wenn man unterwegs bei Freunden oder Bekannten speiste und übernachtete. Obwohl der Reisekostenzuschuss der Gräfin üppig war. Sie hatte keine Ahnung, mit welchen Ausgaben das gemeine Volk rechnete. So gab sie lieber zu viel als zu knapp.
Rebekka hatte mittlerweile unwidersprochen das Finanzministerium im Hause Claudius übernommen. Sie sparte eisern. Wer wusste schon, wann wieder Geld hereinkommen würde. Das Volk – Matthes und die beiden Töchter – hütete sich, Forderungen zu stellen.
Nach einer wochenlangen Reise rumpelte die Kutsche in Wandsbeck ein. Den Schlüssel hatte ich eingesackt. Mutter Behn sollte kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Am Gartentörchen wartete ich auf meinen Auftritt.
Endlich kam die Kutsche den Steindamm herunter. Matthes auf dem Bock guckte etwas misstrauisch. Rebekka lugte aus der Kutsche und freute sich, ein bekanntes Gesicht zur Begrüßung zu sehen.
Matthes brachte die Pferde zum Stehen. Ich öffnete die Tür der Kutsche.
„Willkommen in Wandsbeck“, sagte ich zu Rebekka und half ihr aussteigen.
„Das ist eine schöne Überraschung, Herr Schneider. Mutter wollte nicht sagen, wem sie den Schlüssel gegeben hat.“
„Der Überraschungen sind noch mehr. Wo sind die Kinder?“
„Wir haben Sie bei Mutter Behn gelassen“, brummelte Matthes und stieg schwerfällig vom Bock. „Wir wussten ja nicht, was uns hier erwartet.“
„Das ist einfach: Euch erwartet euer neues, altes Zuhause. Die Damen und Herren mögen mir bitte folgen.“
„Was um Himmels willen …“
„Nun lass ihn doch, Matz. Wir sind wieder zu Hause. Unser Freund erwartet uns hier und du brummst nur.“
Ich ging voran, schloss die Haustür auf und trat zur Seite.
„Tataa!“
Rebekka ging zuerst hinein. Matthes warf mir einen Blick zu, als wäre ich ein Räuber. Dann schrie Rebekka:
„Matz! Komm schnell. Sieh dir das an. Die Möbel.“
Der Herr des Hauses stürzte hinein.
„Ja das darf doch wohl nicht …“
Ich blieb draußen stehen. Genoss meinen Triumph. Lauschte den Schritten hierhin, dorthin, den Freudenausrufen Rebekkas. Plötzlich stand sie vor mir.
„Herr Schneider. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das jemals … Ah, Sie haben etwas im Haar. Da hinter dem rechten Ohr.“
Ich streifte durchs Haar.
„Nein, nein, beugen Sie sich mal vor.“
Ich tat wie geheißen. Rebekka reichte ins Haar. Plötzlich hielt sie sich an meiner Schulter fest und küsste mich auf die Wange.
„Danke“, sagte sie mit schalkhaft blitzenden Augen. „Vielen, vielen Dank.“
Bevor ich etwas antworten konnte, drehte sie sich um und ging zurück ins Haus. Ich hätte eh keine Antwort gewusst: Eine Frau hatte mich geküsst!
Ich blieb an der Tür, diesen einen Gedanken wiederkäuend. Mit einem Mal stand Matthes vor mir.
„Freund Hain, lass mich raten: Auch diese Sachen vermisst niemand?“
Das weckte mich aus meinem Wiederkäuerdasein.
„Nein, nein, alles ehrlich erworben. Hier.“
Ich holte den Geldbeutel aus der Innentasche meiner Jacke. Drückte ihn Matthes in die Hand. Ein paar Münzen waren noch drin.
„Was ist das?“
„Das … vermisst keiner.“
Sinnend wog Matthes den Beutel in der Hand. Bedachte mich mit einem langen, nachdenklichen Blick. Und dann kippte seine Stimmung um.
„Mensch, Hain. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen: Der Herr hat uns einen Engel geschickt.“
„Wer sagt, dass ich kein Engel bin?“
„Niemand, Hain, niemand. Das ist alles eine Frage des Standpunkts. Von meinem und Rebekkas Standpunkt aus bist du unser persönlicher Schutzengel.“
Das war mir dann doch ein bisschen peinlich.
„Wie geht es ihr?“
„Die Reise war anstrengend, doch es gab keinerlei Anzeichen, dass sie Rebekka und unserem Sohn geschadet hat. Ich habe ihr gesagt, sie solle sich gleich hinlegen. Alldieweil die Kinder nicht da sind, hat sie etwas Ruhe. Du siehst auch nichts?“
„Nein. Weder die Kraft noch einen Sohn.“
„Diesmal muss es einer werden. Kein Mädchen möchte Antonius Friedrich heißen.“