24 - Der Tod und das Mädchen
Der Tod und das Mädchen
Das Mädchen
Vorüber! Ach, vorüber!
Geh wilder Knochenmann!
Ich bin noch jung, geh Lieber!
Und rühre mich nicht an.
Der Tod
Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
Bin Freund, und komme nicht, zu strafen.
Sei gutes Muts! ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen!
Der erwartete Sohn wurde eine Tochter: Maria Caroline Elisabeth. Später Line geheißen. Und noch später Frau Perthes. Sie heiratete Friedrich Christoph Perthes, einen Hamburger Verleger und Buchhändler. Der war nicht ganz unschuldig daran, dass der Name Matthias Claudius nicht vergessen wurde. Selbst solch ganz private Herzensangelegenheiten können entscheidend sein, wenn es um den Nachruhm eines Dichters geht. Doch zuerst müssen Gedichte her, die es wert sind.
Einen Monat nach der Entbindung drückte Matthes mir etwas in die Hand: ein mehrfach gefaltetes Blatt Papier. Ich sah ihn fragend an. Er sagte: „Lies es in einer ruhigen Stunde.“
Ich setzte mich weit entfernt von Wandsbeck auf einen Baumstumpf am Wegesrand. Die Sonne schien. Vögel zwitscherten den Frühling herbei. Und ich las.
Schmunzelte beim Knochenmann. Diese Zeiten hatte ich hinter mir. War gerührt von den Worten, die Matthes mir erdacht hatte.
Ja, es war die Zeit des schönen Todes. Man starb im Kreise der Familie, verabschiedete sich im Glauben, alle liebgewonnenen Verwandten und Freunde im Jenseits wiederzusehen.
Ich wurde von den hellsten Köpfen verteidigt: Lessing, Herder und andere. Sie ließen das alte Bild der Griechen von mir und meinem Bruder Hypnos wieder aufleben. Wir als schlummernde Jünglinge Seite an Seite. Niemand musste sich mehr fürchten vor dem Tod. Und Matthes wollte noch eins draufsetzen.
Er musste sowieso etwas unternehmen, um das Familieneinkommen zu steigern. Sein Plan: Eine Zusammenstellung seiner gesammelten Werke selbst herausgeben. Die neueren Sachen waren nur verstreut in den Zeitungsausgaben erschienen, meist anonym oder als Bote. Und er kündigte an: Die Sammlung sollte mir gewidmet sein.
Ich fühlte mich reich belohnt. Viele Jahre schon suchte ich, die letzten Augenblicke den Menschen so angenehm wie möglich zu machen. Das war meine Entscheidung gewesen. Ich hatte es einfach satt gehabt. Diese Schreie. Diese schreckgeweiteten Augen. Die Wehr gegen das Unvermeidliche. Und auch das Geducke. Das Verstecken. Die Schauer.
Sicher, es gab Ausnahmen. Wenn ich einen schlechten Tag hatte, konnte ich auch mal als Sensenmann erscheinen. Und mancher Todesfall war gewalttätig, manche Krankheit endete schmerzhaft. Doch das Bild des Todes hatte sich über die Jahrhunderte gewandelt: Ich kam nicht mehr, zu strafen.
Es war bereits Herbst, als im Wandsbecker Boten die Ankündigung für das Werk erschien. „Asmus omnia sua secum portans, oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Boten, I. und II. Teil“ sollte es heißen. So umständlich und pompös der Titel („Asmus all das Seinige tragend“), so umständlich warb Matthes für sein Projekt. Selbst eine alte Tante musste als Argument herhalten:
Subskriptionsanzeige
Ich will meine Werke auch sammlen und h’rausgeben. Es hat mich zwar, wie sonst wohl zu geschehen pflegt, kein Mensch drum gebeten, und ich weiß besser als irgendein geneigter Leser, wie wenig dran verloren wäre wenn meine Werke so unbekannt blieben als ich selbst bin, aber ’s ist doch so artig mit dem Subskribieren und H’rausgeben, und so eine Freud und Ehre für mich und meine alte Muhme; ist auch ja ’s Menschen sein freier Wille, ob er subskribieren will oder nicht. …
Die Werbetexterei hat seit jener Zeit einige Fortschritte gemacht. Allerdings nicht nur zum Besseren. Matthes war auch nicht der rechte Mann für eine schmissige Werbebotschaft.
Seltsamerweise kam diese Art der Werbung an. Stolz zählte Matthes mir auf, wer wo Vorbestellungen sammelte. Die Asmus-Landkarte reichte von Kopenhagen bis Lissabon, von Hamburg bis Königsberg. Selbst Goethe und Lessing haben Exemplare bestellt.
Gedruckt wurde bei Bode. Verdiente der auch noch ein bisschen was an seinem Redakteur. Erscheinen sollte das Buch zu Ostern. Mir gewidmet und enthüllend, dass der Wandsbecker Bote Asmus eigentlich ein Herr Matthias Claudius war. Eine Tatsache, die bisher nur im engen Zirkel der Literaten kursierte. Später wurden sie eins: Matthias Claudius war Asmus, Asmus war der Wandsbecker Bote, der Wandsbecker Bote war Matthias Claudius. Denn Matthes blieb bei dem Titel für die weiteren Bände seiner gesammelten Werke. Die Zeitung gab es da längst nicht mehr.
Um die Widmung machte Matthes ein Geheimnis. Hoch und heilig versprach er mir eins der ersten Exemplare. Nur vorab wollte er mit nichts herausrücken. Das hatte seine Gründe.
Dieser Sauhund.