22 - Zwei Wochen später ...
Zwei Wochen später setzte die Geburt viel zu früh ein. Ich zeigte mich nicht, blieb nur so lange wie nötig. Das Neugeborene schrie einmal auf und verstummte für immer.
Wie die beiden damit fertig wurden, kann ich nicht sagen. In der Zeit danach hielt ich mich fern. Wollte keine Wunden aufreißen. Weder ihre noch meine. Auch mir hatte der Schnitt wehgetan. Matthes hatte die Nachricht letztlich gefasst aufgenommen, aber nur weil er von Schlimmerem ausgegangen war. Was sollte beim nächsten Mal werden?
Nach ein paar Monaten wagte ich einen Versuch. Ich fing Matthes auf dem Rückweg vom Drucker Bode ab. Er lud mich nachdrücklich ein, wieder vorbeizuschauen. Auch von Rebekka wurde ich freudig empfangen. Sogar die alte Frage, warum ich immer zu Fuß unterwegs wäre, weckte keine bösen Erinnerungen bei Matthes.
Auf die Frage selbst war ich vorbereitet. Ich erklärte, als Transporteur müsse ich Sorge tragen, dass alle Fuhrwerke Geld brächten. Da könnte ich nicht mit einem Gefährt spazieren fahren. Diese Erklärung wurde mit großem „Oho!“ akzeptiert. Rebekka kam es recht, mich als leuchtendes Beispiel in Gelddingen parat zu haben. Matthes ging ihr zu freihändig mit dem knappen Geld um. Zumal es nicht gut stand um den Wandsbecker Boten. Er zog zu wenig Leser an, um sorglos in die Zukunft zu schauen.
Ich wagte weitere Besuche. Versuchte Gewohnheit einkehren zu lassen. Dabei immer auf der Hut, ob nicht Matthes irgendeinen Groll erkennen ließ. Doch anscheinend fanden er und Rebekka Trost in der Religion. Die Familienbibel lag fast immer auf dem Tisch, Bibelzitate würzten die Gespräche. Was mir allerdings erst später klar wurde.
Ich suchte mich nützlich zu machen, indem ich Lebensmittel organisierte. Das ersparte Rebekka, bei den Eltern fragen zu müssen, wenn das Geld mal wieder nicht reichte. Matthes ließ es geschehen. Forschte nicht nach, woher die Sachen kamen. Er wird es sich gedacht haben. Oder er hat es verdrängt. Von den Toten zu nehmen, um den Lebenden zu geben: Sicher gab es auch dafür ein passendes Bibelzitat.
Endgültig sicher fühlte ich mich, nachdem ich Matthes den Tod seines Vaters mitgeteilt hatte. Ich schlüpfte in die Rolle des Fuhrunternehmers. Klopfte an die Tür, den Hut in der Hand.
Der Hausherr öffnete persönlich. Seine Begrüßung erstarb, als er den Hut sah. Rebekka kam hinzu, legte die Hand auf Matthes Schulter und schaute mich ängstlich an. Meine Geschichte war, dass eins meiner Fuhrwerke durch Reinfeld gefahren sei. Dort hätte der Fuhrmann vom Tod des Pastor Claudius erfahren. Am Morgen hätte er noch gepredigt, am Nachmittag sei er verstorben.
Matthes nahm die Meldung stumm zur Kenntnis. Musste sich erstmal setzen. Tränen flossen, aber es gab keinen Zusammenbruch. Rebekka suchte ihn nach Kräften zu trösten. Ich verabschiedete mich recht bald, versprach wiederzukommen.
Als Rebekka erneut schwanger wurde, rief das natürlich Erinnerungen wach. Doch der Tenor war: Es kommt, wie Gott will, dass es kommt. Trotzdem warf Matthes mir immer mal wieder einen fragenden Blick zu. Den ich aber stets beruhigend beantworten konnte. Die Kraft zeigte sich nicht.
Bald überwog die Freude auf das erste Kind. Es gab weiter keine Anzeichen, dass etwas drohte. Weder dem Kind noch der Mutter noch mir. Und so schien es, dass mein Tun keinen Schatten auf die Freundschaft zu Matthes und seiner Rebekka werfen konnte. Ja, so schien es.
Bei dem Grabe meines Vaters
Friede sei um diesen Grabstein
her!
Sanfter Friede Gottes!
Ach, sie haben
Einen guten Mann begraben,
Und mir war er mehr;
Träufte mir von Segen, dieser
Mann,
Wie ein milder Stern
aus bessern Welten!
Und ich kann’s ihm nicht
vergelten,
Was er mir getan.
Er entschlief; sie gruben ihn
hier ein.
Leiser, süßer Trost,
von Gott gegeben,
Und ein Ahnden von dem ew’gen
Leben
Düft um sein Gebein!
Bis ihn Jesus Christus, groß
und hehr!
Freundlich wird
erwecken – ach, sie haben
Einen guten Mann begraben,
Und mir war er mehr.