Unterm Lyrikmond

Gedichte lesen, schreiben und interpretieren

13 - Der Schwarze

 

Der Schwarze in der Zuckerplantage

Weit von meinem Vaterlande
        Muss ich hier verschmachten und vergehn,
Ohne Trost, in Müh und Schande;
        Ohhh die weißen Männer!! klug und schön!

Und ich hab den Männern ohn Erbarmen
        Nichts getan.
Du im Himmel! hilf mir armen
        Schwarzen Mann!

 

Obwohl so schön passend, hat Matthes dieses Gedicht nicht direkt nach der Partie geschrieben. Er veröffentlichte es einige Jahre später im Wandsbecker Boten. Da dieser Bote so wichtig wurde für Matthes’ Leben, will ich ein paar Takte dazu sagen. Wer weiß, ob später noch genug Zeit dafür ist.

Der Wandsbecker Bote war zuallererst eine Tageszeitung. Erschien dienstags, mittwochs, freitags und samstags. Ein Bogen billiges Papier gefaltet: Das ergab vier Seiten nicht größer als das, was man heute DIN A4 nennt. Der Bote war jedoch kein Lokalblättchen. Was im Dorf passierte, wussten alle, die es wissen wollten. Die Nachrichten stammten aus Paris oder Versailles, aus London und Madrid, aus Sankt Petersburg und Konstantinopel, aus Kopenhagen, Den Haag, Rom, Lissabon usw. Selbst aus dem amerikanischen Nord-Virginia gab es Meldungen.

Aber fast nichts aus Hamburg. Das hing mit der Entstehungsgeschichte des Wandsbecker Boten zusammen. Matthes hat sie mir erzählt, als ich ihn nach der Hamburger Lücke fragte:

„Nein, Freund Hain, wir berichten nicht aus Hamburg. Die Städter dürfen in ihrem eigenen Saft schmoren. Ob das gut ist für die Hamburger, kann ich nicht sagen, aber sie haben es sich so gewünscht. Der Wandsbecker Bote hatte einen Vorgänger, geheißen der Wandsbeckische Mercur, was ein rechtes Schmutzblatt war, das an die niederen Instinkte der kleinen Leute in Hamburg und Umgebung appellierte. Alle Lüge war diesem Blatt Wahrheit und man produzierte Skandale und Skandälchen. Möge Gott Hamburg auf alle Zeit vor solch windigen Gestalten bewahren, die mit einem derartigen Schund ihr täglich Brot zu verdienen wünschen.“

„Warum haben die Behörden das Blatt nicht verboten? Das geht doch sonst sehr flott.“

„Das mag sein, Freund Hain, doch den Hamburgern fehlten die rechtlichen Mittel, den Schmier-Mercur zu verbieten. Das Privileg, ihn drucken zu lassen, stammte, wie der Name sagt, aus Wandsbeck. Entweder musste der dänische König eingreifen, alldieweil Wandsbeck zur dänischen Krone gehört, oder unser Freiherr von Schimmelmann. Die Dänen kümmerten die Hamburger Tränen nicht. Also hat unser Freiherr das Blatt schließen lassen, als es ihm zu bunt wurde. Er sorgte sich jedoch, ob es seinen Wandsbeckern nicht an Nachricht und Bildung mangelte. Also beauftragte er wen, eine neue Zeitung nach seinem Sinne ins Leben zu rufen?“

„Dich nicht.“

„Richtig, Freund Hain: Pastor Hahn. Dieser hatte keine Druckerei zur Hand, ging daher nach Hamburg und beauftragte unseren dicken Freund Bode, der darauf besteht, eine fabelhafte Figur zu haben, die neue Zeitung zu drucken. Unser fabelhafter Freund brauchte nun jemanden, der willig war, von Wandsbeck aus die große weite Welt zu beleuchten. Denn das Zeitungsprivileg galt wieder nur für dieses wunderbare kleine Dorf mit seiner wunderbaren … na, du weißt schon.

Und wen beauftragte der Herr Bode, in wohlgesetzten Worten aus den Reichen der Politik und der Wissenschaft zu berichten? Sag nichts, du sagst es doch falsch. Der Herr Dickmann sollte es sein. Und was wurde aus Herrn Dickmann? Ich sehe dir an, du weißt es, Freund Hain. Herr Dickmann ging vom Alkohol benebelt durch die Nacht und wurde von einem Fass Pomade überrollt, das bei geschwinder Fahrt von einem Fuhrwerk fiel. Derart durcheinandergeschüttelt, kam er vom rechten Wege ab, fiel in die Alster und ward nicht mehr gesehen.“

So kam Matthes nach Wandsbeck. Zumindest hat er es so erzählt. Seine Aufgaben: Er sichtete die Briefe der Korrespondenten aus aller Welt und brachte sie auf eine einheitliche Tonlage. Zusätzlich wertete er englische und französische Zeitungen aus. Und mit ein bisschen Glück blieb eine von den vier Seiten übrig. Für die gelehrten Sachen. Das heißt, wenn nicht aktuelle Wechselkurse oder Lotterieankündigungen Vorrang hatten.

Meist brachte die gelehrte Seite Rezensionen. Das Themenspektrum war breit: Lyriksammlungen, Romane, Theaterstücke, Reisebücher, Medizinisches, Bücher für den schulischen Unterricht, philosophische Werke, religiöse Literatur und manch kurioses Werk: „Anweisung, wie man ohne Früchte mit geringen Kosten sich dennoch ernähren könne“ zum Beispiel. Matthes schrieb nicht alles selbst. Auch die Gedichte, die zwischendurch platziert wurden, stammten nicht alle von ihm.

Das Gedicht von den schwarzen Sklaven, die unter den weißen Herren zu leiden hatten, aber schon. Wie kam er auf dieses weit entfernte Thema?

„Das ist doch ein offenes Geheimnis, Freund Hain. Unser Grundherr und Zeitungspatron Freiherr von Schimmelmann besitzt Plantagen in der Karibik und beutet schwarze Männer als Sklaven aus. Wusstest du das nicht?“

„Aber wie kannst du dann ein solches Gedicht in die Zeitung setzen?“

„Warum nicht? Auch der schwarze Mann bittet den einen Gott um Hilfe, den auch wir um Hilfe angehen. Was soll daran falsch sein?“

„So betrachtet: nichts.“

„Siehst du, Freund Hain. Das sage ich mir auch, und unser Freiherr wird kaum anderer Meinung sein.“

Matthes behielt recht. Geschadet hat es ihm nicht. Doch wahrscheinlich hat der Freiherr sein eigenes Blatt nicht gelesen. Die Zahl der Leser blieb überschaubar. Etwa 400 sollen es gewesen sein.

So viel zum Wandsbecker Boten. Jetzt muss ich noch eine Lücke füllen: Wie kam Matthes zum Zeitungsgewerbe? Ich konnte nichts dafür. Mein Beitrag war nur die eine Partie Schach – und ein paar Bücher.


Kommentar des Autors:

Die Geschichte des Wandsbecker Boten ist entsprechend den historischen Fakten geschildert, nur der Herr Dickmann, der vom Fass Pomade überrollt wurde, ist frei erfunden. Jede Anspielung auf lebende Personen wäre rein zufällig. Es gibt einen Reprint vom Wandsbecker Boten, den ich zum Teil gelesen, zum Teil überflogen habe, so dass ich einen Eindruck davon bekommen konnte, was der Bote abseits von dem bot, das durch die gesammelten Werke von Matthias Claudius überliefert wurde.