Unterm Lyrikmond
Gedichte lesen und hören, schreiben und interpretieren
Die Liebe und der Tod sind zweifellos die gewaltigsten Themen der Lyrik. Doch was passiert, wenn sie in einem Gedicht zusammenprallen? Es zeigt sich, dass der Tod eine dämpfende Wirkung hat. Es kommt zwar zu ausschweifenden Phantasien, aber letztlich werden diese immer von der Realität des Todes eingeholt.
Eines will das lyrische Ich in diesem Gedicht von Liebe und Tod noch mitnehmen, wenn es seine letzte Reise antritt.
Albert Sergel · 1876-1946
Wunsch
Wenn des Todes dunkle Schatten nahn,
eh mein Herz den letzten Schlag getan,
tritt heran, dass mir dein holdes Bild
noch einmal der Seele Tiefen füllt,
dass ich auf den unbekannten Wegen
nicht so einsam geh dem Licht entgegen.
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Liebe weiß, wann sie schweigen muss. Gerade bei so durchchoreographierten Akten wie einer Beerdigung wären wahre Gefühle fehl am Platz.
Maximilian Bern · 1849-1923
Dein Begräbnis
Nicht durft’ ich weinen, als man dich begraben,
du warst ja glücklos eines Andern Weib,
und viele Fremde deinen Sarg umgaben,
worin so fahl in Blumen lag dein Leib!
Sie zählten kühl die Fackeln und die Kerzen,
die Tränen, die um dich geflossen sind,
und beugten vornehm sich herab, zu scherzen
mit deinem blassen, frühverwaisten Kind.
Die arme Kleine drückte trennungsbange
ans schwarze Bahrtuch ihr gelocktes Haupt;
sie lauschte neugierig dem Leichensange
und ahnte kaum, was ihr der Tod geraubt.
Ich musste ferne stehn und ruhig scheinen,
als letzter hinter deinem Sarge gehn;
kein Heuchler durfte beim verlog’nen Weinen
in meinen Augen echte Tränen sehn.
Dein Angedenken hätten sie gesteinigt,
verlästert dich bei deinem eignen Kind,
wär’ meine Seele – ob auch schmerzgepeinigt –
nicht hart erschienen, wie es Fremde sind.
Und doch war unser Lieben und Entsagen
so keusch und rein wie jene Sternennacht,
die auf dem Kirchhof ich in stummem Klagen
an deinem frischen, nackten Grab durchwacht.
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Ein weiteres Gedicht über eine heimliche Liebe, die der Tod spurlos beendet hat.
Christian Schmitt · 1865-1928
Vor langen Jahren
Wir hatten uns lieb und trugen
im Herzen selige Pein,
träumend, dass einst in Ehren
wir unser würden sein.
So haben das Geheimnis
verschwiegen wir gehegt,
bis schmerzgebeugt die Deinen
dich in den Sarg gelegt.
Noch heut weiß keiner, keiner
von deiner Sehnsucht Ziel
und was an Glück und Hoffen
mit dir in Staub zerfiel.
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Ein Garten als Ort der Liebe und nun des Erinnerns steht im Mittelpunkt dieses Gedichts über Liebe und Tod.
Emanuel von Bodman · 1874-1946
Der Garten
Das rote Weinlaub hängt von Sonne voll,
Ich trete ohne Schmerz in deinen Garten,
Nach langer Zeit. Auf dieser Holzbank schwoll
Einst unser junges Sehnen, und wir starrten
In manche blaue Nacht. Nun bist du tot
Drei bunte Jahre. Die Kastanien fallen.
Nun ist mir, fühle ich ihr braunes Rot,
Es müssten deine leichten Tritte hallen.
Noch fließt der alte Tropfsteinquell so klar,
Und mächtig drückt mich eine süße Schwere,
Als ob der irre Duft von deinem Haar
Noch irgendwo in diesen Büschen wäre.
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Dass es bei diesem Gedicht um eine Illusion geht, wird gleich zu Beginn verraten. Lethe ist übrigens der Fluss des Vergessens.
Einer schaut hoch, eine schaut runter, aber was die eine glaubt, ist nicht was der andere sieht. Zu kompliziert? Das Gedicht hilft:
Maximilian Bern · 1849-1923
In memoriam
Enttäuscht zurückgekehrt nach vielen Jahren
zur Stadt, aus der nach deinem frühen Tod
ich ziellos in die weite Welt gefahren,
als mir die Heimat ohne dich nichts bot,
stand ich verträumt vor deinem Sterbehause. –
Aus offenem Fenster blickte ins Gebrause
der lauten Straße eine junge Frau.
An Wuchs und Liebreiz glich sie dir genau!
Da ich das Auge nicht vom Erker wandte,
aus alten Tagen innig mir vertraut,
errötete die holde Unbekannte,
als hätte ich zu ihr emporgeschaut –
zu ihr, die sich im Lebensglücke sonnte
und voller Selbstgefühl nicht ahnen konnte,
dass nicht der daseinsfrohen Huldgestalt,
nein, totem Schattenbild mein Aufblick galt.
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Ein altes Thema: Wenn Liebe über den Tod hinaus geht, heißt das, man muss dem geliebten Menschen in den Tod folgen?
Wer bei diesem Busch-Gedicht auf eine Pointe wartet, wird enttäuscht. Nein, Wilhelm Busch hat hier ein Gedicht über Liebe und Tod geschrieben, das möglicherweise einen persönlichen Hintergrund hatte.
Storm beschreibt in seinem Gedicht die lähmende Wirkung, die vom Tod eines geliebten Menschen ausgeht.
In diesem Gedicht wird das Thema Liebe und Tod durch eine Trennungsahnung kurz vor Mitternacht umspielt.
Albert Sergel · 1876-1946
Eine Stunde vor Mitternacht ...
Eine Stunde vor Mitternacht ...
Es kam durch Hof und Türe,
mir war’s, als ob eine kalte Hand
nach meinem Herzen führe.
Mir war’s, als ob ein kalter Mund
meine zuckenden Lippen berühre,
eine Stunde vor Mitternacht ...
und lautlos ging die Türe.
War das der Tod, der gekommen war
sich bräutlich anzutragen?
Oder, Liebster, kamest du
dich von mir loszusagen?
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In diesem Gedicht treten der Tod und die Liebe persönlich auf und gegeneinander an. Der Kampf ist kurz, wortlos und hat einen klaren Sieger.
Börries Freiherr von Münchhausen · 1874-1945
Der Tod und die Liebe
Der Tod ging hin durchs blühende Land
Und schlich und suchte, suchte und fand, –
Die Nacht lag über den Gärten,
Dornen den Weg ihm sperrten.
Vom Tau war seine Sense nass,
Wohin er trat, fiel Tau vom Gras.
Es träumte der Himmel noch immer
Von der Sonne in mattem Schimmer.
Und als der Tod am Tore stand
Und dreimal klopfte mit dürrer Hand,
Da trat ihm die Liebe entgegen
Mit ihrem unendlichen Segen.
Und er wich fort von Haus und Tor,
Schlich weiter den Weg wie eben zuvor,
Es glitt sein Gewand durch die Straßen,
Die Brunnen das Rauschen vergaßen.
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Interessant an diesem Liebesgedicht im Angesicht des Todes ist, dass sich das lyrische Ich nicht auf ein Wiedersehen mit dem Geliebten im Jenseits vertröstet, wie es eigentlich im 19. Jahrhundert üblich war, sondern ganz dem Irdischen verhaftet bleibt.
In der Mathematik nach Bindiung sind eins und eins eins, d.h. stirbt eins, fehlt keins, die Summe bleibt eins. Aber der Dichter kann das viel besser erklären:
Kommentar:
Dies ist eins der wenigen Gedichte, in dem das Metrum komplett regelmäßig ist, aber nicht gleich. Binding nutzt zuerst einen Jambus (abwechselnd Senkung und Hebung), doch ab Strophe drei beginnt jede Zeile mit einer Hebung, die sich über eine Akzentverschiebung ergibt. Bei den ersten beiden Silben wird das Hebungsschema umgedreht. Schaut man auf die inhaltliche Struktur, passt dies zur Frage- und Antwortfolge.
Noch voller Leben ist dieses Liebespaar und fordert frechweg den Tod heraus, es als eines zu nehmen.
Hans Böhm · 1876-1946
Nachtstück
Aus Träumen erwachen
Wunderlich wirren
Und plötzlich zur Seite
Der Liebsten sein –
Welch frohes Erschrecken!
Auch sie blickt herüber:
Wo warst du so lange!
Und nun bist du mein!
Und seid ihr’s noch immer
Liebglänzende Augen
Ihr zärtlichen Arme
Atmender Mund?
So stumm ist die Erde
Als wär sie gestorben.
Du lebst mir alleine
Lieblicher Fund.
Und still von einem
Willen durchdrungen –
Süßes Erglühen
Süßestes Ruhn.
O Tod suchst du Eines,
Als Eins nimm uns Beide!
Ein Leib ein Atem
Entschlummern wir nun.
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Der Tod mag auf alle Ewigkeit die Sense schwingen, die Liebe wächst trotzdem immer wieder und für alle Zeiten nach, wenn man dem folgenden Gedicht glauben darf.
Das Thema Liebe und Tod musikalisch untermalt von Claude Chalhoub: